Keine Sorge, das hier ist keine Politik-Reihe, im Gegenteil. Aber in der aktuellen Situation, in der das Demonstrationsrecht leider vielerorts missbraucht wird, um Unwahrheiten und Hass zu verbreiten, ist es an der Zeit, dem Wort „Demo“ wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Und zwar mit guter Musik.
Habt ihr die Feiertage alle gut überstanden? Dann weiter mit dem zweiten Teil des „Alopecia“-Reviews! Nachdem wir uns vor zwei Wochen mit dem Besingen einer fremden Beziehung in “Fatalist Palmistry” in die wohlverdienten Weihnachtsferien verabschiedet hatten, geht es jetzt zum Jahresabschluss nochmal um’s Ganze.
Der achte Song des WHY?-Albums heißt “The Fall of Mr. Fifths”und er bietet in diesem Jahr ungewollt eine spannende Bühne für die Aufarbeitung der Feiertage. Das schöne an lyrischen Texten ist ja, dass sie oft so wunderbar mehrdeutig sind. Aber in diesem Fall und in der aktuellen Situation ist die Nebenbedeutung so offenkundig und fast schon prophetisch, dass es sich lohnt, sie in diesem einen Jahr zur Hauptbedeutung zu erheben. Zur Erinnerung, der Song stammt aus dem Jahr 2008:
“Oh I’ve stayed scarce this last year yes, but be assured and unrest I’m unavoidable like death this Christmas is this twisted? Why be upset? I never said I didn’t have Syphilis, Miss listless.”
Tauscht man “Syphilis” mit “Covid” aus, hätte dieses Zitat in diesem Jahr wortwörtlich so in einem Streitgespräch unter dem Weihnachtsbaum gefallen sein können. Und dazu der Titel “The Fall Of Mr. Fifths” (eigentlich ein alias von Yoni), der sich einen Tag nach dem “fünften Advent” wie eine Aufforderung zur Abrechnung mit dem Jahr und den Feiertagen anfühlt. In der Demo wird das Ganze noch etwas schüchtern vorgetragen: Erst steigt Yoni viel zu früh ein und muss dann nochmal einen zweiten Versuch unternehmen, der aber ebenfalls unsicher klingt. Der Beat ist hier noch sehr provisorisch mit einem schlichten Schlagzeug-Rhythmus, einer Rassel, einer hohen Synthesizer-Spur und einer Bassline. In der fertigen Studioversion ist der Sound viel voller, der Grundbeat ist zwar immer noch simpel, füllt die Kopfhörer aber ganz aus. Und hat mit den jetzt zusätzlich eingebundenen Glocken auch einen weihnachtlichen Beigeschmack, fast pompös, gar protzig, wie um die Ankunft des (besseren) Königs anzukündigen:
“If I remain lost and die on a cross at least I wasn’t born in a manger.”
Die ganze Stimmung des Liedes möchte an Weihnachten provozieren, im Streit ein reinigendes Feuer entfachen. Und dazu passt auch das Ende der Studio-Version, in der man das Knistern der Flammen hört, sowie das abschließende Statement:
“I’m sorry, I’m just being crazy, I know Don’t pay attention to me Look at the fire. Everything’s totally fine I feel a lot better now!”
Keine Sorge, die Feiertage sind überstanden!
Der Übergang zum neunten Titel des Albums, “Brook & Waxing”, verläuft nahtlos durch ein Stimmgewirr (das wohl die Gedankenkonstellation beim Grübeln darstellen soll) am Ende von „The Fall of Mr. Fifths“. Der Titel befasst sich damit, dass es sich manchmal leichter lebt, wenn man sich nicht zu viele Gedanken um die Konsequenzen des eigenen Handelns macht. “Waxing” ist dabei ein schönes Wortspiel, das einerseits das Wachs der halb ausgebrannten “Lebenskerze” des Protagonisten aufnimmt, aber gleichzeitig auch das emotionale “Wachsen” des Baches (Brook) zu einem Fluss beschreibt, nachdem die Hauptperson nicht mehr so viel nachdenkt. Musikalisch wird dieser plötzliche Wandel aufgegriffen, als der eigentliche, sehr träge, weil auf Schlag 1 und 3 betonte, Song in einer schrägen Klaviermelodie ausklingt und dann plötzlich eine neue, sehr viel fröhlichere Melodie das Outro übernimmt. Dieser Teil ist in der Demo-Aufnahme noch nicht vorhanden, dafür endet der Song in einer schrägen, ausgelassenen Gesangsmelodie.
Dass es manchmal gar nicht so einfach ist, alte Denkmuster zu verlassen, zeigt der zehnte Titel “A Sky for shoeing horses under”, der sich gedanklich mit verschiedensten metaphorischen Niederlagen im Leben des Protagonisten beschäftigt. Und mit einer wortwörtlichen, die den Abschluss der Strophe bildet: “I only played chess in my life once and I lost (at such a cost)” Auffällig ist, dass aus den Niederlagen nicht der Wunsch zu entstehen scheint, es noch einmal versuchen zu wollen. In der Demo ist der Song hier schon nach 49 Sekunden zu Ende. Die Aufnahme wirkt sehr spontan, ein “Beat aus der Dose”, eine Xylophon-Melodie und der traurige Text, das war’s. In der Studioversion klingt es voller, aber trotzdem gedämpft. Das Lied endet textlich auch hier wenig fröhlich in einem abgewandelten Mantra des Songtitels mit “Looks like a good sky to die under.” Dabei fühlt sich das Ende aber nicht wirklich traurig an, sondern eher gleichgültig, etwas betäubt, vielleicht durch das Khat, von dem vorher im Song die Rede war. Musikalisch wird das Gefühl durch das hohe, durchgängige, sehr monotone Glockenspiel, das das Xylophon aus der Demo ersetzt hat, unterstützt. Das Lied wirkt in der Studioversion insgesamt fast verträumt und von der Realität losgelöst, so als ob das Studio eine Parallelwelt wäre.
Der elfte Titel “Twenty-eight”ist eine 44-sekündige Intermission. In der Demoversion sind es sogar nur 29 Sekunden und es ist weniger ein Lied als ein, in ein Diktiergerät vorgetragenes, Gedicht, vollkommen ohne Instrumentalbegleitung. Es geht eindeutig um eine unglückliche Liebe, inhaltlich bietet der Text aber dennoch einige Interpretationsmöglichkeiten. Das beginnt schon beim Titel, der am Anfang aus dem Off hereingerufen wird und entweder als die Anzahl der laufenden Takes oder als eine Altersangabe gesehen werden kann. Variante 1 ermöglicht die Interpretation, dass der Protagonist einen Song nach dem anderen schreibt, weil er die andere Person einfach nicht aus dem Kopf bekommt. Variante 2 eröffnet eine ganz andere Sichtweise. Vielleicht haben der Protagonist und die Besungene einen “Beziehungspakt” geschlossen, nach dem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenkommen, wenn beide single sein sollten. Zu dieser Interpretation passt die erste Line “Tell me, are you single yet?”, allerdings wird der restliche Text dann sehr düster, in der die schließlich tödlichen Qualen einer männlichen Person beschrieben werden. In Variante 1 der Protagonist selbst, in Variante 2 der Partner der Angebeteten.
Der creepy Vibe wird in “Simeon’s Dilemma” nahtlos aufgegriffen, wenn der schüchterne, wenn nicht sogar feige, Protagonist seine romantischen Tagträume vorträgt: “Stalker’s my whole style and if I get caught I’ll deny, deny, deny.” Hier und im Titel (Petrus’ Name war eigentlich Simon) findet sich mit der dreifachen Verleugnung von Jesus durch Petrus einer der vielen biblischen Bezüge in den Texten dieses Albums, in dem religiöse Motive insgesamt eine zentrale Rolle spielen. Einerseits quasi als Gegenpol zu den düsteren Alltagsgeschichten, aber andererseits durch falsche Versprechungen auch als Ursache für diese. In diesem Song wird die andere Person zum Messias erhoben, nur um diese Rolle danach direkt wieder in Frage zu stellen, weil sie gerade in einem Umzugswagen sitzt und ihn hinter sich lässt. Die weltfremde Stimmung der Tagträume, in denen Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft durchgesponnen werden, wird durch eine monotone Xylophon-Melodie (in der Demo ein Klavier) untermalt und insgesamt ist der ganze Song nach den textlastigen vorherigen Titeln ungewohnt melodisch, fast schon ein Popsong (der in der Demo aber so schräg gesungen ist, dass er kaum zu ertragen ist). Im Verlaufe des Erzählung hadert der Protagonist damit, ob er seine Gefühle offenlegen oder für sich behalten sollte. Er entschließt sich erst dagegen, tut es am Ende aber doch (auf eine sehr eigenartige Art und Weise): “Twenty-five carved with a butter knife on the palm of my new hand. It’s out, you’re mostly what I think about.”
Der 13. und vorletzte Titel “By Torpedo or Crohn’s” ist aus zwei Gründen sehr interessant. Zum einen ist die Demo noch ziemlich anders als die Studioversion und eröffnet so Einblick in die Entwicklung des Liedes. Die Demo enthält noch eine zusätzliche Strophe gegenüber der Studioversion, nämlich die zweite Strophe aus dem achten Song “The Fall of Mr. Fifths”, von dem auch das Knistern des Feuers am Ende in der Studioversion übernommen wurde. Außerdem endet die finale Version auf dem Refrain des neunten Titels “Brooks & Waxing”. In der Zusammenschau lässt die Band hier also das Album noch einmal Revue passieren. Interessant ist der Song aber zum anderen auch deshalb, weil er das Leben mit der chronischen Erkrankung Morbus Crohn aufgreift und dabei auf viele Aspekte eingeht, in denen die Krankheit Einfluss auf das Leben des Protagonisten nimmt. Dadurch erhält das Album neben den diversen Liebesgeschichten eine ganz neue inhaltliche Ebene und Tiefe.
Den Abschluss von “Alopecia” bildet der 14. Track “Exegesis”, also die Auslegungsfrage und als religionswissenschaftlicher Begriff damit wieder ein zentrales Motiv des Albums. Im Song wird von einem Suizid durch Erhängen berichtet, dem vorangestellt wird, dass der Protagonist es so tun würde, wenn er es tatsächlich tun wollte. Ist das jetzt ein Abschiedsbrief oder eben gerade nicht? Ein sehr spannender Song, weil er die vorherigen, teilweise sehr negativen, Titel des Albums aus Sicht der Band etwas in Relation setzt. Für mich ist der Song auf eine absurde Weise sehr lebensbejahend. Das zeigt zum Abschluss noch einmal das interessante Songwriting dieses besonderen Albums, denn wie vielen Bands gelingt schon ein solcher Effekt in einem Song, in dem mantraartig dreimal (in der Demo zweimal) von einem Suizid berichtet wird? Musikalisch ist der Titel ebenfalls spannend, denn während in der Demo eine einfache Klavierbegleitung das Mantra untermalt und der Titel abrupt beginnt, wird die “Exegesis” in der Studioaufnahme akustisch sanft mit Klanghölzern und Tiergeräuschen im Hintergrund in ein Dschungel-Feeling eingeführt. Beide Versionen erzeugen auf ganz unterschiedliche Weise eine meditative Atmosphäre, die uns als Hörer*innen nach dem Ausklingen der letzten Töne in einer schwerelosen Stille zurücklassen. Wie war das noch gleich mit der Auslegung?
“Alopecia” ist ein besonderes Album, an dem sich die Geister scheiden werden. Für die einen wird es zu viele Grenzen überschreiten und tatsächlich ist es an manchen Stellen so grafisch und/oder schwermütig, dass es nur schwer zu ertragen ist. Gleichzeitig sind aber die Texte so außergewöhnlich brillant geschrieben, dass es mit etwas emotionalem Abstand zu den Inhalten eine Freude ist, die lyrischen Meisterstücke einfach auf sich wirken zu lassen und die Wortspiele, Reime und die besondere Metrik aufzusaugen. Vielleicht sollte man zugegebenermaßen manchmal aber nicht zu sehr darüber nachdenken, was man sich da gerade eigentlich angehört hat. Darauf macht das Album aber auch selbst schon deutlich.
Beitragsbilder: (alle Künstler*innen auf pixabay.com) OpenClipart-Vectors Clker-Free-Vector-Images mohamed_hassan Jo-B
Weihnachtszeit ist Vorfreude und Geheimnistuerei, Nächstenliebe und Besinnung. Sie duftet nach heißem Glühwein, frisch gebackenen Keksen und mühsam gepellten Mandarinen. Der Dezember lebt von kleinen Aufmerksamkeiten und Traditionen, wie den Adventssonntagen mit der Familie, dem mit Süßigkeiten gefüllten Schuh am Nikolausmorgen und dem täglichen Öffnen des Adventskalenders. Weißt du noch, wie du jeden Tag vor Weihnachten aufgeregt aufgestanden bist, um vorfreudig zu deinem Schokoadventskalender zu tappen? Die moritz.medien verstecken das Weihnachtsgefühl hinter 24 Fenstern. Im heutigen Fenster: der Versuch, selbst Glögg zu machen.
Glögg ist in Greifswald irgendwie das Ding – vor allem auf dem Weihnachtsmarkt macht der skandinavische Glühwein dem deutschen Klassiker immer wieder Konkurrenz. Das Getränk ist auch auf Rotweinbasis und wird mit Gewürzen wie Zimt, Nelken, Ingwer und Kardamom verfeinert und mit Rosinen und Mandeln ergänzt. Aus dem letzten Jahr habe ich Glögg eigentlich ganz gut in Erinnerung, daher wage ich das Experiment, selbst welchen zu kreieren.
Die Rezepte im Internet sind sich mal wieder nicht einig, wie der originale Glögg denn tatsächlich zubereitet wird. Ich entscheide mich für:
eine Flasche Rotwein
einen ordentlichen Schuss Rum (manchmal wurde auch zu Korn oder Wodka gegriffen)
140 g Zucker
einige Scheiben frischen Ingwer
Kardamom (in den Rezepten wurden etwa 2 TL von dem Pulver genommen, aber da mich der Geruch etwas abschreckt, beginne ich mit einem Löffelchen)
4 Nelken
2 Zimtstangen
knapp 100 g Rosinen
Mandeln als Topping
Die Zubereitung ist einfach: Der Rotwein wird mit allen Zutaten (bis auf die Mandeln) erhitzt, bis sich der Zucker aufgelöst hat. Dann soll die Mischung am besten über Nacht ziehen. Ich bereite allerdings den Glögg am Mittag zu, da abends die digitale webmoritz.-Weihnachtsfeier ist. Daher müssen etwa 6 Stunden Ziehzeit reichen. Die Küche riecht auf jeden Fall schon gut nach Glühwein.
Vorm Servieren erhitze ich die Mischung noch einmal. Ich könnte außerdem alles durch ein Sieb gießen, aber da ich morgen noch etwas von dem hoffentlich leckeren Getränk haben will, lasse ich die Gewürze noch weiter ziehen. Nachdem ich mir eine Tasse eingeschenkt habe, wird das Ganze noch (mehr oder weniger schön) mit Mandeln „dekoriert“ – sie gehen eigentlich direkt unter.
Und dann folgt der Geschmackstest: Eigentlich riecht es schon ganz gut, aber irgendeine Note gefällt mir schon jetzt nicht so richtig. Nach einigen Schlucken des doch recht starken Weins, glaube ich zu wissen, wo der Haken ist: Kardamom. Obwohl ich schon halb so viel genommen habe, wie in einigen Rezepten empfohlen wurde (zum Glück!), erinnert mich mein Glögg weniger an den Besuch auf einem schwedischen Weihnachtsmarkt, sondern eher an den Besuch in einer finnischen Sauna. Es schmeckt leicht bitter und hat tatsächlich, vielleicht auch in Kombination mit dem Ingwer, einen Hauch von Saunaufguss. Die Rosinen, die ab und zu durchkommen, süßen zwar angenehm und durch die Mandeln hat man auch gleich noch einen Snack für zwischendurch, aber irgendwie bin ich nicht überzeugt. Vielleicht liegt es auch an den Zimtstangen, die möglicherweise schon länger herumliegen, doch das Getränk könnte für meinen Geschmack auch noch weihnachtlicher und vor allem noch fruchtiger schmecken. Im Gegensatz zum mir bekannten Glühwein wurde dieser Glögg nicht mit einem Saft gestreckt und daher ist die Basis nur aus Wein mit Rum und Zucker. Da greife ich in Zukunft doch lieber zum klassischen oder weißen Glühwein. Oder hat jemand ein besseres Glögg-Rezept?
Titelbild: Julia Schlichtkrull Beitragsgif: Lilli Lipka
Rihanna neben Audrey Hepburn. Albert Einstein an einer Wand mit Alicia Keys. Gesichter von internationalen Schauspieler*innen, Models und Musiker*innen in Öl und Acrylauf Leinwand. Seit einigen Wochen können wir diese Kunstwerke im Eingangsbereich der Mensa am Berthold-Beitz-Platz bestaunen. Und hinter den beeindruckenden Gemälden steckt niemand anders als eine 17-jährige Greifswalderin.
Obwohl Laura Saß erst seit zweieinhalb Jahren malt, ist diese Ausstellung in der „Kulturmensa“ nicht ihre erste. Zuvor hatte die Schülerin bereits ihre Bilder im „Delight“ in der Innenstadt präsentiert, nun wurde sie auf das Kulturprojekt der Mensa aufmerksam, das seit etwa drei Wochen ihre Bilder zur Schau stellt. Aus „purer Langeweile“ fing sie an, Gesichter zu malen und aus dem Hobby wurde eine Leidenschaft. Bevor Laura zu ihrer Technik kam, hat sie sich ausprobiert: „Mein Stil hat sich nach und nach entwickelt. Anfangs habe ich oft nur schlichte schwarz/weiß Bilder gemalt. Irgendwann fing ich dann an, etwas Neues zu probieren und fand dann meinen eigenen Stil. Dabei habe ich auch gemerkt, dass sich Acrylfarbe gut für den Hintergrund eignet, da sie sehr schnell trocknet und auch kräftiger wirkt als Ölfarbe. Ölfarbe hingegen eignet sich sehr gut zum Gesichtermalen“. Inzwischen malt Laura hauptsächlich mit Acryl und Öl auf Leinwand.
Gesichter sind das Hauptmotiv von Lauras Bildern. Gesichter von deutschen Rappern, internationalen Musiker*innen, Germany’s Next Topmodels und US-amerikanischen Schauspieler*innen. Vor allem wählt sie dabei Gesichter, die sie inspirieren und ansprechen, aber auch die von Personen des öffentlichen Lebens, die gerade „im Trend sind“. Damit scheint sie den Puls der Zeit zu treffen: Nicht nur in studentischen Gebäuden finden ihre Bilder Anklang, auch in den sozialen Medien wächst ihre Bekanntheit.
Kunst inspiriert und beschäftigt Laura und neue Ideen findet sie über Pinterest und Instagram. Dort teilt sie auch ihre neuesten Werke mit inzwischen über 10.000 Abonnent*innen, die sie und ihre Kunst bewundern. „Ich hätte auch nie gedacht, dass ich mit meiner Kunst mal so viele Menschen erreichen würde. Es ist wirklich ein sehr schönes Gefühl, so viele Menschen hinter mir stehen zu haben, die meine Kunst mögen und mich unterstützen“, sagt Laura. Nicht selten kommt es dabei vor, dass eine der gezeichneten Personen ihr Werk kommentiert. Diese Momente seien immer wieder unbeschreiblich: „Als Michele Morrone kommentiert hat, musste ich zuerst anfangen zu weinen, weil ich mich so gefreut habe. Sowas gibt einem nochmal einen kleinen Push und motiviert, immer weiter zu machen.“
Zur Zeit besucht Laura die 12. Klasse des Jahn-Gymnasiums und plant nach dem Abitur einen Auslandsaufenthalt in Australien mit ihrer besten Freundin. Was danach kommt, ist noch unklar. Fest steht aber: „Viele fragen mich immer, ob ich später Kunst studieren möchte. Dies wird denke ich nicht der Fall sein, weil ich hauptberuflich auch nicht unbedingt Künstlerin werden möchte. Ich liebe das Malen und wenn ich das Malen zu meinem Beruf machen würde, wäre das Ganze auch immer mit sehr viel Druck verbunden und dabei hätte ich Angst, dass diese Leidenschaft und der Spaß dabei irgendwann verloren geht.“
Die Gemälde von Laura Saß sind bis auf Weiteres in der Mensa am Berthold-Beitz-Platz ausgestellt. Ab dem 04. Januar ist die Mensa wieder zugänglich. Auch auf ihrem Instagram-Profil könnt ihr euch einen Eindruck über Laura Saß‘ Kunst verschaffen.
Wir vermissen es, im Freundeskreis sportlich gegeneinander anzutreten oder miteinander steile Wände zu bezwingen. Wehmütig denken wir daran zurück, wie wir uns aufs Fahrrad geschwungen haben und für ein paar unterhaltsame Stunden miteinander ins Gewerbegebiet geradelt sind, und schätzen umso mehr, was wir hatten. Wir zehren von der Hoffnung, dass nächsten Sommer vielleicht alles wieder so wie „vor Corona“ ist. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass viele dieser Sporteinrichtungen zur Zeit um ihre Existenz kämpfen, und sich gegenseitig mit bunten Kugeln zu beschießen oder sich an bunten Griffen empor zu hangeln nach der Coronakrise vielleicht nicht mehr so selbstverständlich sein wird. Wir haben mit der Grips Boulderhalle und dem Paintballbunker gesprochen und gefragt, wie es ihnen in der jetzigen Situation geht.
Die Interviews stammen vom 22. und 24. November 2020.
Wie geht es Ihrer Einrichtung?
Boulderhalle: Wir stehen aktuell kurz vor der Eröffnung. Vom derzeitigen Lockdown wären wir betroffen, hätten wir schon eröffnet, aber diverse, nicht in dem Umfang vorhergesehene, Baumaßnahmen im Bereich Brandschutz haben unseren Eröffnungstermin verzögert. Wir hoffen darauf, die Türen öffnen zu dürfen, wenn der Bau abgeschlossen ist und wir dann nicht von einem weiteren Lockdown getroffen werden.
Paintballbunker: Leider sieht es bei uns nicht besonders gut aus. Da wir jetzt wohl bis mindestens 20.12.2020 (Anm. d. Red.: Stand Ende November) schließen müssen, hatten wir dieses Jahr fast 6 Monate Zwangspause. Wir mussten sogar noch schließen als man bereits mit 10 Leuten Restaurants besuchen durfte. Leider wurden Argumente, dass wir über 1000 m2 für Gruppen von maximal 10 Leuten zur Verfügung hätten, ignoriert und es wurden strikt die Verordnungen des Landes durchgezogen, obwohl man auch Einzelfallentscheidungen hätte treffen können.
Leider zählen weder Paintball noch Lasertag in Deutschland als Sportarten, sodass wir immer in die Rubrik Freizeit gedrückt werden. Nach so langer Zeit konnten wir natürlich Vorräte wie Paintballs oder Getränke auch nicht verkaufen und haben dort auch herbe Verluste gehabt, deshalb sind von unseren 4 Studierenden auch nur noch 2 bei uns. Wir versuchen Ihnen noch ein paar Stunden an Arbeit zu ermöglichen, aber leider fehlt uns dazu einfach das Geld, da für den November immer noch keine Hilfen geflossen sind. Nachdem wir wieder öffnen durften, lief das Geschäft sehr gut und wir haben gehofft, die verlorene Saison wieder etwas aufzuholen, aber diese Hoffnung wurde dann im Oktober zerstört und nun sitzen wir wieder auf einer Lieferung an Paintballs, die für das Ende der Saison gedacht waren. Auch die Hoffnungen, im Dezember mit speziellen Angeboten die Lager zu leeren, sind leider gestorben.
Was ist die derzeit größte Herausforderung?
Boulderhalle: Die Ungewissheit, ob wir eröffnen können, sobald wir fertig sind. Zudem arbeiten wir an unserem Webshop, über den wir Gutscheine, Merchandising-Artikel und Kletterausrüstung verkaufen wollen, um auch mit geschlossenen Türen Einnahmen zu generieren. Wir groß daran das Interesse ist, können wir bislang noch nicht einschätzen – uns gab es ja vor dem Lockdown noch nicht.
Paintballbunker: Es ist im Moment wirklich nur das nackte Überleben. Da wir große Flächen brauchen, die in Greifswald leider nicht günstig sind und die Hilfen auf die Umsätze ausgelegt sind, wird es wirklich schwierig, mit 75 % vom Umsatz der schwachen Monate klar zu kommen, da es leider nur Nebensaison ist.
Was konnten Sie aus dem ersten Lockdown lernen?
Boulderhalle: Wir haben aus den Erfahrungen von anderen Boulderhallen gelernt: So wissen wir, was wir an Hygieneausstattung benötigen. Auch gab es nach dem ersten Lockdown eine Begrenzung der Besuchszahlen, wir haben dafür ein System erworben, mit dem die Auslastung erfasst wird und online gecheckt werden kann, wie viele Menschen gerade da sind. Wenn es nötig sein sollte, können wir technisch auf eine Zeitfenster-Buchung umstellen, um zu garantieren, dass zu einem Zeitpunkt eine begrenzte Zahl von Besucher*innen da ist.
Paintballbunker: Gelernt haben wir, dass es ganz schnell gehen kann, dass alles vorbei ist. Wir haben schon immer gelernt, mit wenig Geld auszukommen, da wir sehr von der Saison abhängig sind, aber das war jetzt die größte Herausforderung in den ganzen 16 Jahren meiner Selbstständigkeit. Ohne Freunde und Familie hätte ich bereits aufgegeben, da uns nur sehr wenige Firmen entgegen gekommen sind. Vermieter- und die meisten Werbefirmen bestehen auf Ihr komplettes Geld.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Regierung?
Boulderhalle: Wir haben bereits den ersten Festangestellten, da greift möglicherweise eine Kurzarbeiter-Regelung, wenn es einen Lockdown gibt. Wir Gründer allerdings sind Selbständige, da hoffen wir, nicht durchs Raster zu fallen, sollte es noch einmal ernst werden. Wir hoffen auch, dass die Menschen bald wieder Sport treiben dürfen. Das ist nicht nur für uns wichtig, sondern auch für das körperliche und seelische Gleichgewicht der Menschen.
Paintballbunker: Zu den Soforthilfen mussten wir noch 25.000 € Kredite aufnehmen um überhaupt über die Runden zu kommen und da muss die Regierung ansetzen. Man sollte die einzelnen Sachen genau prüfen und die Gelder fair verteilen und nicht pauschalisieren. Auch für Schäden was die Betriebsmittel angeht muss eine Lösung gefunden werden.
Welche Lockdown-konformen Angebote gibt es bei Ihnen zur Zeit?
Boulderhalle: Wir vertreiben derzeit die ersten Merchandising-Artikel und Boulderausrüstung über den Webshop, bald startet auch der Gutscheinverkauf.
Paintballbunker: Keine, denn wir können keinen Lieferservice anbieten für Minigolf oder Lasertag. Wir dürfen auch unsere Außenbereiche nicht öffnen, was sich wahrscheinlich auch nicht lohnen würde.
Was wünschen Sie sich von den Greifswalder*innen?
Boulderhalle: Wir freuen uns darauf, bald aufzumachen und die vielen Menschen, die uns jetzt schon super Feedback geben, hier begrüßen zu dürfen! Wir können uns eigentlich nicht mehr wünschen, als wir ohnehin schon bekommen: Wir wurden von der tatkräftigen Unterstützung einiger Greifswalder*innen und von denjenigen, die online bereits Sachen bestellt haben, überrascht – dafür sind wir schon jetzt dankbar!
Paintballbunker: Erst mal wünsche ich mir, dass alle Greifswalder*innen gesund durch diese schwere Zeit kommen und sich alle gegenseitig unterstützen. Gutscheine zu kaufen lohnt sich leider nicht wirklich, weil es das ganze Problem nur verschieben würde und dann wird es wohl noch schlimmer. Wir haben einige Angebote bekommen für Hilfen bei der Instandhaltung unserer Anlage, aber die meisten haben selber genug zu tun in dieser Zeit. Schön wäre es, wenn wir einfach nur unterstützt werden mit Werbung – auch online, dass man mal einen Beitrag teilt. Wir bitten auch um Verständnis, wenn wir unsere Preise anheben müssen, das haben wir bisher nicht getan aber werden wohl nicht drum rum kommen.
Wir danken Euch für ein offenes Ohr. Auch wenn es viel Gejammer ist, denke ich, dass wir viel aus der Zeit lernen können und die Menschen noch mehr zusammen halten! Bleibt schön gesund und man TRIFFT sich dann im neuen Jahr.
Wir vermissen es, uns gemeinsam mit anderen sportlich zu betätigen, zu schwimmen und zu tanzen, und zwar nicht allein mit Kopfhörern im Wohnzimmer oder als Eisbaden in Wampen. Wehmütig denken wir an den Geruch von Chlorwasser und das Quietschen von Tanzschuhen auf Parkettboden zurück und schätzen umso mehr, was wir hatten. Wir zehren von der Hoffnung, dass nächsten Sommer vielleicht alles wieder so wie „vor Corona“ ist. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass viele dieser Einrichtungen zur Zeit um ihre Existenz kämpfen und ein gemeinsames Tanzen und Schwimmen nach der Coronakrise vielleicht nicht mehr so selbstverständlich sein wird. Wir haben mit der Tanzschule D&D und dem Freizeitbad/den Stadtwerken gesprochen und gefragt, wie es ihnen in der jetzigen Situation geht.
Die Interviews stammen vom 23. und 26. November 2020.
Wie geht es Ihrer Einrichtung?
Tanzschule D&D: Ehrlich gesagt, ist unsere Situation bescheiden. Unser Beruf ist es, die Freizeit unserer Tanzschüler*innen zu gestalten und sie zu motivieren. Während wir im Frühjahr ganz schnell reagiert haben und nach 2 Tagen ein Alternativ-Programm erstellt hatten, ist es jetzt niederschmetternd, die Situation wieder hinnehmen zu müssen. Wir sind mit einem Berufsverbot belegt. Es gibt für uns keine Ansprechpartner*innen, aber auch keine Stelle, die sich dafür interessiert, wie in einer qualifizierten Tanzschule der Alltag aussieht und welche Auflagen wie umgesetzt werden. Wir haben keine Lobby – Kunst und Kultur hat allgemein keine Lobby!
Freizeitbad/SW: Den Stadtwerken Greifswald geht es gut, alle wichtigen Arbeiten und Investitionen laufen planmäßig und das Kundenzentrum ist dienstags für Besucher*innen geöffnet. Der Verkehrsbetrieb hat weniger Fahrgäste und erhebliche Einnahmeverluste. Das Freizeitbad ist zum zweiten Mal in diesem Jahr geschlossen, nur der Schulsport (Schwimmen) kann stattfinden, da die meisten Mitarbeiter*innen seit Anfang November in Kurzarbeit sind und die Verbliebenen das Schulschwimmen gesichert haben. Ab dem 16.12.2020 schließt das Bad nun komplett. Wir nutzen die Schließung, um nach der Komplettsanierung der Duschen jetzt auch die Damen WC-Anlage komplett zu erneuern. Wir hoffen, dass wir im neuen Jahr bald wieder öffnen können und die Infektionszahlen sinken.
Was ist die derzeit größte Herausforderung?
Tanzschule D&D: Derzeit sind wir bemüht, unsere Tanzschüler*innen, die Eltern und das Team weiterhin zu motivieren und den Betrieb mit den laufenden Kosten am Leben zu erhalten. Wir lassen uns immer wieder etwas für die Kinder (z.B. zum Vorlesetag, Nikolausüberraschung) und Erwachsenen (wir haben einen disTANZindenMai veranstaltet) einfallen. Eigentlich halten wir gerade die Hoffnung am Leben.
Freizeitbad/SW: Unsere Mitarbeiter*innen zu schützen und umfassende Quarantänemaßnahmen zu verhindern, um den reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten und unserem Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Dazu schränken wir unsere Kontakte erheblich ein. Das heißt, wir vermeiden Zusammenkünfte, die nicht unbedingt erforderlich sind. Unsere Mitarbeiter*innen arbeiten in kleinen festen Teams, die möglichst nicht zusammenkommen.
Was konnten Sie aus dem ersten Lockdown lernen?
Tanzschule D&D: Wir haben im ersten Lockdown sehr schnell alle Maßnahmen umgesetzt, die Tanzschule aufgerüstet und konnten den Kontakt zu allen Tanzschüler*innen halten. Die Umsetzung hat sehr gut geklappt. Zudem haben wir unheimlich viel Zuspruch von unseren Schüler*innen (Briefe, Videos) bekommen und von einigen Unternehmen, die in der gleichen Situation waren. Die Motivation und Treue unserer Schüler*innen hat uns sehr aufgebaut. Die offiziellen Anfragen/Anschreiben zur Situation wurden leider nicht beantwortet.
Freizeitbad/SW: Seit dem ersten Lockdown hat unsere Führungsmannschaft die Corona-Situation regelmäßig beobachtet und Maßnahmen für das Unternehmen konkret abgeleitet. Unser Notfall- und Pandemieplan wurde regelmäßig angepasst und unsere Gefährdungsbeurteilungen erfuhren mehrfache Aktualisierungen. Schutzausrüstungen, Desinfektionsspender und Masken wurden angeschafft und die Einhaltung aller Hygieneregeln wird kontrolliert, denn besonders schützenswert ist die Gesundheit unserer Mitarbeiter*innen.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Regierung?
Tanzschule D&D: Wir wünschen uns natürlich eine Wahrnehmung als Branche, Unternehmen und als relevante Institution. Kultur ist eben kein Luxus, sondern ein Grundbedürfnis des Menschen. Wir sind davon überzeugt, dass zu einem gesunden Dasein eben auch der Ausgleich zum Beruf gehört. Die Auswirkungen der Isolation haben wir nach dem ersten Lockdown ganz deutlich bei den Kindern und besonders den Senior*innen gemerkt. Und damit wir das überstehen können, wünschen wir uns auch eine schnelle und unkomplizierte Vergabe der angekündigten staatlichen Unterstützungen für November/Dezember.
Welche Lockdown-konformen Angebote gibt es bei Ihnen zur Zeit?
Tanzschule D&D: Wir haben, wie im Frühjahr, wieder Video-Unterricht eingeführt. Besondere Anlässe wie der Tanz in den Mai wurden zum disTANZindenMai in den eigenen Wohnzimmern. Unser Verband hat auch in Eigenregie ein TANZ-Radio auf die Beine gestellt – so können unsere Schüler*innen zuhause im Wohn-/Tanzzimmer mit der passenden Musik weitertanzen.
Freizeitbad/SW: Ausweitung der mobilen Arbeit: Alle Mitarbeiter*innen, die organisatorisch und technisch in der Lage sind, von zuhause aus zu arbeiten, können dies tun. Mitarbeiter*innen, die einer Risikogruppe angehören, können separiert werden. Für sie stehen fast immer Einzelbüros oder Einzelarbeitsplätze zur Verfügung.
Was wünschen Sie sich von den Greifswalder*innen?
Tanzschule D&D: Zuerst wünschen wir uns, dass alle Greifswalder*innen gesund durch diese Zeit kommen: Unsere Tanzschüler*innen mit ihren Familien, unsere Geschäftspartner*innen und natürlich die Künstler*innen, mit denen wir zusammenarbeiten. Unsere Schüler*innen werden mit Sicherheit weiterhin tanzfreudig und treu sein und sich auf die wöchentliche Tanzstunde/Zeit zu zweit freuen. Wir hoffen, dass es im neuen Jahr wieder GRUND zum TANZEN gibt. Auf jeden Fall wird es ZEIT für KULTUR sein. Wir freuen uns auf alle Neukund*innen, Hochzeitspaare und Abschlussklassen, die wir dann wieder zum Tanzen bringen können.
Freizeitbad/SW: Wir wünschen allen Greifswalder*innen: Bleiben Sie gesund und gehen Sie verantwortungsvoll miteinander um.
Das Freizeitbad hält euch über Facebook und ihre Website auf dem Laufenden. Die Stadtwerke informieren euch ebenfalls über Facebook und ihre Website. Auch die Tanzschule erreicht ihr über Facebook, Instagram und ihre Website.
Keine Sorge, das hier ist keine Politik-Reihe, im Gegenteil. Aber in der aktuellen Situation, in der das Demonstrationsrecht leider vielerorts missbraucht wird, um Unwahrheiten und Hass zu verbreiten, ist es an der Zeit, dem Wort „Demo“ wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Und zwar mit guter Musik.
In dieser zweiten Folge der Montagsdemos hören wir genauer in die Demo- und Studioaufnahmen des Albums “Alopecia” von WHY? (nicht zu verwechseln mit Wham!) rein. Damit wird es dieses Mal sowohl inhaltlich als auch musikalisch deutlich wilder als in der vorherigen Ausgabe, in der es um “Transatlanticism” von Death Cab for Cutie ging.
Laut Wikipedia sind WHY? eine Alternative-HipHop/Indie-Rock-Band aus Cincinnati. Und das stimmt zwar auch irgendwie, wird dem Sound – oder besser gesagt dem Feeling – der Band aber trotzdem nicht so wirklich gerecht. Als am 27.08.2017 als Teil meiner Spotify-”Dein Mix der Woche”-Playlist das erste Mal ein WHY?-Song aus meiner Anlage erklang, war mir sofort klar, dass diese Band etwas Besonderes an sich hat. Die Songs auf “Alopecia” (“Haarausfall”) erzählen auf liebevolle Art und Weise sehr persönliche und oft auch äußerst peinliche Geschichten. Geschichten, die in jeder anderen Erzählweise furchtbare Fremdscham verursachen würden, vom WHY?-Songwriter Yoni Wolf aber in sprachlich anspruchsvollen Texten so aufgearbeitet werden, dass sie in ihrer Kombination selbstironisch Aspekte einer komplexen Persönlichkeit darstellen, die am Ende als Album einen ziemlich verrückten, aber noch cooleren Gesamteindruck hinterlassen. Für mich hat sich “Alopecia” musikalisch und sprachlich ein bisschen wie Heimkommen angefühlt. Das ist zum einen insofern erstaunlich, da sich mein Haarwuchs bisher glücklicherweise ziemlich voll präsentiert und zum anderen, weil die Band mit ihren deutlich durch das messianisch-jüdische Elternhaus der Brüder Josiah und Yoni Wolf geprägten Texten eigentlich relativ weit von meinem kulturellen Dunstkreis entfernt ist. Das macht trotz der verrückten Texte nachdenklich und gleichzeitig sehr schwermütig und glücklich, weil die Vertrautheit zeigt, dass es der Nationalsozialismus zum Glück anscheinend nicht geschafft hat, die jüdische Kultur komplett aus der Identität dieses Landes zu entfernen, obwohl viele der Kulturschaffenden damals emigrieren mussten, verfolgt oder sogar getötet wurden. 75 Jahre nach dem Ende des Holocaust bin ich sehr froh, in einem Land leben zu dürfen, in dem Kulturen aus aller Welt zusammenkommen und sich ergänzen. Anschläge wie der in Halle und immer wiederkehrende antisemitische Äußerungen, zum Beispiel auf den Querdenken-Demos, zeigen, dass das aber auch heute alles andere als selbstverständlich ist. Irgendwie dazu passend, wenn natürlich auch nicht in diesem Kontext geplant, ist die seltsame Feel-Good-Atmosphäre, die dieses Album ausstrahlt, während es sich mit sehr ernsthaften Themen beschäftigt. Die Demo-Aufnahmen auf YouTube habe ich euch in den Songtiteln der jeweiligen Absätze verlinkt, die Studioversion des Albums könnt ihr direkt hier über Spotify abspielen!
Den Grundton für das Kommende setzt bereits der energievolle Einstieg in das Album mit dem Song “The Vowels, Pt. 2” (“Die Vokale, Teil 2”, Ihr werdet euch jetzt vielleicht fragen “WHY Part 2?” und genau das ist die Antwort). Das war auch der erste WHY?-Song, den ich gehört habe. Die langsam bis zum Zerreißen aufgedrehte Spannung eines Verstärkerrauschens wird durch einen pumpenden Bass und das Klirren von Ketten durchbrochen, die unverständlich klarmachen: Eine neue Gang ist in der Stadt! Das wird auch in der ersten Line sofort deutlich: “I’m not a ladies’ man, I’m a land mine, filming my own fake death!” Boom! Der Beat ist sehr simpel und treibt das Lied mit viel Elan voran, während Yoni davon berichtet, wie er beim Singles Bingo (einer Datingveranstaltung) keinen Wurf landet und daraufhin vor Ort auf der Toilette weint und hofft, dass ihn niemand hört (“I swear, I care… not.”). Diese Diskrepanz zwischen Musik und Text ist stilprägend für WHY?, aber erstaunlicherweise erst in der Studio-Version des Songs wirklich zu spüren. Während hier die Instrumentalbegleitung und der Beat den Song voranpeitschen, ist es in der Demoversion noch genau umgekehrt. Die Begleitung ist hier vollkommen überladen und sehr chaotisch, mit einem absoluten Home-Recording-Vibe, der vor allem durch das akustische Flimmern im Hintergrund zustande kommt. Zusätzlich ist die Gesangsaufnahme immer einen Hauch schneller als die Begleitung, wodurch die Demo eine Hektik vermittelt, die sich wohl am besten mit einem kleinen Kind vergleichen lässt, das, vollkommen überfordert vom Angebot, seinen Vater am Rockzipfel durch einen Süßigkeitenladen schleift. Die Vorfreude auf das fertige Album? Den Abschluss des ersten Songs bildet der Slogan unserer neuen Gang, mit dem alle peinlichen Situationen in Schach gehalten können werden sollen. Er ist gleichzeitig namensgebend für das Lied:
“Cheeri-A Cheeri-E Cheeri-I Cheeri-O Cheeri-U”
Weiter geht es in einem nahtlosen, aber dennoch plötzlichen Übergang zum zweiten Song “Good Friday” (“Karfreitag”). Das liegt vor allem am Text: “If you grew up with white boys, who only look at black and Puerto Rican porno, cause they want something that their dad don’t got, then you know where you’re at.” Der fertige Song besticht durch seinen geradlinigen, aber instrumental aufwändig und liebevoll gestalteten Beat, der besonders in den Bridges zwischen der Hook und der nächsten Strophe immer wieder die innere Spannung des Protagonisten untermalt, der sich mit Drogen vollpumpt und Stress sucht, um nach einer plötzlichen Trennung die Wirklichkeit um sich herum auszublenden. Dabei bricht er immer wieder in Lachen aus, um die Traurigkeit zu überspielen. In dem Song werden immer neue, plötzliche und sehr intime Erinnerungen an die Exfreundin aufgearbeitet, mit einer beeindruckenden Schärfe des Textes und vielen klanglich sehr spannenden Wortspielen. Besonders aufgefallen ist mir eine Zeile, die ich immer als “I take her pants on tour” verstanden habe, die tatsächlich aber “At Jacob Hand’s on tour” lautet. Beispiele dieser Art finden sich über das ganze Album verteilt immer wieder. Während die Studio-Version sehr akzentuiert und on point ist, ist die Demo-Aufnahme furchtbar anzuhören, weil der Text sowohl rhythmisch als auch melodisch stark mäandert; sie hat die Vibes einer bekifften Recording-Session in einer Garage. So passt diese Aufnahme perfekt zum durch Drogen vernebelten Inhalt des Textes, ist klanglich aber nicht wirklich zu empfehlen. Tatsächlich ist es sehr beeindruckend, dass jemand das Potential dieses Liedes in der Demo erkannt und ermöglicht hat, dass sie im Studio aufgenommen wurde.
Mit dem dritten Song “These Few Presidents” (“Diese wenigen Präsidenten”) wird das Album melodischer und klanglich versöhnlicher und man fühlt sich zum Mitsingen eingeladen. Das ist deshalb verrückt, weil der Text, sprachlich elegant verschlüsselt, gedanklich verschiedene potentielle Todesszenarien einer Expartnerin in einer unglücklichen Beziehung durchexerziert, nur um dann in der Formulierung “Even though I haven’t seen you in years, yours is a funeral, I’d fly to from anywhere.” zu gipfeln. Bis mir das aufgefallen ist, musste ich den Song sehr, sehr oft hören. Auch in diesem Lied stechen insbesondere die sprachlichen Feinheiten hervor. Spannend ist auch der Aufbau von den ruhigen und klanglich nahbaren Strophen (in denen die Freundin zum Beispiel an einem Gasleck stirbt!) hin zum sehr einnehmenden Refrain, in dem die Präsidenten (quasi als “Moralapostel”) auf den Dollarnoten in seiner Tasche den Protagonisten dazu auffordern, diese Gedanken zu unterbinden, bis zur Entspannung des Gefühls in den Bridges, in denen die Partnerin dann aber gestorben ist. Der Song wirkt auf den ersten Blick sehr schlicht und fast schon fröhlich, ist unter diesem stillen Wasser aber erstaunlich tief. Das ist auch in der Demoaufnahme schon so, die, gerade im Vergleich zu den vorherigen Demos, schon sehr ausgereift wirkt, bis auf ein sehr intensives Piepen im Hintergrund des Refrains, das aber vielleicht sinnbildlich für das schlechte Gewissen gesehen werden kann, das die Präsidenten verursachen.
Beim vierten Song “The Hollows” (“die Hohlen/Leeren”) lohnt sich der Blick auf die Demo wieder einmal besonders. Instrumental ist hier vor allem das Klavier hervorzuheben, das zwar eher unscheinbar im Hintergrund mitläuft, dem Song aber bei genauerem Hinhören eine gewisse Tiefe gibt. In der Studio-Version wurde der Text gerade in der zweiten Hälfte des Liedes deutlich verändert. Zum Glück ist davon meine Lieblingszeile “I curse the last six months, I’ve been hiding behind a mustache” nicht betroffen. Diese Demo wirkt insgesamt wieder ein bisschen träger, aber das passt gut zur Stimmung des Liedes, in dem Yoni das Gefühl der inneren Leere feiert und seine Zuhörer*innen auffordert, es ihm gleich zu tun, auch wenn die Dinge oft nicht wie geplant laufen. Besonders schön sind die Zweit- und Drittstimmen, die dem Gesang zunächst mehr Volumen verleihen und dann ein sehr stimmungsvolles Outro bilden.
Weiter geht es mit “Song of the Sad Assassin” (“Lied des traurigen Assassinen”). Bei diesem Stück gefällt mir persönlich die Demoversion nochmal deutlich besser als die Studio-Variante. Sie ist wie ein Kurzmusical voller Absurditäten. Angefangen beim Fehlstart der Klavierbegleitung im ersten Anlauf, über den ironischen Beatbox-Beat, der ein bisschen klingt, als hätte man die Band draußen zum Zähneklappern in die Kälte gestellt, weiter über die komplett schräge Mundharmonika, bis hin zum übertriebenen Erzählerpathos, mit dem die Geschichte des “Sad Assassin” vorgetragen wird und in einer Choreinlage in der ersten Strophe gipfelt. In dem Song geht es darum, dass Yoni sich nach dem „Tod“ eines anderen Musikprojektes (für den er sich verantwortlich fühlt) mit Lee Harvey Oswald (dem Kennedy-Attentäter) vergleicht, der im Keller der Polizeistation, in der er in Gewahrsam genommen wurde, ermordet wurde. Diese Assoziation kommt auf, als er im Waschkeller seines Hauses steht und Geld in die Waschmaschine wirft. In der Studio-Version ist die Inszenierung der Geschichte auch spannend, aber nicht mehr ganz so eindrucksvoll wie in der Demo.
Das Klavier/Pfeif-Intro und -Outro des Songs “Gnashville” finde ich, seit wir in der Redaktion angefangen haben, “Phasmophobia” zu spielen, sehr gruselig. Es könnte als Soundtrack für ein scheinbar verlassenes Waisenhaus in einem Horrorfilm dienen und der Refrain “That’s what the ghost of someone’s dad might say” (ein Satz, der auch in “The Hollows” bereits auftaucht) schlägt mit in diese Kerbe. Mit dem Einstieg der Drums wird der Song klanglich deutlich gemütlicher, der Beat ist rhythmisch sehr interessant und wird gefühlvoll vom Klavier unterstützt. Sprachlich ist auch dieses Lied wieder ausgesprochen schön verschlüsselt und gespickt von Wortspielen, die sich mit dem eigenen und dem Verhältnis anderer Menschen zur Religion und der Vergänglichkeit beschäftigen. Interessant ist, dass die Demo trotz ihrer großen Ähnlichkeit zur finalen Version, im Refrain noch keinen Text besitzt.
Den Abschluss des ersten Teil dieses Reviews macht mein neuer Lieblingssong dieses Albums “Fatalist Palmistry” (“Fatalistisches Handlesen”), dessen Schönheit ich jetzt erst entdeckt habe. Das ganze Album steckt voller wundervoller Wortspiele und sprachlicher Bilder, aber dieser Song ist pure Poesie. Und in der Demo erzeugt er mit seiner Gitarre, dem Tamburin, dem Klatschen und dem mehrstimmigen Gesang außerdem eine Lagerfeuer-Atmosphäre, die gerade einen schönen Kontrast zur Lockdown-Kälte des Winters bietet. Wie (fast) immer in der Musik geht es auch in “Fatalist Palmistry“ um verflossene Liebe, aber das lässt sich gut ausblenden, wenn man einfach den Namen des neuen Lovers schräg mitgröhlt. Auch wenn es schwer ist, aus diesem Lied eine Lieblingsstelle auszuwählen, finde ich die erste Strophe angesichts des kommenden Lockdowns und der Spinnereien der Menschen auf den Demos gegen die Maßnahmen so passend, dass ich sie zum Abschluss gerne komplett zitieren möchte:
„I sleep on my back, cause it’s good for the spine and coffin rehearsal. I know a psychic, who reads her own palms and her findings are personal. She keeps her fists shut tight and she sleeps on her side. Well, maybe she knows something I don’t know.“
Und damit fröhliche WHY?nachten und bis in 14 Tagen zu Teil 2!
Beitragsbilder: (alle Künstler*innen auf pixabay.com) OpenClipart-Vectors Clker-Free-Vector-Images mohamed_hassan Jo-B