Greifswald demonstrierte abermals für Demokratie
Am Sonntag, den 25.02., lud das neugegründete Bündnis für Demokratie zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz ein. Personen aus Universität, Kirche, Wirtschaft, Sport und Politik sowie aus der Studierendenschaft hielten Ansprachen. Es war die dritte Demo gegen Rechts in Greifswald seit den Nachrichten zu dem rechtsextremen Geheimtreffen in Potsdam, das zweite neugegründete Bündnis gegen rechte Tendenzen in diesem Jahr und die erste dieser Demos bei Sonnenschein.
Von Luise Markwort und Juli Böhm
Sonntag, kurz vor 14 Uhr. Die Sonne kam ab und zu zwischen den Wolken hervor. Auf dem Marktplatz in Greifswald waren mehrere hunderte Menschen zusammengekommen, um für Demokratie und gegen Rechts zu demonstrieren. Neben den üblichen Parteiflaggen und Bannern gab es auch Schilder mit Aufschriften wie „Omas gegen Rechts“, „Höcke isst heimlich Döner“ und „Kindergarten Antifa“, komplett mit dem Neinhorn.
Wie auch schon auf den beiden vorangegangen Demonstrationen Ende Januar war auch bei dieser Demo Hennis Herbst Versammlungsleiter. Hennis Herbst ist stellvertretender Landesvorsitzender der Linken Mecklenburg-Vorpommern und studentischer Prorektor der Uni Greifswald. Er hatte die Demonstration gemeinsam mit dem neugegründeten Greifswalder Bündnis für Demokratie organisiert. Nach einer kurzen Begrüßung, bei der er sich bei allen Unterstützenden bedankte und kurz das Organisatorische zu den Ordner*innen und den Flucht- und Rettungswegen klärte, gab er das Wort an den Oberbürgermeister Dr. Stefan Fassbinder weiter.
Dr. Stefan Fassbinder, Oberbürgermeister von Greifswald, begann damit, dass er am liebsten alle Demonstrierenden einzeln begrüßen wollen würde. Da dies jedoch zu lange gedauert hätte, beließ er es bei einer Person: Dr. Arthur König, seinem Vorgänger, den er als Vorbild sehe. Dieser liefe dereinst an der Spitze der Demos gegen die NPD. Anschließend erklärte Fassbinder, wofür das Bündnis und die Kundgebung stehen und standen. Für Demokratie, denn diese sei unter Druck geraten. Dies äußere sich in Greifswald vor allem durch Gewalt und gehe so weit, dass einige Personen aus der Bürgerschaft nicht mehr kandidieren möchten. Für Vielfalt, welche eine Bereicherung und auch eine Chance für die Stadt und ebenfalls nötig für die wirtschaftliche Zukunft sei. Gegen Rechtsextremismus und für die Werte des Grundgesetzes. Auch Islamismus, Linksextremismus und Antisemitismus wurden von Fassbinder erwähnt.
„Wir stehen hier zusammen, um uns zu verteidigen […].“
Dr. Stefan Fassbinder, Oberbürgermeister von Greifswald
Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, sprach danach. „Wir müssen hier sein“, sagte er. „Demokratie ist unser aller Sache. Wir alle sind verantwortlich, sie zu gestalten.“ Denn die Demokratie sei in Gefahr. Der Ton in der Gesellschaft würde aggressiver werden, Leute mit Migrationshintergrund hätten Angst. Er habe zum Beispiel mit einem Briten gesprochen, der sich nach vielen Jahren in Deutschland nun unsicher fühle. Es sei wichtig, sich hinter die Grundordnung zu stellen. Er betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Menschenwürde eines jeden Menschen für den göttlichen Glauben – Diskriminierung sei mit der Menschenwürde nicht zu vereinen. Er sagte weiterhin, wir alle hätten eine große Aufgabe bis zur Kommunalwahl: Wir sollen mindestens einer Person, die rechts wählen würde, zuhören und sie konfrontieren. Wir sollen aktiv ins Gespräch kommen und uns hinter das stellen, was für uns wichtig sei. Er kenne Fälle, in denen es geklappt habe, Menschen zum Nach- und Umdenken zu bringen.
„Greifswald soll offen bleiben, vielfältig und bunt – dafür sind wir hier.“
Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland
Prof. Dr. Katharina Riedel, unsere Rektorin, sprach viel von Wissenschaftsfeindlichkeit. Die aktuelle Tendenz in der Gesellschaft sei gefährlich. Sie warnte vor dem Leugnen von Fakten, vor Schwarz-Weiß-Malerei und Verschwörungstheorien – es würden Erkenntnisse geleugnet, die wissenschaftlich unverrüttbar seien. Sie nannte die verschiedenen Themen, an denen die Universität forscht, unter anderem zu Klimastrategien und demografischem Wandel. Dies alles sei nur möglich mit einer offenen Willkommenskultur und interkulturellem Austausch. Denn die internationale Gesellschaft sei eine große Bereicherung und eine Grundlage dafür, dass die wissenschaftliche Arbeit erfolgreich durchgeführt werden könne. Und ohne wissenschaftliche Erkenntnisse käme die Gesellschaft nicht voran. Die Ideen und Sichtweisen von internationalen Studierenden und Studierenden mit Migrationshintergrund seien zudem essenziell.
Darauf folgte der Chor NoLimHits mit dem Lied „Laut sein“, wo es heißt „Wir müssen laut sein, um all den Hass und all die Wut zu übertönen.“
Weiter ging es mit der Rede der Unternehmerin Prof. Dr. Dagmar Braun. Sie betonte, wie wichtig Studierende und internationale Mitarbeitende für Unternehmen seien – gerade auch für die Kommunikation mit internationalen Kund*innen. Sie würde gerne stolz auf Greifswald sein, aber sagte, es wäre schwierig, Leute nach Greifswald zu holen, wenn der Stadt der Ruf voraus eile, es tobe ein rechter Mob durch die Stadt. Sie spricht ebenfalls von den Vorteilen internationaler Arbeitsgruppen: „Je multikultureller die Diskussionsrunden, desto produktiver.“ Aber zu ihr kämen auch Beschäftigte und sagen, sie würden sich unwohl in der Gesellschaft fühlen. Als Trägerin der Rubenow-Medaille würde sie jedoch gern weiterhin stolz auf Greifswald sein, denn Greifswald sei jung und tolerant und weltoffen.
„Jede*r soll helfen, dass wir vorankommen als vielfältige Stadt.“
Prof. Dr. Dagmar Braun, Unternehmerin
Wie der Bischof hatte auch Braun eine Bitte: „Wenn Ihnen rechtsextreme, intolerante Gedanken begegnen, sagen Sie etwas. Seien Sie nicht die schweigende Mehrheit. Sagen Sie ruhig und bestimmt: ‚Ich sehe das anders und die Mehrheit sicherlich auch.'“ Es sei wichtig, dies ohne Aggression zu tun – nur so würden die Parolen aufhören, die niemand mehr hören wollen würde.
Weiter ermahnte sie Eltern, das Internetverhalten ihrer Kinder im Blick zu behalten, und warnt vor Rechtsextremen auf TikTok. Hier geschehe Bildung, die sich dem elterlichen Einfluss entziehe.
Dr. Dirk-Carsten Mahlitz vertritt als Leiter des Greifswalder Sportbundes über 12.000 Sportler*innen und zog viele Vergleiche zwischen Sport und Demokratie. Sport habe einen sozialen Aspekt, welcher die Gesellschaft widerspiegele, denn überall haben Menschen aller Hintergründe die Möglichkeit Sport zu treiben. Sowohl Sport als auch Demokratie haben Regeln und werden von Vielseitigkeit stärker. Sport lehre zudem, wie mit Siegen und Niederlagen gerecht und mit Meinungen würdig und friedlich umgegangen werden könne. Leider gebe es zu viele Spaltungen und Menschen, die sich nicht mehr an die Regeln halten würden – Sport könne wieder Brücken bauen und für Vernetzungen sorgen. Zudem erzählte er von einem Ehrenkodex, der besage, wie demokratisch Sport betrieben werden könne und der von allen Vereinen unterschrieben worden sei. Dieser verspreche unter anderem, dass auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit geachtet werde und andernfalls dagegen angegangen werde. Zudem werde jede Form von politischem und religiösem Extremismus abgelehnt. Als Vorbilder wollen sie Zivilcourage und Engagement vorleben und die Sportler*innen anregen, dies ebenfalls zu tun. Zum Schluss zitierte er einen bekannten Fußballer:
„Der Sport zeigt uns, dass in Sport Einheit liegt. Egal welche Hautfarbe, Religion und Herkunft, auf dem Fußballfeld sind wir alle gleich.“
Kurz vor drei betrat Sophie Tieding, Präsidentin des Studierendenparlaments, die Bühne. Sie fände es ermutigend, dass noch immer so viele auf die Straßen gehen – „das muss weitergehen“. Vor allem aber hob sie die studentische Selbstverwaltung als Möglichkeit für demokratische Teilhabe hervor. In den studentischen Gremien würde sich um Vielfalt bemüht werden. Zudem machte sie unter anderem auf das Festival contre le racisme und das jährliche Stolpersteinputzen als feste Bestandteile der studentischen Selbstverwaltung aufmerksam. Aber auch außerhalb der Uni werde sich für die Förderung von Vielfalt engagiert, denn Ausgrenzung und Hass dürfen weder an der Uni oder in der Stadt noch sonst nirgendwo einen Platz haben.
Sie sagte ebenfalls, als Studierendenschaft würden wir dazu beitragen, den internationalen Austausch zu fördern. Sie drückte auch ihr Gedenken an Mehmet Turgut aus, der an diesem Tag vor 20 Jahren in Rostock von Rechtsextremen ermordet wurde.
Als letzter Redebeitrag sprachen Vertreter*innen von vier Parteien. Katharina Horn von den Grünen beginnt mit einem Aufruf: „Kommen Sie zu den [Bürgerschafts-]Sitzungen, gestalten Sie die Stadt mit! Mischen Sie sich ein, denn Demokratie kann nur leben, wenn wir diskutieren!“
Danach sprach Birgit Socher von der Linken: Sie zählte verschiedene Gremien wie zum Beispiel den Seniorenbeirat und den Migrantenbeirat auf und ermutigte dazu, sich einzumischen – „denn Demokratie kann nur leben, wenn wir ins Gespräch kommen.“ Der Grundsatz alle sind gleich müsse verteidigt werden. Alle müssen ein Leben ohne Angst führen können. Sie hob zudem das Banner mit dem Spruch „Menschenrechte haben keine Außengrenzen“ hervor, welches ganz vorn vor der Bühne gehalten wurde.
Johannes Barsch (SPD) schloss sich an. Auch er sprach den Mord an Mehmet Turgut an. Damals hätte es viele gegeben, die die Augen verschlossen hätten, und 20 Jahre später sei das wieder der Fall. Er erinnert daran, wie entscheidend Kommunal- und Europawahlen seien. Weiter sprach er von der besonderen Situation in Greifswald, denn „hier fehlt eine Partei.“ „Es kann keine politische Zusammenarbeit mit dem parlamentarischen Arm rechtsextremer Kräfte geben“ sagt er.
Lars Boorberg von der FDP ergänzte zuletzt, dass Demokratie ein grundsätzlicher Wert sei, der verteidigt werden müsse. Jeder dürfe seine*ihre Meinung äußern.
Der Chor NoLimHits sang noch einmal, „Komm, wir ziehen in den Frieden“ von Udo Lindenberg, eingeleitet durch Artikel 3 und 1 des Grundgesetzes.
Hennis Herbst beendet kurz nach 3 die Kundgebung. In der Spitze seien 2000 Leute dagewesen. „Dabei belassen wir’s nicht, wir werden uns wiedersehen.“ Damit, begleitet von Seifenblasen der Kindergarten Antifa, beendet er die Kundgebung.
Beitragsbilder und Videos: Juli Böhm