Zelten in der Innenstadt – fürs Klima?

Zelten in der Innenstadt – fürs Klima?

In einer Innenstadt – oder am Rande einer Innenstadt – erwartet Mensch zwar viel, aber ein bunt geschmücktes Camp mit Zelten und Sofas gehört vielleicht noch nicht dazu. Vom 05. bis zum 12. September war es aber genau das, was Passant*innen am Mühlentor erwartete. Aktivist*innen verschiedener Gruppierungen veranstalteten in dieser Zeit nämlich ein Klimacamp. Wie genau es dem Klima hilft, am Schießwall zu zelten und warum es in der ganzen Stadt eine Woche lang 5 nach 12 war, haben uns Anna, Ben, Fiedje und Maya in einem Interview erklärt.

Die bevorstehenden Bundes- und Landtagswahlen sind in der ganzen Stadt präsent. Aktuell ist das Mühlentor der gefragteste Ort für Wahlkampfveranstaltungen diverser Parteien. Doch nicht nur Parteien versuchen, Bürger*innen zu erreichen: Auch die Klimaschutzbewegung möchte Menschen überzeugen, die Klimakrise in der Wahl zu berücksichtigen. Um mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, wohnten ein paar Aktivist*innen der Bewegung eine Woche lang in einem Klimacamp am Mühlentor. Als ich dort unangekündigt mit der Hoffnung vorbeischaute, dass mir vielleicht eine Person fix ein paar Fragen beantworten könnte, erklärten sich gleich vier Menschen bereit, in aller Ruhe mit mir zu reden. Ich wurde herzlich ins Camp eingeladen und bekam sogar Kaffee und Tee angeboten.

Was macht ihr hier?

Wir machen hier ein Klimacamp, also eine Dauerversammlung mit Übernachtung, die von Sonntag bis Sonntag dauert.

Also wohnt ihr hier einfach nur?

„Nur wohnen“ ist die Ausgangsbasis – wir haben verschiedene Aktionen und suchen den Austausch mit Passant*innen, die hier vorbeilaufen und uns ansprechen. So wollen wir die Aufmerksamkeit wieder mehr auf das Thema Klima lenken. Das Camp ist auch sehr offensiv geschmückt und wir hoffen auf ausführlichere Gespräche als die, die auf Demos passieren, einfach weil wir hier mehr Zeit zum Reden haben. Man kann hier in Ruhe reinkommen, sich auf die Stühle setzen, jede*r ist willkommen.

Wie viele seid ihr hier so im Schnitt?

Das wechselt immer. Nachts sind wir mindestens zehn Menschen, tagsüber zwischen vier und zwanzig.

Wie kamt ihr auf die Idee des Klimacamps und was genau erhofft ihr euch davon?

Das Konzept „Klimacamp“ haben wir uns von anderen Städten abgeguckt. In Augsburg gibt es zum Beispiel seit mehr als einem Jahr ein Camp. Wir wollten das in Greifswald auch mal aufziehen, sind alleine als Organisation aber nicht groß genug dafür, also haben wir die anderen auch noch mit ins Boot geholt.

Das Camp findet im Rahmen der Klimaaktionswoche statt und ist organisationsübergreifend. Mit der Klimaaktionswoche probieren wir, die Kräfte der verschiedenen Organisationen zu bündeln und in den gemeinsamen Austausch zu kommen. Wir finden es sehr wichtig, dass die Organisationen, die alle ein gemeinsames Ziel haben, zueinander finden und in Kontakt treten. Das Camp bietet dafür ein Zentrum, welches den Austausch ermöglicht. Das geschieht zum Beispiel durch Workshops, aber auch durch andere Veranstaltungen wie zum Beispiel die Plena oder abendliche Diskussionsrunden und gemeinsame Mahlzeiten. Wir lernen uns hier alle besser kennen, obwohl wir sonst in verschiedenen Organisationen arbeiten. Das ist das Ziel der Klimaaktionswoche.

Von welchen Organisationen seid ihr denn?

Wir sind vor allem von Fridays For Future und Extinction Rebellion, aber auch Menschen ohne feste Zugehörigkeit sind dabei.

Ihr habt vorhin verschiedene Aktionen angesprochen – was steht denn auf dem Programm? Und sind die Aktionen für alle oder nur für euch Menschen im Camp?

Höchste Zeit zu handeln: Für die Klimaaktionswoche wurden alle Kirchenuhren auf 5 nach 12 angehalten.

Anna: Die Programmpunkte sind offen für alle, wir wollen ja so viele Menschen wie möglich erreichen. Für die Klimaaktionswoche haben wir viele verschiedene Akteur*innen mobilisiert bekommen. Es gab zum Beispiel einen spannenden Workshop mit der Bürgerlobby Klimaschutz. Die Bürgerlobby Klimaschutz arbeitet direkt mit Politiker*innen und kommt mit ihnen in Kontakt. Sie haben uns ihre Skills und Methoden gezeigt, wie man überhaupt miteinander über Klimaschutz und die Klimakrise ins Gespräch kommt, ohne Personen vor den Kopf zu stoßen. Dazu haben wir Übungen gemacht und das war richtig gut für uns, wir sind da näher zusammengekommen.

Maya: Mittagsandachten werden auch angeboten. Die Kirchengemeinden in Greifswald machen auch mit und die Uhren an allen Kirchen in Greifswald sind für die gesamte Woche auf 5 nach 12 angehalten.

Viele stehen der Klimabewegung kritisch gegenüber. Wie sucht ihr den Zugang zu skeptischen Menschen?

Fiedje: Erstmal müssen wir auf die Leute zugehen. Die eher Kritischeren stehen meistens nur irgendwo rum und gucken nicht so begeistert. Dann gehen wir auf sie zu und fragen, ob sie vielleicht reinkommen wollen und da entwickelt sich meistens schon ein Dialog, bei dem irgendwas rauskommt. Und wenn es nur ist, dass die Menschen selbst nicht so optimistisch sind wie wir, es aber toll finden, dass wir das hier machen. Das ist auch schon ein Gewinn – dass sie sehen, dass es Menschen gibt, die nicht so pessimistisch sind wie sie selbst.

Ben: Zunächst versuchen wir, die Dringlichkeit unserer Sache bewusst zu machen. Da gehen auch viele mit, nur in der Umsetzung wird es dann schwierig, wenn es den einzelnen Menschen selbst betrifft. Da kommen wir mit vielen in eine Diskussion darüber, was man konkret umsetzen sollte. Oft geht es darum, ob Konsumänderung der richtige Weg ist, oder ob die Politik sich ändern muss. Oft sagen Menschen, dass wir dafür in die Parlamente gehen müssen, nach Berlin oder Straßburg oder China oder so. Da versuchen wir dann zu sagen, dass man auch hier in Greifswald mehr tun kann. Dafür haben wir auch konkrete Forderungen, die hängen hier im Camp. Die stellen wir dann vor und diskutieren mit den Leuten darüber.

Die Forderungen der Veranstaltenden des Camps

Anna: Auch ist es hilfreich herauszufinden, wo man die Menschen abholen kann, was sie selbst schon tun für Klimaschutz oder was sie darüber denken. Da findet man oft schon Gemeinsamkeiten, wie zum Beispiel, dass die Menschen den Wald total lieben. Die Übereinstimmung, dass man da in die gleiche Richtung will, kann man hervorheben und von dort weiterarbeiten. Da ist viel Hilflosigkeit und Frust bei den Menschen in Bezug auf die Klimakrise und wir reden auch darüber, wie man damit dann umgehen kann.

Fiedje: Es ist bemerkenswert, dass man selbst bei den Menschen, die total kritisch sind, relativ schnell einen gemeinsamen Punkt findet, bei dem man sich einig sein kann. Eigentlich ist das Thema überall angekommen und jede*n berührt das auf irgendeiner Ebene. Es gilt, diese Punkte erstmal als Anknüpfung zu suchen und da irgendwie eine Tür zu öffnen.

Maya: Ich finds einfacher, über solche Aktionen (wie die Leichenhalle von XR) an Menschen heranzukommen, weil solche Aktionen automatisch Emotionen in ihnen hervorrufen. Viele sind erstmal wütend darüber, wie wir sowas Morbides machen können. Dann erzählen wir ihnen im Gespräch, dass wir genau solche Bilder in der Zukunft nicht wollen. Das sehen viele ein und stimmen uns zu. Ich hab das Gefühl, dass Menschen eher handeln, wenn Emotionen im Spiel sind, weil sie dann wissen, wie nahe es ihnen gehen kann. Aber solche Emotionen sind natürlich nur schwer im Vorbeigehen zu erreichen.

Das Mühlentor ist ein beliebter Ort für Wahlkampfveranstaltungen – gab es diesbezüglich schon Konflikte?

Fiedje: Vorgestern war die Linke hier, gestern die Basis. Mit den Menschen von der Linken hatten wir produktivere Gespräche, bei denen wir auch wieder versucht haben, einen gemeinsamen Punkt zu finden und sie mehr für unsere Sache zu überzeugen. Mit den Menschen von der Basis war’s einfach nur nervig, ehrlich gesagt. Die haben ihre Wahlveranstaltung abgehalten, woraufhin wir laute Musik angemacht haben und daraufhin kamen sie zu uns und haben sich aufgeregt.

Ben: Die Basis versucht immer, sich mit anderen Leuten auf eine Stufe zu stellen – so nach dem Motto „Wir wollen doch alle das Gleiche“. Und das ist halt auch kritisch zu sehen, mit welchen Leuten man sich da zusammentut.

Fiedje: Schwierig wird es, wenn sie sagen: „Wir sind doch gar nicht so verschieden, wir wollen doch auch Nachhaltigkeit, aber über die Sache mit dem Klimawandel müssen wir nochmal reden, da glauben wir nicht dran.“

Wie lange musstet ihr verhandeln, um von der Stadt die Erlaubnis zu bekommen, hier zu campen?

Dafür, dass wir das Camp überhaupt machen dürfen, mussten wir nicht wirklich kämpfen. Das war entspannt. Ursprünglich wollten wir jedoch auf den Marktplatz und das war ein Kampf, bei dem wir im Endeffekt nachgegeben haben und uns damit abgefunden haben, dass die Stadt meinte, wir sollen das hier (beim Mühlentor) machen. Begründet wurde das mit dem Argument der Wähler*innenbeeinflussung.

Aber die Dauerveranstaltung an sich anzumelden war relativ unproblematisch. Die Versammlungsbehörde hier im Landkreis ist da ziemlich entgegenkommend. Wir mussten natürlich ein Sicherheitskonzept liefern und erklären, wie wir das hier aufziehen wollen. Ein Feuerlöscher muss hier sein. Das wurde dann alles in der Woche davor organisiert, wir haben Material für Zeug wie die Zäune gesammelt und am Sonntag hierhergebracht und aufgebaut. In die Planung waren so sieben bis acht Leute involviert.

Wähler*innenbeeinflussung ist doch aber auch euer Ziel, oder?

Ja klar, aber in der Innenstadt dürfen keine Wahlplakate hängen und die Parteien machen ihre Wahlkampfveranstaltungen auch alle hier am Mühlentor. Insofern ist das ein Argument, auch wenn wir hier keinerlei Parteizeichen haben. Damit zu argumentieren war uns als kleine Gruppe aber zu viel Aufwand und dann wollten wir die Energie lieber ins Camp stecken.

Kann man euch unterstützen, ohne selbst im Camp zu übernachten? Ihr könnt hier ja nicht kochen oder so…?

Manche Menschen können sich nicht vorstellen hier zu schlafen, wollen aber trotzdem helfen, und bringen uns dann Essen hierher. Das ist immer sehr freundlich. Auch eine Solawi hat uns auf Anfrage unterstützt. Man kann uns immer gern unterstützen, auch ohne hier im Camp zu schlafen.

Trotzdem wäre es auch schön, wenn wir hier im Camp mehr Menschen wären. Gerade in den Nächten kann das ganz schön zäh werden. Wir machen hier halt auch Nachtwachen und kriegen dementsprechend nicht die optimale Erholung. Deshalb: Je mehr Menschen hier sind, desto besser.

Also kann man jederzeit sein Zelt einpacken und einfach herkommen?

Ja, klar. Man kann auch einfach ohne Zelt kommen, weil wir hier noch Plätze haben.

Könnt ihr eine schöne Anekdote erzählen?

Ben: Vor ein paar Tagen kamen drei Jugendliche vorbei, die nach Vorurteilseinschätzung nicht im linken Ökospektrum waren. Sie kamen aber trotzdem interessiert her und haben viele Fragen gestellt. Wir konnten uns gut unterhalten, das war schön. Das gleiche hatte ich nochmal zwei Tage später mit zwei anderen Jungs. Da merkt man, dass das Interesse da ist, aber das Wissen noch nicht immer. Deswegen ist es gut, dass wir hier sind und solche Momente geben mir schon das Gefühl, dass es was bringt, was wir hier tun.

Fiedje: Ich finde das Zusammenkommen mit den verschiedenen Gruppierungen, die hier mitmachen, ziemlich cool. Es ist toll, dass wir uns hier kennenlernen und abends einfach zusammensitzen, über irgendwelche Themen diskutieren oder einfach reden. Das ist ein sehr angenehmer Umgang und macht einfach Spaß.

Anna: Ich finde die Gemeinschaft auch super schön. Es ist toll, dass wir uns hier alle unterstützen. Gestern Abend haben wir intensiv diskutiert und wir alle hatten unterschiedliche Meinungen. Die Diskussion lief total freundlich und geordnet ab, ohne dass jemand moderiert hat. Das lief per Handzeichen und war einfach friedlich und richtig schön.

Maya: Als ich hierhergelaufen bin und die Kirchturmuhr gesehen hab, die auf 5 nach 12 steht, hab ich so richtig realisiert, dass jetzt gerade die Klimaaktionswoche ist. Kirchturmuhren ragen empor und wachen über die Stadt. Deshalb fand ich den Moment so enorm cool – weil ich das Gefühl hatte, die ganze Stadt ist davon betroffen und man ist da irgendwie gemeinsam drin. Und dieses Gefühl ist auch abends da, wenn wir hier alle zusammensitzen. Wir sind alle gemeinsam hier und wollen alle an das selbe Ziel, das ist schön.

Ihr seid zwar noch zwei Tage hier, aber könnt ihr zum Abschluss des Interviews schon mal ein vorläufiges Fazit ziehen?

Es hat sich gelohnt, das zu machen. Hier gibt es mehr Zeit für den Austausch mit Menschen als bei einer Demonstration. Deshalb hatten wir hier schon sehr viele Gespräche und das war auch das Ziel.

Direkt nach dem Interview kamen zwei Touristinnen zum Camp und suchten das Gespräch. Die beiden fühlten sich im Camp wohl und fanden die dekorative Gestaltung sehr einladend. Besonders lobten sie die Fachkenntnisse der „jungen Herren“, von denen sie etwas über die Wiedervernässung der Moore in und um Greifswald lernen konnten.

Vor den Bundes- und Landtagswahlen steht ein großer Klimastreik am 24.09. an. Alle sind herzlich eingeladen, zu diesem Anlass mit auf die Straße zu kommen und so allen Wählenden die Wichtigkeit des Klimaschutzes bewusst zu machen, bevor die Kreuze gesetzt werden. Außerdem sind sich Anna, Ben, Fiedje und Maya sicher: Das wird nicht das letzte Klimacamp gewesen sein! Auch bei zukünftigen Klimacamps kann sich jede*r beteiligen und auch gern spontan zum Campen vorbeischauen – ob für eine Nacht oder für den ganzen Zeitraum ist allen frei gestellt.

Beitragsbilder: Lena E. Schröpl, Bearbeitung: Marvin Manzenberger

In 9 Jahren zur 0-Bilanz: CO2-Neutralität 2030 an der Universität Greifswald

In 9 Jahren zur 0-Bilanz: CO2-Neutralität 2030 an der Universität Greifswald

Im Artikel 2 des Pariser Klimaabkommens ist es festgehalten: Jedes Land ist dazu verpflichtet, Anstrengungen zu unternehmen, um die Klimaerwärmung auf nicht mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten. Für Deutschland bedeute das eine Klimaneutralität bis 2027, höchstens 2030. Angesetzt ist von der aktuellen Bundesregierung 2045, also nach jetzigem Stand mehr als ein Jahrzehnt zu spät. Unsere Universität will mit besserem Beispiel vorangehen.

Gehaltvoller als Knäckebrot

Fast drei Monate ist es nun her, dass der erweiterte Senat unserer Universität eine CO2-Neutralität bis 2030 beschlossen hat. Ursprünglich war in dem Antrag noch 2035 vorgesehen, also eine jährliche Reduzierung von 7,1 Prozent, da das alte Rektorat eine Reduzierung von 10 Prozent für unrealistisch erachtete. Hannes Damm wagte dennoch den Versuch und stellte den Änderungsantrag, 2035 auf 2030 runterzusetzen und damit die 7,1 Prozent auf 11,1 Prozent zu erhöhen. „Gerade die [Studierenden und Hochschulangehörigen] sehe ich als Akteur*innen, die da vorangehen müssen, um den anderen, die skeptischer sind, eben zu beweisen: Hey, es geht“, sagte der Physik-Promo­tionsstudent im Interview mit webmoritz. „Das heißt nicht, dass wir nicht mehr lehren können oder dass wir alle nur noch Knäckebrot essen müssen, sondern es heißt einfach, dass das funktionie­ren kann und dass wir auch Forschung dafür machen, dass es funktioniert.“

Im Senat appellierte er vor allem an die Statusgruppe der Professor*innen, die in ihrer Lehrfunktion zuallererst den Studierenden verpflichtet sind. Und Klimapolitik ist Jugendpolitik. Was für ältere Generationen nur in den Anfängen spürbar sein wird, werden wir in ganzer Linie erfahren. Am Ende sorgte Hannes’ Rede zwar nicht für eine große Zustimmung – die Stimmen für den Änderungsantrag lagen nur knapp über den Gegenstimmen – aber es genügte doch zumindest, damit sich ein großer Teil der Anwesenden enthielt.

Dabei ist das Ziel, klimaneutral zu werden, für unsere Universität bei weitem keine neue, bahnbre­chende Idee. Schon 2012 hieß es im Abschnitt „Menschen und ihre Institutionen“ aus dem damals festgelegten Leitbild unserer Uni:

„Alle in der Universität tätigen Menschen benötigen für eine erfolgreiche Arbeit gute äußere Bedingungen […] Sie [die Universität] will CO2-neutral werden. Die Administration versteht sich als Dienstleister der Wissenschaft und fördert unter effizientem Einsatz aller universitären Ressour­cen die nachhaltige Entwicklung zu einer umweltgerechten und barrierefreien Universität.“

Leitbild der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (10. Oktober 2012)

Am 18. Juli 2018 bekannte sich der Senat schließlich zu den „Leitlinien zur Umsetzung des Ziels CO2-neutrale Universität“, die das im Leitbild festgehaltene Vorhaben konkretisieren sollten. Die Leitlinien lieferten zwar noch keine genaueren Maß­nahmen, legten aber zumindest fest, dass alle Gremien und sonstigen Zuständigkeitsbereiche der Universität gemeinsam den Klimaschutz fördern und an der Vermeidung unnötiger Emissionen mitwirken sollen. Als Ideenanregungen wurden damals bereits die Einsparung bei Ressourcen, Materialien und Technologien genannt, ein niedriger CO2-Ausstoß bei Exkursionen und Dienstrei­sen sowie eine möglichst klimafreundliche Flächenbewirtschaftung der universitätseigenen Liegen­schaften. Konkrete Zahlen für die Zielsetzung gaben die Leitlinien noch nicht mit.

AGs vs. CO2

Der im Juni beschlossene Antrag geht nun endlich etwas mehr ins Detail. Da einige Werte, wie zum Beispiel der exakte aktuelle CO2-Ausstoß unserer Uni, noch nicht ermittelt wurden, einigte sich der Senat darauf, zunächst Punkte 1 und 2 des Antrages zu beschließen, und für Punkte 3 bis 5 bis zur kommenden Senatssitzung am 15. Sep­tember zu warten. Konkret bedeutet das: Alle relevanten Akteur*innen (Unileitung, Verwaltung, Fakultäten, Studierendenschaft) müssen in die Umsetzung der Klimaschutzstrategie mit einbezogen werden, der aktuelle Stand soll in einem großen Monitoring im Turnus von drei Jahren erfasst werden (Punkt 1). Und die CO2-Neutralität soll bis 2030 bei einer jährlichen Reduzierung von 11,1 Prozent er­reicht werden, wobei sämtliche direkte und indirekte Emissionen aus Strom und Wärme, Dienst­reisen, Materialbeschaffung und ähnlichem berücksichtigt werden, aber auch die Bewirtschaftung der universitären Flächen (Punkt 2).

Auf die Septembersitzung verschoben wurden somit die Maßnahmenvorschläge für die einzelnen Handlungsfelder Betrieb/Verwaltung, Steuerung/Governance, Forschung, Lehre und Transfer. Dazu zählt auch die Einrichtung von sechs verschiedenen Klimaschutz-Arbeitsgemeinschaften, die ein Kernelement der Strategien darstellen. Die AGs sollen auch für uns Studierende eine direkte Ein­bringungmöglichkeit bieten, denn neben Mitgliedern aus Nachhaltigkeitskommission, Rektorat und Universitätsmedizin sind auch Plätze für Studierende, Wissenschaftler*innen (wie zum Beispiel Scientists4Future) oder andere Externe vorgesehen. Zwei- bis dreimal im Jahr sollen sich die ein­zelnen AGs treffen und über die weiteren Schritte beraten. Durch diese Verteilung sollen die Schnittstellen und damit ineffiziente Doppelstrukturen möglichst klein gehalten werden. Außerdem hält sich so der Arbeitsaufwand für alle Beteiligten in Grenzen, was der Schaffung neuer Stellen vorbeugen könnte.

1. AG SteuerungskreisAufgabenpriorisierung und -verteilung, Monitoring, Berichterstattung, Kompensation, Finanzierung, Personal, Fortbildung, Hochschulpolitik
2. AG Energie & GebäudeEnergie, Strom, Wärme, Kälte, Wasser, nachhaltiges Bauen, Instandhaltung, Kampagnen und Befragungen zu Themen wie Homeoffice
3. AG Campus & LändereienManagement und entsprechende CO2-Reduzierung bei den Ländereien und auf dem Campus
4. AG Mobilität, IT & LogistikDienstreisen, Fuhrpark, Exkursionen, Arbeitswege, Lieferung, Infrastruktur, Digitalisierung, Endgeräte, E-Mobilität, Befragungen
5. AG Beschaffung & VergabeBüromaterial, Dienstleistungen, Druckerzeugnisse, klimaneutraler Versand, Recyclingpapier, Beschaffungsleitlinien, Müll
6. AG Ernährung & VeranstaltungsmanagementMensa, Catering, Auslandsaufenthalte

Trotz geäußerter Kritik am Verwaltungsaufwand, den die Klimastrategie mit sich bringen würde, und einem kurzen Disput über die Gültigkeit der Abstimmung zum Änderungsantrag, zeigte sich die Meinung des Senats im finalen Ergebnis deutlich: Niemand stimmte gegen die Klimaschutz­strategie, nur wenige enthielten sich. „Es war eine sehr eindeutige Entscheidung am Ende für die Gesamtstrategie 2030“, sagt Hannes, „und da bin ich auch ein bisschen stolz drauf.“

Mit Fläche zum Erfolg

Trotz aller Euphorie stellt sich die Frage, ob es sich bei dem beschlossenen Antrag nicht am Ende nur um ein gut gemeintes Wunschdenken handelt. Auch auf der Senatssitzung vom Juni wurden Zweifel geäußert: Obwohl das Leitbild 2012 bereits Klimaneutralität vorsah, konnte unsere Uni in den letzten zehn Jahren keine nennenswerten Einsparungen in den Bereichen Wärmeenergie und Mobilität erzielen. Das in den nächsten zehn Jahren so drastisch zu ändern, könnte sich schwierig gestalten.

Dieser Skepsis gegenüber stehen jedoch die sehr guten Voraussetzungen, die unsere Universität hat, wenn sie nur richtig genutzt würden. Neben noch unausgeschöpften Einsparungen durch Gebäude­sanierungen oder die Schaffung von mehr erneuerbarer Energie, zum Beispiel über Photovoltaik­anlagen auf universitären Dächern, bergen vor allem die universitätseigenen Flächen ein riesiges Potential. „Die Universität Greifswald ist die größte Flächeneigentümerin an Universitäten überhaupt in Deutschland“, erklärt uns Hannes. „Aber damit geht eben auch eine Verantwortung für die Flächen einher, jedenfalls nach meiner Überzeugung. Da sind viele trockengelegte Moorflächen dabei, da sind Waldflächen dabei […] Wir haben teilweise auch nasse Moore, die in einem ganz guten Zustand sind. Das Ökosystem darfst du nicht unterschätzen.“ Eine wichtige Rolle werden dabei die universitären Wälder spielen, die als sehr effiziente Kohlenstoffsenke fungieren, aber auch die vielen Moorflächen. Von denen ist ein großer Teil zurzeit allerdings noch trockengelegt. Hier werden also weitere Forschungen in der Paludikultur und Gespräche mit den Eigentümer*innen notwendig, um zu zeigen, dass Moor auch nass bewirtschaftet werden kann.

Andere Maßnahmen werden auch direkt für uns Studierende spürbar sein. Bereits jetzt laufen Verhandlungen mit Stadt und Land zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und auch die Fahr­radinfrastruktur soll weiter verbessert werden. Das Voranbringen der Digitalisierung wird ein wich­tiger Faktor sein sowie eine Umstellung im Essensangebot der Mensen auf weniger fleischhaltige Gerichte. Zudem sollen Angebote geschaffen werden, die unternommenen Strategien der nächsten Jahre auch wissenschaftlich von Studierendenseite zu begleiten, so zum Beispiel in Form von Abschlussarbeiten. Wer als Studierende*r direkt mitmischen will, kann sich an die hochschulöffent­lich tagende Nachhaltigkeitskommission wenden oder Ideen an die AG Ökologie oder das AStA-Referat für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit (asta_oekologie@uni-greifswald.de) weiterleiten. Und hoffentlich dann bald auch an die sechs Klima-AGs.

„Ich bin echt zuversichtlich. Wir stellen uns gerade gut auf als Studierende, da mitreden und mitwirken zu können. Jetzt müssen wir es schaffen, auch an die Umsetzung zu kommen. Und dafür ist es wichtig, dass wir konkrete Ziele haben und dass wir jetzt auch konkrete Maßnahmen ausfor­mulieren und aushandeln.“

Hannes Damm

Der nächste wichtige Schritt dafür wird die kommende Senatssitzung am 15. September sein. Wir haben außerdem bereits im Vorfeld Fragen über den aktuellen Stand der Umsetzung an die Nachhaltigkeitskommission gestellt, allerdings wollte man dort mit einer Stellungnahme bis nach der Senatssitzung warten. Welche Antworten wir erhalten werden und was die Sitzung ergibt, erfahrt ihr nach dem 15. September hier auf dem webmoritz.

Senatssitzung
Wann? 15.09.2021, 13:30 Uhr
Wo? Hörsaal 3/4, Ernst-Lohmeyer-Platz 6

Beitragsbild: Franziska Schlichtkrull

Stadtgespräche – Greifswald im Lockdown

Stadtgespräche – Greifswald im Lockdown

Die Menschen und ihr Miteinander in Greifswald trotz der Pandemie wieder sichtbar machen. Das war Lena Elsa Droeses Motivation, als sie vor etwa einem Jahr die Idee zu ihrem Interviewband hatte. Durch den Austausch mit Greifswalder Persönlichkeiten entstand eine Sammlung, in der die Studentin der Politik- und Kommunikationswissenschaften Eindrücke und Erfahrungen aus den Lockdowns in unserer Hansestadt festgehalten hat.

Als im Herbst letzten Jahres einige Greifswalder Läden kurz vor dem endgültigen Aus standen, war plötzlich nicht mehr sicher, ob Lenas Lieblingscafés und -clubs die Pandemie überstehen würden. Die Studentin wollte wissen, wie es den Menschen hinter den verschlossenen Türen und Schaufensterscheiben wohl ginge – und fragte einfach nach. Aus einer kleinen Interviewreihe für das moritz.magazin wuchs die Idee, verschiedene Begegnungen in einem Band namens “Stadtgespräche – Greifswald im Lockdown” abzubilden.

Der Austausch hat mir während dieser Zeit sehr gefehlt. Greifswald ist ja eine kleine Stadt, in der man sich schnell gut kennt und in den Straßen oft auf ein kurzes “Und wie geht’s dir denn?” trifft. Im Lockdown fanden diese Gespräche natürlich kaum statt und viele Menschen sind aus dem Stadtbild verschwunden.

Lena Elsa Droese

Lena hat genau diese rar gewordenen, zufälligen Momente mit Stadtbekanntschaften für Gespräche genutzt und die Begegnungen niedergeschrieben. Das dabei entstandene Büchlein handelt von Menschen, die für die 21-Jährige einfach zum Greifswalder Stadtbild gehören: ein Barbesitzer, eine Abiturientin, eine Tänzerin, ein Gesundheits- und Krankenpfleger, zwei kleine Kindergartenfreundinnen. Insgesamt haben 19 ganz unterschiedliche Greifswalder*innen mit Lena über das Leben im Lockdown gesprochen.

Das kann die Kellnerin sein, die mit einem Tablett über den Markt läuft oder der Mann, der oft auf der Bank am Hafen sitzt. Ich glaube jede*r hat da so seine persönlichen Beziehungen zur Stadt, oder?

Lena Elsa Droese

In der rund 70-seitigen Sammlung geben die Gesprächspartner*innen Auskunft zu verschiedensten Fragen, unter anderem “Wie sieht dein Alltag aus?”, “Was ist für dich besonders schwer im Lockdown?” oder “Was machst du als Erstes, wenn alles vorbei ist?”. Und auch die Antworten auf die Nachfrage “Was bedeutet Demokratie für dich in dieser Zeit?” füllen mehrere Seiten des Hefts. Da Mitsprache und Teilhabe Themen sind, die Lena beschäftigen, war dieser Teil der Gespräche für sie von besonderer Bedeutung.

Die Frage rahmt den Grundgedanken vom Interviewband, jede*r kann seine*ihre Meinung äußern und diskutieren. Wichtig ist, dass man sich stets mit Respekt begegnet und zuhört. 

Lena Elsa Droese

Die Aufzeichnungen werden ergänzt von Portraits, die Lena selbst aufgenommen hat. Die Fotos zeigen die Gesprächspartner*innen hinter einer Glasscheibe, um Nähe und Distanz gleichzeitig darzustellen. Ein Zwiespalt, den vielleicht viele aus den Zeiten der Isolation kennen.

Mit #stayhome sind viele Personen aus dem alltäglichen Leben verschwunden, aber ein Bedürfnis nach Nähe und Kontakt besteht natürlich trotzdem.

Lena Elsa Droese

Unterstützt wurde die Studentin bei ihrem Projekt von der Fotografin und Gestalterin Anna Knüppel und Anita Völlm von der Partnerschaft für Demokratie. Im Rahmen der von der Partnerschaft ins Leben gerufenen Gesprächsreihe “DemokraTische” findet anlässlich der Erscheinung an diesem Mittwoch, den 8. September, eine offene Diskussion statt. Nicht nur die Inhalte der Interviewsammlung sollen dabei im Mittelpunkt stehen: Jede*r ist dazu eingeladen, ab 17 Uhr im Hof des St. Spiritus eigene Erfahrungen und Geschichten aus dem Lockdown zu teilen.

Bei der Veranstaltung kann “Stadtgespräche” zudem erstmals erworben werden, später ist es auch in einigen Buchläden der Stadt, im Tierpark und weiteren teilnehmenden Geschäften erhältlich. Die Interviewsammlung ist grundsätzlich kostenlos. Trotzdem sind Spenden willkommen, denn alle Einnahmen kommen den Institutionen und Gesprächspartner*innen, die ihre Geschichten in dem Band geteilt haben, zugute, “sodass hoffentlich ein paar Wünsche aus den Lockdown-Zeiten erfüllt werden können”, wie Lena auf der letzten Seite von “Stadtgespräche” verspricht.

Beitragsbild: Lena Elsa Droese

Greifswald im Lockdown

Greifswald im Lockdown

Seit mehreren Monaten befindet sich die Stadt im Lockdown. Doch wie geht es den Greifswalder*innen eigentlich damit? Im Interview für das moritz.magazin Nr. 150 fragt Lena Elsa Droese je eine Stimme aus Kultur, Krankenhaus und Gastronomie.

Ein Lockdown-Interview mit Murat, Clubbesitzer ROSA

Lena: Wie heißt du und woher kommst du?

Ich heiße Murat und komme ursprünglich aus Hannover. Meistens kommt jetzt die Frage: »Und woher kommst du wirklich?«

Lena: Wie lange wohnst du schon in Greifswald?

Ich bin seit 13 Jahren in Greifswald.

Lena: Wie hat die Pandemie dein Leben beeinflusst?

Die Pandemie hat mich wie viele andere beeinflusst, nur mit dem Unterschied, dass wir mit dem Club von den Beschränkungen besonders betroffen sind. Ich bin erstens als Lehrer betroffen, durch das Homeschooling, und zweitens mit dem Club betroffen. Eigentlich bin ich sportlich sehr aktiv, ich geh boxen und mach Fitness, aber der Boxclub Greifswald hat gerade zu.

Lena: Was machst du aktuell im Alltag?

Ich bin jetzt viel in meiner Wohnküche, wo auch mein Arbeitsplatz eingerichtet ist. Und ja sonst, ich arbeite viel, ich lese, aber mir fällt auch langsam die Decke auf den Kopf. Meine überschüssige Energie entlädt sich jetzt bei Instagram, da mache ich mich zum Affen und Hampel ein bisschen rum.

Lena: Was siehst du als die größte Schwierigkeit während der Pandemie an?

Ich vermisse am meisten, dass ich mich nicht mehr wie ein kleiner Gott im Club fühlen kann und Leute rauswerfen kann. Ich vermisse, dass Oleg, das ist ein DJ von uns, besoffen hinter die Theke geht, während er auflegt, und sich ein Drink macht, obwohl er genau weiß, dass er das nicht darf. Und ich vermisse auch wie Stella die Bar regelt, wenn ihr ein Gast dumm kommt, dann sagt sie ihm das auch. Ich vermisse das Gewusel und Durcheinander. Achso und die schlechten Sprüche an der Tür.

Lena: Was findest du gut am Lockdown?

Was mir aber aufgefallen ist, ist, dass wir trotz Distanz näher zusammenrücken. Wir haben jetzt das Landesnetzwerk für Clubs und Live Spielstätten gegründet. Die Clubs brauchten jetzt eine Stimme und wir haben der Regierung ein Konzept zur langsamen Wiedereröffnung vorgelegt und die fanden das super! Altmaier will das Konzept sogar auf Bundesebene vorschlagen.

Lena: Was machst du als erstes, wenn die Pandemie/der Lockdown vorbei ist?

Einfach nur den Laden aufmachen und Party machen. Ich hoffe, dass wir es bis dahin durchhalten.

“Ich vermisse am meisten, dass ich mich nicht mehr wie ein kleiner Gott im Club fühlen kann.”

Ein Lockdown-Interview mit Felix, Medizinstudent

Lena: Wie heißt du und woher kommst du?

Ich bin Felix und bin in Neubrandenburg groß geworden.

Lena: Wie lange wohnst du schon in Greifswald?

Seit Oktober 2014 bin ich hier, also seitdem ich das Medizin Studium angefangen habe.

Lena: Wie hat die Pandemie dein Leben beeinflusst?

Das Ding ist, ich war schon im Januar scheinfrei und habe dann angefangen für mein Examen zu lernen. Ich habe also im Wesentlichen, so im Frühjahr, eigentlich gar nichts mitbekommen … außer, dass mein Pesto im Edeka leer war! Ich habe auch eh zu Hause gelernt und war viel beschäftigt. Im Februar habe ich noch eine Famulatur gemacht, also ein Praktikum im Krankenhaus, das ging bis zu dem Wochenende, wo dann auch alles in Greifswald losging. Der Sport, das Fitnessstudio, fehlt mir, und die Selbstverständlichkeit Leute zu treffen. Also es fehlt etwas aus dem Alltag, aber das ist nicht dramatisch.

Lena: Was machst du aktuell im Alltag?

Ich habe Glück, dass ich Hobbies habe, die von Natur aus mit Social Distancing einhergehen. Ich gehe gerne angeln und jagen. Da bin ich mit großer Freude allein unterwegs.

Lena: In welchem Raum verbringst du am meisten Zeit? Was ist dir dort wichtig?

Gerade jetzt bin ich viel im OP-Saal und nächste Woche dann auf Station. Das ist aber alles nicht so statisch, vielleicht bin ich auch in der Notaufnahme. Dort assistiere ich dann und lerne den Alltag kennen.

Lena: Was siehst du als die größte Schwierigkeit während der Pandemie an?

Es gab auf jeden Fall Momente, in denen ich genervt war, aber an so kleinen Dingen eben. Hier darf ich das nicht, woanders ist es erlaubt. Das ist alles nichts Weltbewegendes, es gab keinen konkreten Vorfall, nur dass der Alltag eben nicht so da ist, wie man ihn gewöhnt ist. Gewisse Dinge scheitern an Hürden, auf die man keinen Einfluss hat. Also zum Beispiel ein Schreiben vom Amt, einfach nur einem Zettel. So Sachen, die sonst gar kein Thema sind. Dinge, die einem als Bagatelle erscheinen, sind jetzt mit einem ziemlichen Nerv verbunden – so ein latentes Genervt-Sein. Aber kein Grund für mich auf die Straßen zu gehen.

Lena: Was findest du gut am Lockdown?

Was ich ganz angenehm fand, war die Ruhe im März/April. Die Fleischervorstadt ist ja eh ein ruhiges Viertel, das war wirklich nett. Man lernt aber natürlich seinen Alltag mit den Selbstverständlichkeiten nochmal anders kennen, wenn etwas fehlt. Alles was normal und selbstverständlich ist, schätzt man erst, wenn es nicht mehr da ist. Die Reisefreiheit zum Beispiel. Für unsere Generation ist es selbstverständlich sich in Europa ohne Grenzen zu bewegen. Da merkt: Ach wie geil war das, sich einfach in den Flieger zu setzen und dann kamst du wieder und es war alles gut.

Lena: Was machst du als erstes, wenn die Pandemie/der Lockdown vorbei ist?

Also mir hat ja nicht viel gefehlt, aber das Erste wäre endlich den Bulli in Portugal zu mieten und durch die Algarve zu fahren.

“Für unsere Generation ist es selbstverständlich, sich in Europa ohne Grenzen zu bewegen.”

Ein Lockdown-Interview mit Philipp und Florian, Pizzeria Der Gestiefelte Kater

Lena: Hey! Wie heißt ihr und woher kommt ihr?

Hey wir sind Philipp und Florian aus Brandenburg, also geborene Eberswalder. Wir waren auf der Grundschule in Falkenberg und haben unsere Jugendzeit zusammen verbracht. Dann ist Flori irgendwann zum Studieren nach Greifswald gegangen und wir haben uns ein bisschen aus den Augen verloren, aber drei Jahre später bin ich dann nachgekommen zum Studieren und wir haben uns dann wiedergetroffen.

Lena: Wie lange wohnt ihr schon in Greifswald?

Philipp: Ich bin seit Oktober 2014 hier, also zum Wintersemester bin ich dann nach Greifswald gezogen.

Florian: Seit September 2010, schon etwas länger.

Lena: Wie hat die Pandemie euer Leben beeinflusst?

Philipp: Also privat, so in der Anfangszeit hat das für mich keinen großen Unterschied gemacht. Aber jetzt, rückblickend nach einem Jahr muss ich schon sagen, dass man sich wünschen würde, mal wieder mit der Frau essen zu gehen oder rauszugehen. Insgesamt trifft mich die Pandemie aber nicht so stark, ich vermisse den Sport ein bisschen! Ich vermisse auch nicht viele Leute, ich bin viel bei meiner Familie und hier auf der Arbeit, zum Beispiel hier Normi, unser Angestellter, zusammen mit Flori sind wir alle gute Kumpels und machen auch privat viel zusammen. Meine Freunde habe ich hier auf der Arbeit. Also im Vergleich zu anderen Gastronomien können wir uns wirklich sehr glücklich schätzen, das ist wirklich ein Privileg. Es kamen auch einige Neukunden dazu, zum Beispiel Familien, die zum Mittag mal ‘ne Pizza bestellt haben, wenn die Eltern nach drei Wochen einfach keine Lust mehr haben zu kochen Eine Zeitlang hat man echt gemerkt, dass hier mittags mehr los war als sonst und auch größere Bestellungen kamen, so ab vier Pizzen aufwärts.

Florian: Bei mir ist es fast gleich, es hat sich kaum etwas verändert. Wir arbeiten viel, die Pizzeria durfte zum Glück offen bleiben, wir waren immer beschäftigt. Ein paar Sachen sind natürlich umständlicher geworden, zum Beispiel einkaufen oder zum Baumarkt gehen. Nach einem Jahr reicht es aber auch so gefühlt. Unsere Kunden würden auch gerne mal wieder reinkommen, damit wir uns unterhalten können. So dieses kurz an der Tür und Tschüss ist ja auch nix. Ich weiß auch nicht, wie das bei den Studenten gerade ist, aber ich sehe viele nicht mehr, ich denke, dass sie zu Hause in Berlin, München, Hamburg oder so sind und deshalb weniger Einzelbestellungen kommen. Oder das Geld sitzt nicht so locker, es sind ja auch viele Studentenjobs in Bars und so weggefallen. Das macht viel aus, das kennen wir ja auch von früher.

Lena: Was macht ihr aktuell im Alltag?

Zuhause und auf Arbeit! Das sind die einzigen beiden Orten, wo wir uns gerade bewegen. Und noch viel auf der Baustelle, wir planen gerade einen neuen Laden zu eröffnen. Also nicht wir selber, wir machen den Laden gerade für unsere beiden Frauen fertig und dort machen die beiden dann ihren eigenen Laden. In der Langen Reihe, es soll so Frühstück und Mittag bis 14 Uhr geben mit italienischen Baguettes und Bowls!

Lena: In welchem Raum verbringt ihr am meisten Zeit? Was ist euch dort wichtig?

Philipp: Für mich hat sich da gar nicht viel verändert, nur das Fitnessstudio fehlt, da war ich sonst so 2-3-mal in der Woche. Dadurch dass wir jetzt noch einen neuen Laden aufbauen, sind wir auch viel drüben und verbringen dort unsere Zeit und ansonsten habe ich ja zwei Kinder zu Hause und ich bin froh, wenn ich mit ihnen Zeit verbringen kann.

Florian: Genau, viel mehr Möglichkeiten gibt es ja auch gerade nicht. Ich spaziere noch viel draußen, wir haben einen kleinen Hund. Freunde kann man nicht besuchen, bei uns war sonst immer viel Besuch, auch im Laden. Mir fehlt schon der Austausch, was so geht, dafür macht man das ja auch, um nah am Kunden zu sein.

Lena: Was seht ihr als große Schwierigkeit während der Pandemie an?

Philipp: Also was ne Zeitlang echt schwierig war, war das Einkaufen. Es gab ja die Hamsterkäufe und wir haben in keinem Laden mehr Hefe bekommen. Das war echt schwer alle Zutaten zu bekommen.

Florian: Ja, wir sind dann nach zehn Tagen Sucherei und Telefoniererei echt beim Bäcker in einem Dorf gelandet und der hat uns dann ein paar Stücke Hefe verkauft. Ohne Hefe geht halt nix! Daran kann es echt scheitern, ohne Hefe kann man keine Pizza machen. Naja, und ein paar Produkte aus Italien kamen später, aber das ist wirklich meckern auf hohem Niveau. Wir haben halt uns können uns gegenseitig auffangen, ich denke oft auch an die Leute, die jetzt allein zu Hause sind. Viele verrennen sich glaube ich in der Zeit gerade.

Lena: Was findet ihr gut am Lockdown?

Philipp: In der Anfangszeit fand ich es sehr schön, dass wir als Familie viel Zeit hatten. Da war ein bisschen Entschleunigung. Und für die Natur ist das natürlich ‘ne top Sache.

Florian: Die ersten Wochen waren beruhigend und gleichzeitig beunruhigend. Keiner wusste ja was kommt. Es wurde so von außen gebremst, da kam schon mehr Ruhe rein. Und das Schönste eben, dass unser Laden weiterläuft und dass alle gesund sind.

Lena: Was macht ihr als erstes, wenn der Lockdown vorbei ist?

Philipp: Für mich wäre es, etwas mit der Familie machen und rausfahren, Hansa Park oder so, einfach mal raus oder eine andere Stadt sehen.

Florian: Ja, rauskommen und nicht sich Gedanken zu machen, was man gerade darf und was nicht. Das braucht man in Greifswald auch. Wenn du ne Woche weg warst, dann freut man sich auch wieder herzukommen.

“Wir sind dann zehn Tagen Sucherei und Telefoniererei echt beim Bäcker in einem Dorf gelandet und der hat uns dann ein paar Stücke Hefe verkauft. Ohne Hefe geht halt nix!

Diese Interviews und weitere spannende Beiträge findet ihr auch im neuen moritz.magazin 150.

Beitragsbilder: Lena Elsa Droese und Felix

Interview mit einer Geimpften

Interview mit einer Geimpften

Seit etwa 3 Wochen werden nun auch in Deutschland Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Zunächst jedoch nur Angehörige der Hochrisikogruppen, also besonders ältere Menschen, und medizinisches Personal, um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auch während der Pandemie gewährleisten zu können. M-V nimmt (trotz anfänglicher Pannen) bei den Impfzahlen bundesweit bisher eine Führungsrolle ein. Wir haben mit einer der ersten Personen gesprochen, die hier in Greifswald geimpft wurde.

Wie kam es, dass du zu den ersten Personen gehörst, die deutschlandweit überhaupt geimpft wurden?
Ich bin Medizinstudentin und arbeite im Abstrichzentrum der Universitätsmedizin Greifswald. Die Universitätsmedizin ist aktuell in “weiße”, “graue” und “schwarze” Bereiche aufgeteilt. Der “schwarze” Bereich ist der Teil der Klinik, in dem man auf jeden Fall Kontakt zu Corona-positiv getesteten Menschen hat. Um die Mitarbeiter*innen in diesem Bereich zu schützen, wurde bei ihnen priorisiert mit den Impfungen begonnen. Das Abstrichzentrum gehört auch zum “schwarzen” Bereich. Deshalb wurde ich schon so früh geimpft.

Welchen Impfstoff hast du erhalten?
Ich habe den mRNA-Impfstoff “Comirnaty” von BioNTech/Pfizer erhalten.

Wann wurdest, bzw. wirst du geimpft und ab wann solltest du Immunität aufgebaut haben?
Am 29. Dezember 2020 wurde ich das erste Mal geimpft. Drei Wochen nach der ersten Impfung wird die zweite Impfung empfohlen. Das bedeutet, für mich wird die zweite Impfung ab dem 18. Januar möglich sein, einen genauen Termin habe ich aber noch nicht. Und sieben Tage nach der zweiten Impfung sollte mein Körper dann schließlich die Immunität aufgebaut haben.

Wie lief die Planung im Voraus ab, das ging dann vermutlich plötzlich alles viel schneller als erwartet, oder?
Ja, ging es! Die Universitätsmedizin hat kurz nach Weihnachten eine Online-Umfrage erstellt, bei der die Impfbereitschaft der Mitarbeiter*innen abgefragt wurde. Da konnte man sich direkt auf eine Liste setzen lassen, wenn man an einer Impfung interessiert war. Das habe ich natürlich gemacht.

Wie viel Zeit verging dann letztlich von der ersten Anfrage bis du tatsächlich geimpft wurdest?
Am 27. Dezember 2020 hab ich mich auf die Impfliste setzen lassen. Einen Tag später kam schon der Impftermin für den 29. Dezember 2020 per E-Mail. Also keine 48 Stunden später war ich geimpft. Ich war selber überrascht, wie schnell das ging!

Wie lief der “Tag X” ab? Und wie hast du dich danach gefühlt?
Der Ablauf war eigentlich recht unspektakulär: Ich musste mich gesund fühlen und konnte geimpft werden. Die Termine für die Impfungen wurden sehr gut organisiert von der Universitätsmedizin. Um Menschenansammlungen zu vermeiden, haben wir Zeiträume erhalten, in denen wir vorbeikommen konnten. Deshalb waren da nie mehr als 5 oder 6 Mitarbeiter*innen zum gleichen Zeitpunkt versammelt. Ich wurde von einem Arzt auf der Intensivstation der Universitätsmedizin Greifswald geimpft. Ich muss sagen, er hat das wirklich super gemacht! Meine Laune war danach super gut – ich war sehr aufgedreht und dachte: “Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.”

Hast du nach der Impfung Nebenwirkungen bei dir festgestellt? Falls ja, welche?
Ich wurde in meinen linken Oberarm geimpft, der hat sich zwei Tage nach Muskelkater angefühlt. So vergisst man wenigstens nicht, wie sich Sport anfühlen könnte. (lacht)

Wie geht es dir jetzt?
Wunderbar!

Musstest du nach der Impfung noch etwas Spezielles machen?
Nein, aber ich habe mich mit meiner Einwilligung in die erste Impfung auch für die zweite Impfung verpflichtet. Das wäre ja sonst auch total die Verschwendung, zumal die Bundesregierung die Kosten für die Impfung übernimmt.

Hattest du vor der Impfung Zweifel und falls ja, wie wurde damit umgegangen?
Ich selbst hatte keine großen Zweifel. Ich war jedoch etwas aufgeregt und habe mich gefragt, wie die Nebenwirkungen wohl werden. In der Online-Umfrage der Universitätsmedizin, mit der ich mich für die Impfung angemeldet habe, waren vorher wissenschaftliche Artikel zur Wirkweise und möglichen Nebenwirkungen des BioNTech-Impfstoffs aufgeführt worden. Ich habe ehrlich gesagt am Ende auf die ärztliche Aufklärung verzichtet, weil ich mich vorher selbst schon ausführlich informiert hatte. Ich kann aber verstehen, dass Zweifel aufkommen, wenn man den Wirkmechanismus hinter den Impfungen nicht versteht. Durch Informationen kann man aber wahrscheinlich die meisten Bedenken schnell relativieren.

‘Ich war sehr aufgeregt und dachte: “Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.”‘

In den Medien war zuletzt von eher geringer Impfbereitschaft des medizinischen Personals die Rede gewesen. Haben sich Menschen aus deinem Arbeitsumfeld dagegen entschieden, die Impfung durchführen zu lassen?
Unter den anderen Mitarbeiter*innen des Abstrichzentrums habe ich noch von keiner Person gehört, die sich nicht impfen lassen hat. 

Was waren für dich persönlich die entscheidenden Gründe, dich impfen zu lassen?
Ich bin jung und gesund. Mit einer Impfung schütze ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mich, sondern meine Mitmenschen. Ob man infektiös werden kann trotz Impfung, ist aktuell allerdings noch nicht genau bekannt.

Hat sich durch die Impfung etwas an deinem Alltag geändert? Machst du jetzt Sachen anders als vorher?
Momentan bin ich ja noch nicht immun gegen das Virus. Aber wenn sich herausstellt, dass ich nicht mehr ansteckend sein kann für andere Menschen, dann werde ich nach Hause fahren und meine Familie wiedersehen. Bei denen war ich seit über 7 Monaten nicht mehr. Die haben sich auch sehr gefreut, als sie gehört haben, dass ich zu den ersten Leuten gehöre, die geimpft wurden! Mit der Familie werden wir Weihnachten nachfeiern, das hatten wir dieses Jahr wegen Corona verschoben. Auch, weil ich über die Feiertage hier im Abstrichzentrum gearbeitet habe.

Das ist ein interessantes Thema, das du gerade angesprochen hast: Was hältst du von der aktuellen Debatte über Sonderrechte für Geimpfte? Sehen wir bald Reisebusse voller geimpftem medizinischem Personal und Rentner*innen?
Kritisches Thema. Das wird ja momentan heiß diskutiert. Rechtlich sieht es aktuell so aus, dass man die Geimpften nicht mehr einschränken darf, wenn sie nicht infektiös sein können – aber ob man nicht trotz Impfung Überträger*in sein kann, weiß man leider noch gar nicht momentan. Und ich hoffe in Zukunft auf viele gefüllte Reisebusse, aber nicht nur gefüllt mit medizinischem Personal und Rentner*innen! Diese Personengruppen sind ja nur der Anfang. Ich hoffe in naher Zukunft auf eine Impfung für alle, die sie sich wünschen – damit meine Elektro-Partys wieder stattfinden! (zwinkert)

Worauf freust du dich nach der Pandemie am meisten?
Ich möchte unbedingt wieder neue Menschen kennenlernen, zu Elektro-Partys gehen und etwas eskalieren.

Möchtest du Impfskeptiker*innen noch etwas sagen? Falls ja, hier ist deine Chance!
Vielleicht sehen wir uns ja nochmal auf der Intensivstation, falls es da dann noch Plätze gibt. Da kann ich bestimmt bald nochmal ein Praktikum machen, wenn ich immun bin! (lacht)

Und zum Abschluss natürlich die wichtigste Frage: Welches Microsoft-Produkt hast du nach der Impfung als erstes gekauft, bzw. planst du zu kaufen?
Da ich seit Kindheitstagen regelmäßig und nach Impfpass gechippt werde, besitze ich schon ewig ein Microsoft-Office-Abonnement! Das habe ich nochmal verlängert. Ist aber auch einfach praktisch. (zwinkert)

Das Interview wurde ganz regelkonform über einen Telegram-Chat geführt.

Falls du dich weiter zu SARS-CoV2-Impfungen informieren möchtest, kannst du das zum Beispiel in unserem Informationsartikel oder auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts tun.

Titelbild: whitesession auf pixabay
Beitragsbild: Philipp Schweikhard