The real Queen Charlotte – Sophie Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz

The real Queen Charlotte – Sophie Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz

Die Netflix-Serie Bridgerton ist eine der erfolgreichsten Serien des Streamingdienstes. Seit dem 4. Mai 2023 kann zudem das Prequel zu Bridgerton, “Queen Charlotte: A Bridgerton Story”, angeschaut werden. Auch ich gehöre zu den Zuschauer*innen der Bridgerton-Welt und war nicht wenig überrascht, als es in der ersten Folge des Prequels heißt, dass Charlotte aus “Mirow – North of Germany” stammt. Da ich selbst nicht aus Mecklenburg-Vorpommern komme, hat mit der Name erst einmal nichts gesagt, aber ich habe geahnt, dass sich die Stadt aufgrund des Suffixes -ow hier befindet. Also habe ich recherchiert und einige Folgen später wird auch in der Serie offenbart, dass sie “Sophie Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz” heißt. Das heißt: Queen Charlotte kommt aus Mecklenburg, und zwar die echte, auf der die Netflix-Queen beruht! Aber wer war Queen Charlotte in Wirklichkeit?

Herkunft

Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz wurde am 19. Mai 1744 auf Schloss Mirow in Mecklenburg geboren und war die Tochter von Herzog Carl Ludwig Friedrich zu Mecklenburg und Elisabeth Albertine von Sachsen-Hildburghausen. Gemeinsam mit ihren fünf Geschwistern wuchs sie auf dem Schloss auf. Sie soll eine ausgezeichnete Schulbildung erfahren haben: Charlotte lernte einige Sprachen, darunter Französisch und Italienisch; lernte Naturwissenschaften, Musik und Hauswirtschaft. Das in der Serie zu sehende Schloss ist jedoch nicht Schloss Mirow, sondern Ditton Manor in England.

Leben als Königin

Tatsächlich heiratete Charlotte ebenso wie in der Serie mit gerade einmal 17 Jahren George III. am 8. September 1761 – am gleichen Tag, an welchem sie ihren ersten Fuß ins Vereinigte Königreich setzte. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass sie versucht hat zu fliehen, wie es Charlotte in der Serie tut. Wenige Tage nach der Hochzeit wurde sie zur Königin Charlotte von Großbritannien und Irland gekrönt. George III. hatte sich für sie als Ehefrau entschieden, da England eine Vermählung mit der Tochter eines eher weniger wichtigen Fürstentums beabsichtigt hatte. Außerdem wollte Georg III. eine Frau, die ruhig, gehorsam, und unterwürfig war; diese Eigenschaften schienen für ihn auf Charlotte zuzutreffen. Die Bevölkerung soll mit der Wahl des Königs jedoch nicht zufrieden gewesen sein.

Ein damaliger Arzt beschrieb Charlotte als “klein, verwachsen” und “mit einem wahren Mulattengesicht”, weshalb Shonda Rhimes, die Produzentin der Serie, die Theorie entwickelt hat, dass Charlotte eine dunkle Hautfarbe hatte. Es gab zwar einen Vorfahren von Charlotte, welcher das uneheliche Kind einer nordafrikanischen Muslimin und dem portugiesischen König Alfonso war, der eine dunklere Hautfarbe hatte, das lag jedoch “bereits zwanzig Generationen zurück”.

Die Ehe mit König George III.

Angeblich sollen sich Charlotte und George III. auch im echten Leben gut verstanden haben, sogar von Anfang an, obwohl sie zuerst noch kein Englisch sprechen konnte. Sie und George hatten viel gemeinsam: die beiden spielten Duette auf der Flöte und dem Cembalo, gingen gemeinsam zu Konzerten und Theaterstücken. Das Paar soll, bis sich der Gesundheitszustand des Königs verschlechtert hat, glücklich verheiratet gewesen sein, weswegen der königliche Hof sogar als “langweiligster in Europa” bezeichnet wurde, da es weder Dramen noch Affären gab. George hat Charlotte liebevoll seinen “Schatz aus Strelitz” genannt. Von Charlottes Liebe zu ihrem Ehemann zeugen ihre Liebesbriefe an ihn, welche es auch heute noch gibt. Genauso wie in der Serie gebar sie knapp ein Jahr nach der Trauung einen Sohn. In 21 Jahren hat sie insgesamt 15 Kinder auf die Welt gebracht, jedoch starben zwei davon schon im Kindesalter. Die Kew-Szenen der Serie wurden jedoch nicht in Kew Palace, in welchem Charlotte mit ihr Familie gewohnt hat, gedreht, sondern in Waddesdon Manor in Buckinghamshire, das einem größeren Palast, dem so genannten Weißen Haus, nachempfunden ist, das einst in der Nähe stand.

Ebenso wie in der Serie stirbt Charlottes einzige Enkelin bei der Geburt ihres Kindes, wonach dringend ein neuer Thronfolger oder eine Thronfolgerin gebraucht wurde. Anders als in der Serie sollen die Töchter von Königin Charlotte jedoch nicht gegen das Heiraten gewesen sein. Vielmehr wollten sie heiraten, wurden aber in Kew zurückgehalten: George wollte nicht, dass sie losgeschickt werden, um ausländische Prinzen zu heiraten. Charlotte war streng mit ihnen und wegen Georges Krankheit hatten sie nur wenig Besuch. Die Prinzessinnen nannten Kew “das Nonnenkloster”. Ein Jahr nach Charlottes Tod wurde eine königliche Thronfolgerin geboren, welche zu einer der bekanntesten englischen Königinnen wurde: Queen Victoria!

König George III. litt ebenso wie in der Serie an Anfällen und hatte geistige Probleme, weswegen er “Mad King George” gennant wurde. Heute wird davon ausgegangen, dass er eine bipolare Störung hatte. Seine Krankheit zeigte sich jedoch im wirklichen Leben erst vier Jahre nach der Heirat und nicht schon wie in der Serie zu Beginn ihrer Ehe.

Die Interessen und Leidenschaften der Königin

Queen Charlotte war eine intelligente Frau, welche sehr viel las und musikalisch war. Sie pflegte den Umgang mit Wissenschaftler*innen und Künstler*innen, von welchen sogar einige in ihren Hofstaat aufgenommen wurden. Königin Charlotte war unter anderem mit einigen der intellektuellsten Frauen der Zeit befreundet, darunter die Schriftstellerin Fanny Burney. In einem Brief an eine Freundin soll Charlotte folgendes geschrieben haben:

I am of the opinion that if women had the same advantages as men in their education they might do as well.’

https://www.kew.org/read-and-watch/real-queen-charlotte

Ebenso wie in der Serie reiste Wolfgang Amadeus tatsächlich an den englischen Hof, um zum vierten Krönungsjubiläum mit Königin Charlotte “zu musizieren”. Mozart widmete Queen Charlotte außerdem sein Opus III. Er war allerdings nicht die einzige Berühmtheit aus der Musikwelt, die am englischen Hof war: Charlottes Gesangslehrer war Johann Sebastian Bach.

Neben der Musik hat sich die Königin bereits seit Jugendzeiten für Botanik interessiert. Diesem Interesse ging sie auch als Königin nach, es soll sogar ihre größte Leidenschaft gewesen sein. Da “sie den Aufbau der berühmten botanischen Sammlungen von Kew unterstützte” , wurde sie auch “Queen of Botany” genannt. Außerdem soll sie den Weihnachtsbaum in England eingeführt haben.

Ihre Leidenschaft für das Schreiben von Briefen konnte sie auch durch ihre Freundschaft mit Marie Antoinette nachgehen, welche zu einer ihrer engsten Vertrauten zählte und mit welcher sie im regen Briefkontakt stand.

Tod und Nachleben

Nach 57 Jahren als Königin verstarb Charlotte am 17. November 1818 in Kew Palace an Wassersucht, wovon ihr Mann jedoch aufgrund seiner immer schlimmer werdenden Krankheit nichts mehr mitbekam.

Die Stadt Charlotte in den USA wurde nach ihr benannt und auch eine Blume ehrt sie: die Paradiesvogelblume heißt Strelitzie. Zuletzt ist sie einem breiteren Publikum durch die oben genannte Netflix-Serie Bridgerton und insbesondere dem Prequel dazu bekannt geworden.

P.S.: Übrigens war die Mutter von Queen Victoria auch aus Deutschland, sie war eine Prinzessin von Sachsen-Coburg-Saalfeld. Angeblich soll Queen Victoria bis zu ihrem 3. Lebensjahr ausschließlich Deutsch gesprochen haben. Auch durch ihre Heirat mit dem deutschen Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, welcher ihr Cousin war, ging die Verbindung mit Deutschland weiter.

Bild: Alysha Kraft

Buchrezension: Khaled Hosseini – Drachenläufer

Buchrezension: Khaled Hosseini – Drachenläufer

In der Welt der Literatur gibt es Werke, die nicht nur Geschichten erzählen, sondern ganze Emotionen entfesseln. “Drachenläufer” von Khaled Hosseini ist zweifellos eines dieser Bücher, das nicht nur die Herzen seiner Leser*innen berührt, sondern auch eine tiefgreifende kulturelle Reise in die bewegte Geschichte Afghanistans bietet.

Kennt ihr das, wenn ihr ein Buch in eure Hände nehmt, es aufschlagt und die ersten paar Zeilen lest und direkt wisst: “Dieses Buch werde ich sowas von verschlingen!” Genau solch ein Buch möchte ich euch in der heutigen Rezension vorstellen. Khaled Hosseinis Buch “Drachenläufer” ist ein fesselndes Meisterwerk, das Kabuls Straßen zum Leben erweckt. Eine Geschichte voller Freundschaft, Schuld und Vergebung, die den jungen Amir auf seiner schicksalhaften Reise durch ein von Konflikten geprägtes Afghanistan begleitet. Die fliegenden Drachen dienen als Metapher für das Streben nach Erlösung. Hosseinis Erzählkunst nimmt einen mit auf eine Reise, die lange nachklingt. Ein Buch, das Kontraste verschmilzt und die menschliche Erfahrung in all ihren Facetten einfängt.

Um was geht es in dem Buch?

In den belebten Gassen Kabuls entfaltet sich das literarische Meisterwerk “Drachenläufer”. Die Geschichte folgt Amir, der aus wohlhabender Familie kommt, und seinem loyalen Freund Hassan, dem Sohn des Dieners Ali, der bei Amirs Vater Sahib angestellt und auch ein alter Freund von ihm ist. Die Freundschaft zwischen der beiden Jungen ist durch eine Ungleichheit geprägt: Amir gehört der Bevölkerungsgruppe der Paschtunen an und Hassan der diskriminierten, verfolgten Gruppe der Hazara.

Die Freundschaft der zwei Jungen scheint unerschüttlich. Ein schicksalhafter Vorfall verändert jedoch eines Tages alles: Das Ereignis entfaltet sich während eines jährlichen Drachenflugwettbewerbs in Kabul, der von einer Mischung aus Tradition und Leidenschaft geprägt ist. Die engen Freunde Amir und Hassan nehmen an diesem Wettbewerb teil. Beide sind fest entschlossen zu gewinnen und voller Vorfreude. Ziel des Wettbewerbs ist es, die Drachenschnüre der anderen Teilnehmer*innen zu zerschneiden. Derjenige, dessen Drache zum Schluss noch in der Luft fliegt, ist offiziell auch der Gewinner. Drachenläufer wird man, in dem man den letzten abgestürzten Drachen fängt. Und genau diesen fängt auch Hassan, der besonders flink ist. Doch an der Stelle nimmt die Situation eine tragische Wendung ein. Hassan wird brutal misshandelt. Diese Szene ist von großer Tragik und Gewalt geprägt und stellt gleichzeitig den Wendepunkt dar, der die Charaktere und Ereignisse im Verlauf des Romans beeinflusst.

Amir, von Schuldgefühlen geplagt und zutiefst von Hassans Schicksal erschüttert, wählt den Weg des Schweigens. Er entscheidet sich dafür, die Wahrheit über das, was passiert ist, für sich zu behalten, was zu einer schmerzhaften Entfremdung zwischen den Freunden führt. Hassan verlässt zusammen mit seinem Vater schließlich das Zuhause Amirs und damit auch sein Leben. Dieser Verlust wirft einen langen Schatten auf Amirs Leben und hinterlässt tiefe Narben in seiner Seele. Amir und sein Vater fliehen aus Afghanistan, um den politischen Unruhen und dem Einmarsch der Sowjetunion 1979 zu entkommen, die das Land ins Chaos gestürzt haben. Sie finden 1981 Zuflucht in den USA. Die Vergangenheit und die Schuld, die Amir mit sich trägt, lassen ihn jedoch nicht los, selbst in der Ferne. Jahre später, als Amir die Chance zur Wiedergutmachung erhält, kehrt er nach Afghanistan zurück. Hier beginnt eine gefährliche Mission, die den emotionalen Höhepunkt des Buches bildet. Amir muss sich seinen eigenen Dämonen stellen und versuchen, die Fehler seiner Vergangenheit wieder gutzumachen.

Dieser Teil der Geschichte betont die tiefen Themen des Buches: Schuld, Vergebung und die Möglichkeit zur Erlösung. Amir muss nicht nur um die Vergebung anderer kämpfen, sondern auch um Vergebung sich selbst gegenüber. Die Art und Weise, wie diese emotionalen Konflikte dargestellt werden, ist zutiefst bewegend und macht das Buch zu einer eindringlichen Erfahrung für die Leser*innen. Es zeigt uns, dass, selbst wenn wir durch dunkle Zeiten gehen, die Möglichkeit zur Erlösung immer vorhanden ist, wenn wir bereit sind, die Wahrheit zu akzeptieren und Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen.

Mein persönlicher Eindruck:

Persönlich hat mich “Drachenläufer” tief bewegt. Die Charaktere sind so lebendig und vielschichtig gezeichnet, dass ich mich in ihre Geschichten hineinversetzen konnte. Ehrlich gesagt, musste ich auch oft ein paar Tränen vergießen. Besonders beeindruckt hat mich die Fähigkeit des Autors, die kulturelle Atmosphäre Afghanistans einzufangen und gleichzeitig Themen anzusprechen, die wirklich sehr nah ans Herz gehen. Die Szene des Drachenflugwettbewerbs und die Konflikte, die daraus entstehen, sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Insgesamt kann ich “Drachenläufer” von Khaled Hosseini nur wärmstens empfehlen. “Drachenläufer” ist kein gewöhnliches Buch. Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die die Leser*innen auf einer Reise durch die Höhen und Tiefen menschlicher Erfahrungen mitnimmt. Von Freundschaft über Verrat bis hin zur Vergebung berührt es die Herzen. Die meisterhafte Erzählkunst von Khaled Hosseini verleiht dieser Geschichte Flügel, die weit über die Buchseiten hinausreichen und in den Gedanken und Gefühlen der Leser*innen weiterleben.

Wenn du also dazu bereit bist, auf den Flügeln der Literatur zu fliegen und deine Seele in den Seiten eines Buches zu verlieren, dann ist “Drachenläufer” ein absolutes Muss! Eine Geschichte, die einen berührt, inspiriert und einen dazu bringt, über das Leben, die Liebe und die menschliche Verbindung nachzudenken.

Beitragsbild: bovin wook auf Unsplash

Öffentlicher Vortrag “Demokratie und Migration”

Öffentlicher Vortrag “Demokratie und Migration”

Am Montag, den 12. Juni 2023, fand im alten Audimax auf dem Campus Innenstadt ein öffentlicher Vortrag mit Podiumsdiskussion zum Thema “Demokratie und Migration” statt. Die Veranstaltung wurde von Herrn Professor Doktor Jochen Müller, Inhaber des Lehrstuhls für politische Soziologie und Methoden, und Frau Doktor Rieke Trimcev, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte, moderiert. Zusätzlich hielten zwei Gastredner*innen jeweils einen Vortrag.

Kontext

Am Sonntag, den 18. Juni 2023, fand ein Bürgerentscheid in Greifswald statt, in dem über die Verpachtung städtischer Flächen an den Landkreis Vorpommern-Greifswald zur Errichtung von Containerdörfern für Geflüchtete als letztes Mittel abgestimmt wurde. Die Diskussion darüber war in der Greifswalder Bürger*innenschaft äußerst polarisierend und beinhaltete auch grundsätzliche Streitfragen über die Legitimität von Migration und Asyl. Vor diesem Hintergrund sollte die öffentliche Veranstaltung die Möglichkeit bieten, sich über philosophische und politikwissenschaftliche Antworten auf diese Fragen sowie Rassismuserfahrungen von Mecklenburg-Vorpommer*innen mit Migrationshintergrund zu informieren. Sie sollte dabei als Verbindung zwischen Forschung und Bürger*innenschaft dienen.

Vorträge

Der erste Vortrag von Doktor Tobias Gutmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grundschuldidaktik des Instituts für Philosophie der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald, gab einen Überblick über die philosophische Debatte zu dem Thema “Migration und Asyl”. Dieses ist in der Philosophie erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär geworden.

Im Mittelpunkt stehen die beiden Fragen, ob Staaten grundsätzlich das Recht haben können, Menschen an ihren Grenzen abzuweisen, und welche Pflichten Staaten gegenüber Menschen haben, die bei ihnen Schutz suchen. Als ein Argument für offene Grenzen wird genannt, dass Bewegungsfreiheit innerhalb eines Staates positiv gesehen wird, weshalb sie auch über Staatsgrenzen hinweg gelten sollte. Ein Gegenargument dafür ist, dass Bewegungsfreiheit in einem Staat auch nicht völlig unbegrenzt ist. Ein zweites Argument für offene Grenzen ist, dass sie gerecht seien, weil man unter dem Schleier des Nichtwissens, das heißt, wenn man eine Gesellschaftsordnung entwirft, ohne zu wissen welche Rolle man in ihr haben wird, sich offene Grenzen wünschen würde, da die Vorteile dadurch, wenn man in von Armut betroffenen Ländern lebt, nicht durch eventuelle Nachteile reicher Länder aufgewogen werden können. Hier besteht der Einwand, dass offene Grenzen nicht den Ärmsten hälfen, sondern nur höher Gebildeten, die es deshalb schaffen würden auszureisen. Ein Argument für die Aufnahme von Geflüchteten ist die allgemeine Hilfspflicht, die auch für Staaten gelte. Hier besteht der Einwand: Hilfe sei auch anders möglich. Ein Argument gegen Einwanderung ist die Behauptung, Staaten würden eine Kultur benötigen, die Einwander*innen gefährden würden. Hier besteht der Einwand, dass dann auch andere Rechte beschnitten werden müssten, da auch Bewohner*innen eines Landes Aspekte anderer Kulturen in ihr Leben aufnähmen. Das zweite Argument gegen Einwanderung ist, dass gemäß der Demokratie die Bevölkerung eines Landes gegen Einwanderung stimmen kann. Hier besteht der Einwand, dass Mehrheitsentscheidungen nicht zwangsläufig gerecht seien und in diesem Fall die Betroffenen nicht an der Abstimmung beteiligt seien. Gutmann beendet den Vortrag mit der Erläuterung, dass es in der Diskussion den Konsens gibt, dass Staaten bis zu einem gewissen Grad dazu verpflichtet sind Geflüchtete in Not aufzunehmen beziehungsweise zu unterstützen und Menschen, die länger in einem Land leben, die Rechte der übrigen Bewohner*innen erhalten sollen.

Den zweiten Vortrag hielt Frau Professor Doktor Júlia Wéber, Inhaberin der Professur für Migrationsgesellschaft und Demokratiepädagogik an der Hochschule Neubrandenburg.
Ihr Vortrag thematisierte eine Studie von ihr über Rassismuserfahrungen von Frauen in Mecklenburg-Vorpommern. Nach einer Definition des Wortes “Rassismus” erklärte sie die Begründung für den Fokus der Studie auf Frauen. Die Diskussion über Migration sei männlich dominierend, weshalb die Annahme bestünde, dass es spezifische Rassismuserfahrungen von Frauen gäbe. Das Forschungsdesign besteht aus der Auswertung von 21 wörtlich transskribierten Interviews mit Frauen in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei sind neu angekommene, lange hier lebende und gebürtige Bewohnerinnen Mecklenburg-Vorpommerns Teil des Samples. Bei der Durchführung des Interviews sei die Anwesenheit von Sozialtherapeut*innen zur Traumabewältigung notwendig gewesen. Die Fragen beinhalteten Lebensbereiche, Erfahrungen und institutionelle Strukturen in Bezug auf Rassismuserfahrungen. Die Frauen schilderten Ausgrenzungen und fehlendes Zutrauen von Lehrkräften; Mehrsprachigkeit wurde als Defizit, fehlende Hilfe als individuelles Problem wahrgenommen und definiert. Bildungserfolg sei von Unterstützung durch andere Personen aus dem persönlichen Umfeld abhängig gewesen. Die Frauen hätten versucht, unsichtbar zu werden. Allgemeiner erläuterte Wéber, dass die Ländlichkeit, die alte Bevölkerung, die Zentralisierung der Landkreise seit 2011 und die Nutzung als Experimentierfeld durch rechtsextreme Gruppen Faktoren seien, die Rassismusprobleme in Mecklenburg-Vorpommern forcieren würden. Teile der Bevölkerung nähmen die Gesellschaft fälschlicherweise als ethnisch homogen wahr, und würden die befragten Frauen auf diese Fremdheit hinweisen und eine Grenzziehung durchführen. Während des gesamten Vortrags merkte man deutlich, dass das Thema auch für die Rednerin sehr wichtig und emotional war.

Fragen aus dem Publikum

Auf die Vorträge folgte eine kurze Möglichkeit Fragen zu stellen, bevor die Veranstaltung beendet wurde. Es kamen sehr viele Fragen aus dem Publikum, die jedoch aus Zeitgründen leider nicht alle beantwortet werden konnten. Einige Personen haben die Vorträge auch kommentiert und dabei Solidarität zu Migrant*innen bekundet. Insgesamt war dieser Teil der Veranstaltung jedoch sehr kurz, da die beiden Vorträge, besonders der von Wéber viel Zeit in Anspruch genommen hatten.

Beitragsbild: Annica Brommann

Greifswalder Bachwoche: Orgelmusik bei Kerzenschein im Dom St. Nikolai

Greifswalder Bachwoche: Orgelmusik bei Kerzenschein im Dom St. Nikolai

Die Greifswalder Bachwoche ist ein großes Festival für geistliche Musik, das jährlich ein Anziehungspunkt für Tourist*innen ist. Organisiert wird sie von der evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland in Kooperation mit der Universität Greifswald. Eine kostenlose Veranstaltung ist Orgelmusik bei Kerzenschein.

Diese meditative Veranstaltung fand in diesem Jahr vom Dienstag, den 13., bis Freitag, den 16. Juni, täglich um 23:55 Uhr im Dom St. Nikolai statt. Sie dauerte jeweils etwa eine halbe Stunde.

Meine Intention

Diese Veranstaltung war das erste Orgelkonzert, das ich in meinem Leben besucht habe, weil ich eigentlich kein Fan der Klassik bin und Musik ohne Text oft etwas langweilig finde. Deshalb habe ich im Wesentlichen die Veranstaltung im Vorfeld nicht als Konzert, sondern als eine abendliche Veranstaltung zum Beten und Meditieren betrachtet und bin mit dieser Erwartungshaltung am Dienstag alleine dorthin gegangen. Da sie mir bei dieser Betrachtung gut gefallen hat, war ich am Mittwoch noch ein zweites Mal mit einigen Freund*innen dort. Der weitere Artikel wird die Beweggründe für diese positive Bewertung offenlegen.

Rahmen der Veranstaltung und erste Impressionen

Schon beim Eintreten in den Dom bin ich zur Ruhe gekommen. Alle Gäste warteten leise oder bei geflüsterten Gesprächen auf das Einsetzen der Orgelmusik. Es war eine erwartungsvolle Atmosphäre. Immer wieder hat man nach oben zur Orgel geschaut, um zu sehen, ob der*die Organist*in gleich beginnen wird. Mit dem Einsetzen der Orgelmusik wurden alle Gäste schlagartig komplett still und begannen, der die Kirche erfüllenden Musik zuzuhören. Diese Fülle der Musik und die aufmerksame Ruhe der Zuhörer*innen hielten bis zum Ende der Veranstaltung an. Dann begannen die Gespräche und man ging aus dem Dom und nach Hause. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer*innen erschien mir relativ hoch. Es war sicherlich keine primär an Studierende gerichtete Veranstaltung. Ich habe aber auch einige Kommiliton*innen gesehen, war also nicht der einzige Student. Die Menge der Besucher*innen wirkte eher gering, aber das lag vermutlich auch an der Größe des Doms.

Die Orgelmusik

Gespielt wurden sakrale Orgelstücke verschiedener Komponist*innen. Die einzelnen Stücke waren dabei gut von einander zu unterscheiden, da mit ihnen auch die Wirkung der Musik wechselte. Von melancholisch-beruhigend bis pompös-imposant wurden so verschiedenste Stimmungen erzeugt. Die Orgelstücke waren dabei für mich immer klar als sakrale Musik zu erkennen, die ich auch aus Gottesdiensten gut kenne. Zu Beginn wurden einige der Stücke und ihre Komponist*innen benannt, wobei ich die Namen nicht kannte und sie mir deshalb auch nicht langfristig gemerkt habe. Ich wusste allerdings beim zweiten Mal noch, dass die dort gespielten Stücke zumindest teilweise nicht die gleichen waren wie beim ersten Mal. Für mich als eine Person, die kein Kenner von Orgelmusik ist, war es allerdings nur bedingt möglich zwischen Orgelstücken mit ähnlicher Wirkung Unterschiede herauszuhören und mir zu merken. Das empfand ich jedoch auch nicht als notwendig und ließ mich allein von der meditativen Wirkung der Musik inspirieren und entspannte.

Stimmungsvoll und meditativ

Die geistliche Orgelmusik sorgte dabei für eine stimmungsvolle, aber gleichzeitig auch beruhigende Atmosphäre. Das wurde verstärkt durch das dämmrige Licht spärlich leuchtender elektrischer Kronleuchter und vieler Kerzen. So prägte die gesamte Kirche diese Atmosphäre. Die Komposition aus Musik und Szenerie waren dabei ausschlaggebend dafür, dass die Veranstaltung für mich wunderbar dazu geeignet war, zur Ruhe zu kommen, leise meinen Gedanken nachzugehen und zu beten. Die Müdigkeit, die mich dabei durch die recht späte Stunde, die Ruhe des Lauschens und Gebets sehr schnell ergriffen hat, hat auch mit zum meditativen Charakter der Veranstaltung beigetragen, auch wenn sie gegen Ende etwas anstrengend wurde.

Abschließende Worte

Ich empfand die Veranstaltung als eine kurze und angenehme spirituelle Auszeit sowie eine gute Möglichkeit die Greifswalder Bachwoche und Orgelkonzerte kennenzulernen. Sie erfüllte damit meine Erwartungen an den Besuch. Die Länge von einer halben Stunde fand ich sehr gut gewählt, um nicht zu ermüdet zu werden. Es war rundum ein schönes Erlebnis. Ich kann nur empfehlen, bei der nächsten Bachwoche im Jahr 2024 die Veranstaltung selbst zu besuchen und die Erfahrung zu machen.

Beitragsbild: Jan-Niklas Heil

moritz.playlist: Angels & Airwaves

moritz.playlist: Angels & Airwaves

Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schon mal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist, und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.

Menschen, die Musik wie blink-182, Box Car Racer, Thirty Seconds To Mars, Lostprophets, the Offspring oder American Hi-Fi hören, dürfte die Band Angels & Airwaves (kurz: ΛVΛ) nicht vollkommen unbekannt sein. Die ΛVΛ-Bandmitglieder spielten unter anderem in genau diesen genannten Bands. Der Frontsänger, Tom DeLonge, ist Gitarrist und Sänger der Bands blink-182 und Box Car Racer.

Doch auch Menschen, die weniger mit Skate-Punk, Pop-Punk oder Alternative Rock in Berührung gekommen sind, könnte die Band etwas sagen. Die beiden Songs Lifeline und Everything‘s Magic waren Teil des Soundtracks von Keinohrhasen, einem Film von Til Schweiger aus dem Jahre 2007. Auch in Schweigers 2011 erschienenen Film Kokowääh war mit Epic Holiday ein Song der amerikansichen Band zu hören. Damit wurden Angels & Airwaves in Deutschland ein wenig bekannter.

Spread Love Like Violence

ΛVΛ gründeten sich 2005 – kurz nach der Trennung DeLonges von blink-182. Bereits ein Jahr später erschien das erste Album We Don‘t Need To Whisper. Doch ΛVΛ machen nicht nur Musik, sondern auch Film- und Grafikprojekte. So erschien 2011 der von ΛVΛ produzierte Film Love, welcher Songs des gleichnamigen Albums enthält. Okay, eigentlich sind es zwei Alben: Love (2010) und Love: Part Two (2011). 2015 wurde dann das Projekt Poet Anderson veröffentlicht: Ein animierter Kurzfilm, ein Comic-Buch und – natürlich – das fünfte Studioalbum. 2021 hat die Band mit Lifeforms ihr bereits sechstes Studioalbum veröffentlicht. Zusätzlich erschienen drei EPs, darunter eine Acoustic EP mit Songs des ersten Albums.

Von dieser Acoustic EP – We Don’t Need To Whisper (Acoustic) – möchte ich den ersten Song für die moritz.playlist auswählen. Dieser Song ist The Adventure. Mit seinen positiven Lyrics ist das ein Song, den man immer wieder hören kann, wenn es einem gerade nicht so gut geht. Die Message des Songs ist auch unmissverständlich: Genieß das Leben mit den wunderbaren Menschen, die es begleiten und die dich unterstützen. Zusätzlich ist es eine Akustikversion, was dem Ganzen nochmal einen anderen Blickwinkel (oder Hörwinkel?) gibt.

Finding A Light In A World Of Ruin

Besonders faszinierend finde ich die Andersartigkeit der Musik. Wobei sie gar nicht so andersartig ist. Der Stil ist bekannt – aus den späten 60ern bis frühen 70er Jahren. Space Rock. Progressive Rock mit ein wenig mehr 21. Jahrhundert – Neo-Progressive Rock. Eine angenehme Abwechslung.

Für mich persönlich beschreibt der Song Spellbound vom 2021 veröffentlichten Album Lifeforms den Stil am besten. Schwerelos, synthetisch, ein ruhiger Beat, aber äußerst stark. Es wird das Gefühl vermittelt, man höre Musik aus einer anderen Zeit.

Ein weiterer Faktor, der definitiv hineinspielt: Ich mag Tom DeLonges Stimme wirklich sehr. Während er sich bei blink-182 den Gesang mit Mark Hoppus teilt, ist bei ΛVΛ ausschließlich seine Stimme zu hören. Großer Pluspunkt für Angels & Airwaves.

Doch auch die Lyrics treffen den (meinen) Ton. Meist handeln die Songs von Liebe oder Krieg oder beidem. Weswegen die Alben Love und Love: Part Two vermutlich lange Zeit meine favorisierten Alben zwischen all den Bands, die ich so höre, waren. Man kann mitsingen oder einfach nur zuhören und nachdenken. Es funktioniert einfach. Die beiden Alben waren jedoch auch melodisch ein kleines Meisterwerk und haben mich doch ein wenig an Pink Floyd erinnert. Abgelöst wurden die Love-Alben in meiner Favoritenliste übrigens von Lifeforms.

“The music of Love. It’s like blending Radiohead and U2 together with these kind of Pink Floyd movements. Things happen unpredictably and take you to these epic soundscapes. It’s very much in the spirit of Angels & Airwaves, but it sounds way, way more thought-out and way more ambitious.”

Tom DeLonge über das Album Love

Hope When Things Get Dark

Einen Song, den ich ganz dringend noch in diesem Artikel einbauen möchte, ist All That’s Left Is Love. Veröffentlicht wurde der Song im April 2020, direkt zu Beginn der COVID-19-Pandemie. Das Video folgte im Juni 2020. Die Einnahmen der Single gingen an Feeding America, speziell an deren COVID-19 Relief Fund.

Abgesehen davon, dass der Song aufgrund der Spendenthematik einen sehr netten Hintergrund hat, ist er auch wieder einmal lyrisch und melodisch ein Fest. Die Band hat es sich schon sehr früh zur Aufgabe gemacht, Liebe und Hoffnung auszudrücken und auszusenden. Mit dem Fortschreiten der Pandemie ist das ein noch wichtigerer Faktor geworden. Mit All That’s Left Is Love haben ΛVΛ genau für diesen Zweck eine hervorragende Hymne erschaffen.

Den letzten Song für die moritz.playlist stellt Shove dar. Mit einer ähnlichen Botschaft wie schon The Adventure trifft auch dieser Song meinen Nerv. Außerdem kann man bei Shove hervorragend mitsingen. Hört gern aber auch in weitere Songs der Band hinein, denn die hier ausgewählten vier Lieder sind wirklich nur eine kleine Auswahl.

She said show me the world that’s inside your head.
Show me the world that you see yourself, you could use some help.
‘Cause sometimes it comes with a shove, when you fall in love.

Shove (2010)

Beitragsbild: Tanner Vonnahme auf Unsplash

Spiel-Rezension: Legenden von Andor – Die Ewige Kälte

Spiel-Rezension: Legenden von Andor – Die Ewige Kälte

Der Winter kann etwas Schönes sein – gemütlich am Kamin sitzen, durch den Schnee stapfen, Schlitten fahren… Noch schöner ist es allerdings, wenn er endlich vorbei ist und es wieder warm und grün wird. Aber was, wenn das nicht passiert? Was, wenn der Winter einfach zu keinem Ende kommen will? Dann macht der Winter irgendwann nicht nur keinen Spaß mehr, nein, es gibt echte Versorgungsprobleme. Das ist die Situation, in der sich das Land Andor in Michael Menzels neuem Spiel befindet – werden die Held*innen es schaffen, die Kälte zu besiegen?

Das hängt im vierten großen Andorspiel nicht nur von Würfelglück, sondern auch von Teamfähigkeit und guter Planung ab. Denn es gibt wieder einmal einiges zu tun: Die Spielenden müssen nicht nur herausfinden, was es mit dem geheimnisvollen Winterstein auf sich hat, sondern auch einen Weg finden, die Kälte zu beenden und nebenbei die Burg beziehungsweise die Zeltstadt vor den Angriffen der Kreaturen schützen. Und dann sind da noch die Schneestürme, die einem leicht einen Strich durch die Rechnung machen können…

So funktioniert das Spiel

Doch erst einmal ganz von vorn: was ist überhaupt dieses Andor?
Andor ist eine Spielreihe, bei der kooperativ Fantasy-Abenteuer an unterschiedlichen Orten bestanden werden müssen. Der erste Teil spielt im Land Andor, das auch die Heimat der Held*innen ist, in deren Rollen man schlüpfen kann. Die Figuren unterscheiden sich in ihrer Kampfstärke und ihren Fähigkeiten. In “Die Ewige Kälte” stehen zum Beispiel eine Wächterin des Feuers, ein Zwerg, eine Zauberin und ein Krieger zur Auswahl. Das Spiel geht über mehrere Runden, die Legenden, die jeweils eine andere Geschichte erzählen und in denen unterschiedliche Aufgaben gemeistert werden müssen.

Eine Mission haben jedoch alle Legenden gemeinsam: Die Kreaturen müssen in Schach gehalten werden. Nachts bewegen sie sich über das Spielfeld, in Richtung von Orten, an denen Menschen Schutz suchen, in Andor etwa der Burg. Wenn dort zu viele Kreaturen einfallen, ist das Spiel verloren. Daher müssen die Held*innen, wenn sie tagsüber am Zug sind, über Würfelwürfe gegen diese Bedrohung kämpfen. Für erfolgreiche Kämpfe gibt es Belohnungen, allerdings kostet das Kämpfen auch wertvolle Zeit – Zeit, die auch gebraucht wird, um auf anderen Missionen durch die Lande zu ziehen, es gilt also immer abzuwägen, was wer am Besten tun sollte. Das mag so alles erstmal ein bisschen kompliziert klingen, wird aber auch in “Die Ewige Kälte” im Laufe der ersten Legende einsteiger*innenfreundlich erklärt.

Der neue Teil spielt zeitlich zwischen der zweiten und dritten Legende des Grundspiels. Startpunkt ist daher auch das verschneite Land Andor, von wo aus es auf der Suche nach einem Weg, die Kälte zu beenden, weiter nach Osten geht. Auch die bislang unbekannte Gegend, die dort liegt, hat der Winter fest im Griff. Und er macht es den Held*innen nicht leicht:

Neben den Kämpfen und Missionen noch der Kälte trotzen zu müssen, ist nicht unanstrengend. Dadurch geschwächt halten die Andori jeden Tag eine Stunde weniger durch, bevor sie sich ausruhen müssen. Doch selbst im Schlaf sind sie nicht vor Einwirkungen sicher: Unter den großzügig verteilten Schnee- und Eisplättchen, die aufgedeckt werden, sobald jemand seinen Zug auf einem entsprechenden Feld beendet, verbergen sich oftmals Schneestürme. Der aufkommende Wind weht alle Figuren der Gruppe entlang der Pfeile, in deren Richtung sich normalerweise die Kreaturen bewegen, ein Feld weiter. Befindet sich dort ein neues Plättchen, kann eine Kettenreaktion ausgelöst werden. Das kann unglaublich ärgerlich sein, oft spielt einem der Wind aber auch in die Karten. Die langen Wege, die die Spielenden zurücklegen müssen, wären in der kurzen Zeit nicht machbar, wenn es nicht den ein oder anderen Luftstoß gäbe.

Wer dennoch nicht verweht werden will, muss in die Zeltstadt oder über den großen, gefrorenen See in der Mitte des Spielplans laufen. Dort gibt es keine Pfeile. Doch Vorsicht: Jedes Feld des Sees kann nur einmal betreten werden, danach bricht das Eis. Daher heißt es: gut überlegen, zu welchem Zeitpunkt man über das Wasser abkürzen will. Beliebig oft können dafür Feuer entzündet werden. Das braucht zwar den nötigen Willen, aber danach spendet die Wärme den Spielenden Kraft für Kämpfe und einen stärkeren Willen für den nächsten Tag, wenn die nächsten Herausforderungen warten.

Auf dem winterlichen Spielplan müssen verschieden Orte erkundet und Kreaturen (rote Figuren) besiegt werden.

Und so schneidet es ab

Insgesamt ist “Die Ewige Kälte” ein Spiel, das sich lohnt, ganz gleich, ob man die vorherigen Andor-Teile bereits kennt oder nicht. Es wurde wirklich gut darauf geachtet, alles noch einmal Stück für Stück zu erklären. Wie bei den anderen Spielen steht auch hier wenig in der Anleitung, dafür mehr auf den Legendenkarten, sobald etwas relevant wird. So gelingt ein Einstieg besonders leicht, nur hat es für bereits erfahrene Personen den Nachteil, dass man praktisch alles noch einmal lesen muss. Hier wäre es vielleicht gut gewesen zu kennzeichnen, welche Regeln neu und welche alt sind. Das spielt aber höchstens in der ersten Legende eine Rolle, danach sind ohnehin alle auf dem gleichen Stand. Im Vergleich zu anderen Spielen sind die Legenden hier eher einfacher, es gibt aber zusätzliche Karten, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, so dass alle auf ihre Kosten kommen.

Gegenüber den anderen Spielen wurde etwas abgespeckt. Es wird mit vier Legenden weniger erzählt, allerdings gehört “Die Ewige Kälte” ja auch nicht zur Andor-Trilogie, sondern ist eine Art Bonus-Teil (Der aber genauso viel kostet wie längere Teile). Das Spielmaterial ist auch deutlich weniger umfangreich, was es leichter macht, den Überblick zu behalten. Statt in kleine Plastiktüten wird es jetzt in einen Pappaufsteller sortiert. Das ist nachhaltiger und übersichtlicher, funktioniert aber natürlich nur, wenn man das Spiel nur ins Regal stellt und nirgends hintransportiert. Eine Kleinigkeit zum Material, die positiv auffällt, sind die Held*innentafeln. Jede Rolle lässt sich als männliche oder weibliche Figur spielen. Auf den Tafeln im ersten Teil waren noch alle männlichen Rollen auf der Vorderseite und die weiblichen auf der Rückseite. Hier ist das Verhältnis hingegen ausgeglichen.

Die neuen Elemente, die durch den Wintereinbruch dazu kommen, machen das Spiel abwechslungsreicher. Gerade die Schneestürme sind dadurch interessant, dass sie unvorhersehbar sind und es sich im Spielverlauf jederzeit ändern kann, ob sie wünschenswert sind oder nicht. Gleichzeitig sorgt die Kälte aber auch für weniger Abwechslung – nämlich auf dem Spielplan. Der ist immer noch schön gestaltet, aber dadurch, dass alles so trist ist, gibt es natürlich weniger zu entdecken als auf anderen Plänen. Vielleicht aber auch eine zusätzliche Motivation, den Winter zu beenden, er soll ja nicht als etwas Schönes empfunden werden.

Die Beendigung des Winters als gesamtes Ziel für das Spiel ist als Idee erst einmal schön, so stehen die Legenden nicht so getrennt voneinander, sondern man kann wirklich eine Geschichte erleben. An der Geschichte hätte man aber noch etwas feilen können, die Missionen der ersten Legenden fühlen sich eher nach Fehlversuchen an als nach einem wichtigen Schritt auf dem Weg ans Ziel. Es würde sich befriedigender anfühlen, wenn geradliniger auf ein Ziel hingearbeitet würde, statt Wege auszuschließen, die Kälte zu besiegen. Denn, so viel kann über die Geschichte verraten werden, das klappt natürlich erst nach der vierten und damit letzten Legende. Bei den vorherigen Versuchen ist also von vornherein klar, dass sie zum Scheitern verurteilt sind.

Nichtsdestotrotz macht es Spaß, zusammen zu scheitern – sei es an den Legenden als solche oder beim Kampf gegen den Winter. Es ist einfach schön, für ein paar Stunden in die Welt von Andor einzutauchen und dort Abenteuer zu bestehen. Da kann es ruhig ein bisschen dauern, bis die Kälte besiegt ist und in der echten Welt “Die Ewige Hitze” auf uns wartet…

Bilder: Nora Stoll