Von Evolution und Weltanschauung oder wie man aneinander vorbeiredet
Kommentar: Wenn man sich auf einen Vortrag freut und komplett enttäuscht wird.
Das Fazit kommt zum Schluss.
In den Mensen lagen seit einigen Tagen Flyer aus, welche sich dem Thema Evolution zuwandten. Es wurden zwei Vorträge von Prof. Dr. Siegfried Scherer, welcher an der TU München die Professur Mikrobielle Ökologie innehat, angekündigt. Der Vortrag von gestern beschäftigte sich mit Evolution unter dem Gesichtspunkt der Unterteilung in eine Naturwissenschaft und eine Weltanschauung. Heute findet einer zum Thema CRISPR/Cas statt und wird ähnlich aufgebaut sein.
Am Tag des Vortrags habe ich realisiert, dass dieser Vortrag von der SMD Greifswald (Studentenmission in Deutschland) organisiert wird, welche eine christliche Hochschulgruppe ist. Da wurde mir schon ein wenig unwohl, da Religion in dieser Form nun so gar nicht meins ist. Damit das niemand falsch versteht: Jede*r darf den Glauben haben, den die Person gerne haben möchte, nur meins ist es wirklich nicht.
Der Vortragende Prof. Scherer stellte sich vor, als Biologe, welcher als Atheist in sein Biologiestudium startete und sich während dieser Zeit dem christlichen Glauben zuwendete. Nun treibt ihn die Frage um, ob man Glaube und Religion miteinander vereinen könne.
Danach ging er zum eigentlichen Thema über und stellte die Begriffe Evolution als etwas Naturwissenschaftliches und Weltanschauung als etwas Spirituelles vor und kam dann dazu, dass diese sich ja trotzdem überlagern könnten, weil sie sich in ihm als Person auch überlagern würden und ebenso in der Forschung. Man hätte einmal die Evolutionstheorie und einmal die Evolutionsanschauung. Und das ist auch nicht schlimm, da jeder Mensch eine Weltanschauung besitzen würde.
Als nächstes stellte er die Themen Naturwissenschaft und Weltanschauung vor. Naturwissenschaft wäre die Suche nach der Struktur der Welt und arbeitet mit empirischen Methoden, wie der Untersuchung reproduzierbarer Daten und gegenwärtiger Vorgänge. Dabei beschränkt sie sich auf die Suche nach natürlichen Ursachen und bedient sich am „Methodischen Atheismus“, was bedeutet, dass sie Gott nicht als mögliche Erklärungshypothese nutzt. Damit kann die Naturwissenschaft angeblich nur einen kleinen Teil der Welt erklären und für den Rest, wie beispielsweise Bewusstsein, Liebe und Mystisches, benötigt man andere Methoden. Meiner Meinung nach sind definitiv zumindest Teile der ausgeschlossenen Teilgebiete naturwissenschaftlich zu erklären.
Weltanschauung ist die Art und Weise, wie ein Mensch die Welt anschaut und deutet und ist beeinflusst von Dingen wie Wissen, Erziehung, Ängsten, Wertesystemen oder Gotteserfahrungen. Sie beschäftigt sich mit fundamentalen Fragen, wie zum Beispiel: Wer bin ich? Woher kommen wir? Was ist der Mensch? Hier kann man Gott als mögliche Erklärung nutzen, es ist aber auch möglich, dass es überhaupt keinen Gott hierfür gibt.
Als nächstes führte er einige Beispiele an, in denen Atheisten gläubige Menschen beleidigt haben und umgedreht ebenfalls. Ihm ist es besonders wichtig zu betonen, dass der Glaube an Evolutionsbiologie nicht mit ideologischem Evolutionismus und Schöpfungsglaube nicht mit ideologischem Kreationismus gleichzusetzen sei. Anschließend führte er verschiedene Mechanismen auf, welche Entstehung von genetischer Vielfalt und Artenbildung erklären. Dies ist Mikroevolution und laut ihm ein Element allen Lebens. Makroevolution ist die Entwicklung von einer Art zu einer anderen.
Und wenn man alle verfügbaren Daten betrachtet, gibt es keine alternative Hypothese, als das alle Arten zusammenhängen würden. Allerdings bezweifelt Prof. Scherer die Standardhypothese, welche besagt, dass wenn man Mikroevolution lange genug beobachtet, Makroevolution entsteht. Laut ihm gibt es dabei Probleme, welche diese nicht beantworten kann. Auch mit Darwins Theorie kann man beispielsweise nicht beantworten, wie aus Nichts Leben entstehen kann.
Hier führte er an, dass in Lehrbüchern steht, dass Bakterien überall entstehen könnten. Außerdem wird Louis Pasteur erwähnt, welcher durch Experimente ermittelt hat, dass Lebendes nur aus Lebendem entstehen kann.
(Kurze Erklärung: Pasteur tötete in verschieden Medien alles Leben ab und wies dann nach, dass sich darin kein neues mehr bildete.) Dies würde immer gelten, außer bei der Entstehung des Lebens.
Um das zu klären, werden Ursuppenexperimente durchgeführt, in denen sich chemische Moleküle bilden müssten. Es konnte nachgewiesen werden, dass Aminosäuren sich spontan bilden, allerdings müssten diese sich noch zu informationstragenden Proteinen zusammenschließen, was bisher noch nicht geschehen ist. Erste Zellen müssten genetisch unseren heutigen ähneln und deswegen mehr als 300 dieser Proteine enthalten.
Jetzt wurde es wirklich abgefahren.
Prof. Scherers Hauptuntersuchungsobjekte sind Bakterien, wie E. Coli welche eine Geißel haben, mit der sie sich fortbewegen und welche durch Motorproteine angetrieben wird. Diese sind laut ihm bis heute nicht verstanden und super komplex. Man versteht nicht, wie so etwas als Variation entstehen konnte und wie in Zukunft solche Dinge entstehen können.
Nach einem kurzen Ausflug in die Möglichkeiten der Evolutionsforschung und der Ausführung, dass man nichttriviale Wissenslücken möglicherweise nicht mit einer materiellen Lösung entschlüsseln könnte und dass es da vielleicht einen anderen Lösungsweg gibt, wendete er sich der „Brille der Weltanschauung“ zu. Man könnte Naturwissenschaft mit atheistischer und theistischer Weltanschauung betrachten.
Laut Prof. Scherer spricht die Natur eine zweite Sprache und bringt alle zum Staunen über die Intelligenz eben dieser. Dabei ist Leben zweckmäßig und laut Thomas Nagel ist Zweckmäßigkeit eine geistige Kategorie und deswegen muss „Geist“ neben der Materie eine weitere Grundgröße der Wirklichkeit sein. Was dieser Geist ist, ist nicht festgelegt.
Prof. Scherer sieht die Natur und Biologie als Gottesbeweis und damit keinen Widerspruch zu seinem Glauben.
Zum Schluss konnte man noch Fragen stellen, welche größtenteils kritisch waren. Hier hat er meistens relativ ausweichend geantwortet, häufig einfach nur noch mal das wiederholt, was er schon mehrfach gesagt hat und wiederholt behauptet, dass man ja aneinander vorbei reden würde.
Mein Fazit:
Zuallererst muss man Prof. Scherer zugestehen, dass er das, was er macht wirklich gut macht. Gleichzeitig kommt er mir die meiste Zeit vor wie ein Aal, der sich durch alles durchwindet, aber gleichzeitig nicht wirklich greifbar ist. Er lässt auch sehr häufig fallen, dass es ihm ja nicht um einen Gottesbeweis ginge und dass der damit gar nichts zu tun haben müsste, bringt ihn aber gleichzeitig immer wieder mit in die Diskussion ein.
Meiner Meinung hat er dafür selber eine schöne Erklärung geliefert. Früher konnten sich die Menschen nicht erklären, wie Blitz und Donner entsteht und stellten sich deshalb einen Gott vor, welcher diese erzeugt, wenn er wütend wird. Heute können wir uns diese Dinge sehr wohl erklären und deshalb gibt es keinen donnermachenden Gott mehr. Meiner Meinung nach wird es mit den heutigen Göttern sehr ähnlich verlaufen. Wir können heute die Entstehung und Veränderung des Lebens nicht (vollständig) erklären. NOCH nicht.
Vielleicht haben wir noch nicht die richtigen Maschinen oder Ideen dafür. Beim Higgs-Boson hat man schließlich auch warten müssen, bis ein riesiger Teilchenbeschleuniger errichtet wurde.
Auch seinen Geist konnte Prof. Scherer nicht erklären und vor allem, welchen Nutzen dieser für die naturwissenschaftliche Forschung haben sollte. Wenn er sich darauf nicht anwenden lässt, ist er eigentlich doch nicht von Nöten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Vortrag ein teils sehr verschwurbeltes Hin und Her zwischen Religion beziehungsweise Weltanschauung und Naturwissenschaften war, welche sich trotz mehrfacher Versuche Prof. Scherers für mich nicht in seiner Form unter einen Hut bringen lassen.
Beitragsbild: Svenja Fischer; Flyer der Hochschul-SMD Greifswald