Der Finanzdienstleister MLP bietet kostenfreie finanzielle Beratungen für Studierende an. Verbraucherschutzverbände kritisieren das auf den ersten Blick vorteilhafte Angebot. Was steckt dahinter?
von Lorenz Neumann
Dieser Artikel ist in der 173. Ausgabe des moritz.magazins erschienen. Die Ausgabe mit anderen spannenden Artikeln findet ihr online, hier auf dem webmoritz.
Hast du schon an deine finanzielle Zukunft gedacht? Sorgst du vor für die Rentenlücke? Was ist mit Berufsunfähigkeit? Kennst du die Statistiken über Altersarmut?
Die meisten Studierenden haben anderes im Kopf – Seminare, Nebenjobs, Prüfungen. Universitäten bereiten sie auf vieles vor, selten aber auf Finanzplanung. Wäre es da nicht beruhigend, eine Beratung an der Seite zu haben? Jemanden, der dir hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen – damit man sich ganz auf das Studium konzentrieren kann?
Genau das verspricht MLP. Eine All-in-One-Lösung für alle möglichen finanziellen Belange. Doch Kritiker*innen sagen: Das Unternehmen nutzt aggressive Vermarktungsstrategien gegenüber jungen Menschen, um an ihnen zu verdienen. Was steckt dahinter?
Unternehmerischer Fokus
Die börsennotierte MLP Finanzberatung SE wurde 1971 in Wiesloch gegründet. Das Kerngeschäft von MLP ist der Vertrieb von Finanzprodukten an Akademiker*innen. Laut eigener Aussage hilft MLP Kund*innen dabei, „die richtigen Entscheidungen in allen Finanzfragen zu treffen“. MLP arbeitet auf Provisionsbasis, das heißt, die Beratungstermine sind kostenlos. Geld verdienen die Vertreter*innen erst dann, wenn die Kund*innen auch einen Vertrag abschließen, dafür erhalten sie dann eine Provision.
Provisionsbasierte Beratung ist nicht unumstritten. Kritiker*innen sehen darin einen Interessenkonflikt. Die Verbraucherschutzzentrale warnt: „Finanzberater*innen empfehlen, für ihre Kundschaft unerkennbar, gezielt solche Produkte, mit denen sie am meisten Geld verdienen.“ Es entstehe außerdem der Anreiz mehr und häufiger Abschlüsse zu erzielen, die Kund*innen teilweise nicht benötigen würden. Verbraucherschützer fordern deshalb ein Verbot für provisionsbasierte Beratung in Deutschland. In anderen Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden oder Großbritannien existiert so ein Verbot bereits.
MLP sieht in einem Provisionsverbot eine einseitige Maßnahme, die die tatsächliche Kundennachfrage außer Acht lasse. Zudem biete das Provisionsmodell laut MLP den Vorteil, dass hohe Einstiegskosten für eine Beratung vermieden würden – die Vergütung erfolge stattdessen über die Beiträge.
Jagd auf Jungakademiker*innen
Um zu wachsen und Umsätze zu machen, ist MLP auf Neukund*innen angewiesen und fokussiert sich hier auf Studierende. Um diese besonders gut zu erreichen, setzt die Firma auf sogenannte „Hochschulteams“, die in jeder größeren Universitätsstadt vertreten sind.
Im Greifswalder Hochschulteam arbeiten laut Website fünf Personen. Um Kontakt mit Studierenden herzustellen, nutzt das Team verschiedene Strategien. Für Wirtschaftsstudierende sammeln sie beispielsweise Prüfungsprotokolle. Für Mediziner*innen organisieren sie Workshops, zum Beispiel zum Thema „PJ und Famulatur im Ausland“, veranstalten Gewinnspiele oder unterstützen ihre Veranstaltungen finanziell. Teilweise arbeiten sie dafür mit FSR oder fachschaftsnahen Gruppen wie der Ortsgruppe der Medimeisterschaften zusammen.
An anderen Hochschulen kooperiert MLP teilweise mit den universitären Kompetenzzentren, zum Beispiel in Frankfurt oder Chemnitz. In Mannheim ist dank gro.zügiger Förderung sogar ein Hörsaal nach MLP benannt und in Heidelberg sponsert MLP ein Basketball-Team, die „MLP Academics Heidelberg“.
Die NGO Finanzwende e. V. setzt sich schon länger für ein Ende universitärer Zusammenarbeit mit MLP ein. Sie werfen MLP vor, dass solche Angebote nur der Kontaktanbahnung zum Abschluss von Verträgen dienen und fordern Maßnahmen, um Studierende besser vor Finanzvertreter*innen schützen.
Im Netz allgegenwärtig
MLP hat jedoch bereits neue Wege entdeckt, um Studierende zu erreichen. Schon 2021 sagt Vorstandsvorsitzender Uwe Schroeder-Wildberg gegenüber der Börsen-Zeitung, dass MLP einen Großteil der Studierenden inzwischen im Netz anspreche und nicht mehr an Hochschulen. Die Ansprachen im Netz und in Social Media erfolgen vorrangig über die Plattform Hochschulinitiative Deutschland. Auf ihr können sich Studierende für Seminare und Workshops anmelden, Blogeinträge lesen, an Gewinnspielen teilnehmen oder auf andere „Goodies“ zurückgreifen.
Die Plattform wird nicht von MLP direkt betrieben, sondern von der Uniwunder GmbH. Auf ihrer Website schreibt Uniwunder, ihre Vision sei es, „der digitale Anlaufpunkt für Studierende in den Bereichen Karriere, Finanzen, Ausland, Studienorientierung und Lernen […] [zu] sein, indem wir unsere Nutzer stets für passende, außeruniversitäre Angebote begeistern.“ Durchgeführt werden viele der Seminare und Workshops von MLP. Uniwunder beschreibt diese Zusammenarbeit als eine „Win-win-Situation“. MLP biete ihrerseits „hochwertige Workshops für Studierende“ und die Uniwunder GmbH könne diese durch ihre große Reichweite an Studierende vermitteln.
Für einige Nutzer*innen bleibt dabei auf den ersten Blick verschleiert, dass MLP nicht nur ein strategischer Partner ist, sondern auch 81,08 Prozent der Anteile an der Uniwunder GmbH besitzt. MLP verweist darauf, dass die Eigentümerstruktur zum Beispiel in ihrem Pressebericht oder auf der Website von Uniwunder öffentlich dargelegt worden sei. Die Transparenz wird aus Sicht des Unternehmens dadurch gewahrt.
Finanzwende e. V. sieht das anders. Die Plattform sei nach ihrer Ansicht „eine Sammelstelle für Adressdaten […]. Studierende werden unter dem Deckmantel eines kostenlosen Lehrangebots in Seminare gelockt, die von MLP-Beratern veranstaltet werden und diesen auch zum Anwerben von Neukunden dienen.“
MLP betont darauf, dass sowohl auf der Website als auch im Anmeldeprozess ersichtlich sei, dass die Seminare von MLP durchgeführt werden. Die Workshops würden außerdem ein mehrwertiges Angebot darstellen, durch das Unternehmen auf sich aufmerksam machen könnten und auch bereits einen ersten Kompetenzbeweis erbringen würde. Die positiven Bewertungen sprächen dafür, dass das Angebot gut ankomme.
Eine Frage der Perspektive
Je tiefer man sich mit einem Thema beschäftigt, desto vielschichtiger erscheint es. Eine Haltung sollte man sich dennoch bilden. Zwei Lesarten stehen im Raum:
Wenn MLP Studierenden echte Unterstützung bietet – sei es durch kostenlose Workshops, hilfreiche Tipps oder finanzielle Förderung – dann ist das durchaus ein Gewinn.
Wenn jedoch studentische Unerfahrenheit gezielt genutzt wird, um sie in Verkaufsgespräche zu führen, aus denen im besten Fall unnötige, im schlimmsten Fall schädliche Verträge resultieren – dann wäre das eine ganz schön große Sache.
„Jetzt muss doch mal gut sein“ – Ein Erfahrungsbericht
Robert, ein Jurastudent aus Greifswald, berichtet, wie er 2022 in einem Gewinnspiel einen Gesetzeskommentar gewann, den er jedoch nur nach einem Beratungsgespräch erhalten sollte. Erwartet, dass MLP dahintersteckt, hatte er nicht. „Nachdem man erst mal in der Datenbank war, wurde man etwa einmal im Monat ‘auf Kumpelbasis’ zum weiteren Beratungsgespräch über die eigene Zukunft geladen“, berichtet er.
Die Beratung drehte sich vor allem um Altersvorsorge und Berufsunfähigkeit. Dabei habe der Vertreter ihm „die üblichen vagen Statistiken zu Berufsunfähigkeit und Altersarmut vorgesetzt“. Als Lösung wurde ihm dann ein Modell mit drei MLP-eigenen Konten präsentiert. Nachdem er auch noch eine Privathaftpflicht abgeschlossen habe, sei der Druck dann weiter gestiegen. Als er schließlich die Unterlagen erhielt, habe er sich zum Widerruf entschieden – woraufhin sein Berater ihn entrüstet anrief. Insgesamt seien ihm zu diesem Zeitpunkt die regelmäßigen mehrstündigen Beratungen „ohnehin lästig“ geworden, da er kurz vor seinem Examen stand.
Außerdem verärgerte es ihn, dass ihm immer wieder ein neues Angebot aufgedrängt wurde. „Jetzt muss doch mal gut sein“, dachte sich Robert dann irgendwann. Zum Kontaktabbruch kam es dann aber, weil sein Vertreter Aussagen traf, die ihm klar machten, dass seine selbstbestimmte Altersvorsorge nicht respektiert werde. Am Ende zog er die Konsequenz und kündigte den Beratervertrag. „Ich habe keine konkret schlechten Erfahrungen gemacht, aber es blieb aber ein dauerhaft komisches Gefühl und ein hoher Verkaufsdruck“, fasst er zusammen. Zu den Produkten sagt er, dass die Haftpflicht insgesamt in Ordnung sei, auch wenn er sie noch nicht in Anspruch genommen habe.
Seit über 30 Jahren prägt Gerhard Heims mit seinem Plattenladen „Fundgrube“ die Greifswalder Musikszene – nun verstummt er. Ein Porträt über die Leidenschaft zur Musik, vergessene Schallplatten und das Abschiednehmen.
Ein leiser Klick – der spinnenbeinartige Tonarm senkt sich, für einen Moment hält die Zeit den Atem an. Dann: Rauschen, ein Knacken und Robert Plant, füllt den Raum. Leise säuselt er: „Made up my Mind to make a new start, Going to California with an aching in my heart“. Gerhard Heims lächelt zufrieden. Ob er den Song bewusst ausgewählt hat, wissen wir nicht. Die Domstraße 39 ist damit offiziell geöffnet.
Seit den 1990er Jahren führt der heute 75-jährige Heims den Plattenladen „Fundgrube“. Drei Jahrzehnten lang, war der Laden ein Treffpunkt für Musikliebhaber und Neugierige, sowie ein belebter Bestandteil der Greifswalder Innenstadt.
Wer den Laden betritt, dem eröffnet sich ein Labyrinth aus Vinyl, vergilbten Postern und Büchern. Es riecht nach Papier, Hülle und Nostalgie – eine echte Fundgrube eben. Doch das letzte Kapitel steht unmittelbar bevor: Nach mehr als 30 Jahren wird Gerhard Heims endgültig die Ladentüren schließen. Der Abschied gilt nicht nur für Heims, sondern auch Greifswald.
Gerhard Heims – ein Greifswalder Original
Im Gespräch mit moritz.tv blickt Heims zurück. Geboren in Greifswald, machte er hier sein Abitur, studierte in Freiberg Energietechnik und arbeitete anschließend im Kernkraftwerk. Verwegen zwirbelt er seinen Schnauzbart, als er erzählt, wie er zunächst auch Sanitäranlagen und Heizhäuser projektierte. Der Wechsel vonKern- zu Klangenergie gelang ihm 1990.
Seine wahre Leidenschaft galt schon immer der Musik. Nicht etwa der Klassik, sondern Rock und Pop. Mit etwa zehn Jahren begann er, Schallplatten zu sammeln. Ein denkbar schwieriges Hobby in der DDR – wie er erzählt. Heims sammelte DDR-Rock – mit etwas Glück allerdings kam er sogar an Westplatten.
In den 80ern schlich sich der damalige Ingenieur alle 14 Tage von der Arbeit, um sich vor Plattenläden anzustehen. „Zehn, zwölf Leute standen da immer. Keiner wusste, was für Platten kommen, aber irgendeine Westplatte kam ja dann auch“, erzählt er vergnügt. Später verkaufte Gerhard Heims die Tonträger gewinnbringend weiter.
Er erinnert sich: Bei einem Durchschnittseinkommen von 600 Mark zahlten einige Musikliebhaber mitunter 200 Mark für Pink Floyds „The Wall“. Ein Drittel des Monatseinkommens für eine Platte – ein lukratives Geschäft also. Nach 1988, als es offener wurde, dachte er: Das könnte ich auch im größeren Stil machen.
Ein Hebel, ein Knistern, ein Stück Geschichte
Er schildert, wie überrascht er gewesen war, als ihm sein Gewerbe genehmigt wurde. Dieser Glücksfall ermöglichte es ihm, seine Leidenschaft endlich in sein Lebenswerk zu verwandeln. Gerhard Heims handelte schnell und der neue Laden entstand kurzerhand in einem Abrisshaus. Als die Wende kam, war er sogar schneller als die Westhändler: Ein halbes Jahr lang holte er „viel Zeug, Videos und alles so aus dem Westen“. Die Platten gab es dort für einen „Apfel und ein Ei“, und so musste Heims eher auf die Achslast seines Wagens achten als auf seinen Geldbeutel.
Es war immer viel Arbeit – und das ist es noch immer. „Die Leute heute, die können alle nicht mehr arbeiten“, schnaubt der hagere Mann mit Schnauzbart und Pferdeschwanz. Einen Nachfolger wird es dementsprechend nicht geben. „Das Konzept ist aus der Zeit gefallen“. Es brauche „viel Zeit, man muss es mögen und können“.
Auf die Frage, was an Schallplatten so besonders sei, gerät Heims ins Schwärmen: Schallplatte seien weit mehr als nur Tonträger: Ganz wichtig ist das Cover. Gute Kunst oder – nicht wie bei einer CD – ohne Lupe lesen zu können, wer mitgewirkt hat, das mache einerseits den Charme der Platte aus. Und wenn eine Platte gepflegt sei, klinge sie klar: kein Knistern. Nach einer kurzen Pause attestiert er mit Stolz: Seine Platten hätten – mit wenigen Ausnahmen – immer 1A Qualität.
„Das ist mein Leben, alles andere ist nebenbei“
Als Heims die nächste Platte auflegt, gemahnt er zum Zuhören: „So heißt das – Sex and Drugs and Rock’n’Roll“, stellt er fest. Dabei presst er die Lippen zu einem steifen Lächeln zusammen und stemmt stolz die Arme in die Hüften. Musik ist für ihn Passion und Alltag. Heims liebt besonders zwei Dinge: Schallplatten und Livemusik. Während er davon erzählt, stellt er mit fast weicher Stimme fest: „Das ist mein Leben, alles andere ist nebenbei“. Auf etwa eintausend Konzerten war er schon.
Gerhard Heims gefallen viele Musikrichtungen: Hard Rock, Heavy Metal, Southern Rock, Blues Rock, guten deutschen Rock. Ein Tabu aber bleibt: Techno. Er schüttelt heftig mit dem Kopf, die Augen zusammengekniffen – der Mund so verzogen, als wäre ihm übel geworden: „Nee, es gibt bei mir keine Technoplatten zu kaufen“. Die „Technoleute“ haben ihn am meisten bestohlen, erzählt er noch immer etwas erhitzt. Ganz anders die Metal-Fans. Das seien ganz andere Leute. Als er auf seine heftige Abneigung gegen Techno angesprochen wird, bestätigt er diese entschieden, anschließend muss er lachen – vielleicht auch ein bisschen über sich selbst.
In einer Zeit, in der Musik zunehmend digital konsumiert wird, erlebte die Schallplatte eine überraschende Renaissance. Gerhard Heims freut sich über diese Entwicklung – nicht nur als Verkäufer, sondern auch als Fan. Seine Kundschaft: Sammler und Touristen. Der Zufallskäufer ist eher selten.
Ein neuer Lebensabschnitt – auf leisen Sohlen
Nach mehr als 30 Jahren ist das Ende der „Fundgrube“ abzusehen. Die Ladenschließung ist durchgeplant und erfolgt langsam, Stück für Stück. Der 75-Jährige steht vor dem Problem, dass nur etwa 4.500 Schallplatten in seine Wohnung passen – da müsse noch einiges weg. Vor allem der Verkauf von Klassik- und Schlagerplatten stellt ihn vor Probleme. Diese würden besonders schwer über die Ladentheke gehen. Bei den Schlagerplatten sei das jedoch verständlich, fügt er schelmisch grinsend hinzu.
Die Entscheidung, den Laden zu schließen, fällt Gerhard Heims nicht leicht. Es ist ein Abschied, der ihn persönlich berührt, jedoch unumgänglich ist. Es ist sein Haus, er wohnt in der obersten Etage, geht bloß die Treppe runter und abends wieder hoch – das sei gut für die Knochen. Aber: Er kann kein Auto mehr fahren. Allein ist das zu schwierig.
Nach dem Aus beginnt ein neuer Abschnitt. Heims will mehr von Deutschland sehen. Nicht nur in den Süden fahren, sondern auch nach Freiberg zurückkehren, wo er studierte. Und er will noch die Bands sehen, die auf Abschiedstournee sind. Stoppock und U.D.O. – das sei authentisch.
Er sagt, er habe alles richtig gemacht. „Ich kann nicht sagen, dass ich irgendwo einen großen Fehler entdecke.“ Die Musik war sein Leben. Und die Fundgrube sein Zuhause. Greifswald hat er nie verlassen. „Durch die Studenten ist diese Stadt eben jung und das genießt man auch.“ Noch bringt er Kisten ins Geschäft, als wolle er der Zeit ein Schnippchen schlagen. Doch bald bleibt nur die Erinnerung – an (sehr wenige) knisternde Platten, die prall gefüllten Regale und diesen einzigartigen Treffpunkt in der Domstraße. Ein Stück Greifswalder Geschichte, das langsam ausklingt: „Standin‘ on a hill in the mountain of dreams Tellin′ myself it’s not as hard, hard, hard as it seems“
Wenn ihr nicht nur über den Plattenladen lesen, sondern ihn auch sehen wollt – dann schaut euch hier das Video an! moritz.tv hat Gerhard Heims getroffen – für eine Reportage über Leidenschaft, Musik, Abschied und einen der urigsten Orte in der Greifswalder Innenstadt.
von Lina Goldschmidt, Robert Wallenhauer, Konstantin Ochsenreiter; Recherche: Luise Markwort, Lina Goldschmidt
Die AfD wettert gegen „linke Indoktrinierung“ an Unis – und will das Landeshochschulgesetz ändern. Was das für deinen Semesterbeitrag und Mitspracherecht bedeuten könnte, liest du hier.
Dass die Uni zu links ist, behauptet die AfD gern. Jetzt begründet sie damit eine mögliche Änderung des Landeshochschulgesetzes. Sie soll Studierenden ermöglichen, aus der verfassten Studierendenschaft auszutreten.
Neue Regelung soll Austritt aus Studierendenschaft ermöglichen
Aktuell sind durch das Landeshochschulgesetz Mecklenburg-Vorpommerns alle an einer Universität immatrikulierten Studierenden Teil der Studierendenschaft. Als Teil des Semesterbeitrags zahlen sie pro Semester 11 Euro (in Greifswald und in Rostock) für die Studierendenschaft.
Von diesem Beitrag werden die Organe der Studierendenschaft finanziert. Darunter fallen das Studierendenparlament (StuPa), der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA), die Fachschaftsräte (FSR) und ihre Angebote.
Dazu zählen unter anderem die Ersti-Wochen, die lange Nacht des Lernens, die 24-Stunden-Vorlesung, die Vollversammlung und Veranstaltungsreihen wie der feministische, der queere oder der antifaschistische Aktionsmonat. Aber auch andere Angebote, wie zum Beispiel der Lastenrad-Verleih und die Aufwandsentschädigungen für Organe der Studierendenschaft werden von den Beiträgen finanziert. Diese umfassen die AStA-Referate, das StuPa-Präsidium, die Wahlleitung, das VV-Tagespräsidium und die moritz.medien.
Eine Austrittsmöglichkeit gibt es bis jetzt in einem Bundesland: Sachsen-Anhalt. Das dortige Landeshochschulrecht regelt, dass Studierende ihren Austritt aus der Studierendenschaft schriftlich erklären können. Diese Möglichkeit besteht nach dem ersten Semester und beinhaltet auch die Option, wieder einzutreten.
Eine Sprecherin des Studierendenrates – dem Äquivalent zum StuPa – der Uni Magdeburg erklärte uns dazu, dass das Angebot von ungefähr einer Person pro Jahr in Anspruch genommen würde. Sie haben keine Kapazitäten, die Mitgliedschaften bei Veranstaltungen oder Ähnlichem zu kontrollieren. Durch die geringfügigen Austrittszahlen gäbe es keine spürbaren Auswirkungen auf den Haushalt.
Auf die Frage an die AfD-Fraktion MV, ob und wie sie sich im Vorfeld über die Folgen einer solchen Änderung informiert hat, antwortete der hochschulpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Paul-Joachim Timm: „Im Gespräch mit den Kollegen aus Sachsen-Anhalt wurde der Gewinn der persönlichen Freiheit des einzelnen Studenten als positiv herausgehoben.“ Wie umfassend dieses „Gespräch mit den Kollegen“ war – und wie maßgeblich für den Antrag – erklärt Timm nicht.
Ausgetreten – und dann?
Wer aus der Studierendenschaft austritt, wird von der Beitragsgebühr – 11 Euro pro Semester, erhoben als Teil des Semesterbeitrages – befreit. Einher geht der Verlust aller mit der Mitgliedschaft verbundenen Rechte und Pflichten. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe an der Hochschulpolitik, das aktive und passive Wahlrecht für Gremienwahlen (StuPa, FSR, FakRat, Senat), Urabstimmungen (wie zum Semesterticket) und Vollversammlungen.
Wer also austritt, weil ihr*ihm das Veranstaltungsangebot von AStA, StuPa und Co. nicht passt, gibt jede Möglichkeit auf, das Veranstaltungsangebot selbst zu verändern und zu gestalten. Die AfD-Landtagsfraktion spricht von der „Quasi-Zwangsmitgliedschaft“ in der Studierendenschaft als „Bevormundung“. Aber tritt man aus, verliert man jedes Mitspracherecht.
Mit einem Austritt verzichten Studis zudem auf den Anspruch und den Zugang zu den Angeboten und Services der Studierendenschaft. Konsequenterweise müsste bei jedem Angebot die Mitgliedschaft in der Studierendenschaft kontrolliert werden. Gleich ob es um das Ausleihen eines Lastenrads, einen Filmabend vom FSR oder ein Beratungsgespräch mit AStA- oder FSR-Angehörigen geht. Laut dem ehemaligen AStA-Vorsitzenden aus Greifswald, Raphael Scherer, wäre so eine Art „Zweiklassen“-Studierendenschaft zu befürchten.
Austreten – aber warum?
Anfang des Jahres hatte Paul-Joachim Timm von der AfD-Landtagsfraktion MV eine „kleine Anfrage“ an den AStA Greifswald und das Rostocker Äquivalent gestellt. Er forderte eine Auflistung der von den Studierendenschaften finanzierten Veranstaltungen.
Die Antworten sind als Drucksachen des Landtages öffentlich einzusehen, hier die Auflistung aus Greifswald und hier die aus Rostock. Als Reaktion hat die Fraktion den Änderungsentwurf in den Landtag eingebracht.
Im Antrag der AfD-Fraktion schreibt die Partei: „Obgleich die Organe der verfassten Studentenschaften regelmäßig nur von einem Bruchteil der Studenten gewählt werden, dominieren diese das hochschulpolitische Klima.“ Sie argumentiert: „Eine freiwillige Mitgliedschaft ist der deutlich bessere Ansatz, um die Studenten besser zu vertreten und die Arbeit der Studentenschaft an ihrer Zustimmung zu messen.“
Hohe Ausgaben sind nicht der Auslöser der Kritik. Als Sparmaßnahme versteht die Fraktion ihre Forderung auch nicht. In Greifswald sind die Events des letzten Jahres mit den größten Ausgaben die 24-Stunden-Vorlesung und die Campus-Kirmes gewesen – diese werden im Antrag allerdings nicht genannt. Stattdessen moniert die AfD-MV Veranstaltungen wie den Antifaschistischen Aktions- und Informationsmonat, die Queerfeministische Festivalwoche, Awareness-Workshops, das „festival contre le racisme“ und weitere.
Neuer Antrag, alte Argumente
Die Debatte, die jetzt im Landtag stattfand, war auch der Greifswalder Studierendenschaft nicht neu. In der Vollversammlung des vergangenen Sommersemesters stellte eine Person einen Antrag, der den Semesterbeitrag zu einer freiwilligen Zahloption umdeuten sollte.
Sie argumentierte ähnlich: Es würden geschlechterspezifische Themen mit Aktionswochen in den Mittelpunkt gerückt und Vorträge organisiert, die konkret konservative Denkmuster diffamieren. Mit einem kleineren Budget erhoffe sie sich besseres und neutrales Nachdenken über politisierende Veranstaltungen.
Der Antragsteller, welcher mutmaßlich Mitglied der Burschenschaft Markomannia Aachen Greifswald ist, erschien nicht, weshalb der Antrag nicht behandelt wurde. Die moritz.medien schickten ihm eine Anfrage: Diese erfragte, welchen Hintergrund sein Antrag hatte und ob er plane, den Antrag erneut einzureichen.
Eine weitere Frage behandelte seine Mitgliedschaft zur Burschenschaft Markomannia Aachen. Dies wäre interessant gewesen, da auch mindestens ein Mitglied der Werte-Konservativen Hochschulgruppe Mitglied dieser ist. Der Antragssteller äußerte sich zu keiner dieser Fragen.
Zweiklassengesellschaft oder Wahlfreiheit?
Um das politische und veranstalterische Angebot an Universitäten zu diversifizieren, wären Förderanträge für die hochschulpolitische Landschaft oder hochschulische Veranstaltungen denkbar. Diese könnten große Themenbereiche abdecken, die in der universitären Lehre keinen Platz haben.
„Doch alternative und konservative Positionen würden nicht toleriert“, sagt Paul-Joachim Timm. An anderer Stelle führt er aus: „Es fällt den meist links orientierten politischen Akteuren in den ASten immer leicht, die Indoktrinierung bei anderen zu erkennen. Weitaus schwieriger ist es, die Indoktrinierung bei sich selbst zu realisieren“. So ließe sich eine Diversifizierung nur schwer umsetzen, weshalb der Austritt die konsequenteste Möglichkeit mit der stärksten Aussagekraft sei.
Der ehemalige AStA-Vorsitzende Raphael Scherer wies darauf hin, dass die Themenfindung für Veranstaltungen an Anträge und Beschlüsse des StuPas und der VV gebunden ist. Da könne letztlich jede*r Studierende ihre*seine Vorschläge und Anliegen vortragen. Die AfD setzt dem entgegen, dass man nicht gezwungen sein könne, ein Veranstaltungsangebot mitfinanzieren zu müssen, welches man nicht in Anspruch nimmt. Für Angebote des AStA wird um Förderungen und externe Unterstützung geworben, so werden häufig die Veranstaltungen und Aktionen extern finanziert und nicht durch die 11 Euro. Dass konservative oder „alternative“ Anträge eventuell einfach schwieriger Mehrheiten finden, da weniger Studierende daran interessiert sind, scheint Timm jedoch nicht in Betracht zu ziehen.
Der hochschulpolitische Sprecher der AfD-MV sieht Alternativen abseits des links-liberalen Spektrums innerhalb der verfassten Studierendenschaft als nicht gleichwertig toleriert und jeden Ansatz dazu brachial bekämpft. Er erklärt die Hochschule als einen Ort, an dem Menschen ihre gegenteiligen Auffassungen zu jeglichen Themen nicht gefahrlos kundtun können.
Dagegen spricht die Neugründung der Werte-Konservativen Hochschulgruppe. Die AfD nahe Hochschulpartei warb Anfang des Jahres mit dem Slogan „Die Uni ist zu links.“ um Stimmen. Das Motto stammt ursprünglich von der „Aktion 451“. Eine Initiative, welche von Personen wie Götz Kubitschek, Martin Sellner und Benedikt Kaiser unterstützt wird. Alle drei sind prominente Akteure der rechtsextremen Szene. Die Berichterstattung des webmoritz. legte diese Verbindung bereits im Wahlkampf offen – dennoch nutzt die Werte–Konservative Hochschulgruppe weiterhin Flyer mit dem Motto.
Im Greifswalder Studierendenparlament sind sowohl Vertreter der Werte-Konservativen Hochschulgruppe als auch des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) vertreten. Timms Vorwurf, konservative Positionen würden im Ansatz brachial bekämpft, läuft – zumindest in Greifswald – ins Leere.
„Ein Wolf im Schafspelz“ – Stimmen aus der Politik reagieren auf den AfD-Antrag
Gemäß Paragraph 3 des Landehochschulgesetzes MV tragen die Hochschulen zur Verwirklichung und Vermittlung der Grundwerte eines freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates bei. Die Wissenschaftsministerin Bettina Martin (SPD) meint zum Vorwurf der „zu linken Ausrichtung“: „Die Hochschulen schaffen ein Umfeld, in dem die Umsetzung von Grund- und Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Integration, Vielfalt und Toleranz gelebte Praxis ist.“
Sie erklärt weiter: „Aber das scheint der AfD ein Dorn im Auge, schon gar, wenn es die Studierenden selbst sind, die sich für ein demokratisches Miteinander an der Hochschule engagieren.“ Für sie ist der Einsatz für Minderheiten gegen Ungleichheit und Diskriminierung in einer Gesellschaft, in der per Grundgesetz alle Menschen gleich sind, nicht links ausgerichtet, sondern die Pflicht der Demokrat*innen. Sie sei froh über die engagierten Studierenden, die sich für diese Werte einsetzen.
Für Katy Hoffmeister (CDU) sei der Vorschlag der AfD „ein Wolf im Schafspelz“. Sie meint: „Es geht ihnen nicht um das Austrittsrecht an sich und auch allein, sondern eigentlich um eine tiefere gesellschaftliche Implikation.“ Sie sehe die Studierendenschaften zwar auch mehrheitlich politisch links verortet, dies sei aber das grundlegend falsche Motiv für den Änderungsantrag. Die Begründung ist für sie das Problem. „Es geht ihnen darum, eine bestimmte politische Ausrichtung zu verändern“, sagt sie in der Debatte über den Änderungsantrag der AfD im Landtag. In dem Fall gebe sie der Ministerin Recht, dass es bei den Studierendenschaften um viel mehr gehe, nämlich um Organisationen, die einen wichtigen Beitrag leisten.
Mehrheiten finden sich derzeit im Landtag für den AfD-Antrag nicht. Die Landtagswahlen 2026 könnten die Mehrheitsverhältnisse verschieben.
moritz.Millennium ist das kleine, aber engagierte Rechercheteam der moritz.medien. Tipps und Hinweise könnt ihr uns gern per Mail an moritz-millennium@uni-greifswald.de oder anonym über Signal an mlnm.50 senden.
Aktuell gehören unter anderem Leoni Gau, Robert Wallenhauer, Lina Goldschmidt und Konstantin Ochsenreiter zum Team.
Michael Sack (CDU) bleibt Landrat in Vorpommern-Greifswald. Er gewann die Stichwahl gegen Inken Arndt (AfD) deutlich.
Der CDUler Michael Sack ist in der Stichwahl zum Landrat im Landkreis Vorpommern-Greifswald wiedergewählt worden. Er setzte sich mit 61,1 Prozent der Stimmen gegen die AfD-Kandidatin Inken Arndt durch. Die Polit-Newcomerin vom rechten Rand erreichte lediglich 38,9 Prozent.
Mit 45,5 Prozent lag die Wahlbeteiligung der Stichwahl knapp unter der des ersten Wahlgangs (48,3 Prozent). Das vorläufige Endergebnis stand am Wahlabend fest.
Sack bleibt Landrat von Vorpommern-Greifswald
Im Anklamer „Hotel Pommernland“ dürfte die Stimmung gut gewesen sein. Die Anhänger der CDU durften bezeugen, wie der 51-jährige Michael Sack sich eine weitere Amtszeit sichern konnte. Wie der Nordkurier berichtet, habe Sack hervorgehoben, dass das Stimmverhalten in Stadt und Land nahe beieinanderläge – es also keine Spaltung der Gesellschaft bei der Wahl gebe. Auch Parteivorstand Phillip Amthor gratulierte Sack.
Seine Herausforderin Inken Arndt zeigt sich auf Instagram gekränkt: „Die andere Seite hat sich zusammengerottet“. Weiter berichtet der Nordkurier, die AfDlerin habe das Vorgehen als nicht fair und nicht demokratisch empfunden. Ob die westdeutsche Unternehmerin beim nächsten Mal wieder für das Landratsamt in Ostdeutschland kandidieren wird, bleibt derweil offen.
Michael Sack: Wer ist der neue (und alte) Landrat?
Michael Sack wurde 1973 in Demmin geboren. Seine berufliche Laufbahn begann mit einer Ausbildung zum Bauzeichner. Danach studierte er in Weimar und Erfurt, unter anderem Lehramt für Bautechnik und Mathematik. Er war als Berufsschullehrer und zur Unterstützung orientierungsloser Jugendlicher tätig.
Sein Weg in die Politik begann, als ihm Missstände in Loitz auffielen, die er verändern wollte. Nachdem er in der Stadtvertretung zunächst kein Gehör fand, trat er in die CDU ein. Er wurde in die Stadtvertretung gewählt und war Bauausschussvorsitzender, bevor er 2010 Bürgermeister von Loitz wurde und dort bis 2017 kommunalpolitische Erfahrungen sammelte.
Seit 2018 ist er Landrat von Vorpommern-Greifswald. Er gewann die Landratswahl 2018 gegen den AfD-Kandidaten Axel Gerold mit großem Abstand. Bis 2021 war er auch Landesvorsitzender der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. In einem Interview mit Katapult aus 2021, erklärte Sack, er schließe eine Koalition mit der Linken und der AfD aus. Weiter sei er der Ansicht, dass die AfD in den letzten Jahren deutlich nach rechts gerutscht sei. Allerdings verortet er einige Mitglieder, die am Anfang im Wirtschaftflügel der AfD vor der Flüchtlingskrise waren, nicht in der rechten Ecke und befürwortet deren Übertritt zur CDU.
Bildung, Finanzen, Pflege: Was möchte Landrat Michael Sack in Vorpommern-Greifswald verändern?
Nach seiner Wiederwahl stellt Landrat Michael Sack die Finanzen des Landkreises als größte Herausforderung heraus – insbesondere Investitionen in Kreisstraßen, Schulen und soziale Leistungen. In der Bildung fordert er mehr qualifiziertes Personal, auch über Quereinstiege, sowie flexible Lerngruppen. Pflegekräfte sollen entlastet werden, etwa durch eine 30-Stunden-Woche und Fachkräfte aus dem Ausland.
Sack sieht Potenzial in Wasserstoff und anderen erneuerbaren Energien, warnt aber vor überhöhten Erwartungen: MV müsse nicht Vorzeigeland werden – wichtiger sei ein bezahlbarer Strompreis. Beim Klimaschutz orientiere man sich an den Bundeszielen. Auch den Glasfaserausbau will Sack beschleunigen, ohne konkrete Jahreszahl. Die Schuldenbremse verteidigt er als Pflicht gegenüber künftigen Generationen. Beim Thema Landgrabbing verweist er auf bundesrechtliche Zuständigkeit.
Ob Michael Sack seine Ziele erreicht, bleibt abzuwarten – Erik von Malottki prophezeite jedenfalls weiteren „Stillstand“.
Das Ergebnis der Landratswahl bestätigt, was viele vermuteten: Es gibt keine eindeutige Entscheidung. Damit folgt auf die erste Wahl eine Stichwahl. Alle Infos findet ihr hier.
Bei der Landratswahl im Landkreis Vorpommern-Greifswald hat am Sonntag keine*r der drei Kandidierenden die absolute Mehrheit erreicht. Also müssen die Wählerinnen und Wähler am 25. Mai erneut abstimmen. Sicher ist: Sozial wird die neue Leitung nicht. SPD-Politiker Erik von Malottki verpasste den Einzug in die zweite Runde.
Ergebnis der Landratswahl 2025 zeigt: Vorpommern-Greifswald braucht die Stichwahl
Bei der Wahl traten der amtierende Landrat Michael Sack von der CDU, Inken Arndt von der AfD und Erik von Malottki, nominiert von SPD, Linken und Grünen, gegeneinander an. Nach dem vorläufigen Ergebnis konnte Michael Sack die Hauptwahl mit etwa 39,4 Prozent der Stimmen knapp für sich entscheiden. Inken Arndt von der AfD folgte dicht dahinter mit etwa 38 Prozent.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki erhielt im gesamten Landkreis rund 22,6 Prozent der Stimmen und landet damit auf dem dritten Platz. Ein besseres Ergebnis erzielte der Sozialdemokrat in seinem „Heimathafen“ Greifswald, wo er etwa 43,32 Prozent der Stimmen erreichte und vor AfD und CDU lag.
Es folgt die Wahl der Qual: Stichwahl zwischen CDU und AfD
Inken Arndt bedankte sich auf Instagram für die Stimmen, und forderte ihre Wähler*innen auf „Nachbarn“ und „Freunde“ für die Stichwahl zu mobilisieren. Währenddessen dürfte Michael Sack sich bereits auf die Stichwahl vorbereiten. Für den 51-Jährigen ist es nicht das erste Mal in der zweiten Runde. Bereits 2018 stand er einem Kandidaten der AfD gegenüber. In der damaligen Stichwahl erhielt Sack 79,5 Prozent der Stimmen. Ob er jetzt, sieben Jahre später, erneut siegt, zeigt sich in zwei Wochen.
Erik von Malottki wollte den Sieg einer AfD-Kandidatin verhindern. Dieser wäre „fatal“, schrieb der ehemalige Bundestagsabgeordnete bereits in seinem Wahlkampf via Facebook. Aber auch ein „weiter so“ des Amtsinhabers Michael Sack bringe den Landkreis nicht voran. Doch der erhoffte Aufbruch durch den Sozialdemokraten kommt zum Erliegen – bevor er begonnen hat. In der Greifswalder Bürgerschaft hat der 39-Jährige dennoch einen Ort, um mit „klaren Ideen, sozialem Rückgrat und dem Willen, Dinge endlich besser zu machen“.
Landratswahl überrascht durch hohe Beteiligung
Von den insgesamt 196.953 Wahlberechtigten gaben 48,3 Prozent ihre Stimme ab. Dies bedeutet eine deutliche Steigerung der Wahlbeteiligung um 16 Prozent im Vergleich zur letzten Landratswahl. In der Universitätsstadt Greifswald waren mehr als 47.000 Menschen wahlberechtigt, darunter erstmals auch 16- und 17-Jährige.
Die rege Beteiligung zeichnete sich bereits vor dem Wahlsonntag ab, mit über 6.700 beantragten Briefwahlunterlagen, deutlich mehr als im Jahr 2018.
Wie läuft die Stichwahl ab?
Diese rund 7.000 Brief-Wähler*innen erhalten für die Stichwahl automatisch neue Unterlagen, sobald die aktualisierten Stimmzettel vorliegen. Greifswalderinnen und Greifswalder, die im ersten Wahlgang vor Ort gewählt haben, können Briefwahlunterlagen in der Zeit vom 12.05.2025 13:00 Uhr bis 21.05.2025 11:59 Uhr hier online beantragen. Wer den Antrag in einer Gemeindebehörde stellen will, findet die Öffnungszeiten hier unten.
Am 25. Mai werden die Wahllokale erneut von 8:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Wer sich unsicher ist, kann hier sein Wahllokal prüfen. Die Wahlbenachrichtigungsunterlagen bleiben für die Stichwahl gültig.
Das Ringen um Greifswalds politische Zukunft geht damit weiter: Kontinuität durch die CDU oder eine Regression unter AfD-Führung. Die Entscheidung obliegt den Wähler*innen.
Am 11. Mai wird in Vorpommern-Greifswald gewählt: Michael Sack (CDU) stellt sich zur Wiederwahl – ihm gegenüber stehen Inken Arndt (AfD) und Erik von Malottki (SPD).
Am Sonntag steht im Landkreis Vorpommern-Greifswald die Entscheidung an: Wer wird Landrat oder Landrätin? Zur Wahl stellen sich Amtsinhaber Michael Sack (CDU), der Greifswalder Gewerkschafter Erik von Malottki (unterstützt von SPD, Linke und Grünen) sowie die Unternehmerin Inken Arndt (AfD). Sollte keiner der drei im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erzielen, kommt es am 25. Mai zur Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Bewerber*innen.
Allein in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald sind 47.101 Menschen wahlberechtigt – darunter auch 16- und 17-Jährige. Schon jetzt zeigt sich: Das Interesse an der Briefwahl ist bereits jetzt hoch. Tausende haben schon abgestimmt oder Unterlagen beantragt. Auch in den Wahllokalen vor Ort stehen wichtige Änderungen bevor.
Was bedeutet die Landratswahl für Greifswald?
Die Landrätin oder der Landrat gestaltet zentrale Bereiche wie Schulentwicklung, Wirtschaftsförderung und ÖPNV maßgeblich mit – Themen, die den Alltag der Greifswalder Bürger*innen also direkt betreffen. Katapult MV hakte bei den Kandidierenden nach: Wie sehen sie den Landkreis und was sind ihre Pläne?
Michael Sack(CDU) will am liebsten weitermachen: Der frühere CDU-Landeschef versteht sich als Manager und Repräsentant des Landkreises. Er setzt auf Kontinuität: Es müssen Projekte abgeschlossen, die Digitalisierung vorangetrieben, der ÖPNV reformiert, die Gesundheitsversorgung gesichert und neuer Wohnraum geschaffen werden. Um Fachkräfte zu binden, plant der 51-Jährige unter anderem eine neue Berufsschule in Greifswald und mehr Kooperationen mit der Uni.
Erikvon Malottki (SPD) war bis 2025 Bundestagsabgeordneter und kritisierte Stillstand im Landkreis. Er fordert Investitionen in Bildung, Jugend und Infrastruktur. Rechtsextremen Tendenzen will er offensiv entgegentreten. Bürgerbüros, mehrsprachige Formulare und echte Beteiligung sollen die Verwaltung zukünftig bürgernäher machen. Junge Menschen sollen durch gute Jobs, Familienfreundlichkeit und Weltoffenheit von einem Verbleib in der Region überzeugt werden.
Inken Arndt (AfD) äußerte sich laut Katapult MV auch auf mehrfache Nachfrage nicht. Gegenüber dem NDR erklärte die Unternehmerin deutlich, sie wolle unter anderem den Ausbau von Windkraft in Vorpommern-Greifswald stoppen. Hinsichtlich erneuerbarer Energien, sehe sie sich lieber erst einmal an, wie sich das in anderen Ländern entwickle und welche Erfahrungen diese machen würden.
Hohe Beteiligung erwartet: Briefwahl übertrifft bereits 2018
Schon 6.722 Personen haben ihre Stimme per Briefwahl beantragt – deutlich mehr als bei der letzten Wahl 2018 (4.435). Davon haben bis zum 6. Mai bereits 1.431 Menschen direkt im Briefwahlbüro gewählt. Noch bis Freitag, 9. Mai, 12:00 Uhr ist dies im Verwaltungsgebäude Am Tierpark möglich.
Wer per Post abstimmen will, sollte darauf achten: Der Wahlbrief muss bis spätestens Sonntag, 11. Mai, 18:00 Uhr in den richtigen Briefkasten gelangt sein – etwa beim Rathaus oder Stadthaus.
Die Stadt plant auch schon für den möglichen zweiten Wahlgang: Rund 7.000 Personen erhalten automatisch auch Unterlagen für eine eventuelle Stichwahl. Die Auslieferung beginnt, sobald die neuen Stimmzettel eintreffen. Auch 400 Wahlhelfer*iinnen stehen bereit – doch es werden weiterhin zusätzliche Freiwillige gesucht, um Engpässe zu vermeiden.
Alle Infos zur Wahl: Wo finde ich mein Wahllokal?
Die Wahllokale sind am Sonntag von 8:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Die jeweilige Adresse steht auf der Wahlbenachrichtigung, die nicht abgegeben werden muss – auch nicht für die Stichwahl.
Achtung: In einigen Wahlbezirken haben sich die Orte geändert. So wird zum Beispiel im Wahlbezirk 081 nun im Regionalen Bildungszentrum (Hans-Beimler-Str. 7) statt im DRK-Servicehaus gewählt. Auch in anderen Bezirken wie 062, 074 oder 075 gibt es neue – teils barrierefreie – Räume.
Wer sich unsicher ist, kann hier sein Wahllokal prüfen. Die Auszählung der Stimmen ist öffentlich. Ab 18:00 Uhr werden hier die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht. Wer besonders an dem Greifswalder Ergebnis interessiert ist, wird hier fündig.
Mehr als eine Wahl – Ein Seismograph für Greifswalds Zukunft
Bei drei aussichtsreichen Kandidat*innen ist eine Stichwahl wahrscheinlich – nicht zuletzt wegen der nötigen absoluten Mehrheit. Spätestens dann zeigt sich, welche zwei Namen am stärksten überzeugen konnten.
Die Wahl wird so zur Weichenstellung für die politische Zukunft in Vorpommern-Greifswald. Sie wird weniger zur Personalentscheidung, mehr zu einem Stimmungsbarometer: Wie stark sind die Parteien im ländlichen Raum? Wie gelingt es, junge Wähler*innen ab 16 zu mobilisieren? Und wird sich die neue Einstufung der AfD als rechtsextreme Partei auf das Wahlverhalten auswirken?
Klar ist: Diese Wahl verspricht Spannung bis zum Schluss – und wird zeigen, wer das Vertrauen einer zunehmend politisierten Bevölkerung gewinnt.
Beitragsbild: Simon Voigt/ Konstantin Ochsenreiter/ webmoritz. (montage)
Hier könnt ihr das aktuelle Video von moritz.tv sehen.
Beim Abspielen des Videos werden personenbezogene Daten zu YouTube übertragen. Weitere Informationen findest du in unseren Datenschutzhinweisen (Datenschutzerklärung | webmoritz.).