Einfach mal abheben in ein anderes Universum, auch dafür ist der webmoritz. da! Ihr könnt jeden Freitag ein anderes Redaktionsmitglied auf einem neuen Teil der intergalaktischen Reise unserer unendlichen Geschichte begleiten. Die Rahmenbedingungen haben wir in einer gemeinsamen Sitzung aus unseren Ideen zufällig ausgewürfelt, danach haben wir die Geschichte jedoch der individuellen Kreativität und Gnade unserer Redakteur*innen überlassen. Wohin die unendliche Geschichte führen wird, ist für uns also auch noch ungewiss, aber wir bieten Corona-Craziness, Ärger und Spaß ohne Ende – garantiert!

Was bisher geschah …
Gerhard Schmitt ist Galapagos-Schildkröte, Entenfotograf und investigativster Investigativjournalist. Auf einer seiner journalistischen Missionen führt ihn sein Weg jedoch etwas unfreiwillig auf den Planeten Meridia (Teil 1). Hier stößt er nicht nur auf fremdartige schnabelige Tiere, sondern auch auf eine tiefreichende Fehde zwischen den frisch gelandeten Enten und den ansässigen Meridianer*innen (Teil 2). Und als Gerhard seinen geliebten Sauerteig an die Mutter des kleinen Schnabeltierjungen Justus verschenkt, ahnt er noch nicht, dass es diesen ins Visier das Meritär und damit in große Gefahr bringen wird. So machen sich Justus und Gerhard auf eine Reise, die sie zu den mudixten Mudixen führt (Teil 7), wo die Situation mit dem Auftauchen von Justus’ Mutter plötzlich eskaliert und Gerhard Schutz in der Stille seines Panzers suchen lässt … (Teil 8)

Teil 9 – Ein Schwein kommt selten allein
(sondern immer mit Hintergedanken)

Die Stille war nicht bedrohlich. Im Gegenteil. Sie war eine willkommene Bekannte, eine alte Freundin sogar. So oft hatte er sie aufgesucht, damals in der Galapagosse. Sich in seinen Panzer zurückgezogen, wenn er das Gefühl hatte, dass die Welt über ihm zusammenbrach. Seine Beine unter das schützende Dach seines eigenen Körpers gezogen und von dem knusprigen warmen Brot und der Bärlauchbutter seiner Mutter geträumt. Dass es nicht real war, dass es das duftende Brot, die leckere Butter, den zärtlichen Gesang seiner Mutter, während sie Teig knetete, schon lange nicht mehr gab, hatte ihn nicht gekümmert. Realität, Träume, was machte es schon für einen Unterschied? Draußen in der Galapagosse war die Welt düster und dreckig und gefährlich, nur das zählte. Eine Welt, durch die er sich mit bloßer Panzerstärke hatte durchschlagen müssen. Bis eines frühen Morgens der wohlige Geruch von gebuttertem Brot durch seine Panzeröffnung und in seine Nase gekrochen war. Und Gerhard hatte den Kopf hervorgeschoben, war dem Duft zur Bäckerei gefolgt, hatte erst nur gierig davor gestanden, bis ihn die hübsche Schildkrötendame schließlich hereingebeten hatte. Sie hatte gelächelt und mit den langen Wimpern geklimpert. „Kannst du backen?“ „Nur Sauerteig“, hatte Gerhard wahrheitsgetreu geantwortet. Ihr Lächeln war noch ein wenig breiter geworden.

Er hatte nicht lange in der Bäckerei gearbeitet. Eine Zeit lang war es eine gute Abwechslung gewesen und es hatte ihm etwas Warmes zu essen eingebracht, aber Gerhard hatte andere Ziele. Die Welt zu sehen, von der ihm seine Mutter in ihren Liedern immer vorgesungen hatte. Und irgendwann war seine Chance einfach durch die Tür gelaufen gekommen, in Form eines leicht ergrauten Hängebauchschweins in Anzug und mit Sonnenbrille, obwohl es draußen schon dunkel geworden war. Auf seinem Heimatplaneten hatte man nie besonders viel von den Schweinen gehalten, also hatte Gerhard stets einen großen Bogen um sie gemacht. Dieser hier jedoch war direkt auf ihn zugekommen. Nur ein weiterer Kunde, hatte er sich eingeredet. Und umso mehr war ihm das Herz in die Tiefen seines Panzers gerutscht, als das Schwein seine Sonnenbrille ein Stück hinauf schob und ihn mit kleinen schwarzen Augen musterte. „Gerhard?“ „Schmitt. Gerhard nur für meine Freunde.“ Das Schwein hatte die Nase gerümpft, sodass sie noch faltiger wurde. „Sind wir denn keine Freunde?“ Gerhard hatte sich ein wenig auf die Hinterbeine gestellt und den Hals länger gemacht, um größer zu wirken vor dem dicken Schwein. „Das wird sich noch zeigen müssen.“ Daraufhin hatte das Schwein nur kichernd gegrunzt und in seiner Jacketttasche herum gewühlt. Nach langem Suchen hatte es endlich eine alte Polaroidkamera hervorgezogen und sie zwischen ihnen auf den Bäckereitresen gelegt. „Sie werden für uns an einer Story arbeiten, Schmitt. Sie trägt den Titel L’altra dimensione. Bei den Enten scheint ein Bürgerkrieg zu drohen. Sie werden uns Fotomaterial liefern.“ „Aber ich bin kein Fotograf“, hatte Gerhard verwirrt entgegnet. „Ich backe nur Sauerteig.“ „Dann werden Sie ihre Hobbys wohl überdenken müssen.“

Dass das Schwein seine erste aufrichtige Arbeit seit einem guten Jahrzehnt als ‚Hobby‘ abtun wollte, hatte Gerhard wütend gemacht. Er hatte den Auftrag trotzdem angenommen. War beim quackmoritz. gelandet. Hatte fotografiert und investigiert. Und war schließlich auf ein Raumschiff gekommen. In der Galapagosse, in der Bäckerei, beim quackmoritz. – immer nur ein Spielstein der anderen. Seine Mutter hätte gelächelt und ihm einen Kuss aufs runzlige Köpfchen gegeben. „Mehr musst du doch auch nicht sein. Für mich genügt das.“ Aber Gerhard genügte das nicht mehr. Es war Zeit, sein Leben selbst in die Krallen zu nehmen. So mutig, so tapfer, so selbstbestimmt zu werden, wie seine Mutter es bis zu ihrem letzten Atemzug gewesen war.

Also ließ Gerhard die Stille hinter sich. Den Dreck der Galapagosse, den Duft der Bäckerei, den Gesang seiner Mutter. Er streckte den Kopf aus seinem Panzer, nicht zaghaft, sondern mit Kraft und Nachdruck. „Ich habe Justus nicht entführt. Ich habe ihn nur begleitet. Er hat die Enten verfolgt, um seinem Vater zu helfen. Und ich wollte ihm helfen. Das ist alles. Und jetzt würde ich gerne weiter nach Enten suchen, um Fotografien von ihnen zu schießen. Danke.“

Doch als er aus der Tür in den Urwald hinaus blinzelte, musste er feststellen, dass er nicht einfach losziehen und Enten fotografieren können würde. Auch war all sein gesammelter Mut umsonst gewesen, denn es war niemand mehr da, der seine selbstbewusste Ansage gehört hätte. Und plötzlich verstand er, warum es so still geworden war, kaum dass er sich in seinen Panzer zurückgezogen hatte. Sämtliche faule Tiere und geschnabelte Tiere hatten das Baumhaus verlassen und Gerhard war allein zurückgeblieben. Allein zwischen den bunten qualmenden Fetzen der Hängematten, eingehüllt von beißendem Gestank und von dichtem Rauch umzingelt wie in einem Käfig. Vor ihm brannte der Urwald. Nein, wurde es ihm bewusst. Der Urwald brennt nicht einfach nur. Jemand hat ihn in Brand gesteckt.

Worin hat Gerhard sich nur jetzt wieder verstrickt? Wer hat den Wald angezündet und warum? Wo sind Justus, seine Mutter und die Faultiere abgeblieben? Und wird Gerhard es lebend aus den Flammen schaffen oder nimmt unsere und seine Geschichte schon hier ein jähes Ende? Das lest ihr nächste Woche in Svenjas zehntem Teil der Unendlichen Geschichte.

Illustration: Elisa Schwertner