Kino: A History of Family

Die Blutsbande ist die direkteste, langlebigste und verlässlichste Verbindung der zwischenmenschlichen Existenz. Deren Aufbrechen in Zeiten steigender Scheidungs- und sinkender Geburtenraten in modernen Industriegesellschaften führt zum Vertrauensverlust in Beziehungen. Das Einzelgängerdasein wird toleriert.

Der neuseeländische Kinofilm „No. 2” thematisiert dieses Problem. Nanna Maria ist das weibliche Oberhaupt einer von den Fidschiinseln stammenden Familie. Die Matriarchin erahnt zu Beginn des 94 Minuten langen Werkes ihrem bevorstehenden Tod. Ein Wunsch, besser ein Befehl wird deshalb ausgesprochen: ihre sechs Enkel sollen an diesem Tag zu einem Familienfest zusammen kommen. Im Haus mit der titelgebenden Nummer 2 soll gegessen, getrunken und getanzt, eben gefeiert werden. Am Ende des Tages bestimmt die Großmutter dann ihren Nachfolger. Dieser Tag stellt die gesamte Familie vor große Probleme. Das zu grillende Schwein lebt noch, einige Familienmitglieder haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, andere möchten ihre Zeit angenehmer verbringen. Es wird gestritten, gelacht und geweint. Ein Feuer muss gelöscht werden. Fäuste fliegen. Bis die Familie glücklich vereint ist, erlebt der Zuschauer deren kleinen Dramen des Lebens und träumt von dem perfekten Zusammenleben.
Regisseur Toa Fraser debütierte mit der Verfilmung seines eigenen Theaterstückes auf der Leinwand. „No. 2“ ist ein Plädoyer auf die Werte der Familie. Das Anliegen, die guten und schlechten Seiten/Zeiten einer Sippe darzustellen, ist ihm gelungen. Jeder Charakter ist vortrefflich besetzt. Die Vorstadt Aucklands ist als gewählte Kulisse aber ersetzbar, da die Handlung überall geschehen könnte. Fraser verknüpfte die eigenen Wurzeln in eine universale Liebeserklärung auf die familiäre Bande.

Geschrieben von Björn Buß

DVD: Gossenhaftes

Henry „Hank” Chinaski säuft, raucht, wettet, fickt, schreibt. Schriftsteller nennt er sich. Natürlich kann sich ein Wesen mit diesen Hobbys nicht mit Kunst über Wasser halten. Er ist Mädchen für alles: Lastwagenfahrer, Fließbandarbeiter in einer Essiggurkenfabrik, im Ersatzteillager eines Fahrradladens und Putzmann. Kein Job ist von langer Dauer. Lieber geht Hank einen trinken. Dabei lernt der Protagonist Frauen kennen, aber nicht lieben. Mit diesen kann die Zeit angenehm vorüberziehen. Denn die gleichen Interessen wirken sehr positiv auf Chinaskis zwischenmenschliche Interaktionen.

Glaubhaft übernimmt Matt Dillon die Hauptrolle in der Verfilmung des Romans „Factotum” des amerikanischen Autors Charles Bukowski. Mitleid möchte die Figur nicht, verdient hat er sie auch nicht. Einfach nur in Ruhe gelassen zu werden, ist das Ziel. Sobald Stress im Anflug ist, sei es am Arbeitsplatz, im Bett oder im elterlichen Zuhause, verzieht sich Hank, sucht und findet den nächsten Drink.
Die Romanvorlage Bukowskis enthält Autobiographisches: Er war ebenfalls Trinker, Ficker und Schreiber und nach langen Jahren des Oxidierens kam endlich der Erfolg, aber auch der Tod. Sich an diesen Autoren heranzuwagen, braucht Kraft, die heftigen Vokabularien auszuhalten.
Die bewegten Bilder aus Chinaskis Leben sind schwächer als die gedruckten Wörter. Die Inszenierung ist solide und auch der Stimmung entsprechende Musik wählte  der norwegische Re-gisseur Bent Hamer gut aus. Der den Kinofilm durchziehende Humor lockert auf. Doch drastisch genug ist das Endergebnis nicht.
Mit der DVD-Veröffentlichung kann man zufrieden sein. Ein langes Interview mit dem Hauptdarsteller, Trailer und geschnittene Szenen sind als Bonus enthalten. Pandora-Film gelang ein guter Einstand in das DVD-Geschäft.

Geschrieben von Björn Buß

DVD: All American Guy

Napoleon Dynamite ist ein Geek. Ein Außenseiter par excellence. An jeder Schule ist solch eine Person anzutreffen. Schon der Name der Hauptfigur ist außergewöhnlich desintegrierend. Assoziationen sind aber fehl am Platz. Der Schüler hat es nicht leicht im Leben: sein Bruder kann nichts, hält sich aber für etwas Besseres. Sein Onkel ist ein schmieriger Vertretertyp und trampelt auf seinem Neffen herum. Bis auf den mexikanischen Mitschüler Pedro hat Napoleon keine Freunde. Auch das XX-Geschlecht ist ihm unfreundlich gesinnt.

Was kann dieser Junge eigentlich? Nicht viel: Napoleon beherrscht die Zeichensprache, ist Mitglied im Verband der zukünftigen Bauern Amerikas und spielt Swingball.  Mit seinem unkontrolliert krausem Haarschopf, braunem Anzug und offenem Mund kann Napoleon Dynamite nur belächelt werden. Die Eigenschaft, seine Sicht der Welt, manche mögen unberechtigter Weise behaupten, er lügt, auszusprechen, macht die Figur sympathisch.
Insgesamt 91 Minuten lang werden episodenhaft die Abenteuer des Napoleon Dynamite auf DVD gezeigt. Zwei Jahre nach der Uraufführung ist der US-amerikanische Kinofilm endlich in Deutschland zu bestaunen. Was Director Jared Hess mit so geringem Budget auf die Beine stellte, ist erstaunlich. Die unzähligen Ideen und grandiosen Figuren, die überall auftauchenden Ausstattungsperlen im Vorder- und Hintergrund lassen von einer glorreichen Zukunft des Filmemachers träumen. Das Bonusmaterial der deutschen DVD-Veröffentlichung ist üblicher Bestandteil: ein kurzes Making-Of, der Trailer und geschnittene Szenen sind vorhanden. Als Schmankerl für Filmgeeks sollte der Abspann geschaut werden. Bis zum Ende des Kinofilms ist für gute Laune und ungewöhnlichen Schwank gesorgt.

Geschrieben von Björn Buß

How to promote Bringo Klud?

Der Popkomm-Bericht

Vom 20. bis zum 22.September gaben sich auf der Popkomm in Berlin Musiker, Manager und wer sonst noch alles, im entferntesten Sinne, was mit Musik zu tun hat, die Klinke in die Hand.

Ein Berliner Radiosender verloste Tickets, die sonst satte 145 Euro kosten, an Musiker, die vorhaben ihre Demotapes unter die Leute zu bringen. Mit ein wenig Glück ist es also geschehen, Bringo Klud, der Hobbymusiker schlechthin, und ich als Pseudomanagerin, sind also auf die Popkomm gekommen. Mit tollem „Trade Visitor“-Bändchen gehörten wir nun dazu. Dazugehören heißt in diesem Falle, man bekommt eine Tasche umsonst, die man sich mit Samplern aus aller Welt voll packen kann, man kann sich überall in die modernsten Sitzgelegenheiten setzen, so viel Bier und Softdrinks trinken, wie man nur kann und überhaupt die ganze Zeit total cool und lässig dabei aussehen. Wem das alles nicht reicht, der kann sich diverse Kongressdiskussionen anhören, warum zum Beispiel die Arctic Monkeys so erfolgreich sind und das, obwohl sie nicht zusammengecastet sind.

Man kann es nehmen, wie man will, wir haben unsere selbst zusammengebastelten Bringo-Demotapes unter die Leute gebracht und somit war die Mission erfolgreich. Viel interessanter als die ganze Wichtigtuerei und das Business war das Festival-Programm am Abend und dank des tollen Bändchens standen uns alle Türen der Clubs und Konzertsäle offen. Rockmiezen aus den Niederlanden, Heavy Metal, Jazz, Pop, Electro und das alles in einer Nacht. Hat sich also doch gelohnt, wer weiß, möglicherweise verhandelt Bringo Klud nächstes Jahr mit den Toplabels um einen Vertrag, wobei er natürlich total lässig aussieht, versteht sich ja von selbst.

Geschrieben von Maria-Silva Villbrandt

DVD: Halbwertzeit des Menschen

Ein strahlendschöner Tag. Im AKW Grafenrheinfeld hat es einen schweren Unfall gegeben. Die in der Nähe lebende 16-jährige Hannah (Paula Kalenberg) steht ganz alleine da. Einen Vater gibt es nicht, die Mutter hat sich leider in der Nähe des Atomkraftwerkes aufgehalten. Vom gerade gewonnenen Freund muss sie sich im Chaos zunächst trennen.Gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder flieht sie nach Bad Hersfeld, von wo aus sie evakuiert werden soll.

Der Weg ist beschwerlich und das Ziel beinahe erreicht, da verliert Hannah das einzige, was ihr noch geblieben ist: den Bruder. Für sie ist alles vorbei. Die Wolke kommt. Kraftlos setzt sie sich dem todbringenden Regen aus.
Schnitt. Es wird dunkel. Der Film könnte zu Ende sein. Doch Hannah überlebt und als Elmar (Franz Dinda), ihr verlorener Freund, sie ausfindig macht, kann ein neues Leben beginnen. Aber nichts ist mehr, wie es war. Deutschland im Ausnahmezustand. Dritte Welt im Herzen Europas.
Das Packende des Filmes ist auch dem Umstand zu verdanken, dass Musik meist sparsam verwendet wird. An ihrer Stelle läuft im Hintergrund der Szenen permanent ein Sekundärmedium. In Form der uns gut bekannten Tagesschau und Radionachrichten werden permanent die aktuellsten Fakten zur Katastrophe geliefert in Kontrast zu den satten Farben einer Teenie-Komödie.
Anlässlich des Tschernobyl-Jahrestages verfilmte Gregor Schnitzler Gudrun Pausewangs Buch „Die Wolke“. Vieles wurde nach der Vorlage umgesetzt, manches anders. Das im Film gemeinte AKW aber wird so auch schon von Pausewang genannt und bezieht sich auf ein bayerisches Kraftwerk.
Das hier ist die abgedrehte Inszenierung des Tages X in der BRD. Chaos, Flucht, Grauen und Tod – 2006 in Deutschland. Es ist ein verdammt gutes Gefühl, nach dem Abspann „aufzuwachen“ und zu wissen, dass alles gut ist – noch.

Geschrieben von Uta-Caecilia Nabert