Zum Wintersemester 2020/21 werden an der Universität Greifswald vier neue Studiengänge eröffnet – der Studiengang „Lehramt an Grundschulen“, ein 6-semestriger Bachelor of Science „Psychologie“, das Beifach für Lehrämter „Bilinguales Lehren und Lernen“ und der Master „Theological Studies“. Wie für viele andere Studiengänge gilt auch für diese (außer für „Theological Studies“), dass eine Bewerbung noch bis zum 20. August möglich ist. Wer sich für diese Studiengänge interessiert oder einfach nur mehr über die Neuerungen erfahren möchte, bekommt hier die wichtigen Infos.
„Lehramt an Grundschulen„
In Mecklenburg-Vorpommern soll es ab kommendem Wintersemester zusätzliche 125 Plätze für den Studiengang Grundschullehramt geben. Es sollen somit zukünftig insgesamt 225 angehende Grundschullehrkräfte pro Jahr ausgebildet werden. Die Universität Rostock vergrößert dafür die Aufnahmekapazität für den bestehenden Studiengang um 50 neue Plätze und nimmt dann 150 Studienanfänger*innen auf. Die Universität Greifswald eröffnet den Studiengang Lehramt an Grundschulen für 75 Studierende.
Das Studium „Grundschullehramt“ an der Uni Greifswald soll in der Regel innerhalb von 10 Semestern mit dem Staatsexamen abgeschlossen werden. Insgesamt vier Fächer werden dabei studiert. Den Pflichtbereich bilden die Fächer Deutsch und Mathematik. Individuell können die Studierenden aus sieben weiteren Fächern wählen: Sachunterricht (wird empfohlen), Polnisch, Niederdeutsch, Englisch, Kunst und Gestaltung, evangelische Religion und Philosophieren mit Kindern.
Zugleich spielt natürlich die Bildungswissenschaft eine bedeutende Rolle. Grundschul-, Schul-, Sonder- und Medienpädagogik sowie Psychologie bilden einen weiteren festen Bestandteil des Studiums. Auch Themen wie Digitalisierung und Inklusion werden die Studierenden begleiten. Mehr zu den Inhalten findet ihr auf der Informationsseite zum Grundschullehramt sowie auf den Webseiten der einzelnen Fächer, die ihr hier findet. Darüber hinaus gibt es natürlich auch eine neue Prüfungs- und Studienordnung für den Studiengang Grundschullehramt.
Für Lehramt an Grundschulen gilt eine örtliche Zulassungsbeschränkung (NC). Neben der Abiturnote zählen aber auch einschlägige Erfahrungen in die Bewerbung ein. Angerechnet werden dabei abgeschlossene Berufsausbildungen mit Berufsbezug (bspw. Erzieher*in), Au-Pair-Aufenthalte und berufsbezogene Nebentätigkeiten. Wer das Studium aufnehmen möchte, muss sich im Bewerbungsportal der Universität Greifswald registrieren und anschließend den entsprechenden Antrag einreichen. Die Bewerbung ist auch hier noch bis zum 20. August 2020 möglich.
Es ist vorgesehen, dass die Studierenden einen Praxistag pro Woche in einer Grundschule in Greifswald oder Umgebung verbringen. Daher plant die Universität gemeinsam mit dem Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern ein Mentor*innen-Programm, bei dem Grundschullehrkräfte die Studierenden bei ihrer praktischen Tätigkeit begleiten und beraten. Dafür soll es zukünftig ein Kooperationsnetzwerk mit ca. 40 Grundschulen in MV geben.
Die Konzeption des Studiengangs hat die Verantwortlichen vor einige Herausforderungen gestellt, die in weniger als einem Jahr zu bewältigen waren. Tobias Hagedorn vom FSR Bildungswissenschaft sprach allerdings viel Lob für das innovative und attraktive Konzept aus. Der starke Praxisbezug und der dadurch früh entstehende Kontakt mit dem Berufsfeld, sowie die Möglichkeit beispielsweise Niederdeutsch zu belegen seien ein schönes Alleinstellungsmerkmal und ein großer Vorteil des Studiengangs an der Universität Greifswald.
Hier findet ihr weitere Informationen zum Studiengang „Lehramt an Grundschulen“. Mehr über das Lehramtsstudium in Greifswald FSR Bildungswissenschaften – Ansprechpartner für alle Lehramtsstudierende Pressemitteilung der Universität Greifswald zum Grundschullehramt (mit weiteren hilfreichen Links)
„Psychologie“ – Polyvalenter Bachelor of Science (6 Semester)
Statt dem bisher 8-semestrigen Bachelorstudiengang wird ab dem Wintersemester 20/21 ein 6-semestriger Bachelor of Science „Psychologie“ an der Universität Greifswald angeboten. Er richtet sich an den Vorgaben des Gesetzes zur Reform der Psychotherapieausbildung (PsychThGAusbRefG) aus, das am 1. September in Kraft tritt. Der bisher angebotene Bachelorstudiengang über acht Semester wird auslaufen, eine Immatrikulation ist ab kommenden Wintersemester nur noch für den Studiengang über sechs Semester möglich. Diese Neuerung soll unter anderem dem Mangel an Psychotherapeut*innen in MV entgegenwirken.
„Das neu in Kraft getretene Psychotherapeutengesetz garantiert eine anspruchsvolle, zugleich wissenschaftsbasierte und praxisorientierte Ausbildung. Wir freuen uns, dass wir mit dieser erstklassigen Ausbildung in Psychotherapie zu einer besseren Versorgung im Land beitragen können.“
Prof. Dr. Johanna Weber, Rektorin der Universität Greifswald (Pressemitteilung des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, 15.07.2020)
Auch der bisher 2-semestrige Master of Science „Psychologie“ wird geplant zum Wintersemester 23/24 reformiert. Entstehen sollen zwei 4-semestrige Masterstudiengänge, von denen einer den Schwerpunkt auf Klinische Psychologie und Psychotherapie setzt und zur Approbation führt. Diese staatliche Zulassung wird benötigt, um im Gesundheitssystem selbstständig tätig zu sein. Für diejenigen, die Interesse an nicht-therapeutischen Berufswegen in der Psychologie haben, dient der zweite Masterstudiengang. Die Absolvent*innen des neuen, kürzeren Bachelorstudiengangs qualifizieren sich für diese geplanten Master.
Hier findet ihr weitere Informationen zum B. Sc. „Psychologie“ (6 Semester).
„Bilinguales Lehren und Lernen“ – Beifach für Lehrämter
Studierende des Lehramts an Gymnasien oder Regionalen Schulen können ab dem Wintersemester das Beifach „Bilinguales Lehren und Lernen“ wählen. Dieses Beifach richtet sich an alle, die in den Teilstudiengang Englisch (Hauptfach) in Kombination mit dem Teilstudiengang Geschichte, Geographie oder Kunst und Gestaltung (Hauptfach) eingeschrieben sind. Jedoch können auch Bewerber*innen, die diese Kombination nicht studieren, aber Kenntnisse der englischen Sprache auf C1-Niveau nachweisen, zugelassen werden. Auch hier gilt ein örtlicher NC mit Anrechnung weiterer qualifizierender Nachweise. Eine Aufnahme des Studiums ist nur im Wintersemester und nur aller zwei Jahre, beginnend ab WS 20/21, möglich.
Mit dem Beifach sollen vor allem fachspezifische Sprachkenntnisse gefestigt werden. Der bilinguale Sachfachunterricht wird in Deutschland nicht nur an internationalen und Europaschulen angeboten, sondern auch vermehrt an Gymnasien und Gesamtschulen sowie an Regionalen Schulen bedeutsam. Die Zusatzausbildung kann den Lehramtsstudierenden also neue Türen eröffnen. „Bilinguales Lehren und Lernen“ bietet letztlich nicht weniger als eine Möglichkeit für mehr interkulturelles Lernen. Absolvent*innen dieses Beifachs sind sind zweisprachig in Ihrem Fach methodisch ausgebildet und gezielt auf die Planung, Durchführung und Evaluation bilingualen Unterrichts vorbereitet.
Hier findet ihr weitere Informationen zum Beifach „Bilinguales Lehren und Lernen“ (Lehramt). Außerdem gibt es eine eigene Informationsseite zum Beifach. Das dafür erstellte englischsprachige Video erklärt die Voraussetzungen, Inhalte und Möglichkeiten des Beifachs nochmals sehr anschaulich.
„Theological Studies“ – Master der Evangelischen Theologie
Auch ein Masterstudiengang zur Evangelischen Theologie ist neu an der Universität Greifswald. „Theological Studies“ kann in Vollzeit als Präsenzstudium innerhalb von zwei Jahren oder berufsbegleitend mit lediglich zwei Präsenzwochen pro Semester und einem E-Learning-Angebot drei Jahre lang studiert werden. Dabei bilden sechs Module den Kern des Theologiestudiums: Altes und Neues Testament, Kirchengeschichte, systematische und praktische Theologie sowie Religionswissenschaften oder interkulturelle Theologie.
Der Studiengang richtet sich an Personen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium jenseits der Theologie mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung. Der Masterabschluss wird von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und vielen weiteren Evangelischen Landeskirchen in Deutschland als vollwertige wissenschaftliche Qualifikation zur Vorbereitung auf den Pfarrdienst anerkannt.
Für diesen Studiengang ist eine Bewerbung für das Vollzeitstudium erst wieder für das Wintersemester 21/22 möglich. Dafür ist ein Zulassungsantrag in der Zeit vom 1. Dezember 2020 bis zum 1. Februar 2021 einzureichen. Das berufsbegleitende Format wird nur aller drei Jahre angeboten, also erst wieder zum WS 23/24. Die besonderen Zulassungsfristen werden damit begründet, dass die Bewerber*innen sechs bis neun Monate Vorlaufzeit für die Vorbereitung auf den Studiengang einplanen müssen. Das Studium setzt Kenntnisse über Bibelkunde, Altgriechisch und Althebräisch voraus. Die Universität Greifswald bietet in der Zeit zwischen Zulassung und Studienbeginn entsprechende Sprachkurse an. Kenntnisse über Bibelkunde werden im Rahmen des Zulassungsverfahrens geprüft.
Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.
Ich starte mein Selbstexperiment am Mittwoch. Nicht, weil es da besser passt, sondern einfach, weil ich es vorher vergessen habe. Planung und Zeitmanagement gehören einfach nicht zu meinen Stärken. Tatsächlich halte ich mich nicht besonders gern an Uhrzeiten. Wenn es wirklich wichtig ist, bei Prüfungen, Arztterminen, schaffe ich es sogar oft, ein wenig früher zu kommen. Aber davon abgesehen? Manchmal nehme ich mir vor, mein Leben mehr zu strukturieren. Erstelle mir einen genauen Plan für den Tag, was ich um welche Uhrzeit erledigen möchte. Der letzte Plan hängt noch angepinnt an der Wand, die Zahlen starren traurig auf mich hinab. Nicht ein einziges Mal habe ich mich an sie gehalten.
Um die verschiebbaren Dinge kümmere ich mich eher nach dem Prinzip: Was erledigt werden muss, wird erledigt. Vielleicht ist es das kreative Chaos. Und es funktioniert. Warum also ändern? Aus irgendeinem Grund sehe ich mich dadurch auch prädestiniert, das Experiment anzupacken und zu meistern.
Mittwoch
Oh, how fast the turns table.
Der erste Punkt auf der Tagesordnung: Aufwachen. Heute mal ohne Wecker. Funktioniert ganz gut, vielleicht auch, weil meine Schwester schon früh zu einem Termin muss und ich mit ihr aufwache, als sie aufsteht. Das wäre erledigt. Der erste Schritt des Tages führt zu meinem Handy. Über Nacht ist es ausgestellt und jeden Morgen wird erst einmal gecheckt, was in den letzten Stunden so passiert ist. Ich drücke den Knopf, das elektrische Licht strahlt mir ins Gesicht, mein erster Blick geht automatisch zur Uhrzeit. Nicht nur, weil sie so dominant im Zentrum des Screens steht, sondern aus Interesse. Wie spät ist es jetzt eigentlich? Wie viel Zeit habe ich noch bis … bis wann eigentlich?
Es ist nicht so, als würde heute irgendetwas anstehen. Aber es ist dieser Gedanke, die Zeit sinnvoll einzuteilen. Auch ohne feste Planung habe ich den Tag immer zumindest grob gegliedert – Mittag, Nachmittag, Abend, Nacht. Alles mit ungefähren Uhrzeiten versehen, nach denen ich mich richten kann. Es sind noch zwei Stunden bis zur vermeintlichen Abendbrotzeit? Perfekt, um noch ein neues Kapitel anzufangen. Ohne Uhrzeit entfällt diese Planung. Ich bin ziellos. Wie, wenn man weiß, dass man in wenigen Augenblicken zu einem wichtigen Termin los muss und die Zeit nicht reicht, um noch etwas anzufangen. Nur dass kein Termin ansteht. Trotzdem fühlt es sich so an, den ganzen Tag lang.
Donnerstag
Für heute nehme ich mir vor, von vornherein einen Plan zu erstellen. Keine Uhrzeiten, nur Ziele. Nach Wichtigkeit gegliedert, falls ich die Zeit nicht richtig einschätze und einige Punkte nicht mehr erledigen kann. Und ich recherchiere. Früher gab es doch auch keine Uhrzeit und trotzdem konnten die Menschen funktionieren. Ich tippe meine Frage in die Suchmaschine: „Wie teilten die Menschen ihre Zeit ein, als es noch keine Uhrzeit gab?“ Wie konnten die Menschen überhaupt existieren, trifft die völlige Ratlosigkeit in meinem Kopf vielleicht besser, aber das ist nicht das, was ich eigentlich wissen möchte. Ein wenig später habe ich zwölf Tabs geöffnet – die Süddeutsche, Bayerischer Rundfunk, Welt, Die Zeit (hehe).
Ich widme mich heute erst einmal den Videos. Es gibt wirklich schon einige Freaks, die das gleiche Experiment ausprobieren wollten wie ich, ihr Leben ohne Uhrzeit gestaltet und das Ganze aufgezeichnet haben. Nur wirklich helfen tut mir keines davon. Die einen ziehen das Experiment nur für einen Tag durch und nutzen es, um mal alles zu erledigen, für das sie sonst keine Zeit haben. Die anderen orientieren sich an den Menschen in ihrem Umfeld – oh, du gehst nach Hause? Dann ist es wohl Feierabendzeit. Es beruhigt mich zwar, dass auch sie von diesem Gefühl der Ziellosigkeit erzählen, aber was nützt es mir, wenn ich am Ende wieder nach der Uhr lebe, nur eben nicht nach meiner eigenen? Mir fällt auch zunehmend auf, dass die Uhrzeit überall um uns herum ist. Auf dem Thermometer sticht sie mir noch vor der Temperatur selbst ins Auge, sie steht unter jeder abgeschickten Nachricht oder Mail, ich verliere ein Leben in einem Spiel und eine Uhr beginnt abzulaufen – die Sekunden rinnen wie Sand davon, zeigen mir an, wann das Leben wieder aufgefüllt ist.
Für die Redaktionssitzung am Abend, der einzige Termin, der heute ansteht, mache ich es mir leicht: Ich schalte einfach schon mal den Laptop an und warte. Etwa eine Stunde lang. Irgendwann trudeln die anderen auch ein und ich weiß, dass es jetzt los geht. Aber es funktioniert eben auch nur, weil ich mich nach der Uhrzeit anderer richte – ein Leben für alle ohne Uhrzeit? Nicht wirklich vorstellbar.
Freitag
Im Sommer 2019 machte tatsächlich eine Schlagzeile die Runde. Die nordnorwegische Insel Sommarøy will die Uhrzeit abschaffen. Die braucht nämlich niemand mehr, wenn es sowieso für ein Viertel des Jahres nie dunkel wird, und man alles, was man sonst tagsüber erledigt, auch genauso gut nachts erledigen kann. Im Interview zeigt sich Zeitforscher Prof. Dr. Karlheinz Geißler tatsächlich optimistisch. Die Uhr sei immerhin auch erst 600 Jahre alt und davor haben sich die Menschen nur nach der Natur gerichtet – nach der inneren (habe ich Hunger, bin ich müde?) und nach der äußeren (ist es hell oder dunkel, Winter oder Sommer?). Das sei auch viel entspannter, die durch den Kapitalismus verstärkte Hektik ginge dadurch verloren. Ich durchforste ein wenig das Internet und stelle fest, dass das so nicht ganz richtig ist. In doppelter Hinsicht. Uhren gibt es schon weitaus länger, im nicht-westlichen Teil der Welt – wie im arabischen und chinesischen Raum – auch schon in mechanischer Form. Selbst während der Eiszeit haben sich Menschen schon Kalender angelegt, um zu wissen, wann die beste Zeit für bestimmte Früchte oder für die Jagd ist, um produktiver zu sein. Und: Sommarøy wollte nicht wirklich die Uhrzeit abschaffen. Das war nur ein Werbegag. Man freut sich aber, dass man mit der Aktion auf das große Thema Entschleunigung aufmerksam machen konnte.
Zeitforscher Geißler selbst lebt übrigens auch schon seit 30 Jahren ohne Uhrzeit. Aber auch nicht wirklich. Denn auch er richtet sich nach der Uhrzeit anderer, die im Gegensatz zu ihm wissen wie spät es ist. Und verurteilt gleichzeitig Menschen, die mit der Hektik der Zeit leben und nicht wie er aus ihrem Trott ausbrechen. Meiner Meinung nach ein etwas egoistischer Gedanke. Denn was wäre, wenn wirklich alle Menschen ohne Uhr leben würden? Wenn Läden keine wirklichen Öffnungszeiten mehr hätten, weil die Mitarbeiter*innen einfach kommen und gehen müssten, wann sie es für richtig halten? Wenn Zugführer*innen nach ihrem Bauchgefühl entscheiden müssten, wann es Zeit ist, loszufahren? Wenn Ärzt*innen und Pflegekräfte nicht mehr wüssten, wann sie sich zu einer wichtigen OP einfinden müssen?
Ich selbst stelle mir heute morgen tatsächlich einen Wecker, denn ich habe einen Termin, den ich nicht verschieben kann. Das anschließende Treffen mit einer Freundin ist schnell und ohne Uhrzeit organisiert: Ich bin fertig, holst du mich ab?
Samstag
Diese Art der Terminvereinbarung behalte ich vorerst bei. Natürlich ist das nur möglich, weil nichts Dringliches ansteht. Aber trotzdem merke ich, dass mich das nicht mehr auf die Uhr schauen, das nicht wissen, wie spät es ist, nicht mehr so viel stresst wie am Anfang. Ich bin mit einem Freund zum Skypen verabredet und biete ihm einfach an, dass er mir schreibt, sobald er fertig ist. Und ich merke, dass es mir leichter fällt, nicht an die Zeit zu denken, wenn ich beschäftigt bin. Dann sind meine Gedanken fokussiert und ich weiß, dass ich bereits etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfange und muss nicht krampfhaft darüber nachdenken, wie viel Zeit mir eigentlich noch bleibt, um etwas anzufangen. Aber was ist überhaupt sinnvoll? Wann hat man Zeit sinnvoll verbracht?
Sonntag
Schon Seneca (geb. 65 n. Chr., also lange vor der Erfindung der mechanischen Uhr und damit der Wegbereitung für die Hektik des bösen Kapitalismus) sagte: „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“ Zumindest erzählt mir das eine Internetseite mit den 111 schönsten Zitaten über Zeit. Das Bedürfnis, die Zeit sinnvoll zu nutzen, keine Zeit zu „verschwenden“, scheint also schon immer da gewesen zu sein. Arthur Schopenhauer (1788–1860, also vielleicht schon Sklave der teuflischen mechanischen Uhr) soll ebenfalls behauptet haben: „Gewöhnliche Menschen überlegen nur, wie sie ihre Zeit verbringen. Ein intelligenter Mensch versucht, sie auszunutzen.“ Gleiche inspirierende Website. Und noch ein Zitat sticht mir ins Auge, eins von Marie von Ebner Eschenbach (eine ehemalige Germanistik-Dozentin von mir würde sich freuen): „Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.“
Ich nehme mir heute die Zeit, in der ich kann, um das zu tun, was ich mit der Zeit machen könnte. Treffe mich mit einer Freundin, gehe raus in den Regen, verbringe mit ihr eine Stunde dicht an dicht gekauert unter einem Regenschirm an einer Häuserwand. Rede, lache und vergesse dabei die Zeit. Denn dabei stimme ich Geißler zumindest zu: Die Zeit ist hektischer geworden. Aber nicht, weil sich die Zeit selbst geändert hat, sondern, weil wir immer mehr Möglichkeiten gefunden haben, mit der wir sie füllen können und füllen wollen. Ein Überangebot an Potential, das uns konstant unter Stress hält, unter dem Druck, etwas „Sinnvolles“ mit der Zeit anzufangen. Und genau solche Momente – unter dem Schirm im Sturzregen, mit nichts anderem im Kopf als den Themen, zu denen das Gespräch hinführt, mit keinem anderen Gefühl als dem durchnässten Shirt und der Wärme des anderen und definitiv ohne Zeitstress – solche Momente kommen dabei viel zu oft zu kurz.
Montag
Jonas Geißler, Sohn von Karlheinz Geißler und ebenfalls Zeit-Nachgrübler, erklärt in einem Interview mit dem Institut für Zeitberatung „Times and More“, dass das dauerhafte Überangebot an Möglichkeiten und der Drang, alles gleichzeitig zu erledigen – zu multitasken – unsere Aufmerksamkeitsspanne zunehmend beeinträchtige. Zwar scheint schon Martin Luthers Aufmerksamkeitsspanne etwas begrenzt gewesen zu sein („Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten“, wieder einmal die gleiche Website), aber diese „Zeitverdichtung“, wie Geißler senior sie gerne nennt, ist in unserer heutigen Zeit definitiv spürbar. Jede Sekunde muss genutzt werden. Jeder Augenblick des Wartens, der Stille wird sofort mit etwas anderem gefüllt.
Ich nehme mir heute etwas vor, bei dem ich meine Aufmerksamkeit für einen langen Zeitraum fokussieren muss. Ich male. Für etwa vier Stunden knie ich in meinem Zimmer auf dem Boden und tue kaum etwas anderes, als den Pinsel in Farbe zu tauchen, die Farbe auf der großen Leinwand zu verteilen, die vor mir liegt. Gut, etwas anderes tue ich schon noch: Ich habe eine Sendung nebenbei laufen, lausche den Gesprächen, der Musik, stelle mir das vor, was ich die meiste Zeit über nicht sehen kann, weil meine Aufmerksamkeit auf das Bild gerichtet ist. Damit komme ich zwar nicht gänzlich vom Multitasking weg, aber zumindest bleibe ich fokussiert. An die Zeit denke ich dabei nicht einen Augenblick lang.
Dienstag – Zeit für ein Fazit
An das Aufstehen ohne Wecker hat sich mein Körper mittlerweile gewöhnt. Was natürlich auch dadurch begünstigt wird, dass ab etwa 9 Uhr morgens die Sonne dort steht, wo sie unbarmherzig auf meinen Kopf brennt und das Bett in eine Sauna verwandelt. Abends werde ich früher müde als sonst. Vielleicht, weil sich mein Körper ohne Uhrzeit nur an der untergehenden Sonne orientieren kann, um zu wissen, wann die Schlafenszeit gekommen ist, vielleicht auch einfach, weil ich zurzeit viel zu tun habe.
Zurzeit. Da ist sie wieder, die Zeit. In einer etwas pessimistischen, aber doch spannenden Doku, die ich in dieser Woche für meine Recherche geschaut habe, erklärt der Moderator fasziniert, dass „Zeit“ das zweithäufigste Wort in unserem Sprachgebrauch wäre. Direkt nach „Mama“. Als Linguist weiß ich: Was wir sagen, beeinflusst unser Denken und damit auch unser Handeln. Karlheinz Geißler, der ältere der beiden zeitlosen Zeitmenschen, erklärt der Süddeutschen ZEITung, dass es ihn störe, wenn wir „hetzen, wo es gar nicht nötig ist, und wenn es nur Worte sind, die Druck machen. Schnell den Radiergummi rübergeben, die Oma eben besuchen, mal kurz wohin.“
Vor drei Wochen etwa habe ich mich in einer Redaktionssitzung zu diesem Selbstexperiment bereiterklärt, eigentlich als Joke und um es mal auszuprobieren. Dass ich bei dem Versuch, die Zeit wegzulassen, so viel über sie nachdenken würde, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht ist es genau dieses Weglassen, die Tatsache, dass etwas „fehlt“, das uns dazu bringt, darüber nachzudenken, was dieses fehlende Etwas eigentlich bedeutet. Und dass die Zeit eben nicht fehlt, nur weil wir keine Uhrzeit zur Verfügung haben.
An der hellgrau gestrichenen, sonst völlig kahlen Wohnzimmerwand meiner Großeltern hängt eine Uhr. Ihr Sekundenzeiger läuft nicht schrittweise voran, sie gibt kein monotones Ticken von sich, wie die meisten anderen Uhren es tun würden. Der Zeiger bleibt nie stehen. Er erinnert einen nicht nur jede Sekunde, sondern jeden einzelnen minimalen Augenblick daran, dass die Zeit kontinuierlich voranschreitet. Aber macht es einen Unterschied? Denn auch auf dieser Uhr vergeht die Zeit nicht schneller, es wird einem nur stärker bewusst. Voranschreiten tut die Zeit immer, ob mit oder ohne Uhr. Wirklich wichtig ist nur, dass wir etwas daraus machen. Die Website mit den 111 Zitaten über Zeit hat auch dazu einen passenden Spruch parat, dieses Mal von George Orwell: „Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei.“
Was geht eigentlich ab in Greifswald? In der web.woche geben wir euch eine Übersicht über die kommenden Veranstaltungen in und um unsere Studierendenstadt. Hier findet ihr Termine, Infos und Neuigkeiten, von Politik und Region, über Universität und Wissenschaft bis hin zu Kultur und Sport.
Uni & Wissenschaft
VERANSTALTUNGEN
Was? Digital Fellow Lecture „Ethnicity, Identity and „Speaking Back“: Discoursing African Youth Languages“ von Dr. Adeiza Isiaka
Noch läuft die Rückmeldefrist, also denkt daran, dass das Geld bis zum 07. August überwiesen sein muss!
Auch die Bewerbungsfrist für das Deutschlandstipendium läuft noch, und zwar bis zum 07. September.
Falls ihr es noch nicht mitbekommen haben solltet – dank der FSRs wurden die Hausarbeitsfristen verlängert: in der Germanistik auf den 14., in der KoWi und PoWi auf den 15. und in der Geschichte auf den 30. September.
Zwar ist der AStA fast vollständig besetzt, aber einige Ämter sind noch immer zu übernehmen. Schaut doch hier vorbei, ob euch etwas davon interessiert.
Das Rektorat hat eine Stellungnahme zu den Vorfällen am Islamischen Kulturzentrum Greifswald e. V. veröffentlicht.
In einem neuen BMBF-Forschungsprojekt forscht ein Team aus Greifswald, Halle-Wittenberg und Rostock zu neuen Therapieansätzen bei Brustkrebs.
Im Rahmen des 200-Millionen-Schulpakets der Landesregierung werden in MV künftig mehr Grundschullehrkräfte ausgebildet. Das bedeutet für Greifswald die Einführung des Studiengangs zum Grundschullehramt – dazu folgt in Kürze ein Artikel auf webmoritz.
Kultur & Sport
VERANSTALTUNGEN
Was? KICK Off Veranstaltung des Projekts des StuThe„Zeiten des Übergangs/Spuren“
Wann? Montag, 03. August 2020, um 18 Uhr und Freitag, 07. August 2020, um 17 Uhr
Anmeldung? Für alle Sandburgenarchitekt*innen bis 07. August 2020 um 16 Uhr unter 038354 22011 möglich.
NEUIGKEITEN
Am Donnerstag, dem 06. August, heißt es wieder Sommershopping. Noch bis Mitte September haben viele Geschäfte in der Innenstadt immer donnerstags bis 21 Uhr geöffnet.
Die ROSA öffnet ihre Türen für euch von Mittwoch bis Samstag (05.-08. August 2020) von jeweils 21 Uhr bis 2 Uhr.
Das Freizeitbad Greifswaldhat wieder geöffnet. Die Duschen dürfen wegen der neuen Hygieneregeln allerdings nur vor dem Baden benutzt werden. Im Kassen- und Umkleidebereich herrscht Maskenpflicht. Die Saunalandschaft wird wegen fortschreitender Umbauarbeiten allerdings erst im September wiedereröffnet.
Das CineStar Kino Greifswald öffnet ab Donnerstag, dem 06. August 2020, wieder seine Türen für euch.
Wann? Vom 14. bis 27. September finden die einzelnen „DemokraTische“ statt.
Wo? An einem DemokraTisch deiner Wahl, bereitgestellt von angemeldeten Gastgeber*innen oder dir selbst.
Anmeldung? Noch bis zum 16. August kann man sich über die Internetseite der Partnerschaft für Demokratie Greifswald anmelden.
Wir haben ein wichtiges Event in dieser Woche vergessen? Ihr habt noch einen heißen Tipp für die nächste Woche? Schreibt uns einen Kommentar oder eine Nachricht, wenn ihr etwas zur web.woche beisteuern wollt!
Die Abwahl des ehemaligen AStA-Referenten Nikolas Peter ist innerhalb von wenigen Tagen zum bisher größten Politikum dieser Legislatur des Studierendenparlaments geworden. Wie guter Wille und schlechte Kommunikation die Zusammenarbeit zwischen StuPa und AStA belasten, lest ihr in diesem Erklärungsversuch.
ein Beitrag von Leo Walther, Redakteur des moritz.magazin
Was ist passiert?
Am 30.06.2020 teilt der damalige AStA-Referent für Ökologie und Nachhaltigkeit Nikolas Peter auf seinem privaten Facebook-Account das YouTube-Video „Doku: Die Zerstörung des Corona Hypes“, in welchem der Psychologiestudent Sebastian seine Meinung zum Coronavirus und den damit zusammenhängenden Maßnahmen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Bis jetzt wurde das Video über 700.000 mal angeklickt. In diesem Video wird der Politik, den Medien und der Wissenschaft vorgeworfen, die Schwere des Virus‘ zu übertreiben, damit die Pharmaindustrie daran verdienen kann (Verweis auf die ARTE-Doku „Profiteure der Angst“), während kritische Stimmen zum Schweigen gebracht würden.
StuPist*innen und Studierende außerhalb der Hochschulpolitik sprechen das StuPa-Präsidium daraufhin auf das Video an. Um ein Debakel wie bei der letzten Personaldebatte um die 24h-Vorlesung und den Rücktritt der AStA-Vorsitzenden aus der letzten Legislatur zu vermeiden, wird Nikolas zu einem Gespräch eingeladen, um etwaige Missverständnisse, was das Teilen des Videos betrifft, auszuräumen. Dieses Gespräch findet am 21.07.2020 statt. Was genau in diesem Gespräch abläuft, ist umstritten, und es gibt unterschiedliche Aussagen beider Gesprächsparteien, was genau gesagt wird. Dazu aber später mehr.
Zum Ende der StuPa-Sitzung, welche am selben Tag stattfindet, bringt Sandra Grubert den Geschäftsordnungsantrag auf Personaldebatte ein, in dem über die Personalie Nikolas Peter diskutiert werden soll. Die Hochschulöffentlichkeit wird ausgeschlossen. Nikolas ist nicht anwesend. Er hat sich entschuldigen lassen, da er am selben Tag zwei große Prüfungen geschrieben hat. Nach Beendigung der Debatte wird die Hochschulöffentlichkeit wiederhergestellt, es gibt kein Statement, was besprochen wurde, und Nikolas wird mit 17 Ja-Stimmen und 3 Enthaltungen abgewählt. Wie sich später herausstellt, lauteten die Vorwürfe: Verbreitung eines holocaustrelativierenden Vergleichs und menschenfeindlicher Inhalte. Das Ergebnis wird Nikolas am nächsten Tag bekannt gemacht.
Kurze Zeit später beginnt per E-Mail eine Diskussion zwischen Nikolas und dem StuPa-Präsidium über den StuPa-Verteiler. Dabei wirft Nikolas dem Präsidium und einigen StuPist*innen vor, ihn absichtlich hintergangen zu haben, indem sie ihn nicht darauf aufmerksam machten, dass seine Abwahl noch am selben Abend stattfinden kann.
„Sagt mir, was mir vorgeworfen wird und lasst uns darüber reden. Die entsprechenden Personen, möchten nicht, dass ich sie kontaktiere. Worum geht es euch hier bitteschön?“ (E-Mail von Nikolas an das Präsidium vom 24.07.2020)
Auch der Vorwurf des Rufmords steht im Raum.
„Von diesen Vorwürfen distanziere ich mich aufs Schärfste und empfinde sie als Angriff gegen meine Person, als Rufmord, Verleumdung und als Demütigung“ (E-Mail von Nikolas an das Präsidium vom 24.07.2020)
In E-Mail-Antworten und im Interview verteidigt sich das Präsidium, indem es betont, dass es Nikolas eindeutig dargelegt hat, dass es prinzipiell zur Abwahl kommen kann.
„Daraufhin haben wir eben sehr eindeutig klar gemacht, dass natürlich, wenn wir es weitergeben wollen, rein prinzipiell, rein an den Ordnungen festgehalten, an diesem Tag schon die Möglichkeit gäbe, eine Personaldebatte oder eine Diskussion zu diesem Thema anzufangen.“ (Interview der moritz.medien mit dem Präsidium vom 27.07.2020)
Für den 28.07.2020 wurde zur hochschulöffentlichen Aussprache die zweite außerordentliche Sitzung des StuPas in dieser Legislatur einberufen. Nach drei Stunden ausführlicher Debatte wird abgestimmt, ob Nikolas Peter, bis es zu einer Ausschreibung der Stelle und ordentlichen Neuwahlen kommt, das AStA-Referat zumindest in Vakanz wieder besetzten darf. Am Ende wird der Antrag aber mit 8 Nein-Stimmen, 8 Ja-Stimmen und 4 Enthaltungen abgelehnt.
Das Video – Eine Einordnung
Der selbsternannte Verschwörungstheoretiker Sebastian, welcher auf seinem YouTube-Kanal sonst über Chakren und No-Fap-Streaks redet und ernsthaft darüber nachdenkt, ob er in einer Simulation lebt, steht unter anderem der unpolitischen Protestbewegung „Querdenken711“ nahe, welche auf ihren Veranstaltungen Leuten wie „SchrangTV“, einem der größten deutschen Verschwörungstheoretiker, eine Bühne gibt. Sebastians Video ist eine Ansammlung aus Behauptungen und Fakten, welche aus dem Zusammenhang gerissen wurden, beispielsweise dass die Regierung Lockdowns und Maskenpflicht eingeführt hat, als die Ansteckungen bereits wieder abnahmen. Er klärt auch über die falsche und irreführende Verwendung von Maßzahlen wie R0 und die Ansteckungszahlen auf, welche seiner Meinung nach immer in Verhältnisse zur Anzahl der gemachten Tests gesetzt werden muss. Auch taucht die Behauptung auf, dass die Grippe mit dem Coronavirus vergleichbar sei und deswegen nicht die Maßnahmen der Regierung rechtfertigt. Ganz unabhängig davon, ob das stimmt, was zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend gesagt werden kann, sind die Maßnahmen der Regierung proaktiv, um die breite Bevölkerung zu schützen und mittlerweile auch zum Großteil wieder zurückgenommen. Wie sinnvoll einige dieser Maßnahmen waren und ob einige zu weit gegangen sind, lässt sich sicherlich diskutieren. Zu Beginn der Pandemie gab es aber schlichtweg zu wenig Informationen, weshalb auch die in die Grundrechte eingreifenden Maßnahamen gerechtfertigt waren. Die Theorie, dass das Virus von der Pharmaindustrie und den von ihnen bezahlten Wissenschaftler*innen gepuscht wird ist ebenfalls fragwürdig. Wenn man mit diesem Mind-Set an die Sache rangeht, wäre der Lockdown und der damit einhergehende Zusammenbruch der Wirtschaft nur schwer zu erklären, würden doch die anderen Lobbygruppen diese Einschränkungen niemals zulassen. Im Video wird der schwedische Weg gelobt, wobei aber vollkommen außen vor gelassen wird, dass es in Schweden deutlich mehr Tote als in den Nachbarländern gab und der für das Krisenmanagement Verantwortliche der schwedischen Regierung Fehler eingestanden hat. Das Video lässt auch Beate Bahner nicht außen vor. Dort kommt der Psychiater Raphael Bonelli zu Wort, der die Einlieferung der Anwältin in eine geschlossene Psychiatrie kritisiert.
Weitere Informationen des RKIs zu Corona-Toten, den Tests und der Interpretation von R0 findet ihr hier.
Das Video beinhaltet noch eine Vielzahl weiterer umstrittener Punkte, seien es fragwürdige Autoritätsbeweise (zum Beispiel der Präsident von Tansania), verschiedenartige Interpretationsweisen von Corona-Toten, Anzweifelungen der Testgenauigkeit und Interviews bei Leon Lovelock und KenFM.
In der E-Mail, in der Nikolas über seine Abwahl informiert wurde, standen aber genau zwei Punkte aus dem Video. Zum einen sei in dem Video ein holocaustrelativierender Vergleich enthalten. Bei Minute 24:36 sagt Sebastian:
„Und das was jetzt kommt ist echt der Hammer. Sachsens Sozialministerin Petra Köpping wollte Quarantäne-Verweigerer in [die] Psychiatrie sperren. Dass ich auf diese Weise wieder an ganz, ganz dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnert werde, hätte ich wirklich nie für möglich gehalten.“
Darauf folgt ein Ausschnitt aus Bonellis Video, in welchem Pläne der sächsischen Sozialministeriums kritisch betrachtet werden. Quarantäne-Verweigerer*innen können, geschützt vom Infektionsschutzgesetz, unter Zwangsquarantäne in abgeschlossenen Krankenhausstationen gebracht und dort von Polizeikräften bewacht werden. Für diesen Zweck hatte das Ministerium das Freimachen von 22 Betten veranlasst. Bonelli vergleicht das mit dem Missbrauch von Psychiatrien in der Sowjetunion, in welchen Andersdenkende inhaftiert und zum Schweigen gebracht wurden. Der unpassende Holocaust-Vergleich lässt sich hier zwar reininterpretieren, eine Kritik an dem unangebrachten Vergleich mit dem Psychiatriemissbrauch in der Sowjetunion liegt aber näher. Der zweite Punkt sind menschenfeindliche Elemente, welche sich schon deutlich eher finden lassen. Bei Minute 51:25 sagt wiederum der Psychiater Raphael Bonelli:
„Jeder Tote ist zu viel, aber gleichzeitig müssen wir einsehen, dass alle Menschen einmal sterben werden. Und das ist glaub ich eines unserer Grundprobleme, welches unsere Kultur besonders trifft, weil wir eben mit dem Tod nicht mehr besonders gut umgehen können (…) Jeder hat seine Zeit für das Sterben. Wir dürfen auch nicht so tun, als wäre es eine Unterlassungssünde, also man darf niemanden aktiv töten, aber der Virus ist ja kein Mord, der Virus ist ja zum Teil auch eben ein Schicksal. In der Medizin haben wir Ärzte schon lange das Dilemma: Verlängern wir das Leben oder verlängern wir das Sterben? Wir sollen nicht das Sterben verlängern, das Leben aber sehr wohl. Aber wir können das Leben nicht infinitum verlängern (…) Irgendwann müssen wir auch den Kampf um ein Leben aufgeben.“
Die Infektion des Virus als Schicksal abzustempeln, ist definitiv fragwürdig. Jeder Mensch muss in dieser Richtung seine eigene Entscheidung treffen und natürlich hat das Krankenhauspersonal die Pflicht, ihre Patient*innen so gut wie möglich am Leben zu erhalten. Schicksal wäre Corona nur, wenn es keine Chance geben würde, sich zu schützen. Die gibt es aber, indem man beispielsweise Social-Distancing-Regeln einhält. Als Ärzt*in Corona-infizierten Patient*innen nicht zu helfen, ist definitiv eine Unterlassungssünde und ein Bruch des hippokratischen Eides.
Wie die zwei oben beschriebenen Vorwürfe zustandegekommen sind, ist erkennbar. Warum nicht auch andere fragwürdige Stellen ebenfalls mit in der Begründung aufgeführt wurden, wollte mir aufgrund der geheimen Natur der Personaldebatte niemand sagen.
Warum ist all das passiert? – Eine Interpretation der Ereignisse
Möglicherweise ist die Debatte aufgrund eines Missverständnisses im Vorgespräch zwischen Nikolas Peter und dem Präsidium aus dem Ruder gelaufen. Zum Ende des Gesprächs habe Nikolas, so erklärt er immer wieder, damit gerechnet, dass es eine Aussprache über die Inhalte des Videos im privaten Rahmen geben werde. Er habe dahingehend deutlich seine Bereitschaft erklärt und hat in der E-Mail, in welcher er noch nicht über die Abwahl informiert war, darum gebeten, ihm die umstrittenen Punkte zu nennen.
„Danke für die Offenheit im Gespräch heute! Ich würde mir wünschen, dass ihr mir die Punkte aus dem Video schickt, die als kritisch und/oder nicht vertretbar wahrgenommen werden, insbesondere die Stelle mit dem Holocaust-Vergleich.“ (E-Mail von Nikolas an das StuPa-Präsidium vom 22.07.2020)
Deswegen habe er es auch nicht für nötig gehalten, an einem Tag mit zwei großen Prüfungen noch einmal mehrere Stunden in einem Hörsaal zu sitzen. Das Präsidium gibt an, Nikolas im Gespräch definitiv klar gemacht zu haben, dass eine StuPa-Debatte am Abend wahrscheinlich ist. Aus ihrer Sicht habe das Gespräch damit seine Aufgabe erfüllt. Man habe bestätigt, dass das Video nicht aus Versehen geteilt worden war. Nikolas hat, in der Darstellung des Präsidiums, während des Gesprächs ausgesagt, dass er voll hinter dem Video stehe. Nikolas bestreitet, das jemals so gesagt zu haben. Nur einige Punkte hätten ihn zum Nachdenken gebracht, etwa der Umgang mit kritischen Stimmen und die Kommunikation in den Medien. Auf Nachfrage sagt er dazu im Interview:
„Ich beobachte die Entwicklung im Land im Zusammenhang mit Corona und den Umgang damit, die Maßnahmen die angesetzt werden und wie die Kommunikation darüber stattfindet, und was mir da eben aufgefallen ist, oder was ich erschreckend finde, ist, wie mit Kritiker*innen umgegangen wird, also Leute, die eine andere Meinung vertreten.“ (Interview der moritz.medien mit Nikolas vom 24.07.2020)
Als es also ohne ihn zur Debatte und zur Abstimmung kam, habe sich Nikolas hintergangen gefühlt. In seiner E-Mail vom 24.07.2020 schreibt er:
„Ich habe darum gebeten, zuerst ein persönliches Gespräch mit mir über das Video zu führen und darauf vertraut, dass ihr diesen Wunsch respektiert. Dass diese Diskussion noch am selben Abend stattfinden würde, war nie im Gespräch! Ich weiß, dass es nicht in eurer Hand ist, zu entscheiden wer welche Anträge stellt, trotzdem wundere ich mich über dieses Vorgehen? WOZU musste das genau an diesem Tag diskutiert werden. Auf meine Entschuldigung hin meintet ihr ja noch, dass keine Anwesenheitspflicht besteht und ihr meine Entschuldigung gerne weiterleitet… Mehrmalige Hinweise, dass es gut wäre auf die Sitzung zu kommen, gab es nicht! Hätte ich gewusst, dass mein Wunsch völlig unnachvollziehbarer Weise nicht berücksichtigt wird, hätte ich geahnt, dass eine Personaldebatte eröffnet werden würde, hätte ich annähernd für möglich gehalten, was mir vorgeworfen wird, wäre ich auf diese Sitzung gekommen!“ (E-Mail von Nikolas an das Präsidium vom 24.07.2020)
Problematisch ist die Abwahl auch, da Nikolas sein Ehrenamt seit zwei Jahren mit viel Elan führte. Er war beispielsweise an den Vergabekriterien für Pachtflächen der Universität beteiligt, ein Projekt, was in den nächsten Wochen seinen Abschluss findet, und bei welchem sein jetzt gesperrter Zugang zum Groupware-Account für das AStA-Referat Nachhaltigkeit und Ökologie wichtig sei, weil dort die Kommunikation für genau dieses Projekt lief und es Nikolas nicht mehr möglich war, seine Abwahl mit den betreffenden Stellen zu kommunizieren.
„Ich habe da Termine ausgemacht über meine Uni-Mail, bin da mit Leuten in Kontakt. Jetzt wurde meine Mail vom AStA gesperrt, ich kann den Leuten nicht mal absagen, ich kann mich nicht entschuldigen, dass ich nicht mehr da bin und ich kann an der Sitzung nicht mehr teilnehmen, weil jetzt diese Vorwürfe im Raum stehen (…)“ (Interview der moritz.medien mit Nikolas vom 24.07.2020)
Das StuPa-Präsidium verteidigt sich, indem es Kritik an der Art und Weise übt, wie Nikolas seiner Berichtspflicht gegenüber dem StuPa nachkam. Dort soll es vermehrt zu Problemen gekommen sein, unter anderem wegen sehr spät eingereichter Berichte, mangelnder Anwesenheit und Sitzungsterminen der AG, welche sich mit den StuPa-Sitzungen überschnitten, wodurch eine stichpunktartige Kontrolle kaum möglich gewesen sein soll.
„Den letzten Bericht haben wir vor zwei berichtspflichtigen Sitzungen gesehen, das war Anfang Juni, und selbst da kam er irgendwann lange nach dem TOP Berichte und hat dann noch was hinterher geschoben. Sicherlich ist das kein schöner Punkt, aber (…) wenn wir das gegeneinander aufwiegen, und ich mache da innerlich definitiv eine eindeutige Wertung, wir konnten es auch nicht mal unbedingt wissen, weil wenn jemand nie Berichte abgibt bzw. wenn er welche abgibt und uns fünf Minuten vor der Sitzung die E-Mail schickt und dann zur Sitzung kommt und das in einem 2 Minuten Redebeitrag zusammenfasst, woher soll ich dann fundiert wissen was diese Person macht (…)“ (Interview der moritz.medien mit dem StuPa-Präsidium vom 27.07.2020)
Der E-Mail-Verkehr nach der Sitzung hat die gesamte Diskussion nicht unbedingt klarer werden lassen. Nikolas äußerte den Eindruck, dass es wohl unausgesprochene persönliche Vorbehalte gegen seine Person geben müsse, insbesondere von Mitgliedern der Linksjugend, aus deren Reihe die Initiative für die Personaldebatte gekommen sein soll.
„Diese Angriffe kommen ganz klar aus dieser Jungen Linken-Ecke, von Sandra Grubert, die den Antrag [auf die Personaldebatte] ja auch gestellt hat, und anderen. Ich habe gesagt, dass ich gesprächsbereit bin und dass das weitergeleitet wird, diese Gesprächsbereitschaft. Das wurde ja dann abgelehnt (…)“ (Interview der moritz.medien mit Nikolas vom 24.07.2020)
Nikolas hatte nach der Nummer von Sandra Grubert gefragt. Sie habe abgelehnt, nach eigener Darstellung um ihre Privatsphäre zu schützen. Auf Nikolas wirkte das wie ein Versuch, ihm aus dem Weg zu gehen. Trotz Uninformiertheit und nur auf Grundlage der Aussagen anderer Mitglieder des StuPas stimmten einige StuPist*innen, welche das Video noch nicht gesehen hatten, für Nikolas‘ Abwahl. Das wurde während der Aussprache vom 28.07.2020 von mehreren Mitgliedern zugegeben. Trotzdem hatten die meisten auch nach der Aussprache und nach dem Sehen des Videos ihre Meinung nicht oder nur geringfügig geändert, wie das Abstimmungsergebnis zeigt. Der E-Mail-Verkehr beinhaltet auch den Vorwurf des Rufmords und der Verleumdung. In einer Zeit, in der jede*r mit wenigen Klicks alles über eine andere Person herausfinden kann, sind die offen einsehbare Vorwürfe, holocaustrelativierende und menschenfeindliche Inhalte zu teilen, Gift für die berufliche und private Karriere. Es war Nikolas freie Entscheidung, das Video zu teilen. Er hat (auch nach eigener Darstellung) gesagt, dass zumindest einige Punkte des Videos des Videos seine Meinung wiederspiegeln. Sein Besuch von Corona-Maßnahmen-kritischen Demos in Greifswald und der geplante Besuch einer Corona-Maßnahmen-kritischen Demo in Berlin sprechen ebenfalls dafür, dass Nikolas seine Meinung nicht versteckt hat. Die Fokussierung der Debatte auf die zwei oben genannten Vorwürfe verzerrt die wirkliche Meinung von Nikolas aber. Seine kritische Sichtweise zur Berichterstattung der Medien und dem Umgang mit Kritiker*innen haben mit Holocaustleugnerei oder genereller Menschenfeindlichkeit wenig zu tun, diese Meinungen sind lediglich ansatzweise im Video zu finden. Mit dem Teilen des Videos hat er aber auch diese Aussagen geteilt, ein Punkt, der ihm definitiv als Fehlverhalten angelastet werden kann.
Letztendlich gab es am 28.07.2020 eine Aussprache mit dem gesamten StuPa und der Hochschulöffentlichkeit. Nikolas hatte eine ganze Gruppe von Unterstützer*innen mitgebracht und während der gesamten Sitzung lag eine merkwürdige Spannung in der Luft. Die Debatte verlief weitestgehend ruhig und respektvoll. Auch hier wurden die oben genannten Punkte diskutiert. Das Video wurde, trotz mehrmaliger Aufforderung, nicht gezeigt. Das wäre aber wichtig gewesen, damit alle ungefähr auf einer Höhe und die Vorwürfe nachvollziehbar sind. Stattdessen wurde aus dem Video zitiert, was häufig dazu führte, dass Aussagen falsch oder irreführend wiedergegeben wurden. Genauso problematisch war, dass sich die ganze Diskussion im Kreis drehte. Team Nikolas und Team StuPa sprachen im Wechsel, ohne aber wirklich miteinander zu sprechen. Der persönliche Kontakt war jetzt gegeben, die konfrontative Haltung, die auch schon in den E-Mails zu spüren war, blieb aber ebenfalls bestehen. Das Ergebnis war dann auch erwartbar. Die meisten StuPist*innen hatten ihre Meinung nicht oder nur ein wenig geändert. Nikolas hatte sich während der Debatte zumindest von Teilen des Videos distanziert und es auch noch während der Sitzung gelöscht. Die Fronten blieben trotzdem verhärtet und seine schnelle Wiederwahl scheiterte.
Wie geht es weiter? Was können wir daraus lernen?
Nikolas‘ Angebot, sich im privaten Kreis noch einmal zu treffen und in direkterem Austausch das Video zu diskutieren, bleibt bestehen und könnte, wenn angenommen, vielleicht doch noch ein paar StuPist*innen umstimmen, welche bei der nächsten Wahl, für ihn stimmen könnten, wenn er sich wieder aufstellen lässt. Seine Reputation in der Hochschulpolitik und an der Uni dürfte unter den Vorwürfen gelitten haben und die Zusammenarbeit mit Leuten, welche ihn abgewählt haben, könnte darunter ebenfalls leiden.
Die erklärte Absicht des Präsidiums, die Kommunikation bei Personaldebatten zu verbessern, ist in diesem Fall scheinbar aufgrund eines Missverständnis nach hinten losgegangen, aber eigentlich der richtige Weg, um solche Probleme zu lösen. Die E-Mail-Debatte, die darauf folgte, hat den kompletten Fall nur noch schlimmer gemacht, da während der gesamten Zeit Gerüchte und falsche Behauptungen die Runde machten und sich, auch in den E-Mails, wie in einem Teufelskreis immer weiter anstachelten. Die schnelle Einberufung einer außerordentlichen Sitzung war die richtige Entscheidung, da so im dafür vorgesehenen Organ persönlich und auf Augenhöhe kommuniziert werden konnte. Dass die Plenardebatte aufgrund ihrer rigiden Struktur aber in solch verhärteten Fronten kaum etwas auszurichten vermag, zeigt sich hier leider deutlich. Trotzdem ist es richtig, diese Debatte dort zu führen, weil die Vorwürfe zu ernst sind, um im privaten Rahmen diskutiert zu werden, obwohl dort vielleicht ein größerer Fortschritt in der Meinungsentwicklung möglich wäre.
Debatten und die Art und Weise ihrer Durchführung sind wichtig für die Hochschulpolitik und für Demokratien im Allgemeinen. Sie zeigen Grenzen für ihre Mitglieder auf, offenbare Fehler im System und können zu Verbesserungen in der Kommunikation und Handhabung von Problemen führen. Hoffen wir, dass das auch in diesem Fall für die Greifswalder Hochschulpolitik zutrifft.
Wir, die Redakteur*innen der moritz.medien, machen uns natürlich auch weiterhin Gedanken über unsere Umwelt und berichten daher in einem zweiten Teil unserer Nachhaltigkeitskolumne über weitere Themen, Tipps und Gedanken, damit ihr euer Leben (noch) nachhaltiger gestalten könnt.
Leckeres, frisches und ökologisches Gemüse aus der Region für die Menschen in der Region – das ist das Ziel der Gründer*innen von „WildeMöhre“.
Charlotte Zeigner und Benedikt Gerigk leben mit ihren drei Kindern in Tremt, einem kleinem Ort zwischen Greifswald und Stralsund. Angrenzend an ihren Hof soll das Solawi-Projekt „WildeMöhre“ umgesetzt werden. Solawi steht für „solidarische Landwirtschaft“, das heißt, die angebauten Lebensmittel werden nicht über den Markt vertrieben, sondern unter den Mitgliedern von „WildeMöhre“ aufgeteilt. „Solidarität bedeutet dabei für uns nicht nur das Teilen der Ernte sondern auch das Teilen des Anbaurisikos“, wird auf der Crowdfunding-Seite erklärt. Zusätzlich werden durch Projekte wie diesem bäuerliche und vielfältige Landwirtschaft gefördert und den Menschen ein neuer Erfahrungs- und Bildungsraum geboten.
Das Ziel der gemeinschaftlich organisierten Gemüsegärtnerei ist ökologischer, überschaubarer und fairer Anbau. „So leisten wir einen Beitrag für weniger weltweiten Transport, weniger Verpackung und weniger Lebensmittelverschwendung bei höchster Transparenzund leckerstem Gemüse in unseren Töpfen“, fassen die Gründer*innen zusammen.
Der Bodenaufbau wird natürlich und nachhaltig umgesetzt, denn das Gemüse soll im Freiland und in Folientunneln wachsen. Dort werden die Beete biointensiv genutzt, also weder intensiv bewässert, noch mit großen Maschinen umgepflügt. Stattdessen werden die Flächen mit Mulch und Kompost bearbeitet.
Damit das Projekt umgesetzt werden kann, starteten die Gärtner*innen im Juni eine Crowdfunding-Kampagne über Startnext. Mithilfe der geplanten 10.000€ sollen Folientunnel, Wildtierzaun, eine Einachsfräse und ein Lagerraum finanziert werden. Mit derzeit knapp 8.000€ ist das Ziel schon fast in greifbarer Nähe, noch bis zum 8. August kann gespendet werden.
Langfristig wünschen sich die Gründer*innen 2 ha Land für den Anbau, dafür stehen Verhandlungen mit unserer Universität und benachbarten Landwirtschaftenden aus. „Mit der WildenMöhre wollen wir hier in Vorpommern zeigen, wie ländliche Entwicklung funktionieren kann und wie eine nachhaltige Lebensmittelproduktion mit Mensch und Natur gelingt.“
Ich halte meine Kaffeetasse eng umklammert und blicke hinaus, ohne den Himmel zu sehen. Starre ins Leere. Aus dem kleinen Eckfenster in unserer Küche sieht man normalerweise die kurzen Schornsteine der umliegenden Dächer. Aufsteigenden Rauch, der sich an der Kante erster Sonnenstrahlen bricht. Ich glaube, er ist auch heute da. Nur wahrnehmen kann ich ihn nicht. Ich habe Angst.
MAN HÄNGT ALLEIN AN DER WAND
In fünf Minuten sollte ich die Federtasche in den Rucksack stecken, die Riemen über die Schulter schwingen und die Tür hinter mir zuziehen. Dann käme ich genau eine halbe Stunde vor den typischen Worten unserer Professorin: „Legen Sie bitte Ihren Studierendenausweis heraus. Auf Ihren Tischen sollte nicht mehr liegen, als ein Taschenrechner und ein Stift. Den Rest haben Sie im Kopf“. Es ist schon mein zweiter Versuch dieser Prüfung. Die „Rausschmeißerklausur“ unseres Studiums. Meine Freund*innen hatten mich alle sehr erstaunt angeblickt: „Du bist durchgefallen?“ „Ja. Sie war schwer und ich saß dort ganz allein in meinem Zeitdruck, meinem Ich-weiß-wo-es-steht und Ist-das-der-richtige-Ansatz. Das hat nicht gereicht. Ich schreib sie im Februar nochmal“. Heute ist dieser Februartag.
JEDER HAT SEINE ART ZU KLETTERN
Gestern Abend noch war ich so nervös, dass Friedi mir die Lernzettel aus der Hand riss und mich zwang, mit ihr in die Boulderhalle zu fahren.
Im hintersten Winkel des Gewerbegebiets haben Studierende ein paar Wände zusammengezimmert. Bunte Steine markieren die Routen, Zettel unter dem ersten und letzten, den Schwierigkeitsgrad. Im Winter kann es dort sehr kalt werden. Wir haben nur einen kleinen gasbetriebenen Heizer.
Vor dem stand ich gestern die ersten 10 Minuten, hielt meine tauben Hände gegen das Gitter und beobachtete die Menschen an der Wand. Obwohl alle dieselben Routen kletterten, taten das alle auf ihre Weise. Die kleinen Stämmigen hangelten sich nur an den Armen aus dem Überhang heraus. Große Lange konnten auf einer Seite stehen und auf der anderen nach einem Stein greifen. Und dann gab es noch diese, die sich nur mit ihrem Gleichgewichtssinn freihändig an den Wänden entlang schoben, langsam und vorsichtig.
MAN BRAUCHT VIEL KONZENTRATION
Bouldern verlangt ein inneres Ruhen, vollste Konzentration auf den Stein vor einem, kein Nachdenken über die gesamte Route. Und während ich dort vor dem kleinen Heizer langsam wieder meine Finger spürte, kam mir der Gedanke, dass die Klausur morgen vielleicht ganz ähnlich wäre.
Mit pochendem Herzen trat ich an die Wand und griff nach dem ersten Stein der gelben Route. Hing mich mit beiden Armen in der Hocke an die Wand, fasste nach rechts, hookte den Stein links und drückte mich hoch. Verlor kurz mein Gleichgewicht.
EIN STEIN NACH DEM ANDEREN
Ich musste durchatmen, langsamer klettern und nur den Stein vor mir sehen. Ein Handgriff nach dem nächsten. Die Route führte aus dem Übergang heraus über die Kante. „Glaub an dich“, rief eine Stimme von hinten. Um die Kante. Ich kämpfte. Zog. Drückte. „Los!“ Ich würde das schaffen! Der Gedanke zog mich auf den nächsten Stein. Ich konnte kurz durchatmen. „Siehst du.“ Ich drehte mich um, grinste den Fremden hinter mir an. Dann griff ich nach dem nächsten Stein. Taumelte, bekam ihn aber noch mit den Fingerspitzen zu fassen. Hing kurzzeitig nur an den Armen und fiel im nächsten Moment auf die Matte am Boden.
MAN LERNT IMMER NEUE TECHNIK
Der Boulderer neben mir lachte „Nicht schlimm. Nochmal oder die nächste Route.“ Ich grinste über die Leichtigkeit in seinen Worten. „Technik lernst du immer dazu.“ Ich nickte. Hatte ich doch gerade schon wieder einen neuen Handgriff gelernt, das Hooken geübt, und mich dynamisch hochgezogen. „Den Hook brauchst du auf jeden Fall auch für die Blaue dahinten.“ Er klopfte mir auf die Schulter und wendete sich ab.
WENN MAN NICHT AN SICH GLAUBT, BRAUCHT MAN DIE ROUTE GAR NICHT ANZUFANGEN
Ich blicke auf die Uhr. Die fünf Minuten sind vorbei. Habe ich mich doch wirklich so sehr in der Erinnerung an gestern Abend verloren, dass ich die Zeit vergessen habe. Ich will gerade losstürmen, zu einer Klausur kommt man nicht zu spät, als ich nochmal innehalte. Tief ein- und ausatme, wie ich es auch vor der gelben Route gestern Abend getan hatte. Ich werde einfach eine Aufgabe nach der anderen beantworten. Falls es nicht reicht, macht das nichts. Dann schreib ich sie nochmal oder mache etwas anderes.
Und fast am allerwichtigsten: Ich werde an mich glauben. Wenn man nicht an sich glaubt, braucht man eine Boulderroute gar nicht anzufangen. Das ist bei der Klausur nicht anders. Mit einem letzten Blick aus dem Küchenfenster ziehe ich die Tür hinter mir zu. Aus den Schornsteinen bricht sich der Rauch an der Kante erster Sonnenstrahlen.