Weihnachtszeit ist Vorfreude und Geheimnistuerei, Nächstenliebe und Besinnung. Sie duftet nach heißem Glühwein, frisch gebackenen Keksen und mühsam gepellten Mandarinen. Der Dezember lebt von kleinen Aufmerksamkeiten und Traditionen, wie den Adventssonntagen mit der Familie, dem mit Süßigkeiten gefüllten Schuh am Nikolausmorgen und dem täglichen Öffnen des Adventskalenders. Weißt du noch, wie du jeden Tag vor Weihnachten aufgeregt aufgestanden bist, um vorfreudig zu deinem Schokoadventskalender zu tappen? Die moritz.medien verstecken das Weihnachtsgefühl hinter 24 Fenstern. Im heutigen Fenster: Wein achten.

Die kalte Jahreszeit hält manchmal unerwartete Überraschungen bereit. Vor ungefähr sechs Jahren zum Beispiel hat meine damalige Freundin im Winter vor unserer Wohnungstür den Geldbeutel eines Anwalts gefunden. Wir hätten damals, ganz im Geiste der neoliberalen Weihnacht, natürlich gerne das Richtige getan, also das Geld herausgenommen und behauptet, es hätte bereits gefehlt, als wir das Portemonnaie gefunden haben. Leider war uns aber tatsächlich schon jemand anderes zuvor gekommen und naja… heute bin ich also Mitglied in einer Ethikkommission… tja, so kann es gehen, keine gute Tat bleibt ungestraft. Als meine Freundin nun aber die nur noch für bargeldloses Bezahlen geeignete Brieftasche bei ihrem Besitzer abgab, war der trotzdem so dankbar, dass er ihr einen sehr edlen Rotwein schenkte.

Wir waren damals ganz frisch in unsere erste eigene Wohnung gezogen und hatten zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Korkenzieher. Und so wurde aus der Not, die Flasche nicht öffnen zu können, im Laufe der Zeit die Tugend, sie für einen besonderen Anlass aufzuheben. Anderthalb Jahre ohne den “richtigen” Moment vergingen und plötzlich hatte der Wein unsere Beziehung überlebt. Im Nachhinein wäre die Trennung vielleicht gar kein schlechter schlechter Zeitpunkt gewesen, ihn zum Abschluss gemeinsam zu trinken. Weinen steckt im Abschied und “Wein” in “Weinen”, es wäre nur logisch gewesen. Trotzdem kam es nicht dazu und obwohl ich Rotwein damals noch nicht einmal mochte, fand die Flasche dennoch irgendwie ihren Weg auf meinen Trennungsstapel. Seither sind mehr als vier Jahre vergangen, es ist verdammt viel passiert, einige durchaus besondere Abende und Anlässe kamen und gingen, aber der Wein blieb. Inzwischen ist er sogar schon zweimal mit mir umgezogen. Er ist eine der kleinen Konstanten in meinem Leben geworden. Und so genieße ich jeden Morgen in meiner Küche den Ausblick auf diese geschichtsträchtige Flasche. Manchmal denke ich, zerknittert und müsli-kauend, darüber nach, welcher Anlass wohl wichtig genug sein könnte, um den Wein schließlich zu öffnen.

Eines Tages…

Weil für mich im kommenden Monat ein einigermaßen runder Geburtstag ansteht und ich momentan in den essentiellen Fragen der Planung dieser gigantischen Geburtstagsfeier ersticke (Welchen einen Haushalt lade ich bloß ein? Und wie erkläre ich den anderen Haushalten nur, dass sie mir trotzdem sehr, sehr wichtig sind? Es ist ein logistischer und sozialer Albtraum!), musste ich dabei vor Kurzem unwillkürlich an eine andere Weinflasche denken, für die in meinem Leben schon einmal eine besondere Rolle vorgesehen gewesen war. Zu meiner Geburt hatten meine Eltern in weiser Voraussicht einen Riesling, meine Lieblingsrebsorte, gekauft, der daraufhin ebenfalls mehrere Umzüge meiner Familie miterleben durfte, bevor er schließlich an meinem 18. Geburtstag getrunken werden sollte.

Die Weinverkostung am Abend bildete damals unverhofft den passenden Abschluss eines Geburtstags, der morgens bereits damit begonnen hatte, dass ein super cooler Mini Cooper direkt vor unserem Haus stand, den ich vorher noch nie gesehen hatte. In Zukunft würde ich ihn aber sehr oft dort sehen, sogar heute noch, wenn ich bei meinen Eltern zu Besuch bin! Welchen bescheuerten Stuttgarter*innen auch immer dieses Auto gehören mag, könntet ihr bitte endlich woanders parken? Der Gag damals war ja ganz gut, aber jetzt nervt es doch etwas, danke! Und so war, entsprechend dieser frühmorgendlichen Enttäuschung vollkommen übertriebener (und warum auch immer vorhandener, das Auto hätte eh nur herumgestanden) Erwartungen, auch der Wein abends leider nicht genießbar. Das ursprüngliche Aroma war nach 18 Jahren in einer Komposition aus Korken, Essig und mehreren überschwemmten Kellern untergegangen. Ich empfehle diesen Wein zu verdorbenem Fisch oder verschimmeltem Obst. Exquisite Kombination.

Es ist eben nicht zwangsläufig so, dass ein realer ebenso wie der sprichwörtliche gute Wein tatsächlich mit dem Alter besser werden muss. Ich habe im Gegenteil eher das Gefühl, dass diese Redewendung nur erfunden wurde, um sie um den bescheuerten Abschnitt “Guter Wein ist wie gute Frauen” ergänzen zu können. Wieso also lassen wir so viele Gelegenheiten verstreichen, uns etwas Besonderes zu gönnen, bis es irgendwann zu spät ist? Wenn uns dieses verrückte Jahr eine Sache gelehrt hat, dann doch wohl, dass sich die Dinge plötzlich ganz anders entwickeln können, als man es erwartet hatte. Wer von uns hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir heute in der Situation sein würden, in der wir es sind? Wann, wenn nicht jetzt, haben wir es uns verdient, uns auch ohne speziellen Grund zu feiern? Muss es wirklich immer ein besonderer Abend für einen besonderen Wein sein? Oder kann nicht im Gegenteil gerade ein besonderer Wein vielleicht sogar auch einen normalen Abend zu etwas Besonderem machen?

Ich denke, in diesem Advent haben wir uns genau so einen Abend verdient.
Und ich glaube, viele von uns horten irgendwo noch so einen Wein.

Also lasst uns alle gemeinsam trinken, darauf einen Toast:
Auf die Achterbahnfahrt 2020.
Auf uns.

Titelbild: Julia Schlichtkrull
Beitragsbild: Vinotecarium auf pixabay