Das Gratisstudium
Wie Stipendien die Elite von morgen finanzieren
Julia studiert an der Universität Greifswald und hat einen Traum: Sie will zu den knapp zwei Prozent der 1,9 Millionen deutschen Studenten gehören, die für ihre Ausbildung an einer deutschen Hochschule ein Stipendium erhalten.
Für ein Stipendium kann sich jeder unabhängig von sozialer oder wirtschaftlicher Situation bewerben. Jedoch darf jeder Student in der Regel nur ein Stipendium gleichzeitig beziehen und bekommt in der Zeit auch kein BAföG. Der große Vorteil des Stipendiums: Das Geld muss nicht zurückgezahlt werden und ist in der Regel etwas höher als der BAföG-Satz, maximal 525 Euro. Zusätzlich gibt es ein monatliches Büchergeld in Höhe von 80 Euro.
Für Begabte
In Deutschland gibt es eine unübersichtliche Vielzahl von Förderungseinrichtungen, die Stipendien vergeben, also viele Gesinnungen und Programme, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Da Julia wirtschaftlich interessiert ist, entscheidet sie sich für die „Stiftung der deutschen Wirtschaft“, eines der elf Begabtenförderungswerke. Zu diesen gehören unter anderem auch die den fünf großen Parteien weltanschaulich nahe stehenden Stiftungen oder auch die „Studienstiftung des deutschen Volkes“. Die privatrechtlich organisierten Begabtenförderungswerke finanzieren sich aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, erhalten zudem Zuschüsse von eingetragenen Vereinen aber auch von Privatpersonen. Der allgemeine Kürzungswahn macht auch vor der Begabtenförderung nicht halt. Viele Stipendien werden gekürzt. Der Trend geht dazu Preise und Honorierungen auszuschreiben, die dann weniger den einzelnen Studenten zu Gute kommen sondern eher an Forschungsgruppen vergeben werden. Der Andrang auf die begehrten Vollstipendien ist daher groß. Stipendien sind der Elite vorbehalten.
Welche Stiftung für den Einzelnen die Richtige ist, richtet sich vor allem nach den persönlichen Förderungswünschen. Denn ein Stipendium haben, bedeutet nicht einfach nur Geld bekommen, sondern bringt viele zusätzliche Möglichkeiten und auch Pflichten mit sich. Alle Begabtenförderungswerke legen Wert darauf, dass die zukünftigen Stipendiaten nicht nur an der finanziellen Unterstützung, sondern auch an deren Arbeit interessiert sind und die Absicht haben, aktiv daran mitzuwirken. Daher ist auch wichtig, bei der Wahl des Förderers auf eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Zielen und Werten der Stiftung zu achten. Diese sei unerlässlich, „nicht zuletzt für das Argumentieren im Auswahlverfahren“, erklärt Julia. Die Stipendiengeber veranstalten regelmäßig Seminare, Sommerakademien und Gesprächsrunden. Zur Teilnahme verpflichtet sind die Stipendiaten nicht bei allen Stiftungen, zum Verfassen eines zwei- bis dreiseitigen Semesterberichts meistens schon. Die Stiftungen erwarten, dass sie das weiterführende Angebot wahrnehmen, sich dem Verein auch nach beendetem Studium verpflichtet fühlen. Denn so erhält die nächste Generation Hochbegabter den frühzeitigen Zugang zu Spitzenforschung oder der Wirtschaftselite. Networking steht im Mittelpunkt der langfristigen Förderung. Daher ist das Stipendium ein durchaus anerkannter Bonus im Lebenslauf, der größte berufliche Aufstiegsmöglichkeiten nahezu garantieren kann.
Begutachtet
Neben überdurchschnittlich guten Noten verlangen manche Stiftungen unabhängige Gutachten. Von den Bewerbern wird erwartet, dass sie sich durch Leistung, Initiative und Verantwortung ausgezeichnet haben und darüber hinaus an Aktivitäten teilnehmen, die sich nicht nur auf ihren Fachbereich beschränken. Auf soziales, gesellschaftliches oder politisches Engagement wird sehr viel Wert gelegt.
Die Bewerbungs- und Auswahlverfahren sind hart und schwer. Das muss auch Julia erfahren. Zunächst verfasst sie eine „ganz normale Bewerbung mit einem aussagekräftigen Motivationsschreiben, Lebenslauf, jede Menge beglaubigte Leistungsnachweise und, was am wichtigsten ist, Nachweise über soziales Engagement“. Diese schickt sie dann an den Vertrauensdozent der Region. Besonders wichtig sind schon in diesem Schritt die sozialen Tätigkeiten des Bewerbers, ohne die geht bei allen Stiftungen gar nichts. Dabei ist erst einmal gar nicht so wichtig, dass der Einsatz auf der Schiene der Stiftung liegt. „Aber ein roter Faden im Lebenslauf sollte schon erkennbar sein“, so die Studentin. Bereits in der Schule muss eine klare Tendenz deutlich werden. Dazu können die Teilnahme an Schülerzeitung, Theatergruppe, Schülervertretung oder Mathematikwettbewerben angegeben werden. Die erste Instanz prüft dann zunächst, ob der Kandidat hinsichtlich des sozialen Engagements hinreichend förderungswürdig ist und schaut auch auf die Noten. Die müssen übrigens nicht perfekt, sondern lediglich überdurchschnittlich sein.
Gruppe oder Einzelbewerber
Schon eine Woche später bekommt Julia einen Brief. Sie hat den Vertrauensdozenten mit ihrer Bewerbung überzeugt und wird zu einem mehrtägigen Assessment -Center nach Berlin eingeladen.
Im Übrigen ist eine eigenständige Bewerbung nicht immer möglich. Deutschlands größtes und mit 85 Jahren ältestes Begabtenförderungswerk, die „Studienstiftung des deutschen Volkes“, lässt Selbstbewerbungen nicht zu. Der zukünftige Stipendiat muss für eines der jährlich bis zu 2000 Stipendien zu vergebenen Stipendien vorgeschlagen werden. Dazu berechtigt sind Autoritätspersonen wie Schulleiter oder Hochschullehrer. Der Andrang bei der Studienstiftung ist groß, wird sie doch im Ausland als heimliche Eliteuniversität Deutschlands bezeichnet. Sie fördert nur Höchstbegabte. Ob ein potenzieller Kandidat diesen hohen Ansprüchen gerecht wird, entscheidet sich in einem harten Auswahlverfahren. Hier ähneln sich die Vorgehensweisen der Stiftungen wieder sehr. Üblich sind mindestens zwei persönliche Einzelgesprächen, Fragebogen, Kurzreferate und Gruppendiskussionen. Die Bewerber sollen sich durch Zielstrebigkeit, Kompromissfähigkeit, Verantwortungs-bewusstsein, Kreativität und Initiative auszeichnen und darüber hinaus über sehr gute Kenntnisse in ihrem Studienfach verfügen.
In der Auswahl
Gute Vorbereitung auf die deutschlandweit stattfindenden Assessment-Center ist unerlässlich. Julia erwarten dort ausgebildete Personaler. Sie ist nervös.
Zunächst muss sie einen Fragebogen ausfüllen. Gefragt wird unter anderem nach den Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, die sie gerade liest. Wer hier übertreibt, wird im anschließenden Gespräch sofort als Lügner enttarnt. Julia rät daher „lieber rechtzeitig anfangen, wenigstens je eine Tageszeitung, Wochenzeitung und Zeitschrift zu lesen“. Jede Antwort sollte der Kandidat stichhaltig begründen können. Strukturierte, direkte Antworten werden bevorzugt. Ausschweifende Vorträge sind unerwünscht. „Abgefragt werden auch die Geschichten und Ideale der Stiftungen“, bemerkt Julia. In den Einzelgespräch stellen einige Prüfer bewusst zu schwere Fragen, um zu sehen, wie die Bewerber mit Stresssituationen umgehen. Sie sollten sich mit aktuellen Themen und Geschehnissen ihrer Region auskennen. Dabei kann ein interessanter Lebenslauf helfen, viele der gefürchteten Wissensfragen zu vermeiden. Argumentationsvermögen und eine gefestigte eigenen Position werden gern gesehen. In Gruppendiskussionen erhalten die Bewerber eine Themenvorgabe und die Aufgabe sich zu positionieren. Anschließend wird frei diskutiert, wobei es gilt, das Maß zwischen argumentieren und zuhören zu finden. Die beisitzenden Juroren achten vor allem auf Sozialkompetenz und Kompromissfähigkeit. Bewerbungstrainer und Erfahrungsberichte können helfen, sich gezielt auf die Art der gestellten Fragen und Herausforderungen einzustimmen.
In der Greifswalder Medizin
Wem dieser Weg zu schwierig erscheint, kann sein Glück bei einer kleineren Stiftung versuchen. Da diese meist weniger Bewerber haben, bieten sich gute Chancen für den Einzelnen. Hier finden sich auch Sonderstipendien, die beispielsweise die Herkunft aus einer bestimmten Stadt, den Berufswunsch oder die Zugehörigkeit zu einem speziellen Fachbereich für förderungswürdig erachten. So vergibt die Medizinische Fakultät der Uni Greifswald Forschungsstipendien an engagierte Studenten und Wissenschaftler, damit diese ein konkretes Forschungsprojekt zielstrebig verwirklichen können. Der Förderung vorausgesetzt werden die Zugehörigkeit zur Fakultät und ein präzise formulierter Forschungsplan. Näheres dazu in der Stipendienordnung der Medizinischen Fakultät. Allgemein ist die Stiftungsdichte in Mecklenburg Vorpommern aber eher gering. Hochbegabte müssen sich daher doch an die überregionalen Stipendiengeber wenden.
Nach der Teilnahme am Auswahlverfahren steht Julia eine nervenaufreibenden Wartezeit bevor. Als sie jedoch endlich das ersehnte Schreiben der „Stiftung der deutschen Wirtschaft“ erhält, platzt ihr Traum. Sie wird auch in Zukunft weiter auf die Gnade des BAföG-Amtes angewiesen sein.
Offen bleibt
Warum sie eine Absage erhält, erfährt sie nicht. Dennoch zieht sie eine positive Bilanz: „Die Erfahrung war es definitiv wert. Es ist erstaunlich, wie viel ich so über mich selbst gelernt habe.“ Sie wird es vielleicht bei einer anderen Stiftung noch einmal versuchen.
Begabtenförderungswerke
Kirchlich:
Evangelisches Studienwerk e. V.
Cusanuswerk (Katholische Kirche)
Neutral:
Studienstiftung des deutschen Volkes
Stiftung der deutschen Wirtschaft
Hans-Böckler-Stiftung
des Gewerkschaftbundes
Politisch:
Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. (SPD)
Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP)
Hanns-Seidel-Stiftung e.V. (CSU)
Heinrich-Böll-Stiftung
(Bündnis90/Die Grünen)
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. (CDU)
Rosa-Luxemburg-Stiftung (PDS)
Geschrieben von Sarah Bechimer