Am 21. Oktober wurde Frau Prof. Dr. Katharina Riedel vom erweiterten Senat zur neuen Rektorin der Universität Greifswald gewählt. Damit löst sie im kommenden Frühjahr Frau Prof. Dr. Johanna Eleonore Weber ab. Bisher war die Lehrstuhlinhaberin der Mikrobiologie schon als Prorektorin an der Uni aktiv. Die moritz.medien haben Frau Riedel zum Interview gebeten und mit ihr über Greifswald, die Herausforderungen und Ziele im neuen Amt und Frauen in höheren Positionen an der Uni gesprochen. Das Interview findet ihr übrigens auch im Videoformat bei moritz.tv.
moritz.medien: Also erst mal danke, dass das geklappt hat. Vielleicht als kleine Frage zum Einstieg: Wie lange leben Sie schon in Greifswald und wie sind Sie dazu gekommen hierher zu ziehen?
Riedel: Ich bin jetzt seit 2017 hier an der Universität Greifswald. Ich habe mich in dem Gebiet „Microbial Proteomics“ qualifiziert, und es wurde in Greifswald dann genau in diesem Fachgebiet eine Stelle frei, eine W3-Professur. Ich war lange Zeit in der Schweiz, bin dann von dort aus als W2-Professorin nach Braunschweig gekommen und dann gab’s quasi nach einem halben Jahr diese Ausschreibung hier, die mich einfach gereizt hat, weil es sowohl von der Infrastruktur sehr sehr spannend war als auch thematisch – ja, das hat mich nach Greifswald geführt (lacht).
moritz.medien: Wie würden Sie Greifswald einer Person beschreiben, die noch nie hier war? Was macht Greifswald für Sie aus?
Riedel: Es ist eine kleine und überschaubare Stadt, mit viel Historie. Was mich sehr begeistert, ist, dass es eine sehr junge Stadt ist. Also durch die vielen Studierenden, durch die vielen jungen Eltern, die man auch im Stadtbild sieht, ist das eine Stadt, die lebt und insofern für mich genau die richtige Größe. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, hab auch lang in Großstädten gewohnt, aber merke, dass mir dieses Kleinstädtische durchaus sehr gut gefällt.
moritz.medien: Was hat Sie dazu bewegt, für das Amt als Rektorin zu kandidieren?
Riedel: Ich bin ja nun seit dreieinhalb Jahren Prorektorin und hab da gemerkt, dass man einfach viel bewegen kann in der Hochschulpolitik. Als Wissenschaftlerin hat man einen ganz begrenzten Bereich; das ist natürlich auch sehr spannend und ich werde das, glaub ich, auch ein bisschen vermissen, aber durch dieses Amt als Prorektorin hab ich meinen Horizont nochmal erweitern können. Ich hab auch andere Fächerkulturen kennengelernt, hab einfach gesehen, wie viel man in dieser Position bewegen kann und daran hab ich so viel Freude gewonnen, dass ich dann überlegt habe, den Weg weiterzugehen. Es gab einige Anfragen von außerhalb; andere Universitäten suchen ja auch nach potentiellen Kandidat*innen, vor allem für Rektorate und Präsidien. Dann gab’s einige Head-Hunting-Firmen, die auch mich angefragt hatten, und da fing ich dann an, drüber nachzudenken, ob ich mir das nicht für längere Zeit vorstellen könne und dachte, ich will eigentlich nicht weggehen. Nachdem Frau Weber ja nun im April ausscheidet, war das dann die Motivation, mich auf dieses Amt als Rektorin zu bewerben.
moritz.medien: Sie hatten es gerade kurz angeschnitten, wir würden da gerne noch mal ein bisschen näher drauf eingehen: Was, glauben Sie, wird Ihnen am meisten und was am wenigsten aus der Lehre fehlen?
Riedel: Einfach der Kontakt zu den Studierenden, der Austausch. Ich meine, ich werde auch als Rektorin hoffentlich Kontakt zu Studierenden haben (lacht), aber der fachliche Kontakt zu Studierenden, das ist etwas, was mir schon abgehen wird. Auch die direkte Möglichkeit, den Nachwuchs im Bereich der Wissenschaft zu fördern. Also zum einen natürlich einfach die Ausbildung, die Leute für die Mikrobiologie zu begeistern, was ja nun mal mein Fachgebiet ist. Aber zum anderen auch im Bereich Promotionszeit, dass man da eben Leute auf eine gute akademische Laufbahn vorbereitet. Das sind natürlich Dinge, die kann ich im Rektorat in der Form dann nicht mehr tun.
moritz.medien: Und welcher Teil aus dem Lehrbereich würde Ihnen am wenigsten fehlen?
Riedel: Dieses ganze Administrative, muss ich ganz ehrlich sagen (lacht). Also, ich mein, da wird sich spätestens auch mit der Digitalisierung viel ändern, aber dieses Eintragen von Noten oder der Prüfungsergebnisse – also das sind alles Dinge, das macht glaube ich keiner besonders gerne, das wird mir sicher nicht fehlen.
moritz.medien: Frauen sind sowohl in der medizinischen als auch in der naturwissenschaftlichen Forschung sowie auch in der Leitung von Universitäten noch unterrepräsentiert. In Deutschland haben wir ungefähr 107 Universitäten, davon sind gerade einmal 22 Frauen im Rektorat. Wie stehen Sie dazu?
Riedel: Ja, das ist eine Tatsache, die wir ändern müssen. Ich war früher eigentlich kein Fan von der Quote, aber ich hab gesehen, dass wir, wenn irgendwas passieren soll, tatsächlich mehr dahinter sein müssen, dass eben Frauen von unten nachwachsen können. Das Problem ist ja nicht, dass wir nicht genügend Frauen hätten, die mit dem Studium beginnen oder dann noch eine Promotion beginnen und abschließen – dann kommt der Bruch und das heißt, an der Stelle müssen wir eigentlich dafür sorgen, dass unser wissenschaftlicher Nachwuchs nicht auf der halben Strecke aufgibt, sondern weitermacht. Und ich denke, je mehr Frauen dann auch als Professorinnen an Universitäten tätig sind, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch die Funktion als Rektorin einnehmen. Klar würde ich jetzt nicht explizit eine Quote einführen, das soll eine Person sein, die gewählt wird. Aber wenn sich einfach die Basis verbreitert, dann kommt das ganz automatisch, dass mehr Frauen in solche Ämter gewählt werden.
moritz.medien: Haben Sie für Ihre Amtszeit bereits Strategien, um den Frauenanteil in Professuren oder Schlüsselpositionen zu erhöhen?
Riedel: Das eine ist die ganz gezielte Rekrutierung von Frauen. Das wird ja jetzt schon angestrebt, es wird nur zum Teil nicht so wirklich konsequent umgesetzt. Das heißt, dass man da einfach drauf achtet, dass bei jedem Berufungsverfahren auch geeignete Frauen persönlich angesprochen werden, dass man das auch dokumentieren muss, dass man das getan hat. Wenn man dann keine findet, kann man natürlich nichts erzwingen, aber das ist auf jeden Fall schon mal eine Möglichkeit, wirklich konsequenter bei den Besetzungen drauf zu achten, dass Frauen zum Zug kommen können.
Das andere ist natürlich einfach auch, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Frauen Familie und den Beruf vereinbaren können. Wobei, das gilt nicht nur für junge Frauen, sondern natürlich auch für junge Männer, die beispielsweise in Elternzeit gehen. Das heißt also, das Thema Familienfreundlichkeit ist, glaube ich, ein ganz großes Thema, was wir hier an der Universität konsequent weiterführen müssen. Dass man auf familienfreundliche Veranstaltungszeiten achtet, dass die Gremien eben nicht abends tagen, sondern tagsüber, dass wir für Entlastung im Bereich der Kinderbetreuung sorgen. Es sind viele kleine Maßnahmen, die dazu beitragen.
moritz.medien: Wollen Sie eigentlich das Türschild austauschen lassen?
Riedel: Sie nehmen Bezug auf das „Rektor“…? Das wird wahrscheinlich noch Frau Weber tun (lacht). Also wir haben schon darüber gesprochen, und Sie meinte „Rektorin“ wäre schwierig, es wird dann wohl „Rektorat“ dort stehen, was dann einfach übertragen ist, glaube ich. Sonst wird’s mühsam, wenn wir das jedes Mal, wenn jemand gewählt wird, der ein anderes Geschlecht hat, dann wieder umändern müssen. Aber das ist sicherlich etwas, was Frau Weber lange machen wollte und jetzt noch umsetzten wird (lacht).
moritz.medien: Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Aufgabe als Rektorin der Universität Greifswald?
Riedel: Das eine ist natürlich, die Universität nach außen entsprechend zu vertreten. Also die Interessen der Universität zum Beispiel gegenüber dem Land, gegenüber der Politik durchzusetzen. Und das andere ist, die Universität in eine – auch unter diesen jetzt im Moment ja verschärften Rahmenbedingungen – gute Zukunft zu führen. Also dafür zu sorgen, dass wir uns im Bereich Digitalisierung weiterentwickeln. Ein Bereich, der mir auch sehr wichtig ist, ist Kommunikation und Partizipation. Also, dass wir Entscheidungsprozesse gemeinsam gestalten. Irgendjemand muss zum Schluss entscheiden, aber dass man von Anfang an die verschiedenen Statusgruppen, die verschiedenen Fachbereiche mit ins Boot holt. Das sind so die Baustellen, die ich im Moment sehe, die ich jetzt in dieser ersten Amtsperiode ganz gezielt angehen möchte.
moritz.medien: Was, glauben Sie, was wird davon Ihre größte Herausforderung sein?
Riedel: Es gibt sicherlich Widerstände, beispielsweise bei der Umsetzung des studentischen Prorektorats, weil einfach noch keine Erfahrungen mit dieser Konstellation gemacht worden sind. Ich hab jetzt in vielen Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen gemerkt, dass da eine gewisse Skepsis vorherrscht. Und die Überzeugungsarbeit zu leisten, dass eben alle Statusgruppen auch mit in der universitären Führung vertreten sein sollen, das gilt für die Studierenden, das gilt aber auch für die Mitarbeitenden, die wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Ich glaube, das wird zunächst einmal eine Herausforderung sein, die noch vor meinem Amtsantritt auf mich zukommt. Und ich hoffe sehr, dass wir dann im April soweit sind, dass wir mit dem von mir präferierten Team wirklich loslegen können.
moritz.medien: Worauf freuen Sie sich am meisten?
Riedel: Auf die Gestaltungsspielräume, die ich dann habe. Ich denke, das ist einfach nochmal ungleich mehr als jetzt als Prorektorin. Auf den Austausch mit allen Statusgruppen. Ja, und – Repräsentation ist ja auch ein Teil dieses Jobs – auch auf die Kontakte zur Stadt, zur Politik, zum Umland. Das sind Dinge, worauf ich mich wirklich freue, weil ich glaube, dass wir da auch noch viel bewegen können.
moritz.medien: Konkret in Bezug auf die Studierendenschaft: Welche Ziele verfolgen Sie da?
Riedel: Wie gesagt, das erste ist, das studentische Prorektorat zu etablieren. Hier geht es mir eigentlich vor allem darum, dass wir die Perspektiven der Studierenden eben von Anfang an in die Entscheidungsprozesse miteinbeziehen, dass die Studierenden sich wirklich von Beginn an auch in den Bereichen engagieren können, die für sie wichtig sind. Das ist natürlich zum einen der Input in die Lehre, dann gibt’s aber auch die ganzen sozialpolitischen Bereiche, ob es jetzt Personalentwicklung, Internationalisierung, Kommunikation ist. Ich glaube, da gibt’s viele interessante Ideen, die aus der Studierendenschaft kommen.
Insgesamt liegt mir am Herzen, die Kommunikation zu verbessern. Mein Eindruck ist, dass es auch bei den Studierenden vielleicht nicht immer ganz optimal läuft und dass es auch da natürlich unterschiedliche Gruppen gibt, die vielleicht nicht immer so im Austausch miteinander stehen, wie sie es tun sollten. Und da ist eben die Hoffnung, dass über dieses Prorektorat, wenn eine Person die Aufgabe bekommt, Dinge auch aus der Universitätsleitung wirklich an alle weiterzugeben, das dann besser funktioniert.
moritz.medien: Die Pandemie hat unser Campusleben ja drastisch verändert. Wie stehen Sie zur digitalen Lehre? Und wie zufrieden sind Sie mit der digitalen Lehre aus dem letzten Semester?
Riedel: Grundsätzlich ist digitale Lehre ja etwas Spannendes und Gutes. Im ersten Semester hat es natürlich eine Weile gedauert, bis sich alles eingespielt hat, aber wir haben ja dann gesehen, dass gerade zum Beispiel digitale Vorlesungen durchaus auf Gegenliebe bei den Studierenden stoßen. Ich habe von vielen gehört, dass sogar mehr Leute an den Vorlesungen digital teilnehmen, als wenn sie in Präsenz stattfinden würden.
Wir haben aber dann auch gelernt, dass viele Veranstaltungen in digitaler Form nicht umsetzbar sind. Wenn man zum Beispiel an Seminare oder an Praktika denkt – da müssen wir Lösungen finden und ich glaube, da sind wir jetzt auch bereits dabei, Lösungsansätze zu etablieren, die eben dann auch erlauben, diese Präsenzveranstaltungen durchzuführen.
Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass wir diese ganzen positiven Aspekte der digitalen Lehre mitnehmen, dass wir zukünftig eben zu einer gesunden Mischung aus beidem kommen. Ich glaube, das ist für die Studierenden attraktiv, einerseits die Präsenzlehre zu haben und zum anderen aber auch die Möglichkeit zu haben, beispielsweise mal von Zuhause aus an Veranstaltungen teilzunehmen. Also, ich sag mal, das beste aus beiden Welten einfach mit in die Zukunft zu tragen.
moritz.medien: Und als abschließende Frage: Gibt es etwas, was Sie den Studierenden mit auf den Weg geben wollen?
Riedel: Ja, im Moment einfach zu akzeptieren, dass die Situation ist, wie sie ist. Das ist für alle, glaube ich, sehr sehr schwer, aber wir werden natürlich alles tun, um den Studierenden zu ermöglichen, ihre Abschlüsse rechtzeitig zu machen und auch ein halbwegs normales Studium durchzuführen. Aber man muss sich einfach im Klaren sein, dass wir im Moment weitab von der Normalität sind. Und ich glaube, wenn man so ein bisschen versucht, seinen Frieden mit der Situation zu schließen, können wir das auch alle gemeinsam ganz gut durchstehen.
moritz.medien: Dankeschön, das war‘s auch schon!
Riedel: Na, das war ja kurz und schmerzlos (lacht).
Was geht eigentlich ab in Greifswald? In der web.woche geben wir euch eine Übersicht über die kommenden Veranstaltungen in und um unsere Studierendenstadt. Hier findet ihr Termine, Infos und Neuigkeiten, von Politik und Region, über Universität und Wissenschaft bis hin zu Kultur und Sport.
Bis zum 08. Dezember können noch Wahlvorschläge für die Gremienwahlen eingereicht werden. Wenn ihr euch also für eure Fachschaft oder die Hochschulpolitik engagieren wollt, dann nutzt die Chance für die kommende Legislatur!
Mit Frau Prof. Dr. Riedel als neue Rektorin wird es in Greifswald künftig auch das Amt eines studentischen Prorektorats geben! Die studentischen Senator*innen haben dafür eine offene Ausschreibung an die Studierendenschaft gerichtet. Näheres findet ihr in eurem Mail-Account.
Die Uni hat den mit 500 € dotiertenNachhaltigkeitspreis 2020 an Johanna Braun für ihre Masterarbeit mit dem Titel „Sustaining Global Food Supply within the Planetary Boundary for Freshwater Use – A quantitative Analysis on the Potentials of Dietary Changes“ im Fach Umweltwissenschaften verliehen.
Auf Vorschläge aus der Studierendenschaft hat die Uni wieder drei Preise an Dozierende für „hervorragende Lehre“ vergeben. Ausgezeichnet wurden Prof. Dr. Joachim Lege (Rechtswissenschaften), apl. Prof. Dr. Heiko Hüneke (Geologie) und Prof. Dr. Mladen V. Tzvetkov (Pharmakologie).
Dieses Jahr wurden von der Uni Sonderpreise für Engagement in der digitalen Lehre an Dr. Margitta Kuty (Anglistik und Amerikanistik) und Dr. Jana Kiesendahl (Digitalisierung in der Hochschullehre) vergeben.
DerPreis für die Käthe-Kluth-Nachwuchsgruppe 2020 wurde an Juniorprofessorin Dr. Paula Prenzel, Inhaberin des Lehrstuhls Regionalentwicklung am Institut für Geographie und Geologie, für ihr Forschungskonzept „Bevölkerungsstruktur in der Regionalentwicklung“ vergeben.
Das Onkologische Zentrum Vorpommern der Universitätsmedizin Greifswald hat eine neue Leitung. Prof. Stephanhatte schon Anfang Oktober die Leitung der Chirurgischen Klinik übernommen und nimmt nun auch die Leitung des Onkologischen Zentrums ein. Damit löst er in beiden Positionen Prof. Claus-Dieter Heidecke ab, der nun in den Ruhestand geht.
Die Greifswalder Professorin Dr. Maria-Theresia Schafmeister ist neues Mitglied des Nationalen Begleitgremiums für die Endlagersuche. Aufgabe des Gremiums ist die Suche eines Endlagers für radioaktive Abfälle, die in Deutschland verursacht wurden.
Vom 23. bis zum 30. November findet die Aktionswoche „Cities for Life“ Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafestatt. Nicht nur der Dom wird ab 18 Uhr in ein blaues Licht gehüllt, es können auch von Freitag bis Montag jeweils um 17 Uhr thematisch passende Kurzfilme vor dem Dom bestaunt werden. Am Montag, den 30. November, findet zudem um 12 Uhr ein Friedensgebet statt.
Das StuThewagt ein Experiment und sucht noch Interessierte für sein neues Projekt online://Theater. Anmelden könnt ihr euch unter online@stuthe.de.
Noch etwas? Das Thema wird #BoykottBlackFriday sein. Weitere Infos für euch gibt’s hier!
Wir haben ein wichtiges Event in dieser Woche vergessen? Ihr habt noch einen heißen Tipp für die nächste Woche? Schreibt uns einen Kommentar oder eine Nachricht, wenn ihr etwas zur web.woche beisteuern wollt!
Wenn wir einen Film zu Ende geschaut haben, behalten wir immer so ein „gewisses“ Gefühl in uns. Schließlich haben wir uns mindestens 90 Minuten lang nur auf das Geschehen auf dem Bildschirmkonzentriert (oft länger als bei Online-Vorlesungen!). Manchmal sind wir am Ende des Films traurig, weil die Superheldin überraschend gestorben ist, oder erfreut, weil das Liebespaar zum Schluss – nicht ganz so überraschend – heiratet. Wir denken über das Geschehene nach und reden mit unseren Freund*innen darüber. Vielleicht bringt der Film uns dazu, unsere eigenen Gedanken und Vorstellungen zu hinterfragen oder er erinnert uns an Vergangenes. Das müssen jedoch nicht immer positive Erinnerungen sein. Und genau darauf möchte ich in diesem Kommentar eingehen: Wenn vergessen wird, was Erzählungen bei Menschen auslösen können und verpasst wird, Maßnahmen zu ergreifen, die genau das verhindern könnten.
„Na und? Es ist doch nur ein Film. Mach es doch nicht schlimmer als es ist! Man kann es auch wirklich übertreiben!“ Ein Freund und ich diskutieren über den umstrittenen Film „365 Tage“. Seine Aussage hat mich dazu bewogen, diesen Artikel zu schreiben. Denn seinen Kommentar kann und will ich nicht so stehen lassen, wenn es wie in diesem Fall um die starke Romantisierung eines Gewaltverbrechens in einem Erotik-Film geht. Beziehungsweise wenn Filme und Serien keinen Warnhinweis geben, dass gewaltverherrlichende Szenen, Darstellungen von Drogenmissbrauch oder Suizid gezeigt werden, die Menschen verstören oder triggern könnten. Natürlich ist es bei manchen Filmen und Serien absehbar, um was es gehen wird. Man kann es im Trailer oder in der Kurzbeschreibung erahnen. Meistens sind diese (natürlich auch, um nichts Wichtiges zu spoilern) aber sehr vage formuliert, wodurch man oft auf das Folgende nicht gut vorbereitet ist. So ist es auch mir bei dem Film „365 Tage“ ergangen. Der Film war monatelang in den Top 10 Charts auf Netflix. „Ein ‚Fifty-Shades of Grey‘-Abklatsch‘ „, dachte ich. „Okay… könnte man sich ja mal anschauen“, entschieden meine beste Freundin und ich. Vielleicht wird es trashig und kann uns von dem öden Corona-Alltag ablenken.
Tja, in welches Genre soll man den Film einordnen, den ich hier ins Visier nehme? Softporn und/oder Trash? Für Netflix ist es ein Drama. Das Genre „Drama“ ist natürlich sehr weit gefächert. Hier ein kurzer Überblick, für alle, die den Film nicht gesehen haben (das ist auch völlig unnötig!). Ich zitiere Netflix‘ Filmbeschreibung: „Eine Frau fällt einem dominanten Mafiaboss zum Opfer, der sie einsperrt und ihr ein Jahr Zeit gibt, sich in ihn zu verlieben.“ Hmmm… Er sperrt sie ein. Kann aber nicht so schlimm sein, schließlich befindet sich schon im Nebensatz das Zauberwort „Liebe“. Und schon lasse ich mich in den Bann des Filmes ziehen.
Und bin dann ganz, ganz schnell wieder in der Realität angelangt: Dieser zuvor benannte Mafiaboss ist Massimo. Massimo ist sehr gutaussehend und sehr reich. Die sehr hübsche Laura wird von Massimo entführt, gegen ihren Willen festgehalten, erpresst und sexuell missbraucht. Dennoch verliebt sie sich in den sehr gutaussehenden und sehr reichen Massimo. Der Film lässt stark vermuten, dass Laura im Laufe der Handlungsgeschichte das Stockholm-Syndrom entwickelt. Meiner Meinung nach wäre ein Warnhinweis für diesen Film das mindeste, was Netflix zum Schutz der Zuschauer*innen tun müsste.
Der Film ist gewaltverherrlichend und nimmt dadurch keine Vorbildfunktion ein. Unter anderem entstand durch den Film der Tik-Tok-Trend, wie man sich und andere am besten fesseln kann und die gefährliche Ansicht unter Mädchen und Frauen, dass es romantisch sei, blaue Flecken von seinem Freund zu haben. Ob diese blauen Flecken eventuell gefakt sind, sei mal dahingestellt.
Trotz des Aufschreis in den Medien und Petitionen, den Film zu löschen, wurde klar, dass Netflix den erfolgreichen Film nicht von der Plattform herunternehmen würde. Es soll noch zu zwei Fortsetzungen des Filmes kommen. Wie diese ausschauen, kann sich ja wohl jede*r denken: Hochzeit, Kinder, Laura wird noch zweimal weggesperrt, Massimo hat eine Nahtoderfahrung und wird der hingebungsvollste Ehemann und Vater, den wir uns vorstellen können. Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu viel gespoilert.
Auch die Serie „Tote Mädchen lügen nicht“, war vor einiger Zeit in den Medien ein Thema, da in der Serie Suizid glorifiziert wird. Nach großer Kritik gibt es inzwischen seit geraumer Zeit einen Warnhinweis vor Beginn der Folgen. Warum gibt es so etwas sonst nicht für mehr Filme und Serien? Unter anderem für den Film „365 Tage“?
Dass Netflix mittlerweile aus Skandalen profitiert, merkt man z.B. auch an dem Film „Cuties“. Das Problem hier ist ein Poster gewesen, auf dem Mädchen in freizügigen Outfits aufreizend posieren. Die Mädchen sind 11 Jahre alt. Man mag zu dem Film stehen, wie man will, aber den Skandal, den diese Poster mit sich brachten, hatte Netflix höchstwahrscheinlich einkalkuliert. Immerhin wurden diese Poster wieder aus der Öffentlichkeit entfernt.
Aber es geht nicht nur um eingeplante Skandale oder darum, dass ein Warnhinweis für den Film „365 Tage“ angebracht wäre. Es geht auch darum, dass mich der Film veranlasst hat, zu hinterfragen, welche Rolle die Legitimierung von (mindestens) fragwürdigen Handlungen durch Reichtum und gutes Aussehen in Filmen und Serien spielt. Würde man sich vorstellen, dass Massimo nicht gutaussehend und nicht reich wäre, wäre für alle sofort klar gewesen, das es sich um eine Entführung und um Missbrauch von Laura handelt. Warum hinterfragen das einige nicht, nur weil jemand attraktiv ist? Insbesondere dieser Film trägt dazu bei, dass den Zuschauer*innen vermittelt wird: „Wenn du gut aussiehst und reich bist, kannst du dir alles erlauben.“ Ohne jegliche oder zumindest allzu harte Konsequenzen. Auch in der Netflix-Serie „You“ wird ein gutaussehender Stalker als der perfekte Freund inszeniert und man nimmt ihm als Zuschauer*in seine begangenen Verbrechen weniger übel, als wenn es ein durchschnittlich aussehender Mann getan hätte.
Streaming-Anbieter scheinen nicht erkennen zu wollen oder sogar in Kauf zu nehmen, dass, auch wenn es sich nur um eine 10-Sekunden-Szene handeln mag, die zum Beispiel sexuelle Gewalt zeigt, dieser kurze Ausschnitt bei manchen Menschen bereits traumatische Erinnerungen hervorrufen kann. Vielleicht betrifft das nicht die Mehrheit der Personen, die solche Filme oder Serien schauen, dennoch sollte man gerade auf diese Einzelnen besonders achten.
Die Lange Straße ist wie leergefegt, und das an einem ganz normalen Wochentagsnachmittag. Unter Beachtung strenger Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln sieht man noch den ein oder anderen dick eingemummelten Schatten in ein Geschäft hinein huschen. Die Restaurants, Cafés und Bars aber mussten schließen (verständlicherweise bei einem Inzidenzwert von mittlerweile 74,7), und das macht sich auf unseren Straßen bemerkbar. Wo es sich allerdings nicht bemerkbar machen muss, ist in unseren Bäuchen und, noch viel wichtiger, in den Kassen der lokalen Gastronomien.
Wie bereits zum ersten kleinen Lockdown im April hat die Greifswald Marketing GmbH gemeinsam mit der Pressestelle der Stadt eine Kampagne (zurück) ins Leben gerufen, die unsere lokale Wirtschaft stärken soll. Denn vor allem die kleinen und mittleren Betriebe sind auf den Verkauf ihrer Produkte angewiesen, um zu überleben. Der Hashtag #greifswaldisstzuhause soll dabei helfen, auf das noch immer bestehende Angebot von Restaurants, Cafés und Co. aufmerksam zu machen. Seit dem Ausruf des zweiten Lockdown lights am 04.11. sind Gastronomiebetriebe aus Greifswald wieder dazu eingeladen, ihre Tagesangebote, Wochenmenüs oder Auslieferungsbedingungen auf Instagram und Facebook unter dem Hashtag zu teilen. Außerdem werden auf der offiziellen Website die teilnehmenden Einrichtungen gesammelt aufgelistet, inklusive ihrer jeweiligen Lieferzeiten und eines Links zu ihrem Menü. 28 Betriebe sind hier bereits vertreten, aber die Liste ist noch nicht ausgeschöpft. In einer Pressemitteilung ruft die Pressestelle dazu auf, sich an die Greifswald Marketing GmbH zu wenden, wenn ihr ebenfalls auf der Seite mit aufgenommen werden wollt (Adresse: presse@greifswald-marketing.de).
Wer also gerne etwas für die Greifswalder Gastronomie tun möchte, stöbert am besten einmal durch den Hashtag #greifswaldisstzuhause auf Instagram und klickt sich durch die verschiedenen Beiträge. Der Hashtag #greifswaldkauftzuhause, der ebenfalls im April eingeführt wurde, hat bisher zwar noch keine Renaissance in einer eigenen Website erfahren, auf Instagram werdet ihr aber auch hier fündig. So hat zum Beispiel erst vor 4 Tagen das Papierhaus Hartmann in einem Post unter dem Hashtag auf den Greifswald-Gutschein aufmerksam gemacht: Eine weitere Möglichkeit, um die lokalen Betriebe zu unterstützen. Mit einem kleinen Betrag von 10 Euro könnt ihr durch den Gutschein die insgesamt über 70 teilnehmenden Geschäfte, Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen unterstützen und euch vielleicht jetzt schon einmal auf die Zeit freuen, wenn ihr ihn irgendwann in einem ausgiebigen Shoppingtrip mit anschließendem Restaurantbesuch einlösen könnt.
Keine Sorge, das hier ist keine neue Politik-Reihe, im Gegenteil. Aber in der aktuellen Situation, in der das Demonstrationsrecht leider vielerorts missbraucht wird, um Unwahrheiten und Hass zu verbreiten, ist es an der Zeit, dem Wort „Demo“ wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Und zwar mit guter Musik.
Demos sind so viel mehr als Infektionshotspots oder Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker*innen. Eigentlich sind sie ursprünglich eine Möglichkeit zur Präsentation und zur Teilhabe am Entwicklungsprozess neuer Ideen. Und genau deshalb ist es so passend, dass der Begriff „Demo“ im Englischen auch einen zentralen Platz in der Musikproduktion gefunden hat. „Demo Tapes“ waren die Tonbandaufnahmen, auf denen Künstler*innen ihre Ideen für neue Songs festhielten, um sie an Plattenfirmen zu schicken. Die Labels mussten dann entscheiden, ob sie den Song im Studio produzieren lassen wollten oder nicht. Das klingt erstmal trivial, bedeutet aber, dass von diesen Tapes abhing, ob ein Song den Weg vom Konzept zur fertigen Aufnahme im Laden beschreiten konnte. Ganze Karrieren hingen so statt am seidenen Faden am schwarzen Tonband und wer weiß, wie Popmusik heute klingen würde, wenn sich einflussreiche Labels damals anders entschieden hätten. Die Tonbänder sind inzwischen natürlich längst von der Bildfläche verschwunden, aber das Grundprinzip hat sich gehalten: Demoaufnahmen sind weiterhin ein wesentlicher Bestandteil im Entstehungsprozess vieler Songs und es lohnt sich, sie genauer unter die Lupe zu nehmen! Oft ermöglichen sie einen tieferen Einblick in die Ideen und Emotionen, die die Künstler*innen beim Schreiben eines Songs ursprünglich vermitteln wollten und sie bieten eine schöne Gelegenheit, Lieblingslieder und -alben noch einmal intensiver und mit erfahreneren Ohren kennenzulernen und so vielleicht eine alte Liebe neu zu entfachen.
So ist es mir zum Beispiel ist es vor einiger Zeit mit dem Album „Transatlanticism“ von „Death Cab for Cutie“ ergangen. Den meisten von euch dürfte die Indie-Band aus Washington aus der Fernsehserie „How I met your mother“ bekannt sein, für die sie den Song „Soul Meets Body“ beigesteuert haben. „Fernsehtauglich“ ist daher wohl auch eine recht passende Beschreibung für den Klang der Band und das ist gar nicht negativ gemeint, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht so wirken mag. Die Melodien der Stücke sind sehr eingängig und schlicht, aber gleichzeitig intensiv und mitreißend, weshalb sich die Lieder gut eignen, um Filme oder Fernsehserien damit zu untermalen. Die passende Szene schwingt in den Songs oftmals musikalisch sowieso schon mit und die eleganten Texte geben den Liedern zusätzlich die inhaltliche Tiefe. Wer Angst vor harten Gitarrenriffs und Schlagzeugsoli haben sollte, kann sich also beruhigt fühlen, das Album einschalten, entspannen und genießen. „Transatlanticism“ habe ich für den Start der Review-Reihe aus gegebenem Anlass ausgewählt, denn im Kontext der US-Präsidentschaftswahl, während der wir von Europa aus wieder einmal gebannt und sorgenvoll über den großen Teich blicken, erscheint der Titel des 2003 erschienenen Albums aktueller denn je. Das war eine Erkenntnis, die mir erst beim Schreiben dieser Liebeserklärung gekommen ist, sich aber wie ein roter Faden durch das gesamte Album zieht: Obwohl die Lieder melancholisch und größtenteils rückblickend geschrieben sind, präsentieren sie Themen und Texte, die so zeitlos und umfassend sind, dass sie sich auf quasi jede Situation beziehen lassen. Die Schönheit im Songwriting von „Transatlanticism“ besteht jedoch darin, dass die Lieder dabei trotzdem gleichzeitig persönlich und nahbar sind. Das Album besteht zwar (anders als beispielsweise ein Pink-Floyd-Album) aus für sich stehenden Einzelstücken, bildet in seiner Gesamtheit aber dennoch einen größeren Kontext, auf den ich zum Abschluss noch kurz eingehen möchte.
Der emotionale Grundton des Albums wird bereits im ersten Lied “The New Year” gesetzt. Inhaltlich geht es um ein Gefühl, das vermutlich die meisten von uns in irgendeiner Weise an Neujahr oder anderen Festtagen schon einmal erlebt haben. Ein Gefühl, das man aber eher nicht kommuniziert, um den anderen nicht die Stimmung zu verderben. Aus vielfältigen Gründen wird ein Tag künstlich zu etwas ganz Besonderem aufgespielt, wodurch die hohen Erwartungen an diesen letztlich doch ganz normalen Tag nicht erfüllt werden können. Und so kann es passieren, dass man schließlich bei einem feierlichen Anlass nachdenklich wird, während um einen herum auf der Party der Hedonismus Vodka-Früchte in der Bowle trägt. Am besten vergleichen lässt sich diese emotionale Leere und Sehnsucht wohl mit Fernweh, was Death Cab for Cutie sehr schön aufgreifen im Vers “I wish the world was flat like the old days, then I could travel just by folding a map” – wiederum ein Gefühl, das wir momentan vermutlich alle auch ohne große Feiern sehr gut nachvollziehen können. Musikalisch spannend ist an diesem Song, dass die Demo noch einen Halbtonschritt tiefer eingespielt wurde als die finale Version und außerdem, dass sich bei ungefähr 02:26 Minuten ein falscher Ton (C statt H, für alle Musiktheoretiker*innen unter euch) in die Aufnahme geschlichen hat. Zwar bloß ein Verspieler, aber irgendwie doch sinnbildlich dafür, dass auch ein nicht-perfekter Anfang (z.B. eines Albums oder Jahres) trotzdem der Beginn von etwas sehr Schönem sein kann.
Das nachdenklich-schwermütige Gefühl setzt sich auch im zweiten Lied mit dem ironischen Titel “Lightness” fort, einem Song, der mit wenigen Worten – aber sehr anschaulich – beschreibt, wie scheinbar unscheinbare Emotionen und Geschehnisse nach dem Kennenlernen eines außergewöhnlichen Menschen den gesamten Denkprozess einnehmen können. Man kann sich endlos in Details verlieren und Stunden in Tagträumen und Gedanken über die andere Person verbringen, gerade, wenn ein Gefühl einmal nicht direkt erwidert wird. Die Demoaufnahme ist besonders schön, weil sie einen Einblick in die Experimentierfreudigkeit der Band bietet. Hier arbeitet sie mit einem monotonen und untypischen Beatbox-Rhythmus, der zunächst nur durch ein Keyboard und später zusätzlich durch zwei Gitarren, einmal mit Reverb- und einmal mit Delay-Effekt, ergänzt wird. Im Zusammenspiel bildet das eine fast schon greifbar nahe akustische Grundlage für den ruhigen Gesang, wodurch der Song ein hypnotisierendes, ASMR-artiges Gefühl erzeugt.
Im dritten Lied „Title and Registration“ setzt sich dieses Gefühl nahtlos fort. Der Titel ist eine Anspielung auf die bei Verkehrskontrollen im englischsprachigen Raum übliche Frage nach „license and registration“ (Führerschein und Zulassung) und nimmt damit vermutlich sogar Bezug auf die tatsächliche Entstehung des Stücks. Beim Durchsuchen des Handschuhfachs (engl. „glove compartment“) kommt die Überlegung auf, warum das Fach eigentlich so heißt, wo doch nur die wenigsten von uns darin Handschuhe aufbewahren, stattdessen aber diverse andere Dinge, wie zum Beispiel die Fahrzeugzulassung. Und manchmal auch Bilder aus vergangenen Beziehungen, auf die man dann eventuell in den ungünstigsten Situationen wieder stößt. Beispielsweise während einer Polizeikontrolle, dabei könnte man in diesem Moment doch wirklich auf all die unterdrückten Emotionen verzichten, die nun wieder hochkochen. Bei diesem Song lohnt sich der Blick auf die Demoaufnahme aus mehreren Gründen: Die Demo ist ausgesprochen schön und klingt so, als sei sie tatsächlich in einem Fahrzeug aufgenommen worden. Der Beat ist eine Autophonie aus dem Klopfen von unbehandschuhten Händen auf dem Armaturenbrett über einem frisch-geleerten Handschuhfach und dem rhythmischen Ticken des Blinkers. Hinten auf der Rückbank sitzen Gitarrist, Banjo- und Xylophon-Spieler und fertig ist das Studio auf 4 Rädern. Gerade durch das Südstaaten-Feeling im Banjo-Teil entsteht klanglich ein bemerkenswert schöner Kontrast zum klassischen Northwestern/Washington-Indie-Sound, den Death Cab for Cutie in Perfektion beherrschen. Auffällig ist auch, dass der Text der Demoaufnahme noch sehr anders ist als in der finalen Studioversion. Der Song fühlt sich so im positiven Sinne spontan und improvisiert und auch ein wenig fremd an, vermittelt aber gleichzeitig ein Gefühl, das sich wohl am besten als die Vorfreude beim Heimweg nach einer langen Reise beschreiben lässt.
Das momentan so ungewohnte Reisefeeling wird durch den im Raum wandernden Klang von Drumbeat und Gitarre auch im nächsten Song „Expo ’86“ übernommen, wobei dieser Song für mich persönlich einen Schwachpunkt, sowohl der Demoaufnahmen als auch des Albums darstellt (also „nur“ irgendwas im Bereich von 80%, das Album ist wirklich einfach verdammt gut). Die Aufnahme vermittelt, gerade mit Kopfhörern, das Gefühl eines chaotischen Proberaums, in dem irgendjemand am Drum-Computer herumgespielt und entdeckt hat, dass man den Ton von links nach rechts laufen lassen kann. Der Gitarrist bemerkt daraufhin, dass er die Gitarre konträr dazu von rechts nach links wandern lassen kann. Wow, das ist ja fast schon philosophisch, aufeinander zu- und wieder voneinander weggehen, On-Off-Beziehung. Vielleicht akustisch schon etwas too much, aber auch das passt ja durchaus zu einer On-Off-Beziehung. Dazu noch einen kryptischen, traurigen Text, einen kurzen, schlichten Refrain (der aber nicht wirklich zur Strophe passt), eine etwas lieblose Instrumental-Bridge und fertig ist der Baukasten-Song. Immerhin wurde das Lied bis zur finalen Aufnahme noch ein wenig überarbeitet, sie ist jetzt unter anderem statischer, was Menschen mit Reiseübelkeit zugute kommt, und die Bridge hat nun einen Text erhalten, den ich aber leider nicht wirklich verstehe.
Also fix weiter zum fünften Song: „The Sound of Settling“. Bei diesem Lied unterscheiden sich Demo (135 bpm) und finale Aufnahme (175 bpm) so deutlich wie bei keinem anderen Song des Albums. In der Studioaufnahme fühlt sich der Titel absolut ironisch an, der Song macht Lust, sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. Ab ins Auto und immer der Nase nach! The Sound of Settling der „Generation beziehungsunfähig“ irgendwie. Die Demoaufnahme hingegen klingt wie das Ende der durchzechten Nacht eines Junggesellenabschieds. Einfach bloß 1 Sänger, 2 Akustikgitarren, 3 Leute, die auf dem Sofa daneben herumhängen und im Chor „Bop-Baaaah“ grölen, während vor ihnen auf dem Sofatisch 4 Flaschen Whiskey, 5 Flaschen Rotwein und 6 (schlaf)trunkene Zuhörer*innen langsam eintrocknen. The Sound of Settling.
Nach einem Junggesellenabschied kommt was? Richtig, eine Hochzeit (zumindest fast immer, außer sie muss coronabedingt abgesagt werden). Und nach einer Hochzeit kommt in Deutschland aktuell in knapp 36% der Fälle irgendwann auch wieder eine Scheidung. Den inhaltlichen Höhepunkt und das Bergfest des Albums bildet daher konsequenterweise mit „Tiny Vessels“ das wohl schönste Trennungslied überhaupt. Auch wenn der Song wohl eher das Ende einer Affäre behandelt. Alleine die Eröffnungszeile „This is the moment, that you know, that you told her, that you loved her, but you don’t.“ ist pure Gänsehaut in Textform. Den Gipfel der Traurigkeit erreicht der Song dann allerdings im mittleren Abschnitt mit „So when you ask, ‚Is something wrong‘, I’d think ‚You’re damn right there is, but we can’t talk about it now. No, we can’t talk about it now.'“, einer Textstelle, die uns Hörer*innen mit einem Knoten im Magen zurücklässt, weil sie so intensiv nachfühlbar ist. Musikalisch ist das Lied relativ schlicht gehalten, um den Fokus noch stärker auf den Text zu richten, der so eher wie ein gelesenes Gedicht anmutet. Hier gibt es kaum Unterschiede zwischen Demoaufnahme und Studioversion. Die Demo ist etwas ruhiger, in der finalen Version wurden Gitarrenverzerrung, Schlagzeug, Bass und eine Klavierspur ergänzt. Aber der Song ist bereits in der Demoversion erstaunlich vollkommen und wirkt so, als habe er zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre an Entwicklungsarbeit hinter sich. Eine wunderschöne Hommage an das Ende einer Beziehung. Wenn ihr euch nur eines der Lieder von diesem Album anhören wollt, dann sollte es dieses sein.
Das war Teil 1 des „Transatlanticism“-Reviews. Weiter geht es auf der nächsten Montagsdemo in 14 Tagen.
Beitragsbilder: (alle Künstler*innen auf pixabay.com) OpenClipart-Vectors Clker-Free-Vector-Images mohamed_hassan
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Gemeinsam mit weiteren Institutionen führt die Greifswalder Entwicklungspsychologie nun Studien zur kognitiven Entwicklung von Kindern über die Internetplattform„Kinder schaffen Wissen“ durch. Eltern können ihre Kinder anmelden und verschiedene, altersangemessene Studien auswählen, an denen die Kinder online teilnehmen können.
Die Universitätsmedizin hat in der SHIP-Studie „Leben und Gesundheit in Vorpommern“ über fünf Jahre das Darm- bzw. Stuhlmikrobiom von etwa 1300 Proband*innen untersucht mit dem Ziel, Faktoren und Krankheiten zu identifizieren, die für seine Langzeit-Stabilität verantwortlich sind. Die Ergebnisse wurden nun in der Gastroenterologischen Fachzeitschrift GUT veröffentlicht.
Das StuThe wagt ein Experiment und sucht noch Interessierte für sein neues Projekt online://Theater. Anmelden könnt ihr euch unter online@stuthe.de.
Immer Dienstag und Donnerstag (jeweils von 13.50 Uhr bis 14.05 Uhr) und Freitag (11.50 Uhr – 12.05 Uhr) bietet der Hochschulsport eine kostenlose Online-Trainingseinheit unter dem Titel „Bewegte Pause“ an. Anmelden könnt ihr euch auf der Seite des Hochschulsports. Danach erhaltet ihr den Link für die entsprechende BBB-Konferenz.
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