Atzocalypse

Atzocalypse

Oleg Maximov (24) studiert in Greifswald Kunstgeschichte und Wirtschaft auf B.A. Er arbeitet seit 2008 vor und hinter der Kamera bei MoritzTV. Nebenbei interessiert er sich für jegliche (pop-)kulturelle Bereiche und das Feiern.

Ein Typ kotzt direkt vor der 30 Meter langen Menschenansammlung an die Wand. Alle Leute gröhlen, klatschen und rufen Beifall. Ich stehe seit 30 Minuten irgendwo in der Mitte, halbzerquetscht und gut angeheitert. Wie es der Zufall so will, wurden alle meine Begleiter nach vorne gedrückt. Die Fremden vor mir kennen die Leute, die gerade erst angekommen sind. Diese drängeln sich zu ihnen. Schieben mich immer weiter weg von meinen Freunden. Andere schlängeln sich seitlich in den Eingangsbereich und versuchen es mit der Busfahrertaktik. Da es keine Trennlinie gibt, mutiert die Schlange, breitet sich aus. Ein lebendiger sich windender Organismus: Einlassstopp vor dem Mensa Club.

Sonst findet man solche Riesenschlangen nur in Großstädten, vor exklusiven Clubs mit Live-Konzerten. In Greifswald gibt es nicht so viele Ausgehmöglichkeiten und irgendwie zieht es einen immer wieder hier hin. Genauso so wie manche einmal im Jahr Lakritze fressen, nur um festzustellen, dass es ihnen immer noch scheiße schmeckt.

In der Menschentraube rührt sich was. Die Türsteher lassen wieder welche durch. Es sieht aus wie eine Entbindung. Ein kleines Häufchen Elend presst sich durch den winzigen Eingang, um auf der anderen Seite nüchtern wiedergeboren zu werden. Nach langem Rumstehen fühlen sich die Meisten jedenfalls so. Und wie ein Baby schreit jeder erst einmal Tequila! Oder Wodka! Oder lieber Jägermeister?

Ich stehe immer noch im menschlichen Uterus. Alle meine Freunde sind auf der anderen Seite des Zauns. Ich werde ungeduldig und überlege, was ich jetzt alles verpasse. Ein Tanzfläche voll von zwei Mal zwei Meter großen Schränken, mit Bauchtaschen an der Hose. Böse Blicke, Angeremple und überschwappende Drinks, die natürlich immer auf einem selbst landen.

Wollen wir noch einen Pfeffi trinken?

Dazu der immer gleiche Partymix. Das ist keine normale Studentenparty, das ist die Atzocalypse! Das Testosteron lässt die Luft flimmern, man will nur noch raus und eine Zigarette rauchen. Draußen gibt es schon Zwist zwischen verschiedenen Cliquen, so dass der Türsteher mal wieder eingreifen muss. Auf den Rückweg, wenn der Club dicht macht, torkeln große Männer umher. Der Mondschein hüllt sie in ein fahles Licht. Sie suchen nach einer Frau, einer offenen Kneipe oder einer Schlägerei.

Nachdem ich so darüber nachgedacht habe, gehe ich doch lieber zurück. Zu der gemütlichen Grillrunde, in der ich mich noch vor einer Stunde befand. Ich seufze, halte mir die Hand vor den Mund und imitiere Würggeräusche, während ich mir den Weg aus der Masse grabe. Dabei denke ich „Heute nicht!“ Doch ich weiß: Ich komme wieder.

 

Foto: Gabriel Kords (Porträt), Oleg Maximov (Pfeffi), Logo: Jakob Pallus

 

Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Mit dieser Kolumne sind die fünf Wochen und damit das Projekt (vorerst) vorbei.

Schönwalde – alles Ghetto, oder?

Schönwalde – alles Ghetto, oder?

Oliver Wunder (28) wohnt im fünften Stock eines Plattenbaus. Er studiert Geographie, Politikwissenschaft und BWL. Seit sechs Jahren schreibt er regelmäßig in seinem Blog. Ansonsten zeltet er schwarz und frittiert leidenschaftlich.

Lautes Pöbeln, Mädchengekreische und dumpfes Klatschen von Schlägen im Dunkeln – Prügelei im Innenhof meines Blocks. Wo eben noch die Jugendlichen ihre Sommerferien oder Arbeitslosigkeit genossen haben, bricht ein Orkan der stumpfen Gewalt los. Die Tischtennisplattengang scheint entweder untereinander zu testen, wer das Alphatier im Rudel ist, oder sich mit der Gang aus dem Nachbarhof zu kloppen.

Da es nicht aufhört, greife ich kurzerhand zum Telefonhörer und wähle die 110. Die Polizei scheint recht schnell zu kommen. Später erfahre ich, dass ein Kumpel meines Mitbewohners gegenüber auf der anderen Seite des Innenhofs wohnt und sich das Spektakel auf dem Balkon sitzend mit einer Flasche Bier in der Hand anschaute. Er sah, wie ein Polizeiwagen vorgefahren kam, ein Polizist lässig ausstieg und sich als erste Amtshandlung eine Zigarette anzündete. Mit ihr in der Hand ging dieser langsam in den Innenhof und guckte sich die Szenerie an. Die kleine Gangster pöbelten ihn von Weitem an: „Hau ab, scheiss Bulle!“ Nachdem er aufgeraucht hatte, verzog er sich einfach wieder. Die Prügelei war beendet. (mehr …)

Erneut Hiobsbotschaft für Greifswalder Lehramt

Erneut Hiobsbotschaft für Greifswalder Lehramt

Der Kampf um den Erhalt der Greifswalder Lehramtsstudiengänge war hart: Es wurde demonstriert, gemahnt und hinter verschlossenen Türen fanden lange und zähe Verhandlungen zwischen der Landesregierung, den Studierenden und der Universitätsleitung statt. Zuletzt wurde in der Zielvereinbarung verankert, dass die Studierendenzahlen für das Lehramt von bislang 2.500 Studierenden bis zum Jahre 2015 schrittweise auf 1.500 Studierende reduziert werden sollen. Doch nun übt die Landesregierung erneut stärker als bisher in dieser Frage Druck auf die Universität Greifswald aus. (mehr …)

Mehr Schein als Sein

Mehr Schein als Sein

Sophie Lagies (22) schreibt seit über zwei Jahren für das moritz-Magazin, und leitet dort seit Ende letzten Jahres das Ressort "Feuilleton". Die Wahl ihrer Studienfächer Musikwissenschaft & Anglistik/Amerikanistik zeigt ihr Interesse an Kultur und Sprache. Bis 2008 lebte sie im Provinzstädtchen Wittenburg bei Hamburg.

Tolerant. Weltoffen. Frei. Sympathisch. Humorvoll. – All diese Eigenschaften schreiben sich die studentischen Vereine und Projekte auf ihre Fahnen. Sie wedeln damit bei jeder Gelegenheit wild umher, damit auch ja jeder von ihrer Lebensphilosophie Kenntnis nimmt. Jedes Semester wird aufs Neue nach Erstis geschrieen, damit die Vereine auch zukünftig weiterexistieren können. Alles legitim so weit; das einzige Problem was ich damit habe: die Mitglieder dieser Initiativen zelebrieren ihr Dasein in der Regel fernab dieser Ideale. Sie predigen Wasser, und saufen Wein en masse.

Wovon ich hier spreche? Nun ja, von einer gewissen Pseudotoleranz der Meisten, die dazu führt, dass sich Vereinigungen eher abschotten als nach außen hin öffnen. Sie glucken aufeinander, feiern sich für ihre Ideen und lassen keine Kritik zu. Sie wissen scheinbar wie der Hase läuft – was gute Musik ist, wie man sich korrekt anzieht und wie man richtig demonstriert. So kommt es, dass viele Greifswalder_innen nach erstem, euphorischem Hereinschnuppern das Terrain fluchtartig verlassen. Wer will schon gerne der Ausgestoßene sein? (mehr …)

Im Kampf ums Direktmandat: Erwin Sellering im Interview

Im Kampf ums Direktmandat: Erwin Sellering im Interview

Am 4. September sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Journaille hat das vor allem zwei Vorteile: Zum einen gibt stets etwas zu berichten und zum anderen sind die Politiker auch noch viel gesprächiger als sonst. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) am vergangenen Wochenende Zeit fand, zu Besuch in die webMoritz-Redaktion zu kommen. Sellering ist Spitzenkandidat seiner Partei und tritt zudem als Direktkandidat für den Wahlkreis Greifswald an – obwohl er seit Längerem in Schwerin wohnt. Während des halbstündigen Besuchs fragte der webMoritz den Landesvater nach diesem und anderen Themen, etwa dem Theater Vorpommern, dem Status der Greifswalder Geisteswissenschaften oder der Zukunft der jungen Leute in MV. (mehr …)