Umgekrempelt: Ein Alltag ohne Multitasking

Umgekrempelt: Ein Alltag ohne Multitasking

Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns (meistens) sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

Eine Online-Sitzung läuft. Ich müsste eigentlich zuhören, bin aber am Festnetztelefon und sitze gleichzeitig vor Zahlentabellen, die wir besprechen müssen. Ich wechsle kurz die Fenster zu BBB für eine Wortmeldung, in dem Moment klingelt mein Handy, durch die Synchronisation klingelt auch mein Laptop – mein Mikro ist noch an, ich kann die Antwort noch nicht mal verstehen, die Teekanne äußert quietschenden Protest, beim Festnetztelefon geht der Akku leer und piept jetzt ernsthaft auch noch alle paar Sekunden, aufladen geht aber gerade nicht. Mein Laptop ist ebenso überfordert wie ich und fängt an zu rauschen, Nachrichten-Pop-Ups blinken an Laptop und Handy auf – die eine ist wichtig, ich muss schnell einen Teaser lektorieren, die nächste Online-Sitzung schließt sich direkt an, es geht um ein Projekt nach dem Master und ich würde echt gerne zuhören, aber eigentlich muss die Mail mit den Tabellen noch raus, am piependen Telefon bin ich immer noch, mein Kopf ist heiß, ich muss gleichzeitig rechnen und reden und zuhören und denken, alles ist laut, das ist zu viel, viel zu viel.

Tag 1: Freitag

So. Ich beschließe, einen „digital detox“ zu machen und schalte mein Handy um 18 Uhr aus. Ich wollte eigentlich nur ohne Ablenkung nebenbei einen Online-Vortrag hören, aber im Laufe des Abends entsteht der Gedanke zum Selbstexperiment, um für längere Zeit solch überladene Situationen zu vermeiden. Denn kaum laufen die ersten Minuten des Vortrags an, wechsle ich automatisch die Fenster und beginne, meinen Desktop aufzuräumen. „Halt!“, unterbreche ich mich direkt, meine Hand zuckt aber gewohnheitsmäßig noch sieben Mal zum Touchpad, um das Fenster erneut zu wechseln. Einfach nur zuzuhören und nicht ganz kurz nebenbei etwas zu machen, führt dann aber dazu, dass ich vor lauter Erschöpfung während des Vortrags wegdämmere, upsi.

Abends lese ich noch, irgendwann wird mir aber langweilig (spricht entweder nicht unbedingt für das Buch oder für mein sonst gewohntes Reizlevel) und ich sehne mich danach, etwas am Handy zu scrollen. Ich überwinde mein Reizbedürfnis aber eisern und lese doch noch weiter, das hätte ich normalerweise wahrscheinlich nicht gemacht.

Tag 2: Samstag

Ich bin momentan in der Heimat und wir fahren zur Familie. Normalerweise bin ich immer mal zwischendurch am Handy während der Autofahrt, habe es heute allerdings irgendwann aus- und uns einen Podcast angemacht. Trotzdem kann ich kaum zuhören und vermute, dass das an meiner Konzentrationsüberlastung der letzten Zeit liegt. Den ganzen Tag mit der Familie bleibt mein Handy aus, manchmal verspüre ich den Impuls, aber schließlich möchte ich im Moment bleiben.

Die Rückfahrt hat es dann aber in sich: Nach zwei Stunden im Oldieversum aus NDR 90,3 und NDR 1 (Weeelle Nooooord – Konnte das jemand mitsingen?) begebe ich mich doch lieber in die doppelten Reize zurück und setze meine Kopfhörer auf. Wenn das Radio die eine Aufgabe ist, auf die ich mich konzentrieren muss, ja, dann möchte ich nicht mehr. Zugegebenermaßen ist es aber tatsächlich ganz schön anstrengend, „Always on My Mind“ tönen die Oldies, sobald meine Musik mal kurz leiser wird. Daher richte ich meine volle Aufmerksamkeit auf die musikalischen Elemente und den Text meiner Lieder, was ich viel zu selten so bewusst mache und die Musik dadurch viel intensiver aufnehme.

Tag 3: Sonntag

Ich sitze im Zug zurück nach Greifswald und sinniere über meine bisherigen Tage des Selbstexperimentes. Dass ich Multitasking vermeiden möchte, heißt bisher offensichtlich oft nur, nicht am Handy zu sein. Ist ja auch irgendwie logisch, schließlich ist der aufblinkende Bildschirm häufig das, was den Moment gerade unterbricht. Ich fühle mich nach den letzten zwei Tagen insgesamt viel disziplinierter, schaue abends noch einen Film mit meiner Mitbewohnerin und finde es gar nicht mehr so anstrengend, gegen das Bedürfnis anzugehen, gleichzeitig mein Handy sichtbar neben mir haben zu wollen. Da unser WLAN momentan eh kaputt ist (hier finde ich das noch gut), lese ich zum Einschlafen einfach. Ich merke: Mein Kopf kühlt sich immer weiter ab.

Tag 4: Montag

Los geht’s mit der Woche. Für das Selbstexperiment schalte ich morgens meine Mitteilungen am Handy auf nicht mehr vollständig lesbar. Ich schaffe es nicht, sie ganz auszustellen, aber auf diesem Wege sehe ich immerhin nur, dass etwas gekommen ist und bin inhaltlich nicht direkt woanders. Ich muss aber sagen, dass mich das ziemlich stört, ständig muss ich auf die Apps klicken und schauen, ob gerade etwas Wichtiges dabei ist.

Ich bin außerdem so müde, dass ich beim Fertigmachen Musik höre – Ist das jetzt schon Multitasking? Das überfordert mich zwar nicht, aber eigentlich flute ich mich ja wieder mit Reizen. Auch in der Bib mache ich mir gewohnheitsmäßig irgendwann Musik an und beginne, die Literatur durchzugehen, überwinde mich dann aber zur Stille. Ich höre zum Jammen häufig Musik beim Arbeiten und komme gut damit klar, frage mich aber regelmäßig, wie viel Energie es mich unterbewusst eigentlich kostet, nicht zu sehr die Wörter aus dem Lied, sondern die aus dem zu lesenden Text aufzunehmen.

Da unser WLAN immer noch kaputt ist (…), muss ich für meinen Schwedischkurs ins Grüne. Auch wenn ich mein Handy eisern aus hatte, ist das Reizüberflutung pur. Ständig laufen Leute vorbei, zwischendurch rede ich mit einer Freundin. Irgendwann bin ich wahnsinnig müde und würde so gerne am Handy scrollen, um mich etwas wach zu halten, aber ist diese Gewohnheit nicht total doof? Schließlich kommen dann noch mehr Reize, die ich mit der wenigen Energie verarbeiten muss und richtig zuhören kann ich dann erst recht nicht. Gefühlt muss ich aber mehr Energie aufbringen, weiterhin zuzuhören und nicht ans Handy zu gehen; der innere Kampf bleibt also doch noch bestehen.

Tag 5: Dienstag

Meine Mitteilungen stelle ich heute Nachmittag wieder auf lesbar, das ist mir dann doch zu anstrengend. Dafür lege ich mein Handy wieder häufiger komplett zur Seite, trage es auch nicht aus Routine immer mit durch die Wohnung und lasse den Ton auf stumm.

Abends ist StuPa-Sitzung und ich muss zwischendurch kurz mit einer Freundin schreiben, aber auch weiter zuhören. Nach einigen Minuten bin ich schon überanstrengt. Auf dem Rückweg merke ich, dass sich die Umgewöhnung der letzten Tage aber gelohnt hat: Ich schalte mein Handy erst wieder in der Wohnung an, bin mit meiner Mitbewohnerin vorher noch spazieren und habe nicht das Bedürfnis, schon mal kurz nach den Nachrichten der letzten Stunden zu schauen.

Tag 6: Mittwoch

Ich habe ein Präsenzseminar und führe regelrecht einen körperlichen Kampf aus, nicht in das Mailpostfach als Ablenkung zu schauen. Es ist mir ein so schlimmes Bedürfnis, irgendeinen, auch nur irgendeinen Tab an meinem Laptop zu öffnen, dass ich schon bald das Gefühl habe, mich auf meine Hände setzen zu müssen. Multitasking ist verführerisch.

Ich überlege, in was für Situationen ich ein ähnlich starkes Bedürfnis habe. Dazu gehört auf jeden Fall essen (wenn nicht mit der WG oder Freund*innen, habe ich immer mein Handy, Buch oder Netflix dabei), irgendwo hinlaufen (in der Regel mit Musik) oder das einschlafen und aufstehen (leider immer mit Handy). Das ist natürlich nicht immer verwerflich, aber mehr Stille auszuhalten, ist doch eine Überwindung.

Tag 7: Donnerstag

Neben der Tatsache, dass wir wieder WLAN und ich mehr Zugang zu dem verführerischen Scrollen habe, habe ich eine Art Gewohnheit entwickeln können: Ich lebe mehr in Blöcken. Wenn ich nach Hause gehe, dann gehe ich nur und höre nicht nebenbei Sprachnachrichten. Wenn ich am Handy bin, bin ich am Handy und nehme mir die Zeit. Wenn ich auf Essen warte, warte ich einfach usw.

Abends bei der digitalen Redaktionssitzung werde ich dann aber doch nachlässig und schreibe im BBB-Chat nebenbei mit anderen. Das ist eigentlich doof, immer wieder verpasse ich ein paar Sätze, aber manchmal macht Multitasking eben auch Spaß, was sich dann auch wieder auf eine positivere Stimmung für die eigentliche „Task“ auswirkt.

Tag 8: Freitag

Nachts schaue ich mir Konzerte bei YouTube an und bin ergriffen von der Stimmung aus dem Video und den Klängen – *paplimm* und eine Mail kommt als Pop Up mitten in den Moment hinein. Die Entscheidung fällt also doch noch: Die Mitteilungen werden jetzt vollkommen ausgestellt. Ist es nicht immer so, dass Pop Ups uns total aus dem Moment, dem Gedanken oder dem Gefühl rausholen? Ich finde die Vorstellung gerade total anstrengend, vielleicht liegt das aber auch nur an meinem verschärften Blick durch das Selbstexperiment.

Tag 9: Samstag

Und siehe da: Ich komme besser ohne Mitteilungen klar, als ich erwartet hätte. Es ist eh nicht viel, was abgesprochen werden muss und doof wäre zu verpassen, daher schaue ich zwischendurch einfach immer mal wieder Whatsapp, Telegram und Signal durch. Zugegebenermaßen habe ich aber, während ich die web.woche erstelle, nebenbei einen Film laufen. Das ist natürlich nicht der Inbegriff vom Onetasking, muss ich ehrlich zugeben, aber da ich heute so handyfrei lebe, fühle ich mich trotzdem total ruhig.

Tag 10: Sonntag

Ja okay, die Mitteilungen für Signal und Telegram sind doch wieder an, es kommt dann irgendwie doch darauf an, wie sehr man gerade im Chatflow ist oder nicht. Aber all die anderen Apps, die den ganzen Tag aufgeblinkt haben, bleiben weiterhin aus: Mails, Nachrichten, YouTube usw. hatten einen ziemlich großen Anteil bei den Pop Ups über den Tag und ohne sie ist es bereits wesentlich stiller.

Meine Hauptproblematik liegt, denke ich, darin, immer erreichbar sein zu wollen – per Mail und bei allen drei Chatapps führt das zum ständigen Aufblinken oder eben dem Bedürfnis des kurzen Nachschauens. Das wiederum führt dazu, dass nur davon schon viele Gedankenstränge bei irgendwelchen anderen Sachen sind, immer mehr parallel abläuft und mich auf meine eigentliche, große Aufgabe zu konzentrieren durch die ganzen kleinen nebenbei immer schwieriger wird.

Fazit

Multitasking zu vermeiden ist tatsächlich für die Umgewöhnungsphase fast genau so anstrengend, wie es auszuleben (funktionieren tut es ja eben eh nicht). Ich muss sehr selbstkritisch feststellen, dass ich weitaus süchtiger bin, als mir das bisher bewusst war. Dieses Bedürfnis halte ich jetzt aber immer öfter einfach aus und merke, wie es für viele Situationen weniger wird, suche bewusst nach mehr Stille und Ruhe – auch wenn der entstandene Freiraum erstmal dazu verleitet, ihn mit Reizen zu füllen.

In kommunikativer Hinsicht hatte ich keiner Person mitgeteilt, dass ich das Experiment mache und teilweise keine Nachrichten sehen kann, um realitätsnah zu schauen, was für Nachrichten ich nicht mitbekommen habe. Und habe ich etwas verpasst? Ja schon, aber in den meisten Fällen war das eher Situationskomik. Nichts ist wirklich schief gelaufen, aber ich war natürlich auch nicht völlig weg vom Radar – Ich hoffe also, dass sich mein Bedürfnis zur Erreichbarkeit auf so ein Kompromisslevel einpendeln wird.

Inzwischen, zwei Wochen nach dem Experiment, bin ich streckenweise in alte Muster zurückgefallen: Ich habe es manchmal regelrecht genossen, mich jetzt nicht mehr so anstrengen zu müssen, wirklich nur bei der einen Aufgabe zu bleiben. Multitasking muss ja auch nicht immer schlecht sein. Aber immer wieder die Disziplin aufzubringen, mehr im Moment und bei sich zu sein, hat mir persönlich eine spürbare Verbesserung und Erholung gebracht. Meine Mitteilungen sind auch nach wie vor für fast alle Apps ausgeschaltet, lediglich Chats und Nachrichten dringen zu mir durch.

Ein Blick auf die Wissenschaft, den ich im Rahmen des Experimentes für meine eigenen Gedanken und Erfahrungen erstmal bewusst weggelassen hatte, zeigt mir abschließend, wie groß die Problematik hinter Multitasking eigentlich ist. Und dass ich auf lange Sicht meine etablierten Gewohnheiten der letzten drei digitalen Semester definitiv ändern werde.

Beitragsbild: Annica Brommann
Banner: Julia Schlichtkrull

Mimimi-Mittwoch: Kranksein

Mimimi-Mittwoch: Kranksein

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit dem Kranksein. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über das Kranksein auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier. 

Hatschi und guten Morgen!
Es ist November und wer bislang kein Corona hatte, wird vermutlich jetzt krank mit Erkältung oder Grippe. Ich spreche aus Erfahrung, denn so ergeht es auch mir.

Es ist Montagmorgen, halb 7, ich stehe nach einer weniger erholsamen Nacht auf und merke: Mist, ich fühl mich mal so gar nicht gut. Nach dem Frühstück entscheide ich mich jedoch dazu, mich als richtig krank zu deklarieren, also als SO RICHTIG krank. Folglich gebe ich kurz auf der Arbeit Bescheid, dass mich heute keiner zu Gesicht bekommt.

Seit letztem Jahr ist an Tagen wie diesem natürlich die erste Handlung, einen Coronaselbsttest zu machen. Diese Angst, trotz Impfung zu erkranken und im schlimmsten Fall andere anzustecken, sitzt einem nun seit fast 2 Jahren im Nacken. Während ich vor meinem Test sitze, gehe ich gedanklich bereits durch, wen ich die letzten 2 Wochen so gesehen und wo ich mich selbst vielleicht angesteckt haben könnte. Schweißgebadet warte ich auf das Ergebnis, wobei ich nicht weiß, ob der Schweiß meiner Erkältung zu verdanken ist oder meiner der Paranoia geschuldeten Angespanntheit.

Endlich ist der Selbsttest soweit und siehe da: Negativ. Puh, Glück gehabt.

Nach meinem Frühstück und der Krankmeldung auf der Arbeit krieche ich zurück ins Bett. Mit zwei Decken und einer Kuscheldecke eingemummelt liege ich nun neben meinem Raumdiffuser, der einen seichten Dampf von japanischem Heilöl im Raum verteilt. Schon bald riecht es bis auf den Flur nach Minze und Aromatherapie. Na ja, immerhin riech‘ ich noch was.

Hier liege ich also und tue das, was vermutlich alle tun würden: Ich öffne den Streaminganbieter meines Vertrauens. Schnell ist ein kinderfreundlicher Film ausgewählt, zu welchem ich getrost nebenbei einschlafen kann.

Gegen 11 Uhr wache ich wieder auf, jedoch bin ich immer noch krank. Wäre ja auch auch zu schön gewesen, wenn 3 Stunden Schlaf meine Nebenhöhlen wieder freizaubern könnten.

Den Rest des Tages liege ich nun also danieder und verfasse vor meinem innerlichen Auge schon einen Abschiedsbrief, für den Fall, dass mich diese Erkältung doch dahinrafft. Ich gehe durch, wer was aus meinen Besitztümern bekommt, wer sich um den Hund kümmern muss und dass meine kleine Schwester im Falle meines Todes definitiv nicht meine Plattensammlung erben wird.

Kranksein ist Mist. Nichts kann man machen, weil alles zu anstrengend ist oder Bewegungen beinhaltet, bei denen man fürchtet, dass einem gleich der Kopf vor lauter Druck platzt. Selbst Essen zubereiten ist blöd, weil auch das zu anstrengend ist. Bis auf eine schnöde Buchstabensuppe aus der Tüte werde ich wohl heute kaum was essen.

Man liegt nur rum und leidet vor sich hin. Ab und zu bekommt man einen halb mitleidigen Blick von Familienmitgliedern oder Mitbewohner*innen, die aber alle eher wenig bereit sind, einem ein Süppchen zu kochen. Verräter*innen!

Und mit das Schlimmste ist der Mangel an Entertainment. Nach fast 2 Jahren Pandemie hat man einfach jede interessante Serie und jeden Film bereits geguckt, teilweise sogar mehrmals. Kaum irgendwo kommen derzeitig neue Staffeln von guten Serien raus. Also sitze ich hier und bin fast geneigt, dem Tipp meiner kleinen Schwester nachzugeben und AstroTV einzuschalten, aber so tief bin ich noch nicht gesunken. Noch nicht….

Und so endet der Tag, so wie er angefangen hat: krank. Die darauffolgenden Tage sind ähnlich nervtötend und gleichzeitig todeslangweilig. Viel im Bett gammeln, Tee saufen bis zum Abwinken und alle möglichen Medikamente zusammenraffen, die auch nur ein wenig Linderung versprechen. Und leider muss ich mir eingestehen, auch alle weiteren Termine und Verabredungen bis mindestens Ende dieser Woche müssen abgesagt oder verlegt werden. Na toll… Nun liege ich hier in meiner Lache an benutzen Taschentüchern und grüble, ob ein solches Leben überhaupt noch Sinn macht.

Zu allem Überfluss kann ich nun auch nichts mehr riechen. Alles Essbare unterscheidet sich nun nur noch durch die Konsistenz beim Kauen. Von hier an geht es nur noch weiter bergab. So langsam schleichen sich auch die anderen üblichen Erkältungsleiden ein, wie die klassische wunde Nase vom Nase putzen. Ich leide.

Und keiner ist da, um einen zu umsorgen. Den Tee muss man sich selbst kochen, die Tütensuppe alleine aufbrühen und das Erkältungsbad selbstständig einlassen. Das Leben ist schon hart genug, da muss mich so eine Erkältung nicht noch weiter geißeln.

Aber immerhin gibt es einen kleinen Schimmer am Horizont und das ist natürlich Weihnachten und die Adventszeit. Dafür, so sage ich mir, lohnt es sich jetzt zu leiden, um dann nicht unterm Weihnachtsbaum flachzuliegen. Und vielleicht ist ja meine Stimme demnächst wieder so geschmeidig, dass ich, sobald das erste Mal „Last Christmas“ laufen wird, wieder mit ganzer Seele mitschmettern kann. Na ja, aber auch nur vielleicht. 

Nun reicht es wirklich mit meinem Selbstmitleid und ich mimimie für mich selbst weiter. Ich und meine angeschlagenen Bronchien verabschieden uns.

Bleibt gesund!

Titelbild: Elisa Schwertner
Opra Meme; Cat Meme: Instagram @ocboardroom

Adweb.kalender 1. Fensterchen: Coming Home for Christmas Market

Adweb.kalender 1. Fensterchen: Coming Home for Christmas Market

Alle Jahre wieder weihnachtet es auch beim webmoritz.! Hier wird Weihnachtsmusik gedudelt, werden Plätzchen gebacken und Geschichten der vergangenen, diesjährigen und zukünftigen Weihnacht unter flackernden Lichterketten geraunt. Einen Teil dieser besinnlichen Stimmung möchten wir wieder in unserem Adweb.kalender mit euch teilen. Hinter dem 1. Türchen erwartet euch: ein DIY Weihnachtsmarkt fürs Wohnzimmer.

Ein wenig beängstigend ist es doch irgendwie, die vielen Menschen zu sehen, die sich auf dem Weihnachtsmarkt dicht an dicht zusammendrängen, gebrannte Mandeln in den eisstarren Fingern, teils mit Masken auf den glühweingeröteten Gesichtern, teils ohne. Es kommt einem fast schon falsch vor, dass hier alles einfach zum Alten zurückkehren soll, und so gerne man auch nur die ganzen Probleme vergessen möchte, so wird man doch das unbehagliche Gefühl nur schwer los, dass einen schon beim Anblick des überfüllten Marktes beschleicht. Und ganz ehrlich, wer kann bei diesem Greifswalder Schietwetter denn eigentlich überhaupt an einen gemütlichen Weihnachts­marktbummel denken? Also lieber zurück nach Hause, und vorher noch einmal schnell im nächsten Lebensmittelgeschäft vorbeischauen – denn alles, was einem der Weihnachtsmarkt bietet, kann man sich doch auch ganz leicht in den heimischen vier Wänden zaubern!

Dekoration: Wie euer eigener Weihnachtsmarktbaum

Zuerst muss die Wohnung weihnachtlich aussehen. Ein paar grüne nadelige Kränze gibt es in den meisten Läden zu kaufen, oder ihr bastelt euch einfach eure eigenen, aus unechten oder echten Zweigen, je nachdem, was euch zuerst vor die Füße fällt. Vielleicht wollt ihr sogar schon einen Weihnachtsbaum aufstellen – mit ein paar bunten Kugeln oder leeren glänzenden Geschenken ist der dem großen Baum auf dem Markt doch gar nicht so unähnlich. Wenn ihr keine Deko zu Hause habt, schaut doch einmal, ob ihr noch Papier und Pappe in verschiedenen Farben, Kordeln, Styro­porkugeln oder bunte Stifte herumliegen habt, denn vieles könnt ihr auch ganz einfach selbst basteln. Wenn euer Zimmer weihnachtsmarktig genug aussieht, müsst ihr nur noch eine Sache dekorieren: euch selbst! Also holt die Weihnachtsmannmütze aus den Tiefen eures Kleiderschranks und kramt die Rentierohren unter den dreckigen Socken hervor, denn jetzt geht es, bewaffnet mit der frisch aufgekommenen Weihnachtsstimmung, in die Küche!

Rezepte: Wie die Kugeln an eurem Weihnachtsmarktbaum

Wie ihr euch euren eigenen Glühwein, süße oder deftige Baumstrizel und knusprige gebrannte Mandeln selbst zubereiten könnt, haben wir euch bereits in vergangenen Adventskalendern vorge­stellt. Es gibt allerdings einen Klassiker, der auf einem echten Weihnachtsmarkt auf keinen Fall fehlen darf: Nein, die Rede ist nicht von der Pilzpfanne, vor der euch alle eure Freund*innen war­nen, sondern von kandierten Äpfeln. Und die Zubereitung ist tatsächlich so einfach, wie sie nur sein könnte, sodass ihr die Weihnachts-Schlagerplaylist nur einmal während der Zubereitung hören müsst.

Ihr braucht (für 8 Äpfel):

  • 8 Äpfel (huh)
  • 8 Holzstiele
  • 600 g Zucker
  • 1 EL Zitronensaft
  • 6 EL Wasser
  • rote Lebensmittelfarbe

Und so leicht geht’s: Die Äpfel waschen, Stiele abschneiden und stattdessen die Stäbchen aus Holz rein stecken. Zitronensaft, Zucker und Wasser zusammen in einen Topf geben und bei schwacher Hitze und ständigem Rühren erwärmen, bis die Masse langsam schmilzt. Dann aufkochen lassen. Am Ende muss ein zähflüssiger Sirup entstanden sein. In diesen rührt ihr nun die Lebensmittelfarbe ein, dann nehmt ihr das Ganze vom Herd, und auf zum Tauchgang! Solange die Zuckermasse noch nicht getrocknet ist, könnt ihr die Äpfel übrigens auch noch nach Belieben dekorieren, zum Beispiel mit Streuseln, die ihr mit ein wenig Fingerspitzengefühl sogar stilecht in der Form eines großen ‚M‘ anordnen könnt.

Der letzte Feinschliff: Wie Lametta an eurem Weihnachtsmarktbaum

Jetzt fehlen auf eurem eigenen Home-Weihnachtsmarkt nur noch ein paar Kleinigkeiten. Dazu ge­hören die nervige Weihnachtspartyplaylist, eine kleine Gruppe aus Mitbewoh­ner*innen oder Freund*innen und ein paar Aktivitäten. Wie wäre es zum Beispiel mit selbst ge­bastelten Losen? Wer den Hauptgewinn zieht, bekommt den gruseligen entstellten Nussknacker, den ihr letztes Jahr überraschenderweise aus eurem Weihnachtsgeschenk gezogen habt. Schrottwichteln mit Weihnachtsmarktflair. Oder ihr werdet noch kreativer, sammelt die leeren Glühweinflaschen zusammen und veranstaltet mit den gescheiterten Liebesapfel-Versuchen ein Dosenwerfen. Die nervigen Nachbarn im Stockwerk unter euch seid ihr dann zumindest erst einmal los, wenn diese lieber auf den richtigen Weihnachtsmarkt fliehen, anstatt wie ihr zu Hause zu bleiben.

Beitragsbilder: Julia Schlichtkrull

Eine Liebeserklärung an … Plattdeutsch

Eine Liebeserklärung an … Plattdeutsch

Ein Kribbeln im Bauch, ein unverhoffter Glücksmoment, ein wohlig warmes Gefühl. Dafür braucht es nicht immer ein großes Ereignis, vielmehr liegen diese magischen Momente oft verdeckt unter einem Mantel der Gewohnheit und der Selbstverständlichkeit. „Eine Liebeserklärung“ ist unsere neue Kolumne, in der es darum gehen soll, die vermeintlich einfachsten Dinge dieser Welt wertzuschätzen. Mit ihr bauen wir euch eine zynismusfreie Nische, in die sich hineingekuschelt werden kann, wenn der Alltag einem mal wieder die Daunendecke der guten Laune zu klauen versucht. In diesem Artikel wird nun über das verschrobene, sympathische und oft ungewollt niedliche Plattdeutsch geschwärmt.

Plattdeutsch ist „To Huus“ und „To Huus“ ist Plattdeutsch.

Jede*r, der*die in den nördlichen Bundesländern aufgewachsen ist, kennt zumindest ein paar Begriffe dieser quirligen Sprache. Wörter wie „Schietwedder“, „Lütt“ und „Klönschnack“ halten sich wacker im norddeutschen Sprachraum und das macht mich überglücklich. Plattdeutsch verbinde ich immer mit meinen Großeltern. Ob es nun eine Weihnachtsgeschichte war, die mein Großvater vortrug und von der ich höchstens 5% verstand oder meine Oma, die einem (wie Omas halt so sind) mit den Worten „hier min Jung“ 5€ zusteckte. Die Sprache ist somit auch immer ein bisschen zu Hause, also „to Huus“, für mich und deswegen habe ich mich entschieden, diesen kleinen Liebesbrief dem Plattdeutschen zu widmen.

Ein bisschen Geschichte 

Niederdeutsch, eine Sprache so „platt“ wie das Land auf dem sie gesprochen wird. Die Ausdrücke Niederdeutsch und Plattdeutsch sind zwei Begriffe für die eine gleiche Sprache, die überwiegend in Norddeutschland gesprochen wird. Während der Begriff Niederdeutsch als Abgrenzung zum Hochdeutschen zu verstehen ist, welches seinen Ursprung im Süden des Landes hat, ist Plattdeutsch eigentlich eher eine abwertende Bezeichnung für die Sprache, die hier in den letzten Jahrhunderten überwiegend von der Unter- und Mittelschicht gesprochen wurde. Aber obwohl das Niederdeutsche seit mehreren Jahrhunderten als offizielle Schriftsprache in Deutschland vom Hochdeutschen abgelöst wurde, ist „Platt schnacken“ immer noch ein nicht wegzudenkender Teil Norddeutschlands.

Nun ist es allerdings genug mit der Sprachgeschichtliche. Warum lohnt sich ein kleiner Liebesbrief an diese Sprache, fragt ihr euch? Ich werde es euch zeigen. 

Meine Lieblingsbegriffe

Hüüt bin ick een lütt beet’n tüdelig. Was für eine schöne Art zu sagen, dass man heute irgendwie nicht so ganz auf dem Dampfer ist. „Tüdelig“ ist einer meiner Lieblingsbegriffe des Plattdeutschen und als ich angefangen habe im Zuge dieses Artikels über das Wort nachzudenken, ist mir aufgefallen, wie vielseitig dieser Begriff eigentlich ist. So beschreibt er nicht nur einen Menschen, der ab und zu ein wenig verplant ist. Wenn etwas „vertüdelt“ ist, dann kann das auch bedeuten, dass etwas unordentlich oder durcheinander ist und man kann auch jemanden beschuldigen „rumzutüdeln“, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Gegenüber Blödsinn redet. In einem Gespräch auf der Klönschnackbank könnte das also ungefähr so aussehen:

Fiete A: Du, ich war heute so tüdelig, dass ich meine vertüdelten Kopfhörer nicht auseinandergetüdelt bekommen habe.“
Fiete B: „Ach hör auf rumzutüdeln, du hast doch Airpods.“

Toll, oder? Es tüdelt sich so hin.

Ein weiterer Lieblingsbegriff meinerseits ist „lütt Schietbüddel“. In diesem Begriff zeigt sich die wunderbare Fähigkeit des Plattdeutschen, Dinge zu verniedlichen. So ist „lütt Schietbüddel“ eine liebevolle Bezeichnung für die kleinen Mitglieder der Familie, mit der Zuneigung und Wohlwollen zum Ausdruck gebracht werden, während das hochdeutsche Pendant „kleiner Scheißbeutel“ schon fast an häusliche Gewalt grenzen würde.

Auch meine Lieblingsschimpfwörter im Plattdeutschen sind mit deutlich weniger Härte gekennzeichnet als hochdeutsche Beleidugungen. Wenn man jemanden zum Beispiel als „Dösbaddel“ bezeichnet, bedeutet das zwar auch, dass diese Person nicht gerade der hellste Leuchtturm auf dem Deich ist, aber der hochdeutsche „Dummkopf“ wirkt auf mich persönlich viel unfreundlicher. Möglicherweise ist dies eher auf meinen Mangel an Objektivität bezüglich der Sprache zurückzuführen, aber wer will in einem kleinen Liebesbrief schon objektiv sein? Nicht dieser aufstrebende Jung-Journalist!

Es gibt noch so viele Begriffe aus dem Plattdeutschen, die sich für eine solche Kolumne lohnen, doch ich denke, dass dieser kleine Einblick in die Sprache, und warum ich sie so schön finde, genügen. Letztendlich lässt sich sagen, dass es mir eine absolute Freude war, ein bisschen über das Plattdeutsche zu schwärmen, Ich hoffe, dass ich ein paar Leute mit diesem kleinen Liebesbrief an Plattdeutsch durch das gelegentliche „Schietwedder“ Mecklenburg-Vorpommerns hindurch helfen kann und vielleicht ist ja nicht nur für mich Plattdeutsch ein bisschen „to Huus“.

Beitragsbilder: Thore Fründt, Annica Bromman

 

Dear Future Children

Dear Future Children

Dear Future Children – ein Film, der bewegt. Und ein Film, der zum Nachdenken anregt und lange nachwirkt. So sehr, dass ich auch jetzt, mehrere Wochen, nachdem ich den Film im STRAZE-Kino bei seiner Premiere in Greifswald angeschaut habe, noch das große Bedürfnis habe, einen Artikel über ihn zu schreiben und ihn anderen Menschen weiterzuempfehlen.

Der Dokumentarfilm handelt von drei jungen Aktivistinnen, die in drei unterschiedlichen Protestbewegungen in drei verschiedenen Ländern kämpfen. Er begleitet Pepper aus Hongkong, Hilda aus Uganda und Rayen aus Chile bei ihrem Kampf gegen die von Peking beeinflusste Regierung unter Carrie Lam, bei den Protesten in Chile gegen soziale Ungleichheit im Land und in Uganda bei den lokalen Fridays-for-Future-Protesten und Aktionen für Klimagerechtigkeit und Naturschutz. Dabei stoßen die drei und ihre Mitstreiter*innen teils auf sehr ähnliche und teils auf sehr unterschiedliche Probleme und Gefahren und innere wie äußere Konflikte. Diese reichen von Resignation in der Politik wie im Denken und Handeln der Menschen, weil einfach nicht genug passiert, bis zu direkten körperlichen Gefahren durch brutale Vorgehensweisen der Polizei. Was sie gemein haben ist der Kampf für eine bessere Zukunft und der Wille, etwas mit viel Mut und Einfallsreichtum zu verändern. Dafür sind sie auch bereit viel aufzugeben, wie ihre eigene Gesundheit, ihre Freiheit oder den Platz für andere Aktivitäten in ihrem Leben.

Vielleicht kennt ihr das: Ihr schaut einen Film, der euch in irgendeiner Weise berührt und ihr denkt danach: Ab jetzt werde ich mein Leben ändern und mich mehr engagieren oder mehr reisen oder meinen Alltag bewusster und aktiver gestalten … Aber sobald ihr aus dem Kino zu Hause ankommt oder euren Fernseher ausschaltet oder den Laptop zuklappt, denkt ihr nicht mehr weiter über den Film nach. Oder vielleicht begleitet euch der Film sogar noch für ein paar Tage, aber spätestens dann habt ihr ihn meistens vergessen und seid wieder in eurem Alltag – bis zum nächsten Film, der euch in irgendeiner Weise wachrüttelt.

Anders war das für mich und für die anderen Menschen, die den Film mit mir geschaut haben. Nach dem Film sitze ich erst einmal 30 Minuten schweigend einfach nur da und lasse nachwirken, um das gerade Gesehene zu verdauen. Und ich schaffe es in meinem Alltag immer wieder Bezüge zu dem Film herzustellen, bei den verschiedensten Themen. Immer wieder ploppt die Erinnerung an den Film in meinem Kopf auf und ich habe das große Bedürfnis, über den Film zu reden und anderen Menschen davon zu erzählen. Das liegt wohl an dem Thema, das der Film behandelt, aber vor allem auch an den Gefühlen, die er in einem auslöst: Wut, Angst, Ohnmacht, Trauer. Das mag jetzt womöglich abschreckend klingen – soll es aber gar nicht, denn was der Film genauso auslöst ist: Hoffnung, die Erkenntnis, was für unglaublich starke und beeindruckende Menschen es da draußen gibt, die für ihre Sache kämpfen, und die ihre Ziele sogar – zumindest teilweise – erreichen. Das macht Mut mitzukämpfen, sich für etwas einzusetzen, das einem wichtig ist!

Nach dem Film hatte ich viele offene Fragen, wie auch viele der anderen Menschen, die den Film mit mir gemeinsam geschaut haben. Dabei hat uns sehr das Nachgespräch mit dem Regisseur Franz Böhm geholfen, der für die Premiere in der STRAZE nach Greifswald gekommen ist. Hier sind ein paar der interessantesten Fragen zusammen mit seinen paraphrasierten Antworten.

Warum heißt der Film überhaupt „Dear Future Children“?

Der Titel des Films stammt von einem Brief, den Hilda an ihre zukünftigen Kinder geschrieben hat. Die Szene, in der sie den Brief vorliest, ist zwar nicht mehr im Film selbst enthalten, war aber Inspiration für dessen Titel. Er beschreibt auch einen Kernpunkt, warum alle drei Aktivistinnen auf die Straße gehen und für ihre Sache kämpfen. Sie denken dabei immer an ihre zukünftigen Kinder, für die sie eine bessere Welt schaffen wollen, in der man gut aufwachsen und leben kann.

War es Zufall oder Absicht, dass alle drei Aktivistinnen Frauen sind?

Das war tatsächlich Zufall. Bevor sich für eine Person in der Protestbewegung entschieden wurde, wurden von den wichtigen Akteur*innen Profile erstellt mit allen relevanten Informationen über die Personen, ihr Leben, ihre Persönlichkeit und ihre Stellung in der Bewegung. Als es zur Abstimmungsentscheidung kam, welche drei Menschen man filmen möchte, wurden die Informationen über Alter, Geschlecht und Name aus dem Informationsblatt gelöscht, damit niemand davon beeinflusst wird. Es ist allerdings auch passend, dass alle drei Aktivistinnen Frauen sind, weil auch die Protestbewegungen, in denen sie mitkämpfen, vor allem weiblich geführt sind.

Wie sind die Macher*innen des Films an die Drehgenehmigungen für z.B. Hongkong gekommen?

Der Film stellt sicherlich keine Position dar, die zum Beispiel die Regierung Chinas gerne sieht. Für die Erhaltung der Drehgenehmigungen wurde deswegen etwas getrickst. Zum Beispiel wurde für Hongkong behauptet, dass das Team gerne einen Film über Hongkong als Reiseziel für Westeuropäer drehen und dabei die schönen und besonderen Seiten der Stadt darstellen will, um mehr Tourist*innen auf diese Stadt aufmerksam zu machen.

Haben die Dreharbeiten und die Veröffentlichung des Films Nachwirkungen für das Filmteam gehabt?

Natürlich waren schon alleine die Dreharbeiten eine Gefahr, da sie an vorderster Front von Protestbewegungen stattfanden, bei denen die Polizei sehr brutal vorgeht. Aber auch nach den Dreharbeiten gab es noch Nachwirkungen für das Filmteam. Gerade von chinesischer Seite gab es sehr viele Drohungen, darunter auch Morddrohungen. Es wurden auch sehr persönliche Informationen herausgefunden und gegen die Macher*innen des Films verwendet, wie beispielsweise der Wohnort naher Verwandter. Das Team konnte sich aber ein gutes Sicherheitsnetzwerk mit Hilfe von Bekannten und Freund*innen aufbauen, die sich in solchen Sachen auskennen. Kommunizieren tun sie untereinander nur mit höchster Sicherheit in der Verschlüsselung.

Am Donnerstag, den 25.11.21 um 20:00 Uhr, wird der Film noch einmal von Fridays for Future in Greifswald im Hörsaal 1 in der Rubenowstraße 1 gezeigt. Ich kann wirklich jedem*r nur empfehlen, sich den Film anzusehen!

Beitragsbild: © NIGHTRUNNER PRODUCTIONS & SCHUBERT FILM

moritz.playlist – Cro

moritz.playlist – Cro


Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.

„Ich liebe Cro“. Ein Satz, von dem ich noch vor circa 10 Jahren nie gedacht hätte, ihn so über die Lippen zu bringen. Aber Cro? Ist das nicht dieser Pop-Rapper mit der Pandamaske, der immer nur in musikalischem Einheitsbrei über Frauen rappt? Mit einer pessimistischen Engstirnigkeit könnte man das vielleicht behaupten. Jedoch ist der Rapper so viel mehr, wenn man nur richtig hinschaut. Oder eben hinhört.

Höchstwahrscheinlich ist Cro kein Künstler, der einer umfangreichen Vorstellung bedarf. Solltet ihr allerdings die letzten zehn Jahre jeglicher Beschallung von Popmusik entgangen sein, hier einmal im Schnelldurchlauf:
Cro (bürgerlich Carlo Waibel) wuchs in Mutlangen in der Nähe von Stuttgart auf und begann mit zehn Jahren Musik aufzunehmen. Schon im Jahr 2011 erreichte er im Alter von 21 Jahren mit der Single Easy und dem dazugehörigen Mixtape seinen Durchbruch. Beides veröffentlichte er kostenlos. Ein Jahr später kam sein erstes Album Raop heraus, welches an den Erfolg anknüpfte. Und dann hatte Cro es auch schon geschafft. Innerhalb eines Jahres wurde er zum erfolgreichsten Rapper Deutschlands, indem er dem Genre und seiner Musik den nötigen Style und Leichtigkeit verlieh. In den darauffolgenden Jahren brachte er weitere Alben heraus, tourte durch Deutschland und produzierte Musik bis zum Umfallen.

Doch was macht Cros Musik eigentlich so besonders?
Es ist die Unbeschwertheit in den einen Songs und es sind die Gefühle und die Emotionen in den anderen Songs. Dabei hat Cro die „ist mir scheißegal“-Attitüde perfektioniert, zeigt aber auch in späteren Songs und Releases, dass es eben nicht immer so ist. Deutlich wird dies vor allem in seinem vorletzten Album tru., welches künstlerisch und musikalisch einen starken Richtungswechsel darstellt, aber auch einen Wendepunkt in Cros ganzer Karriere. Er hat hier zu sich gefunden und ist ein Stück weit erwachsen geworden. Demnach lässt er in diesem Album auch einen Blick in sein Privatleben zu und schafft so auch sehr intime Momente in der Musik.

„Früher wollt‘ ich ja nicht anecken. Ich wollte aalglatt durch die Mitte und in jedes Herz der Welt einfach rein.“

Dieser von ihm beschriebene „Schub an Stil und Ästhetik“ brachte auch eine ganz neue künstlerische Dimension außerhalb der Musik hinzu. Denn Cro produziert neben seinen Strophen auch die Beats, die Texte, das Musikvideo dazu, Kunst, Mode und so ziemlich alles, was er veröffentlicht selbst. Bis heute.

Die moritz.playlist wird um zwei Songs von Cro erweitert. Der Erste ist eine der Single-Auskopplungen des besagten dritten Albums tru. mit dem Titel Unendlichkeit. Dieses Lied ist eines seiner bekanntesten, aber auch ein Sinnbild für seinen künstlerischen Werdegang und die Entwicklung seiner Musik. Hier stellt sich Cro die großen Fragen, die sich jede*r Künstler*in an einem gewissen Punkt in seiner*ihrer Karriere stellt und dessen Antworten mit Geld nicht zu kaufen sind. Als zweites haben wir den Song NICE vom letzten Album trip, welches erst im April dieses Jahres erschienen ist. Hier ist der Sound aus den ersten zwei Alben wiederzuerkennen, mit dem viele Menschen Cro verbinden. Allerdings ist er nun verfeinert, mit einer neuen emotionaleren Herangehensweise, ohne dass es schnulzig oder unecht klingt. Ganz im Gegenteil.
Als Drittes und Letztes kommt der Song X von Danju in die Playlist. Danju ist ein Künstler, der musikalisch eng an Cro anliegt, aber einen ganz eigenen Stil in die Sache bringt und an die älteren Cro-Songs erinnert.

Alles in Allem ist Cro ein Künstler, welcher leider viel zu lange unter meinem Radar blieb. Es ist die Einfachheit und die Unbeschwertheit in der Musik, aber auch in der Person dahinter, die ihn als Künstler ausmachen. Er traut sich immer wieder Innovation nicht nur ins Genre, sondern in die Musik generell zu bringen, wobei Grenzen verschwimmen und die Kunst hinter der Musik zum Vorschein kommt.
Natürlich ist Cro nicht der Underground-Rapper mit dem fast schon klischeebehafteten Straßenimage, tru. ist er dennoch geblieben und nach wie vor einer der interessantesten Musiker*innen, die Deutschland zu bieten hat.

Titelbild: Paulette Wooten
Beitragsbild: Adrian Siegler