Zeitloser Konflikt: Antigone im Theater Vorpommern

Frech. Modern. Originell. So wirken die Werbeplakate zum neuen Theaterstück „Antigone“ im Theater Vorpommern. Nur der Oberkörper einer jungen Frau ist zu sehen, die ein schwarzes T-Shirt und einen karierten Rock trägt. Auf dem Shirt steht „Antigone –  Tragödie von Sophokles“. Erwartungen werden beim Betrachter geschürt: Ist die Inszenierung auch frech, modern und originell?

Antigone vs. Kreon

Uraufgeführt wurde das Schauspiel 442 vor Christus im Dionysos-Theater, Athen. Die Problematik im Stück: Antigone, eine junge Königstochter, lehnt sich gegen ihren Onkel Kreon, dem neuen König Thebens, auf. Die Ursache hierfür ist ein Kampf zwischen ihren Brüdern Polyneikes und Eteokles, bei dem beide Brüder fielen. Der eine, Eteokles, verteidigte Theben und soll nun ehrenvoll bestattet werden. Der andere hingegen, Polyneikes, kämpfte gegen Theben und soll nun nicht beerdigt werden, sondern vor den Toren der Stadt verwesen. Jede Zuwiederhandlung werde mit dem Tod bestraft, lässt Kreon verkündigen. Doch Antigone wiedersetzt sich dieser Anordnung und begräbt ihren Bruder eigenmächtig.

Mit bunten Strähnchen gegen die Staatsmacht

Die Schwestern Antigone und Ismene sind sich zunächst uneinig.

In der Inszenierung von Tobias Sosinka sieht man zuerst eine dunkle Stadtmauer, auf der der Name Polyneikes gesprüht steht. Es wird die erneut Hoffnung geweckt, dass es sich bei diesem Stück um eine moderne Variante des antiken Trauerspiels handelt. Bald darauf stürmt Antigone, gespielt von Anja Taschenberg, schreiend auf die Bühne. Wütend ist sie. Rasend, nahezu hysterisch. Dem Publikum wird deutlich, dass sie es war, die den Namen an die Mauer sprühte. Ihre Rolle lässt an einen Punk erinnern: Toupierte Haare mit bunten Strähnchen, dazu auffällige Strumpfhosen, Stiefel. Während des Stücks ist die Protagonistin nicht oft auf der Bühne präsent und wenn, dann sieht man sie in der Auseinandersetzung mit ihrer Schwester Ismene und ihrem Onkel Kreon.

Vernunft oder Moral?

Antigone schreibt den Namen ihres verstorbenen Bruders Polyneikes.

Bald lässt sich feststellen: Es wurde sich bei dieser Inszenierung stark am antiken Original orientiert. Die Texte sind nicht in die Moderne überliefert beziehungsweise nicht and diese angepasst. Auch wurde die Thematik nicht mit aktuellen, neuen Aspekten angereichert. Es bleiben der Konflikt Individuum gegen die Obrigkeit und die Frage, ob Handeln nach moralischen oder vernünftigen Richtlinien richtig sei. Antigone selbst ist sich in ihrem Tun treu. Sie erscheint permanent schreiend, trotzig und frech auf der Bühne – sympathisch und stark wirkt sie dabei nur bedingt. Schade.

Überzeugend: Kreon, Haimon, der Chor und die Bühne

Auch der Vater-Sohn-Konflikt zwischen Kreon (Bahr) und Haimon (Goldbach) spielt eine Rolle.

Herausragend wird Kreon von Marco Bahr gespielt. Unnachgiebig ist er, auch gegenüber seinem Sohn Haimon, hier überzeugt Lukas Goldbach. Ein autoritärer Regent, der auf niemanden hören möchte – und zum Ende sich doch besinnt. Bahr gelingt es, diesen inneren Konflikt und die Wandlung gekonnt umzusetzen. Eher amüsant war die Rolle des blinden Sehers Teiresias, gespielt von Jörg F. Krüger, angelegt. Auf den ersten Blick sah dieser nämlich aus wie Helge Schneider. Interessant war auch die Darstellung des Chors. Als Bürger Thebens, sichtbar vom Krieg gekennzeichnet, kommentieren sie die Handlung. Mal sprechen sie gemeinsam im Chor, dann singen sie auch. Hin und wieder ertönt Musik, die sonst eher spartanisch eingesetzt wurde. So wurden dem Publikum düstere Szenen angekündigt. Besonders erwähnenswert ist die Gestaltung der Bühne, die minimalistisch und dunkel gehalten wurde. Eine Treppe, die zu einem Tor führt, war zu sehen. Sie wurde oft gekonnt ins Schauspiel mit einbezogen.

Zeitloser Konflikt

Letztendlich bleibt festzustellen, dass die Inszenierung überzeugen konnte, insbesondere was die schauspielerischen Darstellungen und die Konzeption der Bühne betrifft. Eine unterhaltsame und solide Antigone-Aufführung also. An modernen Aspekten, die auf Grund der Gestaltung der Werbeplakate mehr oder weniger erwartet wurden, fehlte es jedoch. Dennoch wird die Problematik – der oder die Einzelne gegen die Autorität, wie es sich derzeit beispielsweie in Stuttgart zeigt – doch noch lange aktuell bleiben. Vielleicht braucht es also gar keine modernen Aspekte für ein antikes Stück, ist der Grundkonflikt doch zeitlos.

Fotos: Vincent Leiffer

Quo vadis, Studententheater? Erneute Raumplobleme erschweren Betrieb

Es war ein wenig ruhig geworden. Doch das Studententheater StuThe hat viel vor im neuen Semester, wie Erstsemester und Neugierige am vergangenen Dienstag in den StuThe-Räumen bei einer Aufführung erfahren konnten: Bekannte Stücke, wie “Homo Pilicrepus – der ballspielende Mensch” werden wieder aufgeführt und neue Produktionen sind angedacht. Doch erneut drängen sich Raumprobleme in den Theaterbetrieb.

Renovierung zu teuer, doch keine Alternative

Im Haus der Falladastraße 2 ist derzeit noch das Studententheater untergebracht.

Seit der 15-jährigen Vereinsgeschichte musste das StuThe oft umziehen: Von der Stralsunder Straße 10, über die Soldmannstraße bis zur Falladastraße. Ende 2009 ereilte das Studententheater die plötzliche Nachricht, dass sie ihre bisherige Stätte in der Soldmannstraße innerhalb von zwei Wochen verlassen sollten. Seither sind sie in Räumlichkeiten der Falladastraße 2 untergekommen, teilweise wurde das Theatermaterial in der Mensa zwischengelagert. Dass das alte Institut für Sportwissenschaften in der Falladastraße aber nur eine Übergangslösung darstellte, war von Anfang an klar. Bald sollten die Mitglieder des Studententheaters neue Räume in der Soldmannstraße, dem Kinderpavillon, übergangsweise beziehen. Hier wurde bereits renoviert – bis vor Kurzem Schimmel hinter den Möbeln entdeckt wurde und nun der angedachte Umzug gekippt wurde. Die Renovierung würde zu teuer. „Das Problem ist, dass uns aber auch keine Alternative zum Kinderpavillon angeboten wurde“, erklärt Vorstandsvorsitzender des Studententheaters Jens Leuteritz. Nun befünde sich das Studententheater in einem Schwebestatus.

Risse in den Wänden und Heizungen, die nicht funktionieren

Vorstandsvorsitzender Jens Leuteritz im Interview mit dem webMoritz. "Wir wollen eine feste Spielstätte."

Jens verrät, dass es die Grundbestrebung des StuThe sei, das Haus in der Falladastraße 2 zu behalten: „Eigentlich sollten wir hier nicht mehr sein, aber wir wollen hier bleiben.“ Doch dies sei derzeit nicht so einfach: Mit dem Betrieb für Bau- und Liegenschaften gebe es Querelen und das Gebäude ist stark baufällig. Es gibt Risse in den Wänden und nicht angestellte Heizkörper, was Vorstandsmitglied Sven Laude, der durch das Programm am Abend führte, dem Publikum charmant beibringt: „Eine gute Nachricht habe ich. Heute Abend haben wir eine Heizung. Nämlich euch!“ Doch die Sanierungsarbeiten am Haus in der Falladastraße werden gescheut – bald werde es eine Baubegehung von Seiten der Universität geben. Die Mitglieder des StuThe selbst werden zunächst am Haus arbeiten und zeigen, dass sie hier bleiben wollen. „Wir wollen eine feste Spielstätte und sind auf einen intakten Probebetrieb angewiesen“, erläutert Vorstandsvorsitzender Jens. Nun werden Partner gesucht, „die das Haus mit uns gemeinsam tragen“, sagt Sven Laude, der seit 15 Jahren Mitglied beim StuThe ist. Die Verhandlungen mit der Universität seien schwierig, so Laude. „Sie wollen uns schon fördern, können es aber nicht in den Maßen.“

Neue und alte Produktionen

Sven Laude vom Vorstand begleitete durch den Abend.

Neue Projekte sind für die kommende Zeit angedacht: So wird das Stück „Stalker“ in Zusammenarbeit mit dem Theater Vorpommern bald auf die Bühne gebracht und auch die Probearbeiten zum neuen Stück „Das Phantom“, aus dem einige Szenen am vergangenen Dienstag zu sehen waren, werden voraussichtlich im November abgeschlossen sein. Bei der Aufführung am Dienstag sollte ein Querschnitt der Arbeit präsentiert werden und es wurden Szenen aus den bekannten Produktionen „Die Grüne Gans“ und „Homo Pilicrepus – der ballspielende Mensch”, welches am 18. Oktober in der Brasserie Hermann wieder aufgeführt wird, gezeigt. Begeistert sahen die Zuschauer weiterhin kurze Szenen der Improvisationsgruppe Ma´ma ernst. Zwei Ausschnitte zeigen das Genrespiel: Die gleiche Szene wird einmal als Bollywoodfilm, einmal als Bestandteil der Sendung Musikantenstadl improvisiert aufgeführt.

Ein wenig Bewegung kam bereits in den Prozess: Zumindest wurden die Heizungen nun angestellt. Wo das StuThe aber genau unter kommen wird, ist zunächst ungewiss. Optimistisch bleibt Vorstandsmitglied Sven Laude trotzdem: „Egal, wie die Rahmenbedingungen sind, es kommt immer was dabei raus.“

Fotos und Videos: Patrice Wangen

Nach 2000 Jahren über immer noch Thema:“Antigone“ im Theater

Am 2. Oktober findet um 19.30 Uhr im Theater Greifswald die Premiere von Antigone statt

Nachdem das Theater Vorpommern mit Schillers „Räuber“ ein Werk der Deutschen Klassik inszenierte, folgt nun mit Sophokles‘ „Antigone“ ein Werk aus der klassischen Antike. Die Premiere wird am zweiten Oktober um 19.30 Uhr im Großen Haus des Theaters Greifswald stattfinden.

Bei der Inszenierung handelt es sich um eine Neuübertragung von Tobias Sosinka. Die beiden Hauptrollen des Stücks, Antigone und Kreon, werden von Anja Taschenberg und Marco Bahr gespielt. Weitere Rollen werden von Katja Klemt, Elke Zeh, Jan Bernhardt, Grian Duesberg, Lukas Goldbach, Christian Holm, Jörg Krüger, Hannes Rittig und Markus Voigt übernommen. Susanne Thomasberger ist in dem Stück Verantwortliche für Bühne und Kostüme, während Komposition und Einstudierung von Andreas Kohl stammen.

„Mit seiner um 442 uraufgeführten ,Antigone´ schuf Sophokles (um 496-406 v. Chr.) eine Tragödie von gewaltiger politischer Dimension“, heißt es in der Pressemitteilung des Theaters Vorpommern. Der Theaterbesucher wird bei der Premiere mit folgender Interpretation des Stückes konfrontiert:

„Antigone und Kreon – Individuum und Staatsmacht – stehen sich gegenüber, und beide kennen keine Kompromisse. Ein Stück, das mit aller Schärfe nach dem Gegen- und Miteinander von staatlichen und privaten Interessen fragt und somit nach über zweitausend Jahren mitten in unsere Gegenwart zielt.“

Der Theaterförderverein „Hebebühne“ lädt im Anschluss der Veranstaltung das Premierenpublikum zur Premierenfeier im Foyer des Greifswalder Schauspielhauses ein.

Die Handlung…

Antigone, die Tochter des Ödipus, bittet ihre Schwester Ismene vergeblich darum, ihr bei der Bestattung des gemeinsamen Bruders Polyneikes behilflich zu sein. Dieser ist gefallen, als er zusammen mit feindlichen Truppen die Heimatstadt Theben, in der inzwischen Kreon die Regierungsgeschäfte übernommen hat, in seine Gewalt zu bringen suchte. Auch Eteokles, der Bruder des Polyneikes, der auf Seiten Kreons kämpfte, ist bei der kriegerischen Auseinandersetzung ums Leben gekommen. Nun hat Kreon, der mit der Vernunft eines Staatsmannes nach Recht und Gesetz regiert, verfügt, dass Eteokles, der Verteidiger der Stadt, mit allen Ehren bestattet werde, Polyneikes dagegen unbeerdigt den Hunden und Vögeln zum Fraß ausgesetzt bleibe. Antigone widersetzt sich dem Verbot, bestattet den Leichnam – und steht mit radikaler Unbedingtheit zu ihrer Tat. Indem sie trotzig auf der Existenz von Werten jenseits der Staatsräson beharrt, riskiert sie Verfolgung – und bringt ihr Leben in Gefahr.

aus: Presseinformation Theater Vorpommern

Foto: Theater Vorpommern

Tiefsinning, tänzerisch, schwer: Das neue Album von „Wir sind Helden“

Ein Beitrag von Christopher Denda

Fast zwei Jahre lang war es um die Berliner Pop-Rock Gruppe „Wir sind Helden“ ruhig geworden. Das könnte unter anderem daran liegen, dass Sängerin Judith Holofernes und Schlagzeuger Pola Roy mittlerweile ihr zweites Kind bekommen haben. Dafür sind sie mit ihrem neuen Album „Bring mich nach Hause“ wieder direkt durchgestartet; Platz 1 in den deutschen Albumcharts.

Aber trotz des Nachwuchses haben die vier Musiker nicht umgeschwenkt auf die Produktion von Kinderliedern.  Gereift ist die Musik nichtsdestotrotz. Die Texte sind wieder tiefsinnig, teilweise recht schwer, wie beim Titelsong des Albums „Bring mich nach Hause“, manchmal aber auch tänzerisch, wie bei „Was Uns Beiden Gehört“.

Begonnen wird das Album mit der eher vertrackteren Nummer „Alles“, die man mehrmals hören muss, bis man alles verstanden hat. Ein eher in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Titel ist der Song „Meine Freundin War Im Koma Und Alles, Was Sie Mir Mitgebracht Hat, War Dieses Lausige T-Shirt“. In Punkto Text und Komposition kann „Die Ballade Von Wolfgang Und Brigitte“ punkten, welches sich inhaltlich mit einem Beziehung-Drama in Zeiten des Gender Mainstreaming befasst. Auch dem Jazz wird Tribut gezollt: Denn dank gedämpfter Trompete kann der Song „Dramatiker“ punkten. Wenn man sein Kind mit moderner Musik in den Schlaf bringen will, so ist „Die Träume Anderer Leute“ wärmstens zu empfehlen, denn dort säuselt Sängerin Judith das Kinderlied „Schlaf Kindchen Schlaf“.

Im Fazit kann man sagen, dass „Bring Mich Nach Hause“ durch und durch ein typisches „Wir sind Helden“ Werk ist. Trotz einiger Verschrobenheit und mancher Text-Bonmots stimmig geraten. Und so kann man es sich für den Herbst 2010 recht behaglich mit dem neuen Album einrichten.

Fotos: Yoshi via Wikipedia

Eingestaubte Ideen: Whatever Works von Woody Allen

„Ich bin kein netter Mensch und das wird nicht der Wohlfühlfilm des Jahres.“

Was will uns der weißhaarige Mann auf dem Bild sagen? „Ich hatte im Frühjahr 2008 Zeit für ein Filmprojekt und meine Agenten machten mir den neuesten Woody Allen-Film schmackhaft. Würde ich Allen nicht schon seit Jahren kennen, ich hätte ihm niemals zusagt, denn sein Drehbuch ist scheußlich.“ Natürlich sagt der Abgebildete nicht diese Worte. Er durchbricht zu Beginn von „Whatever Works“ (2009) in brechtscher Manier stattdessen die vierte Wand zwischen Darstellern und Publikum, faselt seinen Monolog über den Sinn des Lebens und sagt uns als Zuschauern direkt ins Gesicht: „Dies wird nicht der Wohlfühlfilm des Jahres“. Leider hat er damit Recht.

Wenn ein Regisseur wie Allen jedes Jahr einen neuen Film schreibt, inszeniert und teilweise darin auch mitspielt, ist diese Leistung hoch anzurechnen. Und ebenfalls hoch anzurechnen ist es europäischen Finanziers, die den Filmemache aus seiner New Yorker-Stube herausholten. „Match Point“, „Scoop“ und „Cassandras Traum“ wurden in Großbritannien gedreht und für „Vicky Cristine Barcelona“ zog es Allen in die titelstiftende spanische Metropole. Seinen jetzt auf DVD und Blu-Ray-Disc erhältlichen Film drehte er hingegen wieder in New York und die filmische Rückkehr in die heimischen Gefilden scheint ein künstlerischer Rückschritt zu sein.

Fehlende Überraschungen

Woody Allen holte mit „Whatever Works – Liebe sich wer kann“ ein in den 1970er Jahren geschriebenes Drehbuch wieder aus der Schublade hervor. Diese Zeit gehört zu seinen kommerziell und künstlerisch erfolgreichsten Schaffenszeitraum. In „Der Stadtneurotiker“ (1977) kreierte der Filmemacher die typische männliche Hauptfigur seiner Werke, einen intelligenten, pessimistischen Großstadtbewohner, der ohne den regelmäßigen Besuch beim Psychiater keine sozialen Beziehungen pflegen kann. Auch der für zwei Oscars nominierten Film „Manhattan“ (1979) entstammt Allens erster kreativer Hochphase.

Und nun erscheint „Whatever Works“, der – so wird es kolportiert –nur geringe Änderungen am Drehbuch gegenüber dem Entstehungszeitpunkt aufweist. Auch wenn mit Larry David ein bekannter Schauspieler (Macher und Darsteller der US-Serien „Seinfeld“ und „Lass es, Larry!“) die Hauptrolle übernahm, scheint den ganzen Film über Allen in Davids Körper zu stecken.

Die Hauptfigur ist der klassische Pessimist aus Allens vorherigen Filmen. Neben einem negativen Menschenbild leidet der gescheiterte Physik-Professor Boris auch an eingebildeten Krankheitsbildern und sieht sein eigenes biologisches Ende, welches ja bekanntlich jeden Menschen treffen wird, als Bestätigung für den Unsinn namens Leben.

Viele Worte mit „Wahrheiten“ über das Leben spricht Boris Yellnikoff (Larry David) aus, doch für Melody (Evan Rachel Wood) steckt mehr Wahrheit in ihrem Eis von Ben & Jerry’s.

Wie kann es anders sein, wird sein Leben durch eine junge und für ihn geistig minderbemittelt Frau aus den Südstaaten durcheinandergebracht. Die von Evan Rachel Wood dargestellte Melody ist neu in New York und steht auf einmal vor Boris Tür. Unfreiwillig nimmt er die Südstaatenprinzessin bei sich auf, möchte sie aber so schnell es geht wieder los werden. Doch aus zwei Tagen werden mehr. Boris erweist seine Stadtführungsfähigkeiten – die Sehenswürdigkeiten von Woody Allens Heimatstadt New York werden abgeklappert – und bald sind beide sogar miteinander verheiratet. Und dass obwohl Boris zwei Generationen älter als Melody ist und Sex für ihn keine Rolle mehr spielt.

Als dann Melodys Eltern vor der Tür stehen, erleben die religiösen Südstaatler anfänglich einen Kulturschock bei der Begegnung mit dem liberalen und wenig gottesfürchtigen Ostküstenbewohner. Die urbane Umgebung übt seine Wirkung auf die Eltern aus und dabei ist ein weiteres Mal spürbar, dass Allens Drehbuch aus der Vergangenheit stammt. Melodys Mutter legt ihre spießigen Kostüme ab, kleidet sich einer Künstlerin entsprechend und legt sich in ihrem zweiten Frühling zwei neue Partner gleichzeitig zu. Melodys Vater hingegen erkennt, dass die langjährige Ehe nicht die Erfüllung war, für die er diese hielt. Welche Wandlung der Vater durchmacht, dürfte nicht schwer zu erraten sein.

Zurück nach Europa

Gelangweilt von der Handlung folgt nun ein Blick auf die DVD-Ausstattung. Mit einem rund 15 Minuten langen Interview mit dem Regisseur und dem deutschen Kinotrailer bestückt, kann das Bonusmaterial als gewöhnlich bezeichnet werden. Wiederholt kann nur darauf verwiesen werden, einen Film in der Originalsprache zu sehen. Dies gilt auch für „Whatever Works“. Deutsche Untertitel können dabei zu Rate gezogen werden.

Glücklicherweise drehte Allen die Nachfolgerfilme von „Whatever Works“ wieder in Europa. „You Will meet a Tall Dark Stranger“ wurde in London produziert und erscheint am 2. Dezember 2010 in Deutschland im Kino. Mit Carla Bruni drehte der Filmemacher im Frühjahr „Midnight in Paris“ und bezog dafür auch Quartier in der französischen Hauptstadt. Der Film erscheint im nächsten Jahr im Kino. Und wenn Allens Interviewantwort auf der DVD stimmt, kann sich der Regisseur auch einen Dreh in Deutschland vorstellen. Zwei Bedingungen formuliert er dabei: Die Filmfinanzierung muss stehen und die jeweilige Stadt sollte für drei Monate lebenswert sein. Wenn Allen jetzt auch noch ein neues Drehbuch schreibt, ist er herzlich willkommen. Zwar wird der Film von einigen Rezensenten als klassisches und damit auch sehenswertes Werk des Regisseurs bezeichnet, doch mit einer verstaubten Arbeit aus seiner Schreibtischschublade braucht er die Zuschauer meiner Ansicht nach zukünftig nicht mehr unnötig zu behelligen.

Filmdaten:

Titel: Whatever Works – Liebe sich wer kann (englischer Originaltitel: Whatever Works)

USA 2009, 88 Minuten

Regie: Woody Allen

Darsteller: Larry David, Evan Rachel Wood, Patricia Clarkson, Ed Begley, Jr., Conleth Hill, Michael McKean

Deutscher Kinostart: 3.12.2009

DVD- und Blu-Ray-Disc-Verkaufsstart: 24.09.2010

DVD-Bonusmaterial: Interview mit Regisseur Woody Allen (15 Minuten), deutscher Kinotrailer und vier weitere Trailer aus dem Hause Senator Home Entertainment (A Single Man, Che, Mitte Ende August und Nine)

Bild: Central Film/Senator Film

Film im Film: „Nine“ von Rob Marshall

Regisseur Guido Contini (Daniel Day-Lewis) flüchtet regelmäßig zu seinem Mutterersatz, der Kostümbildnerin Lilli (Judi Dench).

„Nine“ (2009) ist die Verfilmung des gleichnamigen Musicals aus dem Jahr 1982, welches wiederum auf den italienischen Film „8 ½“ (1963) rekurriert. Ein Film wird zum Musical wird zum Film. Aber der Reihe nach.

Der Ursprung

Federico Fellini gehört zu den Regisseuren des italienischen Neorealismus. Mit dem Film „8 ½ aka Achteinhalb“ brach er mit seinen vorherigen Werken. Waren diese bisher wirklichkeitsnah und in die Nachkriegszeit einzuordnen, so verschwommen erstmals Traum und Wirklichkeit in einem Kinofilm von Fellini. Die Übergänge waren dabei fließend.

„8 ½“ handelt von den Problemen eines Regisseurs, der seiner Aufgabe einen neuen Film zu inszenieren nicht nachkommen kann. Grund ist seine innere Unruhe und Ideenlosigkeit. Auch wirken sich die unzähligen Affären nicht positiv auf die Stabilität seines Charakters aus. Die Hauptfigur wird von Marcello Mastroianni gespielt und ist eindeutig als Fellinis Alter Ego zu erkennen. (Eine ausführliche Auseinandersetzung mit „8 ½“ kann hier gefunden werden. Der Spielfilm ist auf DVD in der Stadtbibliothek Greifswald erhältlich.)

Seinen Titel erhielt „8 ½“ durch Fellinis Addition seines bisherigen Schaffens. Er drehte bis dahin sechs Spielfilme (=1), zwei Kurzfilme (=0,5) und war bei „Lichter des Variete“ Co-Regisseur (0,5). Vor allem die Film-im-Film-Geschichte von „8 ½“ lässt das Herz eines Cineasten höher schlagen. (Auch „Die Verachtung“ von Jean-Luc Goddard aus dem gleichen Jahr und „Die amerikanische Nacht“ (1973) von François Truffaut behandeln fiktive Filmproduktionsprozesse und sind sehr sehenswert.)

Auf den Brettern, die die Welt bedeuten

Noch zu Lebzeiten Fellinis wurde in New York ein Musical unter dem Titel „Nine“ aufgeführt. Es hat die gleiche Handlung wie „8 ½“, aber nur mit einem einzelnen männlichen Darsteller und insgesamt 24 weiblichen Figuren besetzt. Das Musical war ein großer Erfolg am Broadway und erlebte bis heute unzählige Wiederaufführungen, beispielsweise war Antonio Banderas in der Rolle des arbeits- und lebensunfähigen Regisseurs zu sehen.

Zurück ins Kino

Nachdem Regisseur Robert Marshall mit „Chicago“ (2002) ein für ein amerikanisches Musical in der heutigen Kinolandschaft sehr hohes Einspielergebnis erzielte und der Film mit insgesamt sechs Oscars – bei 13 Nominierungen – von der Academy of Motion Pictures and Arts ausgezeichnet wurde, drehte er die Romanverfilmung „Die Geisha“ (2005).

Im Scheinwerferlicht des Filmstudios Cinecittà bei Rom stehen die im Leben des Regisseurs wichtigen Frauen.

Als ehemaliger Tänzer, dann Choreograf und Regisseur am Theater und dem Erfolg seiner ersten Musicalverfilmung zog es Marshall wider zu einem musikalischen Stoff. „Nine“ wurde somit seine dritte Regiearbeit.

Die Auflistung der gecasteten Darsteller liest sich eindrucksvoll. In der Hauptrolle als Regisseur Guido Contini ist Daniel Day-Lewis zu sehen. Der gebürtige Engländer füllt die großen Fußstapfen von Marcello Mastroianni in „8 ½“ ohne Zweifel wunderbar aus und scheitert ebenfalls mit seinem Film – mit dem großspurigen Titel „Italia“ – im Film. Die sieben weiblichen Rollen sind mit Marion Cotillard (Ehefrau), Penélope Cruz (Geliebte), Sophia Loren (Mutter), Kate Hudson (verführende Journalistin), Judi Dench (mütterliche Ratgeberin), Nicole Kidman (Muse) und Stacy Ferguson (Glorifizierung kindlicher sexueller Fantasie) namhaft besetzt.

Die bekannten Darsteller können in ihre Rollen nur so gut sein, wie es das Drehbuch vorgab. Wird „Nine“ einzig als Hommage an Fellinis Film verstanden, dass mit Tanz- und Gesangsstücke in einem Filmpaket zusammen geschnürt wurde, dann kann dies nur zwei Gruppen von Filminteressierten zu Beifallsstürmen animieren. Zum Einen die kindlich naiven Filmliebhaber, die mehr in Erinnerung an die gute, alte Zeit fellinischen Schaffens schwelgen. Zum Anderen werden sich mit „Nine“ nur Musicalbegeisterte zufriedengeben, für die „Der König der Löwen“ in Hamburg zu bunt und unrealistisch – weil von der Walt Disney Company mit Tieren als Figuren – ist und die statt dessen lieber das Theaterstück mit Musikeinlagen „Die Dreigroschenoper“ in der Variante (2006) von Klaus Maria Brandauer und Campino als Mackie Messer sehen wollen.

Nicht für zu Hause

Während der 60. Berlinale fand die Deutschlandpremiere des Films statt. Kurze Zeit später lief „Nine“ dann in den Kinos. Aus zwei Gründen verursacht dies Bauchschmerzen. 1. Zur Premiere – die zeitgleich auch Galavorstellung des runden Jubiläums war – sind weder der Regisseur noch die Darsteller erschienen. 2. Die größere Berichterstattung aufgrund der Berlinale-Vorführung wurde als kostenloses Marketing für den folgenden Filmstart verstanden – wie auch bei anderen Filmen, die kurz nach der Vorführung bei Filmfestivals dem zahlenden Publikum gezeigt werden (beispielsweise: „Shutter Island“ und „Vengeance“).

Genützt hat es dem deutschen Filmverleih Senator Film nicht. Nur 34.377 Zuschauer sahen den Film bis Ende März, im Monat April tauchte der Streifen schon gar nicht mehr unter den 100 meistgesehen Filmen in Deutschland auf.

Nun erschien vor kurzem die DVD des Musicals. Wie oben schon geschrieben, ist der Film nur filmverrückten und/oder musicalbesessenen Zuschauern ans Herz zu legen. Das Bonusmaterial ist vor allem auf die zweite Gruppe ausgerichtet. Die elf Musicalnummern lassen sich direkt ansteuern und die Hintergrunddokumentationen und Interviews stellen den musikalischen und tänzerischen Produktionsprozess in den Vordergrund. Neben dem deutschen Ton findet sich auch der englischsprachige Originalton. Eine Selbstverständlichkeit ist dies aber für die DVD-Auswertung eines Films. Genauso konnte der deutsche Filmvertrieb Senator beim Bonusmaterial auf die Arbeit des US-amerikanischen Filmverleihs The Weinstein Company zurückgreifen. Filminteressierte sollten statt auf „Nine“ aber lieber auf „Achteinhalb“ zurückgreifen.

Filmdaten

Titel: Nine (englischsprachiger Titel: Nine)

USA 2009, 114 Minuten

Regie: Rob Marshall

Darsteller: Daniel Day-Lewis, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Sophia Loren, Kate Hudson, Judi Dench, Nicole Kidman, Stacy Ferguson

Deutscher Kinostart: 25.02.2010

DVD- und Blu-Ray-Disc-Verkaufsstart: 27.08.2010

DVD-Bonusmaterial: Vier Featurettes über die Diven des Films, Hautdarsteller Daniel Day-Lewis, den Look des Films und die Musicaltänzer, zwei Choreografien der Stücke „Be Italien“ und „Cinema Italiano“, Musikvideos, Interviews, sieben Kinotrailer für andere Filme der Senator Film (A Single Man, Der Vorleser, Die Eleganz der Madame Michel, Nanny Diaries, Mitte Ende August, Whatever Works und Whisky mit Wodka)

Bild: Central Film/Senator Film