Mimimi-Mittwoch: Sommer

Mimimi-Mittwoch: Sommer

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinen Mitmenschen. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Leute auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier.

Für meinen Mimimi-Artikel ist dieser Sommer hier im Norden eher suboptimal. Keine brütende Hitze wie damals mit knapp über 40 Grad im Spreewaldurlaub. (Okay, mittlerweile schon, aber als ich das hier schrieb, war das noch nicht so.) Keine Insektenplage wie noch vor einigen Jahren. Und auch viel weniger Tourist*innen in der Region dank Corona. Doch euch sei versichert, auch dieses Mal wird es wieder heiß hergehen (Wortwitz intendiert).

Wo fangen wir an? Das erste, was mir in den Sinn kommt, ist natürlich die Sonne. Man kann bei wolkenlosem Himmel nicht nach oben sehen ohne zu erblinden.

Die Strahlen der Mittagssonne brutzeln meine helle Haut wie ein saftiges Steak auf dem Grill. (Okay das lasse ich dem Sommer. Grillen ist was Tolles.) Deswegen trage ich ja Sonnenschutzcreme. Empfehle ich übrigens allen von euch, 50+ ist die einzig wahre Sorte, das könnt ihr euch merken. Nur leider ist auch die kein Allheilmittel und nach dem Auftragen fühlt sich die Haut fettig und klebrig an. Dann muss man aufpassen, was man anfässt, und die Kleidung läuft auch Gefahr, Flecken zu bekommen. Außerdem wird es morgens schon zu unchristlichen Zeiten hell und abends erst dann dunkel, wenn man sowieso schon lange schlafen sollte. Nicht zu vergessen der Schweiß. Schwitzen ist furchtbar. Frieren > Schwitzen. Wenn die Temperaturen hoch genug sind, schwitzt man ja sogar, wenn man überhaupt nichts tut und einfach nur herumsitzt. Jede Außentemperatur über 25 Grad Celsius ist sowieso ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Als Bewohner einer Wohnung im 5. Stock weiß ich, wovon ich rede.

Im Sommer ist die Dusche einer der wenigen schönen Orte um sich aufzuhalten. Erinnert ihr euch noch an das Lied „Dusche“ von Farin Urlaub? „Und ich schlafe in der Dusche, weil die Dusche zu mir hält. Sie ist der einzige Freund, den ich noch habe auf der Welt.“ So ungefähr fühlt man sich im Sommer. Wechselwarme Tiere wie Reptilien haben es viel besser. Das hat Mutter Natur beim Menschen mal ordentlich verbockt. An dieser Stelle noch ein kleiner Geheimtipp zum Abkühlen von mir: T-shirt ausziehen, in kaltem oder lauwarmem Wasser tränken, auswringen und dann wieder anziehen. Dieser „nasse Shirt“-Trick funktioniert erstaunlich gut. Selbst getestet. Stellt aber vorher sicher, dass ihr alleine seid und auch keine Pakete oder Pizzen an der Haustür annehmt. Das nasse Oberteil wird nämlich höchstwahrscheinlich weniger blickdicht sein als vorher und was darunter liegt will ja niemand sehen. Sonst müsst ihr am Ende noch Schmerzensgeld zahlen.

Als wären die Sonne und ihre mitgebrachte Hitze nicht schon schlimm genug, gibt es noch etwas Abscheuliches im Sommer. Nehmen wir mal folgendes an: Wir setzen uns draußen hin, nehmen uns einen Keks, machen es uns schön gemütlich. Doch was stört? Eine Wespe! Oder eine Schar an Fliegen! Oder Hornissen. Abends an der Feuerschale sind es dann die Mücken. Noch gierigere Blutsauger als die Rundfunkanstalten, wenn es um die GEZ Gebühr geht. Von Zecken ganz zu schweigen.

Versteht mich nicht falsch. Generell ist an Insekten ja nichts verkehrt. Das sind teilweise sehr faszinierende Tiere. Dennoch würde ich mich freuen, wenn sie ihre Faszination woanders zeigen würden. Eben nicht IN meinen vier Wänden oder draußen wenigstens einige Meter weit von mir entfernt. Wenn sich eines dieser Viecher meinem Essen nähert, frage ich mich immer, was ich ihnen getan habe, dass sie mich so respektlos behandeln. Sie kommen an meinen Tisch, klettern auf meinem Essen rum und summen noch laut dazu. Da will man sich ganz friedlich ein Stück Torte einverleiben und diese Invasoren stören die Idylle. Naja, immerhin haben Insekten- sowie Pflanzenschutzmittel, versiegelte Böden, nachts leuchtende Lampen sowie der Rückgang an naturbelassenen Kulturlandschaften den Bestand an chitinhaltigen Störenfrieden schon heute stark reduziert. Eventuell wird dadurch aber auch ein ganzes Ökosystem durcheinander gebracht. Ich weiß nicht, das habe ich eigentlich nicht so gerne. Genau wie globale Erwärmung. Die sorgt ja auch dafür, dass Wetterextreme häufiger und schlimmer werden. Mal ganz davon abgesehen, dass die Durchschnittstemperatur ansteigt. Die globale Erwärmung hat mir bestimmt auch den Winter ruiniert. Mittlerweile gibt es viel weniger Schnee. Nur noch Schneeregen und Matsch. Keine schöne weiße Weihnacht mehr. Stattdessen haben alle Leute lieber Spaß am Strand.

Wirklich traurige Angelegenheit. Doch lassen wir das hier nicht traurig enden. Man kann ja auch Spaß im Sommer haben. Auch ich hole mir regelmäßig meine Dosis Vitamin D im Sonnenlicht. Ihr könnt ja gerne ausgiebig an den Strand gehen. Nur vergesst die Sonnenschutzcreme und genügend Trinkwasser nicht! Ansonsten ist drinnen bleiben auch immer eine Option. Lasst euch bloß nichts anderes erzählen! Bei all meiner Liebe zur romantisierten Version des Winters sind gemäßigte Tage mit einer leichten Brise, sachtem Sonnenschein und einigen vorbeiziehenden Wolken vielleicht doch das beste. Wobei … auch Regen natürlich eine ganz eigene Faszination hat ………..

Was sind denn eure Meinugen zum Sommer oder den Jahreszeiten? Was habt ihr am liebsten oder was stört euch? Über Kommentare freue ich mich.

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Umgekrempelt: Ein Leben ohne Uhrzeit

Umgekrempelt: Ein Leben ohne Uhrzeit

Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

Ich starte mein Selbstexperiment am Mittwoch. Nicht, weil es da besser passt, sondern einfach, weil ich es vorher vergessen habe. Planung und Zeitmanagement gehören einfach nicht zu meinen Stärken. Tatsächlich halte ich mich nicht besonders gern an Uhrzeiten. Wenn es wirklich wichtig ist, bei Prüfungen, Arztterminen, schaffe ich es sogar oft, ein wenig früher zu kommen. Aber davon abgesehen? Manchmal nehme ich mir vor, mein Leben mehr zu strukturieren. Erstelle mir einen genauen Plan für den Tag, was ich um welche Uhrzeit erledigen möchte. Der letzte Plan hängt noch angepinnt an der Wand, die Zahlen starren traurig auf mich hinab. Nicht ein einziges Mal habe ich mich an sie gehalten.

Um die verschiebbaren Dinge kümmere ich mich eher nach dem Prinzip: Was erledigt werden muss, wird erledigt. Vielleicht ist es das kreative Chaos. Und es funktioniert. Warum also ändern? Aus irgendeinem Grund sehe ich mich dadurch auch prädestiniert, das Experiment anzupacken und zu meistern.

Mittwoch

Oh, how fast the turns table.

Der erste Punkt auf der Tagesordnung: Aufwachen. Heute mal ohne Wecker. Funktioniert ganz gut, vielleicht auch, weil meine Schwester schon früh zu einem Termin muss und ich mit ihr aufwache, als sie aufsteht. Das wäre erledigt. Der erste Schritt des Tages führt zu meinem Handy. Über Nacht ist es ausgestellt und jeden Morgen wird erst einmal gecheckt, was in den letzten Stunden so passiert ist. Ich drücke den Knopf, das elektrische Licht strahlt mir ins Gesicht, mein erster Blick geht automatisch zur Uhrzeit. Nicht nur, weil sie so dominant im Zentrum des Screens steht, sondern aus Interesse. Wie spät ist es jetzt eigentlich? Wie viel Zeit habe ich noch bis … bis wann eigentlich?

Es ist nicht so, als würde heute irgendetwas anstehen. Aber es ist dieser Gedanke, die Zeit sinnvoll einzuteilen. Auch ohne feste Planung habe ich den Tag immer zumindest grob gegliedert – Mittag, Nachmittag, Abend, Nacht. Alles mit ungefähren Uhrzeiten versehen, nach denen ich mich richten kann. Es sind noch zwei Stunden bis zur vermeintlichen Abendbrotzeit? Perfekt, um noch ein neues Kapitel anzufangen. Ohne Uhrzeit entfällt diese Planung. Ich bin ziellos. Wie, wenn man weiß, dass man in wenigen Augenblicken zu einem wichtigen Termin los muss und die Zeit nicht reicht, um noch etwas anzufangen. Nur dass kein Termin ansteht. Trotzdem fühlt es sich so an, den ganzen Tag lang.

Donnerstag

Für heute nehme ich mir vor, von vornherein einen Plan zu erstellen. Keine Uhrzeiten, nur Ziele. Nach Wichtigkeit gegliedert, falls ich die Zeit nicht richtig einschätze und einige Punkte nicht mehr erledigen kann. Und ich recherchiere. Früher gab es doch auch keine Uhrzeit und trotzdem konnten die Menschen funktionieren. Ich tippe meine Frage in die Suchmaschine: „Wie teilten die Menschen ihre Zeit ein, als es noch keine Uhrzeit gab?“ Wie konnten die Menschen überhaupt existieren, trifft die völlige Ratlosigkeit in meinem Kopf vielleicht besser, aber das ist nicht das, was ich eigentlich wissen möchte. Ein wenig später habe ich zwölf Tabs geöffnet – die Süddeutsche, Bayerischer Rundfunk, Welt, Die Zeit (hehe).

Ich widme mich heute erst einmal den Videos. Es gibt wirklich schon einige Freaks, die das gleiche Experiment ausprobieren wollten wie ich, ihr Leben ohne Uhrzeit gestaltet und das Ganze aufgezeichnet haben. Nur wirklich helfen tut mir keines davon. Die einen ziehen das Experiment nur für einen Tag durch und nutzen es, um mal alles zu erledigen, für das sie sonst keine Zeit haben. Die anderen orientieren sich an den Menschen in ihrem Umfeld – oh, du gehst nach Hause? Dann ist es wohl Feierabendzeit. Es beruhigt mich zwar, dass auch sie von diesem Gefühl der Ziellosigkeit erzählen, aber was nützt es mir, wenn ich am Ende wieder nach der Uhr lebe, nur eben nicht nach meiner eigenen? Mir fällt auch zunehmend auf, dass die Uhrzeit überall um uns herum ist. Auf dem Thermometer sticht sie mir noch vor der Temperatur selbst ins Auge, sie steht unter jeder abgeschickten Nachricht oder Mail, ich verliere ein Leben in einem Spiel und eine Uhr beginnt abzulaufen – die Sekunden rinnen wie Sand davon, zeigen mir an, wann das Leben wieder aufgefüllt ist.

Für die Redaktionssitzung am Abend, der einzige Termin, der heute ansteht, mache ich es mir leicht: Ich schalte einfach schon mal den Laptop an und warte. Etwa eine Stunde lang. Irgendwann trudeln die anderen auch ein und ich weiß, dass es jetzt los geht. Aber es funktioniert eben auch nur, weil ich mich nach der Uhrzeit anderer richte – ein Leben für alle ohne Uhrzeit? Nicht wirklich vorstell­bar.

Freitag

Im Sommer 2019 machte tatsächlich eine Schlagzeile die Runde. Die nordnorwegische Insel Sommarøy will die Uhrzeit abschaffen. Die braucht nämlich niemand mehr, wenn es sowieso für ein Viertel des Jahres nie dunkel wird, und man alles, was man sonst tagsüber erledigt, auch genauso gut nachts erledigen kann. Im Interview zeigt sich Zeitforscher Prof. Dr. Karlheinz Geißler tatsächlich optimistisch. Die Uhr sei immerhin auch erst 600 Jahre alt und davor haben sich die Menschen nur nach der Natur gerichtet – nach der inneren (habe ich Hunger, bin ich müde?) und nach der äußeren (ist es hell oder dunkel, Winter oder Sommer?). Das sei auch viel entspannter, die durch den Kapitalismus verstärkte Hektik ginge dadurch verloren. Ich durchforste ein wenig das Internet und stelle fest, dass das so nicht ganz richtig ist. In doppelter Hinsicht. Uhren gibt es schon weitaus länger, im nicht-westlichen Teil der Welt – wie im arabischen und chinesischen Raum – auch schon in mechanischer Form. Selbst während der Eiszeit haben sich Menschen schon Kalender angelegt, um zu wissen, wann die beste Zeit für bestimmte Früchte oder für die Jagd ist, um produktiver zu sein. Und: Sommarøy wollte nicht wirklich die Uhrzeit abschaffen. Das war nur ein Werbegag. Man freut sich aber, dass man mit der Aktion auf das große Thema Entschleunigung aufmerksam machen konnte.

Zeitforscher Geißler selbst lebt übrigens auch schon seit 30 Jahren ohne Uhrzeit. Aber auch nicht wirklich. Denn auch er richtet sich nach der Uhrzeit anderer, die im Gegensatz zu ihm wissen wie spät es ist. Und verurteilt gleichzeitig Menschen, die mit der Hektik der Zeit leben und nicht wie er aus ihrem Trott ausbrechen. Meiner Meinung nach ein etwas egoistischer Gedanke. Denn was wäre, wenn wirklich alle Menschen ohne Uhr leben würden? Wenn Läden keine wirklichen Öffnungszeiten mehr hätten, weil die Mitarbeiter*innen einfach kommen und gehen müssten, wann sie es für richtig halten? Wenn Zugführer*innen nach ihrem Bauchgefühl entscheiden müssten, wann es Zeit ist, loszufahren? Wenn Ärzt*innen und Pflegekräfte nicht mehr wüssten, wann sie sich zu einer wichtigen OP einfinden müssen?

Ich selbst stelle mir heute morgen tatsächlich einen Wecker, denn ich habe einen Termin, den ich nicht verschieben kann. Das anschließende Treffen mit einer Freundin ist schnell und ohne Uhrzeit organisiert: Ich bin fertig, holst du mich ab?

Samstag

Diese Art der Terminvereinbarung behalte ich vorerst bei. Natürlich ist das nur möglich, weil nichts Dringliches ansteht. Aber trotzdem merke ich, dass mich das nicht mehr auf die Uhr schauen, das nicht wissen, wie spät es ist, nicht mehr so viel stresst wie am Anfang. Ich bin mit einem Freund zum Skypen verabredet und biete ihm einfach an, dass er mir schreibt, sobald er fertig ist. Und ich merke, dass es mir leichter fällt, nicht an die Zeit zu denken, wenn ich beschäftigt bin. Dann sind meine Gedanken fokussiert und ich weiß, dass ich bereits etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfange und muss nicht krampfhaft darüber nachdenken, wie viel Zeit mir eigentlich noch bleibt, um etwas anzufangen. Aber was ist überhaupt sinnvoll? Wann hat man Zeit sinnvoll verbracht?

Sonntag

Schon Seneca (geb. 65 n. Chr., also lange vor der Erfindung der mechanischen Uhr und damit der Wegbereitung für die Hektik des bösen Kapitalismus) sagte: „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“ Zumindest erzählt mir das eine Internetseite mit den 111 schönsten Zitaten über Zeit. Das Bedürfnis, die Zeit sinnvoll zu nutzen, keine Zeit zu „verschwenden“, scheint also schon immer da gewesen zu sein. Arthur Schopenhauer (1788–1860, also vielleicht schon Sklave der teuflischen mechanischen Uhr) soll ebenfalls behauptet haben: „Gewöhnliche Menschen überlegen nur, wie sie ihre Zeit verbringen. Ein intelligenter Mensch versucht, sie auszunutzen.“ Gleiche inspirierende Website. Und noch ein Zitat sticht mir ins Auge, eins von Marie von Ebner Eschenbach (eine ehemalige Germanistik-Dozentin von mir würde sich freuen): „Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.

Ich nehme mir heute die Zeit, in der ich kann, um das zu tun, was ich mit der Zeit machen könnte. Treffe mich mit einer Freundin, gehe raus in den Regen, verbringe mit ihr eine Stunde dicht an dicht gekauert unter einem Regenschirm an einer Häuserwand. Rede, lache und vergesse dabei die Zeit. Denn dabei stimme ich Geißler zumindest zu: Die Zeit ist hektischer geworden. Aber nicht, weil sich die Zeit selbst geändert hat, sondern, weil wir immer mehr Möglichkeiten gefunden haben, mit der wir sie füllen können und füllen wollen. Ein Überangebot an Potential, das uns konstant unter Stress hält, unter dem Druck, etwas „Sinnvolles“ mit der Zeit anzufangen. Und genau solche Momente – unter dem Schirm im Sturzregen, mit nichts anderem im Kopf als den Themen, zu denen das Gespräch hinführt, mit keinem anderen Gefühl als dem durchnässten Shirt und der Wärme des anderen und definitiv ohne Zeitstress – solche Momente kommen dabei viel zu oft zu kurz.

Montag

Jonas Geißler, Sohn von Karlheinz Geißler und ebenfalls Zeit-Nachgrübler, erklärt in einem Interview mit dem Institut für Zeitberatung „Times and More“, dass das dauerhafte Überangebot an Möglichkeiten und der Drang, alles gleichzeitig zu erledigen – zu multitasken – unsere Aufmerksam­keitsspanne zunehmend beeinträchtige. Zwar scheint schon Martin Luthers Aufmerksamkeitsspanne etwas begrenzt gewesen zu sein („Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten“, wieder einmal die gleiche Website), aber diese „Zeitverdichtung“, wie Geißler senior sie gerne nennt, ist in unserer heutigen Zeit definitiv spürbar. Jede Sekunde muss genutzt werden. Jeder Augenblick des Wartens, der Stille wird sofort mit etwas anderem gefüllt.

Ich nehme mir heute etwas vor, bei dem ich meine Aufmerksamkeit für einen langen Zeitraum fokussieren muss. Ich male. Für etwa vier Stunden knie ich in meinem Zimmer auf dem Boden und tue kaum etwas anderes, als den Pinsel in Farbe zu tauchen, die Farbe auf der großen Leinwand zu verteilen, die vor mir liegt. Gut, etwas anderes tue ich schon noch: Ich habe eine Sendung nebenbei laufen, lausche den Gesprächen, der Musik, stelle mir das vor, was ich die meiste Zeit über nicht sehen kann, weil meine Aufmerksamkeit auf das Bild gerichtet ist. Damit komme ich zwar nicht gänzlich vom Multitasking weg, aber zumindest bleibe ich fokussiert. An die Zeit denke ich dabei nicht einen Augenblick lang.

Dienstag – Zeit für ein Fazit

An das Aufstehen ohne Wecker hat sich mein Körper mittlerweile gewöhnt. Was natürlich auch dadurch begünstigt wird, dass ab etwa 9 Uhr morgens die Sonne dort steht, wo sie unbarmherzig auf meinen Kopf brennt und das Bett in eine Sauna verwandelt. Abends werde ich früher müde als sonst. Vielleicht, weil sich mein Körper ohne Uhrzeit nur an der untergehenden Sonne orientieren kann, um zu wissen, wann die Schlafenszeit gekommen ist, vielleicht auch einfach, weil ich zurzeit viel zu tun habe.

Zurzeit. Da ist sie wieder, die Zeit. In einer etwas pessimistischen, aber doch spannenden Doku, die ich in dieser Woche für meine Recherche geschaut habe, erklärt der Moderator fasziniert, dass „Zeit“ das zweithäufigste Wort in unserem Sprachgebrauch wäre. Direkt nach „Mama“. Als Linguist weiß ich: Was wir sagen, beeinflusst unser Denken und damit auch unser Handeln. Karlheinz Geißler, der ältere der beiden zeitlosen Zeitmenschen, erklärt der Süddeutschen ZEITung, dass es ihn störe, wenn wir „hetzen, wo es gar nicht nötig ist, und wenn es nur Worte sind, die Druck machen. Schnell den Radiergummi rübergeben, die Oma eben besuchen, mal kurz wohin.“

Vor drei Wochen etwa habe ich mich in einer Redaktionssitzung zu diesem Selbstexperiment bereiterklärt, eigentlich als Joke und um es mal auszuprobieren. Dass ich bei dem Versuch, die Zeit wegzulassen, so viel über sie nachdenken würde, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht ist es genau dieses Weglassen, die Tatsache, dass etwas „fehlt“, das uns dazu bringt, darüber nachzudenken, was dieses fehlende Etwas eigentlich bedeutet. Und dass die Zeit eben nicht fehlt, nur weil wir keine Uhrzeit zur Verfügung haben.

An der hellgrau gestrichenen, sonst völlig kahlen Wohnzimmerwand meiner Großeltern hängt eine Uhr. Ihr Sekundenzeiger läuft nicht schrittweise voran, sie gibt kein monotones Ticken von sich, wie die meisten anderen Uhren es tun würden. Der Zeiger bleibt nie stehen. Er erinnert einen nicht nur jede Sekunde, sondern jeden einzelnen minimalen Augenblick daran, dass die Zeit kontinuier­lich voranschreitet. Aber macht es einen Unterschied? Denn auch auf dieser Uhr vergeht die Zeit nicht schneller, es wird einem nur stärker bewusst. Voranschreiten tut die Zeit immer, ob mit oder ohne Uhr. Wirklich wichtig ist nur, dass wir etwas daraus machen. Die Website mit den 111 Zitaten über Zeit hat auch dazu einen passenden Spruch parat, dieses Mal von George Orwell: „Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vorbei.

Beitragsbilder: Julia Schlichtkrull
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Mimimi-Mittwoch: Vorurteile

Mimimi-Mittwoch: Vorurteile

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinen Mitmenschen. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Leute auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier.

Lange wurde überlegt, wie dieser Artikel eingeleitet werden könnte. Zum Glück konnten da polnische Freunde beim Einstieg helfen. Weil alle Menschen aus Polen ja auch immer einsteigen. Wisst ihr? Weil die ja auch immer alle stehlen. Zumindest hat mir das ja der Bruder, des Vaters, der Freundin eines Freundes versichert! Und ich meine was der sagt muss ja stimmen. Oder? Ist doch so, nicht?

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Naja, aber dann gibt es ja noch die total lustigen Witze die beispielsweise Frauen als Protagonistinnen haben. Natürlich werden dort dann auch nur die am wenigsten von der Intelligenz gesegneten Exemplare angetroffen. Damit sind natürlich nicht weniger als alle gemeint. Aber wie sollten wir auch etwas anderes denken? Wir alle sollten ja spätestens seit der Dr. Oetker Werbung wissen: „Eine Frau hat zwei Lebensfragen – Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?“. Klar, dass das nur logisch ist, denn nur Frauen können kochen.

Aber natürlich sind es nicht nur das Geschlecht oder zum Beispiel die Haarfarbe, womit man ganz tolle humoristische Ergüsse produzieren kann. Wie wäre ist mit Nationalitäten? Wie anfangs schon erwähnt sind alle polnischen Menschen ja Diebe, Französ*innen ergeben sich immer sofort, alle Deutschen sind immer mit Socken in den Sandalen ausgerüstet, während wir unsere schwarz-rot-gelben Handtücher auf den besten Liegen positionieren. Und vergessen wir nicht die Italiener*innen, die ja auch alle immer Pizza oder Nudeln essen, während sie wild gestikulieren, um sich zu unterhalten. Aber warum nur in Europa bleiben? Da gibt’s ja auch noch die aus China. Oder Korea? Nee Japan! Ach, ist doch für uns eh alles das Selbe. Die sehen ja sowieso alle gleich aus und essen nur Reis. Achso und Katzen, ist ja klar. Vielleicht kommen daher ja die außerordentlichen Ergebnisse in Mathe! Von Afrikaner*innen, die ja immer alle nur mit Palmenblättern bekleidet sind, brauche ich gar nicht anfangen. Genauso sind auch nicht immer nur Menschen gemeint. Immerhin versucht die gesamte Flora und Fauna Australiens jeden Menschen dort umzubringen. Südamerika ist ja sowieso nur Regenwald, Sibirien ist auch immer gefroren, in Afrika gibt’s nichts als Sand und in Brandenburg nichts als Wald und Wölfe.

Wahrscheinlich ist jede*r schon einmal mit mindestens einer dieser Aussagen konfrontiert worden – ob scherzhaft oder ernst gemeint. Man sieht also: Vorurteile sind praktisch allgegenwärtig. Jede*r hat sie wenn man einen neuen Menschen kennen lernt. Das ist ja auch nur ein natürlicher Mechanismus. Es ist die simple Vorsicht vor dem Unbekannten. Um das Unbekannte besser einzuschätzen zu können, braucht man natürlich Informationen. Diese bekommt man, gefragt oder ungefragt, von der Umwelt immer irgendwie mit. Dinge, die im Umfeld gesagt werden, die man mal in Büchern liest oder mal in Filmen sieht. Sie vereinfachen bestimmte Einschätzungen immens, sorgen für ein schnelles Verstehen. Doch genau dort liegen auch die Gefahren. Wenn man sich nur noch an die Vorurteile hält und glaubt, damit die ganze Welt erklären zu können, dann ist die Blondine aber nicht mehr die Dümmste im Raum. Damit öffnet man sehr leicht Pauschalverurteilungen und zielgerichteten Feindbildern Tür und Tor.

Eine spezifische Form des gelebten Vorurteils ist der Rassismus. Hagen Rether fasst das Ganze noch etwas genauer zusammen. Sinngemäß sagt er, dass es natürlich nur normal ist, dass man rassistisch ist. Evolutionstechnisch könnte es sehr entscheidend gewesen sein. Doch als wir Menschen die Kultur dazugewonnen haben, uns mit Sprache und Bildern verständigen lernten, da wurden Rassismus und auch eben diese Vorurteile überflüssig. Wir lernten sich komisch verhaltende und aussehende Menschen kennen und somit wurden sie für uns nicht mehr komisch.

Querschläger gibt es in allen Regionen und Kulturen. Überall gibt es Schlaumeier und Dummköpfe, Diebe und überkorrekte Korinthenkacker. Wichtig ist, dass man lernt diese Eigenschaften heraus zu filtern und nicht zu pauschalisieren. Abschließend kann man sich ja noch einmal die Frage stellen: Sind wir kulturell und können Unterschiede erkennen, ohne uns aber von diesen allein zu einem Urteil bewegen zu lassen?

Zu den im Beitrag erwähnten Erklärungen von Kabarettist Hagen Rether gelangt ihr hier, etwa ab Minute 11: https://www.youtube.com/watch?v=w4hRsmJozqY

Beitragsbild: Ali Yahya auf Unsplash
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Umgekrempelt: Zauberwürfel lösen lernen

Umgekrempelt: Zauberwürfel lösen lernen

Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

Obwohl viele Menschen ein klares Bild vor Augen haben, wenn man von einem Zauberwürfel spricht, sind nur wenige von ihnen im Stande die durcheinander gebrachten Farben des Würfels wieder zu ordnen. Auch mir war immer bewusst, was es mit dem Zauberwürfel auf sich hat, ihn zu lösen habe ich als Kind allerdings nie hinbekommen. Irgendwann landete das Ding vor lauter Frust in der Ecke des unaufgeräumten Kinderzimmers und ich frage mich bis heute, wo es denn eigentlich hin ist.

Für mein Vorhaben, nach knapp 15 Jahren nun endlich die richtige Lösung des Rätsels zu lernen, kaufe ich mir deshalb einen nagelneuen Zauberwürfel, der übrigens auch als Rubik’s Cube bezeichnet wird, weil er von dem aus Ungarn stammenden Architekten Ernő Rubik in den siebziger Jahren erfunden wurde. Mittlerweile findet man auf dem Markt nicht nur den klassischen 3×3 Würfel, sondern auch größere Varianten mit außergewöhnlichen Farbkombinationen oder Formen. Für meine Zwecke wird erstgenannter wohl aber völlig ausreichen, schließlich möchte ich mein gestecktes Ziel, den Würfel nach sieben Tagen mit je 30 bis 45 Minuten Übungszeit lösen zu können, auch erreichen. Eine bestimmte Zeit für die eigentliche Lösung des Würfels, auf die es beim immer beliebter werdenden sogenannten Speedcubing ankommt, setze ich mir allerdings nicht.

Montag

Zehn Minuten überlege ich, aus Angst den neuen Würfel nie wieder in sein geordnetes Dasein zurück bringen zu können, ob ich ihn überhaupt zerstören soll. Ich tue es dann doch und versuche eine halbe Stunde durch unkoordiniertes Drehen die Farben wieder zu sortieren. Das gelingt mir leider nicht wirklich. Insgeheim hatte ich gehofft, wie auf wundersame Weise ein Naturtalent zu sein und den Würfel auf Anhieb lösen zu können. Der Zauberwürfel landet jedoch nach einer weiteren viertel Stunde in der Ecke meines Zimmers und wird aus Frust bis zum nächsten Tag ignoriert.

Dienstag

Weil es ohne nicht klappen will, versuche ich es mit einer Anleitung aus dem Internet. In der Ansicht, dass es damit bestimmt ganz einfach und schnell geht, habe ich mich allerdings getäuscht. Zumindest weiß ich jetzt, dass ein Zauberwürfel über 43 Quintillionen verschiedene Kombinationsmöglichkeiten besitzt und aus sechs festen Mittelstücken, acht Eck- und 12 Randteilen besteht. Ich erfahre, dass man für seine Lösung, verschiedene Algorithmen auswendig lernen muss. An meine Grenzen komme ich bereits bei der Erklärung, in welche Richtung man welche Seite wie oft drehen muss und bin verwirrt. Dennoch versuche ich die weiße Seite des Würfels zu lösen und schaffe es immerhin ein weißes Kreuz zu erzeugen. Die Anleitung verlangt dann von mir, die restlichen weißen Ecken nach Intuition zu lösen. Diese scheint bei mir schlichtweg nicht vorhanden zu sein. Ich bin abermals frustriert und deshalb landet der Würfel wieder in der Ecke meines Zimmers.

Mittwoch

Ich versuche mich mit dem Gedanken aufzumuntern, dass vielleicht nicht ich, sondern einfach die Anleitung doof war. Auf Empfehlung eines Freundes versuche ich es deshalb mit einem Erklärvideo auf Youtube. Und tatsächlich funktioniert das wie am Schnürchen. Ich schaffe es, die weiße Seite komplett und zusätzlich dazu die ersten beiden Schichten des Würfels zu lösen. Vielleicht besitze ich ja doch mehr Intuition als ursprünglich angenommen.

Donnerstag

Ich mache dort weiter, wo ich mit dem Youtube-Video aufgehört hatte. Nach einigen Fehlschlägen, weil ich bei den Algorithmen anscheinend etwas falsch gemacht habe, muss ich ganz von vorne anfangen den Würfel zu lösen. Ich brauche fünf Anläufe bis ich es tatsächlich schaffe, den kompletten Zauberwürfel zu lösen. Eigentlich wäre mein Ziel damit ja schon erreicht, aber irgendwie fühlt sich das wie Schummeln an, weil der Würfel weniger durch mich, sondern durch höhere Mathematik (die ich wohl nie verstehen werde) gelöst wird.  Einfach nur ablesen, in welche Richtung man zu welchem Zeitpunkt drehen muss, kann ja eigentlich jede*r. Ich setze mir deshalb das neue Ziel, den Würfel ohne weitere Hilfsmittel lösen zu können, mir die Algorithmen in den übrigen Tagen also einzuprägen.

Freitag

Ich übe weiterhin den Würfel zu lösen. Ohne Anleitung klappt das mittlerweile zumindest bis zur Hälfe sehr flüssig.  Die längeren Algorithmen, die ich brauche um den Würfel vollständig zu sortieren, kann ich mir aber einfach nicht merken und brauche einen Spickzettel. Mit diesem löse ich aber einen Würfel nach dem anderen und komme mir vor, wie das größte Genie aller Zeiten.

Samstag

Dass ich aber nicht das größte Genie aller Zeiten bin, weiß ich längst und wird mir auch dadurch wieder bewusst, weil ich mir die langen Algorithmen immer noch nicht merken kann. In den letzten Zügen zur Lösung des Würfels mache ich Fehler und kann dann immer wieder von vorne beginnen. Das macht mich verrückt und abermals macht sich Frustration bei mir breit. Der Würfel landet wie so oft in dieser Woche in der Ecke meines Zimmers.

Sonntag

Trotz harter Bemühungen habe ich die langen Algorithmen immer noch nicht wirklich drauf. Den Würfel mit meinem selbstverfassten Spickzettel zu lösen, fällt mir allerdings immer leichter.

Fazit

Letztendlich hat es geklappt die Frustration aus Kindheitstagen zu überwinden und den Zauberwürfel zu lösen. Ein kleines bisschen stolz bin ich irgendwie schon, wenn ich es auch leider nicht geschafft habe, den Zauberwürfel komplett ohne meinen Spickzettel zu lösen. Ich bin zuversichtlich, dass ich es mit ein wenig mehr Zeit schaffen werde, mir die Algorithmen zu merken. Zum Schluss bleibt zu sagen, dass mit der richtigen Anleitung und dem nötigen Durchhaltevermögen, jede*r in der Lage ist, den Zauberwürfel zu lösen. Zwar werden nur die wenigsten unter uns mit Rekordzeiten von unter fünf Sekunden mithalten oder den Würfel einhändig lösen können, aber das sollte euch nicht davon abhalten, selbst einmal zu versuchen das Rätsel des Zauberwürfels zu entschlüsseln. Das wohltuende Gefühl einen wieder geordneten Würfel in der Hand zu halten ist die Mühe auf jeden Fall wert.

Hier findet ihr das Video zum Erlernen auf Youtube – https://www.youtube.com/watch?v=R-R0KrXvWbc

Umgekrempelt: Sieben handyfreie Abende

Umgekrempelt: Sieben handyfreie Abende

Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

Ich würde mich selbst eigentlich als nicht so abhängig vom Handy bezeichnen und hatte „früher“ schon immer mal Phasen, in denen ich das Handy um 21 Uhr oder den ganzen Sonntag lang ausgemacht habe. Nach einiger Reflexion fällt mir aber doch auf, dass ich es ständig mit mir durch die Wohnung schleppe und viel zu oft als „Pause“ nutze oder abends noch irgendwo rumscrolle und mich danach nur reizüberflutet und gammelig fühle. Vor allem habe ich das Gefühl, dass ich dadurch noch später schlafen gehe und zu keinem Ende finde. Deswegen versuche ich also eine Woche lang, wie sich eine Handyauszeit auf meine Abendgestaltung auswirkt und wie sehr mir das Fehlen auffällt, wenn ich es etwa drei Stunden vor der (geplanten) Schlafenszeit ausschalte.

Montag

Ich habe mich irgendwie schon den ganzen Tag darauf gefreut, abends mein Handy auszumachen, als wäre ich sonst dazu verpflichtet, es bis zum Schlafen anzuhaben und erreichbar zu sein. Im Laufe des Abends und der Nacht fielen mir aber immer wieder (echt lustige) Sachen ein, die ich anderen hätte schreiben wollen und dann für mich behalten musste. Die ständige Erreichbarkeit ist also schon vollkommen normal. Andererseits möchte ich auch nichts konservieren und dann erst am nächsten Tag verschicken, das wäre ja auch nicht Sinn der Sache. Bei einem nächtlichen Spaziergang habe ich es dann irgendwie doch eingesteckt, just in case.

Dienstag

Da habe ich doch im StuPa-Fieber direkt vergessen, mein Handy auszumachen. Muss ich jetzt noch drei Stunden wach bleiben, damit ich mich an meine Regeln halte? 😀 Nachdem ich es dann schnell ausgeschaltet hatte, fiel mir eine wichtige Sache ein, die ich noch an diesem Abend loswerden MUSSTE und brach mein Gebot also zum zweiten Mal – dem Drang der direkten Mitteilung ist also doch nicht so leicht zu widerstehen. Nachts hatte ich noch ein sehr schönes Gespräch mit meiner Mitbewohnerin, wonach ich ihr normalerweise eine kleine Nachricht von Herzen bei WhatsApp geschickt hätte, so habe ich ihr einen Zettel unter der Tür durchgeschoben – hatte dann auch direkt mehr Bedeutung.

Mittwoch

Heute aber endlich mal rechtzeitig – doch nicht! Ich wollte meine Mitbewohnerin von der Redaktionssitzung abholen und danach mit ihr spazieren gehen, musste also noch warten, bis sie fertig ist und mir noch schreiben kann. Bevor ich los bin, hatte ich es ausgeschaltet und mich richtig „frei“ gefühlt, als ich wieder kam – als wäre das ein richtiger Abschluss vom Tag und danach auch viel einfacher zu entspannen. Zwar habe ich zwei Stunden des Abends mit Netflix verbracht, war also nicht wirklich offline, aber immerhin nur für mich und dann auch viel motivierter, jetzt einfach ins Bett zu gehen und noch zu lesen, anstatt mich „ungewollt“ weiter aufzuhalten.

Donnerstag

Was so gar nicht klappt im digitalen Semester? Nächtliche Gruppenarbeiten in Verbindung mit handyfreien Abenden. Also morgen auf ein Neues …

Freitag

Nach der Abgabe heute Abend hatte ich irgendwie gar keine Lust, mein Handy direkt auszumachen und nicht einfach wohlverdient daran rumzugammeln – gehört es also zu meinem abendlichen Entspannungsgefühl? Ich habe stattdessen (einige Stunden, hoppla) mit einer Freundin telefoniert und es dann so weggelegt, dass ich immerhin noch eineinhalb Stunden ohne Handy wach war. Auf Sachen, die ich mir bei handyfreier Zeit eigentlich vorgenommen hatte (malen, meditieren, Yoga, joggen) hatte ich dann trotzdem keine Lust – gewonnen hat wie so häufig die Couch, daran ändert das Handy anscheinend auch nichts. Schlussendlich hat es dann an dem Abend also doch nicht gefehlt und irgendwie bin ich froh, diesem anfänglichen Bedürfnis nicht nachgegeben zu haben, viel gebracht hätte es mir nämlich nicht.

Samstag

Abends hatten wir Besuch und da wäre ich sowieso nicht wirklich am Handy gewesen. Allerdings gab es ein paar Momente, in denen ich den anderen etwas zeigen wollte oder direkt etwas, das im Gespräch aufkam, bei der Suchmaschine des Vertrauens nachgucken wollte – der gewohnte Griff zum Handy hat mich dann doch ein wenig stutzig gemacht. Das Handy lag übrigens neben mir, weil ich darüber Musik angemacht hatte, ist das innerhalb der Regeln? Mir fällt auf, dass ich mit dem „Handy“ irgendwie eher Internet und soziale Medien verbinde und die üblichen Funktionen gar nicht so in meine Verbote einbeziehe.

Sonntag

Heute war es schon ganz normal, das Handy einfach auszumachen, auch wenn ich jedes Mal die Zeit verpeile. Ich habe den Abend genutzt, um ein wenig Tagebuch zu schreiben (etwas, wofür ich mir meistens auch nicht die Zeit nehme). Da ich das Handy nicht mehr neben mir habe, wusste ich auch wieder nicht, wie spät es danach war und habe dann so nach Gefühl gelesen, bis ich müde geworden bin. Ob das nicht ein neues Experiment sein könnte, ein Leben ohne Uhrzeit? 8)

Fazit

Ganz selbstkritisch musste ich feststellen, dass es doch nicht so einfach ist, sich abends einfach abzuschirmen. Gerade dann schreibt oder telefoniert man ja eigentlich gerne nochmal mit Freund*innen und es ist so normal, ständig erreichbar zu sein und auch alle anderen verfügbar zu wissen. Sobald das Handy aber aus war, habe ich viel mehr innegehalten. Wenn ich die Zeit für einen freien Abend hatte, habe ich richtig überlegt, nach was mir jetzt ist und mich dann viel mehr nach meinen eigenen Bedürfnissen gerichtet. So konnte ich mir mal Zeit für die Sachen nehmen, zu denen ich sonst häufig nicht komme. Rückblickend habe ich das Gefühl, viel mehr „quality time“ erlebt zu haben und mir mehr freie Zeit neben Uni und Arbeit gegönnt zu haben; als stünde das offline-Experiment automatisch für Entspannung. Ich bin auf jeden Fall wieder auf den Geschmack gekommen und nehme all das als Anregung mit, mein Handy auch weiterhin immer mal an ein paar Abenden pro Woche einfach auszumachen.

Beitragsbild: Annica Brommann
Banner: Julia Schlichtkrull

Mimimi-Mittwoch: Von Funklöchern und Standbildern

Mimimi-Mittwoch: Von Funklöchern und Standbildern

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinen Mitmenschen. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Leute auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier. 

Ich wohne schon mein ganzes Leben lang in Greifswald. Auf dem Land, wie ich immer sage, auch wenn das nicht stimmt. Wir wohnen in Greifswald. Am Stadtrand, aber immer noch in Greifswald. Anfühlen tut es sich aber wie auf dem Land. Dafür verantwortlich sind der Wald, die Felder und das Meer direkt vor der Haustür. Die freundliche Nachbarschaftskleinkrieg-Atmosphäre. Und das Internet. Oder zumindest das, was davon hier draußen noch so übrig ist.

Mangelndes Netz ist natürlich nicht nur ein reines Land-Problem. In Deutschland beschweren sich hunderte Haushalte jeden Tag über Internetstörungen. Ich weiß das, denn ich muss regelmäßig mein Datenvolumen anzapfen, um nachzuschauen, ob das fehlende WLAN an einer bereits bekannten Störung liegt oder eben einfach nur daran, dass wir hier in M-V auf dem Land leben. Im internationalen Vergleich schneiden wir immer wieder verhältnismäßig schlecht ab. Akamai Technologies hat 2017 eine umfassende Studie veröffentlicht, in der die Internetanbindung der verschiedenen Länder unserer Erde verglichen wurde. Wenigstens liegen wir mit unserer durchschnittlichen Internetgeschwindigkeit noch auf dem 25. Platz, ganz knapp vor Ungarn. Durchaus nicht die schönsten Werte, aber wenn man bedenkt, dass wir in den letzten drei Jahren noch weiter zurückgefallen sein könnten, sollte man sich vielleicht über den Anblick freuen. Genauso wie über die schönen Bilder, die in das Dokument eingefügt wurden, wenn sie einem denn angezeigt werden. Das ist ja immerhin auch keine Selbstverständlichkeit.

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Egal, ob auf dem Land oder in der Stadt – Netzprobleme sind zumindest immer wieder ein Erlebnis. Gerade jetzt in Corona-Zeiten geht doch nichts über eine gute Online-Veranstaltung, bei der man nur die Hälfte versteht und die Chancen dafür, sich selbst mit Ton oder gar mit Video beteiligen zu können, gegen Null tendieren. Wenigstens werden einem diese frustrierenden Erlebnisse durch wunderschöne abgehackte Roboterstimmen und lustige Standbilder versüßt. Und wer macht keine Luftsprünge, wenn es zum fünfzigsten Mal heißt: „Tut mir leid, wir konnten das jetzt leider nicht so gut verstehen, aber ich versuche mal zusammenzufassen, was ich glaube, was du gesagt haben könntest.“

Als Gamer ist das für mich natürlich keine neue Erscheinung, die ich erst während der Coronakrise erfahren durfte. Immer wieder aus einem Spiel gekickt zu werden, weil das Internet einfach nicht reicht, verschafft einem doch jedes Mal aufs Neue Glücksmomente. An meinen Minecraft-Namen habe ich mittlerweile auch nur noch ein „timedout“ rangehängt – dann wissen die anderen wenigstens, wo das Problem liegt, wenn mein Skin mal wieder mitten in der Luft einfriert. Und ein neues Spiel herunterladen? Komm in einer Woche noch mal wieder, wenn der Download abgeschlossen ist. Warten erhöht ja bekanntlich die Vorfreude.

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Und da hören die positiven Nebeneffekte dieses Internet-Totalversagens ja noch nicht einmal auf! Du willst etwas in eine Dropbox hochladen, einen Beitrag auf Social-Media-Kanälen posten oder Freund*innen ein Video schicken? Nicht zuhause! Aber in der Uni gibt es gutes Internet, also fahr doch dort hin. So kommst du auch mal aus dem Haus, kannst die frische Luft genießen. Du hast endlich mal Verbindung, bist gerade mitten in einer Netflix-Serie und plötzlich kannst du die Bilder nur noch mit 0,5 fps sehen und den Ton immerhin erahnen? Wirf doch mal einen Blick aus dem Fenster! Vielleicht ist ja ein Sturm oder eine große Regenwolke im Anmarsch. Wirklich, es ist fast unmöglich einen besseren Wetterdienst zu finden als das Internet. Videos auf YouTube in 144p zu schauen ist auch nichts Ungewöhnliches mehr. Aber irgendwo macht es doch auch Spaß, wenn man miteinander rätseln kann, was da gerade auf dem Bildschirm eigentlich zu sehen ist. Wenn das Video denn überhaupt läuft. Ist das nämlich nicht der Fall, heißt es erst einmal: Vorladen. Und warten. Und wie dieses Internet auch noch die Kommunikation verbessern kann! Schließlich ist man darauf angewiesen, sich miteinander auszutauschen und zu koordinieren, wer denn jetzt das WLAN nutzen darf. Denn Vorsicht: Bei mehr als 2 Nutzer*innen in einem Haushalt gleichzeitig, kann das ganze Netz vor lauter Überforderung auch mal zusammenbrechen.

Ein tolles Gefühl ist es auch immer wieder, wenn Freund*innen vorbeikommen, die eben mal kurz aufs Internet zugreifen wollen. Ohne WLAN kommt hier immerhin noch E-Netz an. Also schnell mal nach draußen verschwinden – im Wald läuft das Ganze fast sogar noch besser als hier. Aber natürlich nicht überall, das wäre ja auch schade. Wenn es selbst in den dunkelsten Wäldern Deutschlands Funk geben würde, könnte ich ja am Ende noch in Notfällen jemanden kontaktieren! Und was würden dann die ganzen Horrorfilme machen, wenn ihr Number-One-Plot-Device á la Shit, kein Netz, und da steht nur ein zwielichtiger Clown hinterm Baum nicht mehr funktionieren würde?

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Spaß beiseite, ich möchte diese Gelegenheit wirklich nutzen, um Danke zu sagen. Danke, Internet, dass du mich als einziger nicht anlügst, wenn mein Laptop mir doch anzeigt, dass ich mit dem WLAN verbunden bin, aber du mir sagst: Leider scheinst du kein Netz zu haben. Danke, Internet, für die vielen Stunden, Tage, Wochen, die ich über all die Jahre durch stupides Warten ansammeln durfte. Ich wüsste sonst gar nicht, was ich mit dieser ganzen Zeit machen sollte! Danke, dass du mich vorausschauendes Denken gelehrt hast, wenn ich mir ganze Bücher lieber schon in der Uni screenshotte, weil ich sie zuhause ganz bestimmt nicht mehr geöffnet bekomme. Danke für die vielen analogen Momente in Zugfahrten durch M-V oder Brandenburg, wo definitiv nichts mehr ankommt und man auf solche exotischen Dinge wie Bücher angewiesen ist, um sich während der Fahrt bei Laune zu halten, und danke für die weihnachtsabendähnliche Freude, wenn man kurz an einem Bahnhof hält und die Zeit gerade so reicht, um zumindest die neuen Whatsapp-Nachrichten zu empfangen, wenn auch nicht mehr um zu antworten. Aber dafür ist ja dann der nächste Bahnhof da.

Beitragsbild: Max Yakovlev auf Pixabay
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