Eine Liebeserklärung an … Plattdeutsch

Eine Liebeserklärung an … Plattdeutsch

Ein Kribbeln im Bauch, ein unverhoffter Glücksmoment, ein wohlig warmes Gefühl. Dafür braucht es nicht immer ein großes Ereignis, vielmehr liegen diese magischen Momente oft verdeckt unter einem Mantel der Gewohnheit und der Selbstverständlichkeit. „Eine Liebeserklärung“ ist unsere neue Kolumne, in der es darum gehen soll, die vermeintlich einfachsten Dinge dieser Welt wertzuschätzen. Mit ihr bauen wir euch eine zynismusfreie Nische, in die sich hineingekuschelt werden kann, wenn der Alltag einem mal wieder die Daunendecke der guten Laune zu klauen versucht. In diesem Artikel wird nun über das verschrobene, sympathische und oft ungewollt niedliche Plattdeutsch geschwärmt.

Plattdeutsch ist „To Huus“ und „To Huus“ ist Plattdeutsch.

Jede*r, der*die in den nördlichen Bundesländern aufgewachsen ist, kennt zumindest ein paar Begriffe dieser quirligen Sprache. Wörter wie „Schietwedder“, „Lütt“ und „Klönschnack“ halten sich wacker im norddeutschen Sprachraum und das macht mich überglücklich. Plattdeutsch verbinde ich immer mit meinen Großeltern. Ob es nun eine Weihnachtsgeschichte war, die mein Großvater vortrug und von der ich höchstens 5% verstand oder meine Oma, die einem (wie Omas halt so sind) mit den Worten „hier min Jung“ 5€ zusteckte. Die Sprache ist somit auch immer ein bisschen zu Hause, also „to Huus“, für mich und deswegen habe ich mich entschieden, diesen kleinen Liebesbrief dem Plattdeutschen zu widmen.

Ein bisschen Geschichte 

Niederdeutsch, eine Sprache so „platt“ wie das Land auf dem sie gesprochen wird. Die Ausdrücke Niederdeutsch und Plattdeutsch sind zwei Begriffe für die eine gleiche Sprache, die überwiegend in Norddeutschland gesprochen wird. Während der Begriff Niederdeutsch als Abgrenzung zum Hochdeutschen zu verstehen ist, welches seinen Ursprung im Süden des Landes hat, ist Plattdeutsch eigentlich eher eine abwertende Bezeichnung für die Sprache, die hier in den letzten Jahrhunderten überwiegend von der Unter- und Mittelschicht gesprochen wurde. Aber obwohl das Niederdeutsche seit mehreren Jahrhunderten als offizielle Schriftsprache in Deutschland vom Hochdeutschen abgelöst wurde, ist „Platt schnacken“ immer noch ein nicht wegzudenkender Teil Norddeutschlands.

Nun ist es allerdings genug mit der Sprachgeschichtliche. Warum lohnt sich ein kleiner Liebesbrief an diese Sprache, fragt ihr euch? Ich werde es euch zeigen. 

Meine Lieblingsbegriffe

Hüüt bin ick een lütt beet’n tüdelig. Was für eine schöne Art zu sagen, dass man heute irgendwie nicht so ganz auf dem Dampfer ist. „Tüdelig“ ist einer meiner Lieblingsbegriffe des Plattdeutschen und als ich angefangen habe im Zuge dieses Artikels über das Wort nachzudenken, ist mir aufgefallen, wie vielseitig dieser Begriff eigentlich ist. So beschreibt er nicht nur einen Menschen, der ab und zu ein wenig verplant ist. Wenn etwas „vertüdelt“ ist, dann kann das auch bedeuten, dass etwas unordentlich oder durcheinander ist und man kann auch jemanden beschuldigen „rumzutüdeln“, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Gegenüber Blödsinn redet. In einem Gespräch auf der Klönschnackbank könnte das also ungefähr so aussehen:

Fiete A: Du, ich war heute so tüdelig, dass ich meine vertüdelten Kopfhörer nicht auseinandergetüdelt bekommen habe.“
Fiete B: „Ach hör auf rumzutüdeln, du hast doch Airpods.“

Toll, oder? Es tüdelt sich so hin.

Ein weiterer Lieblingsbegriff meinerseits ist „lütt Schietbüddel“. In diesem Begriff zeigt sich die wunderbare Fähigkeit des Plattdeutschen, Dinge zu verniedlichen. So ist „lütt Schietbüddel“ eine liebevolle Bezeichnung für die kleinen Mitglieder der Familie, mit der Zuneigung und Wohlwollen zum Ausdruck gebracht werden, während das hochdeutsche Pendant „kleiner Scheißbeutel“ schon fast an häusliche Gewalt grenzen würde.

Auch meine Lieblingsschimpfwörter im Plattdeutschen sind mit deutlich weniger Härte gekennzeichnet als hochdeutsche Beleidugungen. Wenn man jemanden zum Beispiel als „Dösbaddel“ bezeichnet, bedeutet das zwar auch, dass diese Person nicht gerade der hellste Leuchtturm auf dem Deich ist, aber der hochdeutsche „Dummkopf“ wirkt auf mich persönlich viel unfreundlicher. Möglicherweise ist dies eher auf meinen Mangel an Objektivität bezüglich der Sprache zurückzuführen, aber wer will in einem kleinen Liebesbrief schon objektiv sein? Nicht dieser aufstrebende Jung-Journalist!

Es gibt noch so viele Begriffe aus dem Plattdeutschen, die sich für eine solche Kolumne lohnen, doch ich denke, dass dieser kleine Einblick in die Sprache, und warum ich sie so schön finde, genügen. Letztendlich lässt sich sagen, dass es mir eine absolute Freude war, ein bisschen über das Plattdeutsche zu schwärmen, Ich hoffe, dass ich ein paar Leute mit diesem kleinen Liebesbrief an Plattdeutsch durch das gelegentliche „Schietwedder“ Mecklenburg-Vorpommerns hindurch helfen kann und vielleicht ist ja nicht nur für mich Plattdeutsch ein bisschen „to Huus“.

Beitragsbilder: Thore Fründt, Annica Bromman

 

Dear Future Children

Dear Future Children

Dear Future Children – ein Film, der bewegt. Und ein Film, der zum Nachdenken anregt und lange nachwirkt. So sehr, dass ich auch jetzt, mehrere Wochen, nachdem ich den Film im STRAZE-Kino bei seiner Premiere in Greifswald angeschaut habe, noch das große Bedürfnis habe, einen Artikel über ihn zu schreiben und ihn anderen Menschen weiterzuempfehlen.

Der Dokumentarfilm handelt von drei jungen Aktivistinnen, die in drei unterschiedlichen Protestbewegungen in drei verschiedenen Ländern kämpfen. Er begleitet Pepper aus Hongkong, Hilda aus Uganda und Rayen aus Chile bei ihrem Kampf gegen die von Peking beeinflusste Regierung unter Carrie Lam, bei den Protesten in Chile gegen soziale Ungleichheit im Land und in Uganda bei den lokalen Fridays-for-Future-Protesten und Aktionen für Klimagerechtigkeit und Naturschutz. Dabei stoßen die drei und ihre Mitstreiter*innen teils auf sehr ähnliche und teils auf sehr unterschiedliche Probleme und Gefahren und innere wie äußere Konflikte. Diese reichen von Resignation in der Politik wie im Denken und Handeln der Menschen, weil einfach nicht genug passiert, bis zu direkten körperlichen Gefahren durch brutale Vorgehensweisen der Polizei. Was sie gemein haben ist der Kampf für eine bessere Zukunft und der Wille, etwas mit viel Mut und Einfallsreichtum zu verändern. Dafür sind sie auch bereit viel aufzugeben, wie ihre eigene Gesundheit, ihre Freiheit oder den Platz für andere Aktivitäten in ihrem Leben.

Vielleicht kennt ihr das: Ihr schaut einen Film, der euch in irgendeiner Weise berührt und ihr denkt danach: Ab jetzt werde ich mein Leben ändern und mich mehr engagieren oder mehr reisen oder meinen Alltag bewusster und aktiver gestalten … Aber sobald ihr aus dem Kino zu Hause ankommt oder euren Fernseher ausschaltet oder den Laptop zuklappt, denkt ihr nicht mehr weiter über den Film nach. Oder vielleicht begleitet euch der Film sogar noch für ein paar Tage, aber spätestens dann habt ihr ihn meistens vergessen und seid wieder in eurem Alltag – bis zum nächsten Film, der euch in irgendeiner Weise wachrüttelt.

Anders war das für mich und für die anderen Menschen, die den Film mit mir geschaut haben. Nach dem Film sitze ich erst einmal 30 Minuten schweigend einfach nur da und lasse nachwirken, um das gerade Gesehene zu verdauen. Und ich schaffe es in meinem Alltag immer wieder Bezüge zu dem Film herzustellen, bei den verschiedensten Themen. Immer wieder ploppt die Erinnerung an den Film in meinem Kopf auf und ich habe das große Bedürfnis, über den Film zu reden und anderen Menschen davon zu erzählen. Das liegt wohl an dem Thema, das der Film behandelt, aber vor allem auch an den Gefühlen, die er in einem auslöst: Wut, Angst, Ohnmacht, Trauer. Das mag jetzt womöglich abschreckend klingen – soll es aber gar nicht, denn was der Film genauso auslöst ist: Hoffnung, die Erkenntnis, was für unglaublich starke und beeindruckende Menschen es da draußen gibt, die für ihre Sache kämpfen, und die ihre Ziele sogar – zumindest teilweise – erreichen. Das macht Mut mitzukämpfen, sich für etwas einzusetzen, das einem wichtig ist!

Nach dem Film hatte ich viele offene Fragen, wie auch viele der anderen Menschen, die den Film mit mir gemeinsam geschaut haben. Dabei hat uns sehr das Nachgespräch mit dem Regisseur Franz Böhm geholfen, der für die Premiere in der STRAZE nach Greifswald gekommen ist. Hier sind ein paar der interessantesten Fragen zusammen mit seinen paraphrasierten Antworten.

Warum heißt der Film überhaupt „Dear Future Children“?

Der Titel des Films stammt von einem Brief, den Hilda an ihre zukünftigen Kinder geschrieben hat. Die Szene, in der sie den Brief vorliest, ist zwar nicht mehr im Film selbst enthalten, war aber Inspiration für dessen Titel. Er beschreibt auch einen Kernpunkt, warum alle drei Aktivistinnen auf die Straße gehen und für ihre Sache kämpfen. Sie denken dabei immer an ihre zukünftigen Kinder, für die sie eine bessere Welt schaffen wollen, in der man gut aufwachsen und leben kann.

War es Zufall oder Absicht, dass alle drei Aktivistinnen Frauen sind?

Das war tatsächlich Zufall. Bevor sich für eine Person in der Protestbewegung entschieden wurde, wurden von den wichtigen Akteur*innen Profile erstellt mit allen relevanten Informationen über die Personen, ihr Leben, ihre Persönlichkeit und ihre Stellung in der Bewegung. Als es zur Abstimmungsentscheidung kam, welche drei Menschen man filmen möchte, wurden die Informationen über Alter, Geschlecht und Name aus dem Informationsblatt gelöscht, damit niemand davon beeinflusst wird. Es ist allerdings auch passend, dass alle drei Aktivistinnen Frauen sind, weil auch die Protestbewegungen, in denen sie mitkämpfen, vor allem weiblich geführt sind.

Wie sind die Macher*innen des Films an die Drehgenehmigungen für z.B. Hongkong gekommen?

Der Film stellt sicherlich keine Position dar, die zum Beispiel die Regierung Chinas gerne sieht. Für die Erhaltung der Drehgenehmigungen wurde deswegen etwas getrickst. Zum Beispiel wurde für Hongkong behauptet, dass das Team gerne einen Film über Hongkong als Reiseziel für Westeuropäer drehen und dabei die schönen und besonderen Seiten der Stadt darstellen will, um mehr Tourist*innen auf diese Stadt aufmerksam zu machen.

Haben die Dreharbeiten und die Veröffentlichung des Films Nachwirkungen für das Filmteam gehabt?

Natürlich waren schon alleine die Dreharbeiten eine Gefahr, da sie an vorderster Front von Protestbewegungen stattfanden, bei denen die Polizei sehr brutal vorgeht. Aber auch nach den Dreharbeiten gab es noch Nachwirkungen für das Filmteam. Gerade von chinesischer Seite gab es sehr viele Drohungen, darunter auch Morddrohungen. Es wurden auch sehr persönliche Informationen herausgefunden und gegen die Macher*innen des Films verwendet, wie beispielsweise der Wohnort naher Verwandter. Das Team konnte sich aber ein gutes Sicherheitsnetzwerk mit Hilfe von Bekannten und Freund*innen aufbauen, die sich in solchen Sachen auskennen. Kommunizieren tun sie untereinander nur mit höchster Sicherheit in der Verschlüsselung.

Am Donnerstag, den 25.11.21 um 20:00 Uhr, wird der Film noch einmal von Fridays for Future in Greifswald im Hörsaal 1 in der Rubenowstraße 1 gezeigt. Ich kann wirklich jedem*r nur empfehlen, sich den Film anzusehen!

Beitragsbild: © NIGHTRUNNER PRODUCTIONS & SCHUBERT FILM

moritz.playlist – Cro

moritz.playlist – Cro


Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.

„Ich liebe Cro“. Ein Satz, von dem ich noch vor circa 10 Jahren nie gedacht hätte, ihn so über die Lippen zu bringen. Aber Cro? Ist das nicht dieser Pop-Rapper mit der Pandamaske, der immer nur in musikalischem Einheitsbrei über Frauen rappt? Mit einer pessimistischen Engstirnigkeit könnte man das vielleicht behaupten. Jedoch ist der Rapper so viel mehr, wenn man nur richtig hinschaut. Oder eben hinhört.

Höchstwahrscheinlich ist Cro kein Künstler, der einer umfangreichen Vorstellung bedarf. Solltet ihr allerdings die letzten zehn Jahre jeglicher Beschallung von Popmusik entgangen sein, hier einmal im Schnelldurchlauf:
Cro (bürgerlich Carlo Waibel) wuchs in Mutlangen in der Nähe von Stuttgart auf und begann mit zehn Jahren Musik aufzunehmen. Schon im Jahr 2011 erreichte er im Alter von 21 Jahren mit der Single Easy und dem dazugehörigen Mixtape seinen Durchbruch. Beides veröffentlichte er kostenlos. Ein Jahr später kam sein erstes Album Raop heraus, welches an den Erfolg anknüpfte. Und dann hatte Cro es auch schon geschafft. Innerhalb eines Jahres wurde er zum erfolgreichsten Rapper Deutschlands, indem er dem Genre und seiner Musik den nötigen Style und Leichtigkeit verlieh. In den darauffolgenden Jahren brachte er weitere Alben heraus, tourte durch Deutschland und produzierte Musik bis zum Umfallen.

Doch was macht Cros Musik eigentlich so besonders?
Es ist die Unbeschwertheit in den einen Songs und es sind die Gefühle und die Emotionen in den anderen Songs. Dabei hat Cro die „ist mir scheißegal“-Attitüde perfektioniert, zeigt aber auch in späteren Songs und Releases, dass es eben nicht immer so ist. Deutlich wird dies vor allem in seinem vorletzten Album tru., welches künstlerisch und musikalisch einen starken Richtungswechsel darstellt, aber auch einen Wendepunkt in Cros ganzer Karriere. Er hat hier zu sich gefunden und ist ein Stück weit erwachsen geworden. Demnach lässt er in diesem Album auch einen Blick in sein Privatleben zu und schafft so auch sehr intime Momente in der Musik.

„Früher wollt‘ ich ja nicht anecken. Ich wollte aalglatt durch die Mitte und in jedes Herz der Welt einfach rein.“

Dieser von ihm beschriebene „Schub an Stil und Ästhetik“ brachte auch eine ganz neue künstlerische Dimension außerhalb der Musik hinzu. Denn Cro produziert neben seinen Strophen auch die Beats, die Texte, das Musikvideo dazu, Kunst, Mode und so ziemlich alles, was er veröffentlicht selbst. Bis heute.

Die moritz.playlist wird um zwei Songs von Cro erweitert. Der Erste ist eine der Single-Auskopplungen des besagten dritten Albums tru. mit dem Titel Unendlichkeit. Dieses Lied ist eines seiner bekanntesten, aber auch ein Sinnbild für seinen künstlerischen Werdegang und die Entwicklung seiner Musik. Hier stellt sich Cro die großen Fragen, die sich jede*r Künstler*in an einem gewissen Punkt in seiner*ihrer Karriere stellt und dessen Antworten mit Geld nicht zu kaufen sind. Als zweites haben wir den Song NICE vom letzten Album trip, welches erst im April dieses Jahres erschienen ist. Hier ist der Sound aus den ersten zwei Alben wiederzuerkennen, mit dem viele Menschen Cro verbinden. Allerdings ist er nun verfeinert, mit einer neuen emotionaleren Herangehensweise, ohne dass es schnulzig oder unecht klingt. Ganz im Gegenteil.
Als Drittes und Letztes kommt der Song X von Danju in die Playlist. Danju ist ein Künstler, der musikalisch eng an Cro anliegt, aber einen ganz eigenen Stil in die Sache bringt und an die älteren Cro-Songs erinnert.

Alles in Allem ist Cro ein Künstler, welcher leider viel zu lange unter meinem Radar blieb. Es ist die Einfachheit und die Unbeschwertheit in der Musik, aber auch in der Person dahinter, die ihn als Künstler ausmachen. Er traut sich immer wieder Innovation nicht nur ins Genre, sondern in die Musik generell zu bringen, wobei Grenzen verschwimmen und die Kunst hinter der Musik zum Vorschein kommt.
Natürlich ist Cro nicht der Underground-Rapper mit dem fast schon klischeebehafteten Straßenimage, tru. ist er dennoch geblieben und nach wie vor einer der interessantesten Musiker*innen, die Deutschland zu bieten hat.

Titelbild: Paulette Wooten
Beitragsbild: Adrian Siegler

Stadtgespräche – Greifswald im Lockdown

Stadtgespräche – Greifswald im Lockdown

Die Menschen und ihr Miteinander in Greifswald trotz der Pandemie wieder sichtbar machen. Das war Lena Elsa Droeses Motivation, als sie vor etwa einem Jahr die Idee zu ihrem Interviewband hatte. Durch den Austausch mit Greifswalder Persönlichkeiten entstand eine Sammlung, in der die Studentin der Politik- und Kommunikationswissenschaften Eindrücke und Erfahrungen aus den Lockdowns in unserer Hansestadt festgehalten hat.

Als im Herbst letzten Jahres einige Greifswalder Läden kurz vor dem endgültigen Aus standen, war plötzlich nicht mehr sicher, ob Lenas Lieblingscafés und -clubs die Pandemie überstehen würden. Die Studentin wollte wissen, wie es den Menschen hinter den verschlossenen Türen und Schaufensterscheiben wohl ginge – und fragte einfach nach. Aus einer kleinen Interviewreihe für das moritz.magazin wuchs die Idee, verschiedene Begegnungen in einem Band namens „Stadtgespräche – Greifswald im Lockdown“ abzubilden.

Der Austausch hat mir während dieser Zeit sehr gefehlt. Greifswald ist ja eine kleine Stadt, in der man sich schnell gut kennt und in den Straßen oft auf ein kurzes „Und wie geht’s dir denn?“ trifft. Im Lockdown fanden diese Gespräche natürlich kaum statt und viele Menschen sind aus dem Stadtbild verschwunden.

Lena Elsa Droese

Lena hat genau diese rar gewordenen, zufälligen Momente mit Stadtbekanntschaften für Gespräche genutzt und die Begegnungen niedergeschrieben. Das dabei entstandene Büchlein handelt von Menschen, die für die 21-Jährige einfach zum Greifswalder Stadtbild gehören: ein Barbesitzer, eine Abiturientin, eine Tänzerin, ein Gesundheits- und Krankenpfleger, zwei kleine Kindergartenfreundinnen. Insgesamt haben 19 ganz unterschiedliche Greifswalder*innen mit Lena über das Leben im Lockdown gesprochen.

Das kann die Kellnerin sein, die mit einem Tablett über den Markt läuft oder der Mann, der oft auf der Bank am Hafen sitzt. Ich glaube jede*r hat da so seine persönlichen Beziehungen zur Stadt, oder?

Lena Elsa Droese

In der rund 70-seitigen Sammlung geben die Gesprächspartner*innen Auskunft zu verschiedensten Fragen, unter anderem „Wie sieht dein Alltag aus?“, „Was ist für dich besonders schwer im Lockdown?“ oder „Was machst du als Erstes, wenn alles vorbei ist?“. Und auch die Antworten auf die Nachfrage „Was bedeutet Demokratie für dich in dieser Zeit?“ füllen mehrere Seiten des Hefts. Da Mitsprache und Teilhabe Themen sind, die Lena beschäftigen, war dieser Teil der Gespräche für sie von besonderer Bedeutung.

Die Frage rahmt den Grundgedanken vom Interviewband, jede*r kann seine*ihre Meinung äußern und diskutieren. Wichtig ist, dass man sich stets mit Respekt begegnet und zuhört. 

Lena Elsa Droese

Die Aufzeichnungen werden ergänzt von Portraits, die Lena selbst aufgenommen hat. Die Fotos zeigen die Gesprächspartner*innen hinter einer Glasscheibe, um Nähe und Distanz gleichzeitig darzustellen. Ein Zwiespalt, den vielleicht viele aus den Zeiten der Isolation kennen.

Mit #stayhome sind viele Personen aus dem alltäglichen Leben verschwunden, aber ein Bedürfnis nach Nähe und Kontakt besteht natürlich trotzdem.

Lena Elsa Droese

Unterstützt wurde die Studentin bei ihrem Projekt von der Fotografin und Gestalterin Anna Knüppel und Anita Völlm von der Partnerschaft für Demokratie. Im Rahmen der von der Partnerschaft ins Leben gerufenen Gesprächsreihe „DemokraTische“ findet anlässlich der Erscheinung an diesem Mittwoch, den 8. September, eine offene Diskussion statt. Nicht nur die Inhalte der Interviewsammlung sollen dabei im Mittelpunkt stehen: Jede*r ist dazu eingeladen, ab 17 Uhr im Hof des St. Spiritus eigene Erfahrungen und Geschichten aus dem Lockdown zu teilen.

Bei der Veranstaltung kann „Stadtgespräche“ zudem erstmals erworben werden, später ist es auch in einigen Buchläden der Stadt, im Tierpark und weiteren teilnehmenden Geschäften erhältlich. Die Interviewsammlung ist grundsätzlich kostenlos. Trotzdem sind Spenden willkommen, denn alle Einnahmen kommen den Institutionen und Gesprächspartner*innen, die ihre Geschichten in dem Band geteilt haben, zugute, „sodass hoffentlich ein paar Wünsche aus den Lockdown-Zeiten erfüllt werden können“, wie Lena auf der letzten Seite von „Stadtgespräche“ verspricht.

Beitragsbild: Lena Elsa Droese

moritz.playlist – Måneskin

moritz.playlist – Måneskin

Musik  Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.

Fünf Freund*innen vier Menschen und ein Hund. Nein, die Rede ist nicht von Enid Blytons Kinderbuch, sondern von der italienischen Rockband Måneskin. Und zugegeben, die kleine Hundedame der Bassistin Victoria ist auch nicht immer dabei, obwohl sie zwischenzeitlich sogar als neue Managerin der Band im Gespräch war. Am Ende wurde es ein alter Freund der Band und die Firma Exit Music Management quasi extra für sie gegründet. Freundschaft ist ohnehin das Grundrezept für Måneskin und sicherlich auch eine ganz besondere Geheimzutat bei ihrem derzeitigen weltweiten Erfolg, gerade in Zeiten von Corona und sozial belastender, wenn auch notwendiger, Isolation.

Als vier Freund*innen beginnen Måneskin ihre Karriere 2015 zunächst auf der Straße, mit gerade einmal 14, 15 und 16 Jahren. Anderthalb Jahre streiten sie mit anderen Nachwuchskünstler*innen um die besten Plätze in Roms Einkaufspassagen, bis sie irgendwann genug Geld für ihr erstes Album verdient haben, auch wenn das mit dem Bezahlen nicht ganz so einfach ist, wenn man die 300 Euro nur in gespendetem Münzgeld vorweisen kann. In Italien erreichen sie bereits 2017 durch ihre Teilnahme bei der Castingshow X Factor Bekanntheit, europaweit dann 2021 mit dem Gewinn beim ESC und schließlich auch global durch ihre Coverversion von Beggin‘. Aber Måneskin sind weit mehr als ein vier Jahre altes, für eine Castingshow nachgesungenes Lied. Ihre eigenen Songs zeigen nicht nur in der instrumentellen Komposition eine enorme Tiefe, sondern auch in den Texten, vor allem in den italienischen. 

Das zentrale Element: Der Wunsch nach Freiheit, nach gleichen Rechten und Akzeptanz, unabhängig von Geschlecht, Sexualität, Ethnizität. Eine Message, die gerade dem jungen, queeren Publikum viel Identifikationspotenzial liefert, so wie bereits in den 1970ern und 80ern bei Queen, David Bowie und Co. Ein kleiner Wermutstropfen, dass diese eigentlich doch so banale Botschaft der Wunsch sein zu dürfen, wer man eben ist auch 40 Jahre später noch so berührt und so relevant ist. Aber ein umso schöneres Zeichen, wie es dieser queeren Freund*innengruppe mit italienischen Liedern und an den 70ern orientiertem Stil derzeit gelingt, die Charts der Welt zu erobern.

Auf die moritz.playlist kommt jeweils ein Lied der beiden eigenen Alben von Måneskin sowie zwei Lieder von Bands, die als Vorbilder der Gruppe gesehen werden können. Morirò da Re (Ich werde als König sterben) handelt wie fast jedes Lied auf Il Ballo Della Vita von Marlena, der Personifizierung von Kunst, Inspiration, Freiheit, mit deren Hilfe sich jedes noch so unüberwindbar scheinende Hindernis besiegen lässt. Im zweiten, aktuellsten Album Teatro d’Ira – Vol. I wird es noch persönlicher, dadurch aber auch nur noch ergreifender, weil nachvollziehbarer. Was mache ich aus meinem Leben, jetzt wo ich Vent’Anni, zwanzig Jahre alt, bin? Wie wähle ich den richtigen Weg, auf dem ich nicht nur mir selbst, sondern auch meinen Mitmenschen helfen kann?

Iggy Pop ist nicht nur der Godfather of Punk, sondern auch eine große Inspiration von Måneskin. Für die italienische Version des Disney-Films Cruella durften die vier I Wanna Be Your Dog von The Stooges covern, während Iggy zuletzt I Wanna Be Your Slave von Måneskin covern durfte. Eine schöne gegenseitige Anerkennung. Zum Schluss darf auch noch etwas Deutsches auf die moritz.playlist: Mit He’s a Woman – She’s a Man werden die Scorpions 1977 etwas punkiger, als man es sonst von ihnen gewohnt ist, sowohl in den Klängen als auch in der Botschaft des Liedes, die ihrer Zeit ein paar Jahrzehnte voraus gewesen sein durfte, aber voll in Måneskins Mentalität liegt.

Måneskin sind jung, aber retro – der Sound eine Mischung aus modernen Rockbands mit 70er-Jahre Classic Rock, dazu die raue und trotzdem gefühlvolle Stimme von Sänger Damiano. Måneskin sind provokativ, aber nicht um zu provozieren sie sind einfach nur ehrlich, ohne etwas beschönigen zu wollen, inspirierend, indem sie es nicht darauf anlegen, inspirierend zu sein, Kontroversen gehen nicht von ihnen aus, sondern sind Antworten der Gesellschaft auf eine Jugend, die sie selbst sein will, ohne sich verstellen zu müssen. Måneskin allein sind sicherlich keine Lawine, die die Ungerechtigkeit in der Welt umstürzen kann, aber doch ein netter kleiner bunter Stein und auch über den kann man stolpern.

Titelbild: Mikes-Photography auf Pixabay
Beitragsbild: Luana Azevedo auf Unsplash 

Mimimi-Mittwoch: Hosentaschen und wo man sie findet

Mimimi-Mittwoch: Hosentaschen und wo man sie findet

Spoiler: NIRGENDS!!

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit Mode. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über viel zu enge T-Shirts auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier.

Es ist Sommer und schon lange trägt man nicht mehr den schönen Wintermantel mit den herrlich großen Taschen, wo neben Schlüssel und Portemonnaie auch noch der halbe Wocheneinkauf reinpasst. Es ist Sommer und wir sind auf unsere Hosentaschen und deren Fassungsvermögen angewiesen, sofern man nicht eine unnötig kleine Tasche mit sich führen möchte, um seine 3€ für die Frühstücksbrötchen nicht permanent in der Hand tragen zu müssen.

Hosen und vor allem Hosentaschen lösen in mir eine unbeschreibliche Wut aus, wenn ich an sie denke. Der Grund ist, dass ich als Person, die in der Frauenabteilung ihre Klamotten kauft, keine Kleidung erwerben kann, die Taschen besitzt. Es fängt bei Jeans an und zieht sich durch meinen gesamten Kleiderschrank. Ein grassierender Mangel an Hosentaschen plagt mich, seit ich meine Hosen selbst kaufe.

Man verstehe mich nicht falsch, eine herkömmliche Jeans für Frauen sieht vielleicht so aus, als hätte sie Hosentaschen, aber es ist alles eine Lüge! Die vermeintlichen „Taschen“, die man zu sehen glaubt, sind oft nur Attrappen und man könnte selbst mit aller Liebesmühe nicht einmal eine 1 Euro Münze darin verstauen. They are all fake!

Und nun kommen wir zu der eigentlichen Frage, die uns an diesem Punkt alle beschäftigt: WELCHER MENSCH BRINGT WILLENTLICH SO VIELE QUALEN ÜBER DIE MENSCHHEIT?!

Leidensgenoss*innen werden jetzt schon wild mit dem Kopf nicken und mir zustimmen. Während Personen, die für Männer konzipierte Kleidung tragen, von unzähligen Möglichkeiten profitieren, Handy, Schlüssel und vermutlich auch ihre fertig gebundene Masterarbeit am Körper mit sich tragen zu können, müssen andere permanent kleine Taschen mitnehmen.

Und das ist der Punkt, an dem ich sage „Her mit der Reißverschluss-Cargohose!“. So blöd und Alman diese Hosen auch aussehen mögen, müssen wir ehrlich mit uns sein und uns eingestehen, dass es das einzige Kleidungsstück ist, welches uns von unseren Leiden befreien kann.

Darum plädiere ich für Reißverschluss-Cargohosen als nächsten Modetrend!

Beitragsbild: Elisa Schwertner
Comic: Cassandra Calin