von Laura Schirrmeister | 06.04.2022
Zwei Jahre Pandemie und jeden Tag stellt man sich die Frage, ob Menschen – und vor allem Entscheidungsträger*innen – eigentlich irgendetwas aus diesen zwei Jahren gelernt haben und diese neuen Erfahrungen vielleicht auch endlich einmal anwenden können. Dario Schramm erlebte die letzten zwei Jahre als Schüler einer gymnasialen Oberstufe mit all den Problemen, die nicht nur seit 50 Jahren ignoriert, sondern seit zwei Jahren immer akuter werden. In seinem Buch Die Vernachlässigten rechnet er mit dem deutschen Bildungssystem ab, bringt aber auch Vorschläge zur Verbesserung.
Die Vernachlässigten erschien am 31. Januar 2022 und umfasst 137 Seiten. 118 Seiten reiner Fließtext teilen sich somit auf Vorwort, Einleitung, neun Kapitel und Epilog auf. Die Kapitel widmen sich einzelnen Schwerpunkten innerhalb des Bildungssystems, wie beispielsweise der Digitalisierung, Schulsozialarbeit oder der Inklusion.
Dario Schramm ist Jahrgang 2000 und machte 2021 sein Abitur in Nordrhein-Westfalen. In seinem letzten Schuljahr begleitete er das Amt des Generalsekretärs der Bundesschüler*innenkonferenz – sozusagen war er Schülersprecher aller Schülersprecher*innen. Seit Herbst 2021, also seit dem letzten Wintersemester, studiert er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder Recht und Politik. Im Einleitungstext gibt Dario Schramm erst einmal einen kleinen Überblick über die Situation, wie er sie in den letzten zwei Jahren erlebt hat. Er schreibt von Parkplatztreffen mit seinen Mitschüler*innen, wie die Frustration über die Situation immer weiter anstieg, dass er nichts von Lehrerbashing hält und wie er seinen Weg in die Schulpolitik fand.
Wir kennen es alle!
Jede Person hat eine Schule von innen gesehen. Die Mehrheit kennt demnach den maroden Zustand staatlicher Schulen: bröckelnder Putz, verstopfte Toiletten, undichte Dächer. Auch Dario Schramm kann ein Lied von der schlechten baulichen Substanz singen, was er in seinem ersten Kapitel auch gleich tut. Beim Lesen musste ich feststellen, dass meine Gefühle zwischen Lachen und Weinen wanderten, denn so lustig die Geschichte mit der Kaffeemaschine im Lehrer*innenzimmer, die den Stromkreis überlastete, weswegen im Raum darunter die Lichter flackerten, auch ist: Sie zeigt, wie bescheiden es um deutsche Schulen steht. Würde man Schüler*innen fragen, welche Probleme sie so kennen – jede*r von ihnen hätte etwas zu erzählen.
Für eine Wirtschaftsnation wie die deutsche ist es schlichtweg verwerflich, in welchem maroden Zustand unsere Schulen und damit unsere Nachwuchsstätten sind. Ursache des Problems ist, dass die Gebäude in kommunaler Hand sind. Denn ausgerechnet die Kommunen sind finanziell schwach aufgestellt.
Dario Schramm, S. 25
Dieses erste Kapitel zeigt bereits, wie genau sich Schramm mit dem deutschen Schulsystem und der Verwaltung von Schulen und dem Personal auseinandergesetzt hat. Er weiß, wie Bauaufträge ausgeschrieben werden müssen. Er hat sich mit dem Fachkräftemangel auseinandergesetzt, der über das Gesundheitswesen hinausgeht. Schramm erklärt ausführlich, wie Lehrer*innenstellen vergeben werden und wo die Probleme von „normalen“ Lehrer*innen auf Stellen für die Sonderpädagogik liegen. Außerdem gibt er einen Einblick zu der Vergabe von Schulsozialarbeiter*innen.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur beim Thema Digitalisierung große Unterschiede deutlich gemacht. Mittellose Bildungssystem-Teilnehmende haben in der Pandemie keine Chance gehabt, vernünftig an der Bildung zu partizipieren. Doch auch davor war es für genau diese Akteure bereits schwierig. Bildung ist eben nicht für jede Person kostenlos. Egal, ob Digitalpakt Schule, die Kultusminister*innenkonferenz, Förderprogramme für einkommensschwache Familien: die Hürde Bürokratie zieht sich durch unser Bildungssystem.
Doch auch von Seiten des Lehrapparats gibt es große Defizite: Schramm selbst weist jedoch eindeutig daraufhin, dass dies selten an den Lehrer*innen selbst liegt, sondern viel mehr ein Problem innerhalb der Ausbildung des Lehrkörpers ist. Dass Schüler*innen mit Talenten und Begabungen oft einen Nachteil dadurch erfahren, dass das Lehrpersonal schlichtweg damit nicht umzugehen weiß, sieht er ebenfalls als Barriere. Er zeigt auf, wieso Schulen oft als feindliches Biotop betrachtet und weniger als motivierender Lernort gesehen werden.
Ich verbinde Schule (aus eigener leidvoller Erfahrung) mit harten Stühlen, kantigen Tischen und einem verkrusteten System alter, eingestaubter Denkweisen.
Dario Schramm, Seite 28
Lesenswerter Mehrwert
Für mich persönlich haben die ersten Kapitel zu Modernisierung, Digitalisierung und zur Kommunikation vor allem neue Einblicke in ein System gebracht, welches ich bis dahin lediglich als Schülerin kennenlernte und weniger als Akteurin, die in diesem für Veränderungen sorgen möchte. Die drei Kapitel haben dazu beigetragen, dass ich öfter mit dem Kopf geschüttelt habe, als ich eigentlich wollte. Außerdem helfen die Kapitel dabei, ein unfassbar bürokratisches System zu sehen, in dem es niemanden mehr wundern sollte, dass alles so bescheiden läuft.
Ebenfalls etwas Neues stellt für mich das Kapitel zur Schulsozialarbeit dar. Ja, mir ist klar, dass es so etwas gibt. Ich selbst bin jedoch nie damit in Berührung gekommen und zu meiner Schulzeit – das klingt jetzt so als wäre ich super alt, aber mein Abitur liegt eigentlich erst sechs Jahre zurück – gab es schlichtweg in meiner Region keine Schulsozialarbeiter*innen. Ähnlich die Situation um die Inklusion: Meine Schulen waren alle DDR-Bauten. Da war nicht viel mit Fahrstühlen oder Klassenräumen, die für jeden Menschen zugänglich sind. Schramms Buch gibt also auch mir, die doch eigenltich noch jung und frisch aus dem System „Schule“ heraus ist, einen neuen Blick und vor allem neue Informationen.
Ein bisschen Kritik
Schramms Buch soll zum Nachdenken, zur Reflexion und vor allem zum Hinterfragen der derzeitigen Situation an unseren Schulen und in unserem Bildungssystem anregen. Das schafft es definitiv! Dass es dabei auch noch leicht verständlich und gut erklärt wird, ist ein großer Bonuspunkt. Doch an der ein oder anderen Stelle habe ich mich auch widersprechen gehört (oder gedacht). Natürlich sind Schramms Ideen eben nur als genau das gedacht: Ideen, Vorschläge, Handlungsmöglichkeiten. Doch man darf ja trotzdem widersprechen. Zum Beispiel bei dem „einfachen“ Gedanken, den Numerus Clausus an Universitäten für Berufe mit Mangel herunterzusetzen. Das Problem ist komplexer und wird nicht durch das Aussetzen des NCs verbessert – was drei Jahre Hochschulpolitik doch mit einem machen.
Auch der Punkt der Lizenzen in der Online-Lehre hat mich etwas aufhorchen lassen. Ja, man kann durchaus Geld für bereits vorhandene – datenschutzrechtlich fragwürdige – digitale Infrastruktur ausgeben. Der richtige Weg ist länger, aber effektiver, weil er unsere eigene Infrastruktur, unsere Rechenzentren, unsere Server stärkt.
Wenn ihr, nachdem ihr dieses Kapitel gelesen habt, einfach die Seite umblättert, ohne euch Gedanken über das zu machen, was ich gerade geschrieben habe, empfehle ich euch: Legt das Buch lieber gleich weg!
Dario Schramm, Seite 71
Fazit
Es gibt innerhalb des Buches durchaus noch weitere Punkte, die ich anders denken würde. Doch dafür ist diese Rezension nicht gedacht. Worauf ich eigentlich hinaus möchte: Das Buch ist sehr gut und verständlich geschrieben. Man merkt, dass Dario Schramm sich in das System eingearbeitet hat und er auch komplexe Vorgänge mit einfachen Worten erklären und darlegen kann. Man kann seine Gedanken verstehen, seine Wut nachempfinden und reflektiert auch die eigene Position beim Lesen – sofern man kritisch mit seinen eigenen Privilegien umgehen kann. Eine meiner Notizen an einem Absatz ist wortwörtlich: „diggi, bin ich priviligiert“ – was vollkommen ernst gemeint ist.
Dieses Buch hat mir mehrfach Gänsehaut bereitet. Bei jedem Fachkräftemangel – seriously, ich hatte ja keine Ahnung, wie schlimm es wirklich ist! – stellte sich mir die Frage, ob man in solch ein kaputtes System wirklich ein Kind setzen möchte. Wenn es um die Kultusminister*innenkonferenz oder das Bildungsministerium ging, kam mir mehrmals die Frage, ob die damalige Bildungsministerin überhaupt ihre Kompetenzen kannte – es wirkt jedenfalls nicht so.
Die Probleme unseres Bildungssystems sind unfassbar vielfältig und vielschichtig, doch Dario Schramm schafft es, diese Probleme in neun Kapiteln und 137 Seiten darzulegen, Möglichkeiten der Verbesserung aufzuzeigen und vor allem zum Nachdenken anzuregen. Ich hoffe, dass es nicht nur mir so erging. Denn eine Reform hat unser Bildungssystem dringend nötig und dieses Buch gibt einen guten Überblick über die Großbaustellen.
Vielleicht zum ersten Mal in unserem Leben begreifen wir, was Schule neben der Vermittlung von Lerninhalten ist: soziales Netz, Ort des Austauschs, Zentrum der Kommunikation.
Dario Schramm, Seite 15
Beitragsbild: Laura Schirrmeister
von Fabian Kauschke | 05.04.2022
Netflix, Amazon Prime, Disney Plus, Hulu, HBO Max, RTL+, Youtube premium, Joyn Plus, Sky, Apple TV+… . Streaming regiert die Abendunterhaltung wie Oasis den Wunsch nach Vereinigung, Take That den Wunsch nach Trennung, „We don’t talk about“ Bruno das Herz von Kindern und das Lineal die Kurvendiskussion (wegen ruler…). So stellt sich doch die Frage, worin sich die einzelnen Anbieter noch unterscheiden? Exklusivtitel und Eigenproduktionen locken, jedoch erscheint der berühmte Markt übersättigt durch das Vollgestopfte, mit animierten Sitcoms von super spritzig verrückten Familien, Reality TV über die wirklich wahre Liebe und Filme von und mit Timothée Chalamet und Ryan Reynolds. Bibliotheken des Landes haben dagegen einen Anbieter vorzuweisen, bei dem nun auch die Stadtbibliothek Greifswald Mitglied ist, welcher die Frage mit einem einzigartigen Angebot in ein ganz neues Licht rückt.
Was ist es?
Die Stadtbibliothek Greifswald hat seit dem 15. Dezember das Streamingportal filmfriend in ihr Angebot aufgenommen. Dabei handelt es sich um eine Plattform für Bibliotheken in ganz Deutschland, die Filme zeigt, die sonst selten bei klassischen Streaminganbietern gefunden werden können.
Die Stadtbibliothek schreibt selbst:
Angemeldete Nutzer*innen der Stadtbibliothek können das Filmstreamingportal filmfriend kostenfrei nutzen und damit über 3.000 Filme online schauen. Die Anmeldung erfolgt mit Benutzernummer (auf dem Leserausweis) und Passwort der Stadtbibliothek. Das filmfriend-Angebot umfasst vor allem deutsche und europäische Titel, Arthouse-Fime, Filmklassiker, Kurzfilme, Serien und Dokumentarfilme sowie eine große Filmauswahl für Kinder und Jugendliche.
Was kann es?
Was der Plattform von vornherein zu Gute kommt, ohne das weitere Angebot zu betrachten, ist der unschlagbare Preis. Kostenfrei ohne versteckte Nebenkosten für Bibliotheksmitglieder kann sich wirklich sehen lassen. Interessierte ohne Mitgliedschaft können diese für einen jährlichen Tarif von 15€ (10€ für Studierende) abschließen und dabei auch noch von den physischen Qualitäten der Stadtbibliothek profitieren. Diese stehen im Verhältnis zu monatlichen Beiträgen von meist 8-15€ der klassischen Anbieter, die aufgrund der Andersartigkeit des Angebots aber auch schwer zu vergleichen sind.
Das wichtigeste Herausstellungsmerkmal von Filmfriend lässt sich im Filmangebot ausmachen. Nur um es mal so zu sagen: es gibt vermutlich eine ganze Sammlung von Filmen aus jedem Land Europas, wenn nicht der ganzen Erde, die in irgendeiner Art prämiert wurden. Die Spanne läuft vom dänischen Königshaus zu einem rumänischen Mädchen, das seine Familie nicht mag hin zu einem Pferd aus Finnland. Dazu kommen eine raue Anzahl an Buchverfilmungen, was bei einem Dienst der Bibliothek vermutlich nicht besonders überraschend, aber auch dementsprechend umfangreich ist. Dokumentationen, die in dieser Anzahl und Qualität wohl nur in der zu guten Arte Mediathek gefunden werden können. Trotzdem sind aber auch viele Fernseh- und Kinofilme verfügbar. So gibt es wohl jeden Film mit Daniel Brühl, dem deutschen Bradley Cooper, Lars Eidinger, dem deutschen Neil Patrick Harris und Mads Mikkelsen, dem dänischen Daniel Brühl. „The King’s Speech“ hat nicht umsonst vier Oscars gewonnen, „Die Königin und der Leibarzt“ fesselt emotional und „Submarine“ muss nicht nur aufgrund der Vertonung von Alex Turner zu den besten Coming of Age Dramen gehören. Zu alldem kommt das angesprochene Unterscheidungsmerkmal: Filmfriend weist Filme auf, die in dieser Anzahl wohl nirgends zu finden sind. Als Beispiel dafür gibt es eine ganze Sammlung von in der DDR verbotenen Filmen, die zum Teil erst nach der Wiedervereinigung aus übriggebliebenen Resten zusammengesetzt und hier digital verfügbar gemacht wurden. „Die Russen kommen“ von 1968 zeigt, wie Jugendliche des Nationalsozialismus in der Endzeit des 2. Weltkriegs zwischen Glaube an den Endsieg und völliger Verzweiflung als letzte Verteidigung in den Krieg ziehen mussten. Wenn wir schon bei so aktuell anklingenden Themen sind, muss auch für das Drama „Donbass“, welches den seit 2014 anhaltenden Konflikt in der Ukraine dokumentiert, eine Empfehlung ausgesprochen werden.
Filmfriend hat nicht diese Eigenproduktion, die zur teuersten Serie aller Zeiten werden kann. Aber vermutlich macht das die ganze Plattform zu etwas besonderem, dass sie ein kleines Stück weg vom Kommerz kommt und die Welt so zeigt, wie sie eben ist. Wenig Hollywood Bling Bling dafür mehr echte Emotionen, echte Menschen, echtes Leben. Das Fazit kann daher nur eine absolute Empfehlung an alle Mitglieder der Bibliothek sein, einfach mal reinzuschauen, sowie der Überzeugungspunkt für alle, die an einer Mitgliedschaft noch zweifeln.
Beitragsbild von Glenn Carsten-Peters auf unsplash.com
von Maret Becker | 31.03.2022
Mickey Mouse, das letzte Einhorn oder Astronaut*innen und dann noch irgendwas mit dem „Rand“. All das spielt im gleichnamigen Theaterstück Rand eine Rolle. Das hört sich alles sehr verwirrend an und irritierte auch uns zuerst. Doch vor lauter Neugierde wollten wir uns das Stück anschauen. Auch wenn wir beide keine gängigen Theaterkritiker*innen sind, konnte uns die Aufführung nicht loslassen. Ob vor Freude oder Enttäuschung, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Ein Beitrag von Maret Becker und Tom Siegfried
Unser persönlicher Prolog
Wir waren doch sehr skeptisch, als wir uns am 18. März auf den Weg zur Stadthalle machten. Im dortigen Rubenowsaal wurde das Stück aufgeführt. Der Raum war ziemlich gemütlich gestaltet, indem die Bühne auf einer Ebene mit dem Bereich für die Zuschauer*innen gelegt wurde, um das Ensemble und das Auditorium zu vereinen. Das klappte auch ganz gut. Wir saßen in der ersten Reihe und Maret wurde dreimal direkt angesprochen. Tom ist sich sicher, er sitzt deswegen bewusst nie wieder dort. #peinlich
Worum geht es überhaupt?
Wo ist die Mitte der Gesellschaft? Wo ihr Rand? Fragen, die sich Wissenschaftler*innen, Astronaut*innen, das letzte Einhorn, Tetrissteine und Mickey Mouse stellen und nachgehen. Absurd-komische Figuren und Gruppen, die verstehen wollen, verzweifeln, sich radikalisieren oder versuchen zu retten, was zu retten ist. Das klingt erstmal alles sehr verwirrend. Auf der Bühne scheint es allerdings Sinn zu ergeben.
Die Figuren
Angefangen hat das Stück mit Tetrissteinen. Ja, die Schauspieler*innen trugen Kostüme in Form von Tetrissteinen. So unterschiedlich sie auch aussehen, gehören sie alle zusammen und wollen immer ein Ganzes ergeben. Die Ränder des Spielfeldes bleiben auch immer die gleichen: Oben der Beginn und unten das Ende. Danach betraten zwei Wissenschaftler*innen und eine Soziologin die Bühne. Sie trugen Perücken, lange Bärte und eine dicke (Schaumstoff-)Nudel im Intimbereich. Nur der Soziologin wurde das verwehrt. Aber warum das alles?
Dann kamen die Astronaut*innen. Die wortwörtlich „höchsten“ Menschen, geografisch betrachtet, haben den Sprung über den Rand der Welt geschafft. Und nun? Was liegt vor ihnen? Das letzte Einhorn sah aus wie eine Dragqueen. Mit Perücke und High Heels wurde es gejagt, als Letztes seiner Art… Um es auszustellen. Einzupferchen. Anzufassen. Zu versklaven. Und letztendlich auch, um es als Delikatesse zu verarbeiten. In dem Moment, als die Analogie auffiel, wurde es auf einmal sehr still im Publikum. Ach ja, dann kam auch noch Mickey Mouse um die Ecke. Klingt verwirrend, passt aber voll!
Die letzte Figur, die dem Publikum vorgestellt wurde, war die Randfigur. Eine sehr allumfassende Figur. Sie kann lachen und weinen, ist zuversichtlich und hoffnungsvoll, aber im selben Moment auch gebrochen und hoffnungslos. „Warum die Mitte den Rand erst nicht betrachten will und nicht einmal hilft, wenn es bereits zu spät ist… ?“, fragt sie sich. Kann man eine Kugel noch aufhalten, wenn sie einmal abgefeuert wurde?
Irgendwann kommt der Rand und die Welt geht zu Ende. Nur weil die Mitte der Gesellschaft es nicht sehen möchte, heißt es nicht, dass es nicht passieren wird. Doch wo endet die Mitte und wo beginnt der Rand? Gibt es denn Grenzen dazwischen? Wo beginnt die Zukunft und was muss man tun, um auf sie gefasst zu sein? Und warum tut man es dann nicht? Diese Fragen verfolgten uns durch das gesamte Stück.
Wie das Leben endete auch das Stück mit dem Tod, dem „großen Gleichmacher“. Am Ende sind eben alle gleich.
Es gibt so viele Ebenen, wie man das Stück interpretieren könnte.
Tom
Kritik und Lob
In einer kleinen Ansprache sagte der Regisseur des Theaterstücks: „Es könnte etwas abstrakt wirken.“ Diese Abstraktion ist zu einem großen Teil gut erkennbar gewesen. Auch die Hoffnung, dass „das Stück etwas zum Nachdenken mit nach Hause gibt“ wurde für uns vollkommen erfüllt. Wir konnten es danach kaum erwarten, uns über das Gesehene auszutauschen. Auch wenn uns die Figuren ab und an etwas verwirrt haben — in der Abstraktion der Charaktere fielen für uns ein paar Motivationen unter den Tisch. Dennoch haben es die Darstellenden wunderbar geschafft, die Figuren zu verkörpern. Dank ihnen wurde es möglich, mit den Rollen mitzufühlen.
Mir kamen so oft die Tränen. Mich berührte vor allem der Appell, dass es meistens um das Gemeinschaftsgefühl gehen soll. Wir wollen nicht zum Rand gehören, weil wir dort ausgeschlossen werden. Wir wollen immer zur Mitte hin. Auch wenn wir das nicht gerne zugeben.
Maret
Für uns steht fest: Das Stück ist echt wunderbar! Angenehm abstrakte Gesellschaftskritik, die nicht so schnell wieder loslässt! Absolut sehenswert!
- Wo kann ich mir das Stück anschauen?
- 02.04.2022 / 20:00 Uhr // Stadthalle Greifswald: Rubenowsaal
- 13.04.2022 / 20:00 Uhr // Theater Stralsund: Gustav-Adolf-Saal
- 22.04.2022 / 20:00 Uhr // Theater Stralsund: Gustav-Adolf-Saal
- 29.04.2022 / 20:00 Uhr // Theater Stralsund: Gustav-Adolf-Saal
- 04.05.2022 // Theater Putbus (auf Rügen)
Beitragsbild: Inês Pimentel auf unsplash