Drei von vier Deutschen fahren regelmäßig mit dem Fahrrad – im Jahr 2019 überlebten 445 Personen ihre Tour nicht. Laut den Aufstellungen des Statistischen Bundesamtes waren besonders ältere Menschen betroffen. Mehr als die Hälfte aller Opfer befand sich im Rentenalter. Gerade der Vergleich mit den Vorjahren fällt besorgniserregend aus: Der Straßenverkehr als Ganzes wird in Deutschland zwar immer sicherer, das gilt aber nicht für den Fahrradverkehr.
Im Nordosten ist die Zahl der polizeibekannten Radunfälle in den letzten Jahren stabil. 2019 erfassten die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern 1.558 verunfallte Radfahrer*innen sowie 117 Nutzer*innen von Pedelecs – Elektrofahrrädern mit einer Maximalgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde. 215 Unfälle mit Radbeteiligung verzeichnet die Polizeiinspektion Anklam für dasselbe Jahr im Gebiet der Stadt Greifswald, im Pandemiejahr 2020 immerhin noch 154.
Erzfeind PKW
Die markante Skype-Melodie verstummt, die Verbindung baut sich auf. Am anderen Ende sind Laura und Niklas – beide kann man für Greifswalder Verhältnisse als Rad-Influencer bezeichnen. Jede Woche legen sie dutzende Kilometer auf dem Drahtesel zurück. Sie kennen die Straßen und die dazugehörigen Schlaglöcher. Auf die Frage nach Greifswalds Problemzonen haben beide sofort eine Reihe von Antworten parat: Die enge Friedrich-Löffler-Straße sei ein Problem, außerdem unübersichtliche Kreuzungen, Schlaglöcher, Fahrraddiebstähle und rasende Autos.
Eine Verkehrsbefragung des Lehrstuhls für Humangeografie aus dem Jahr 2018 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Geografie-Studierende befragten 421 meist junge Bürger*innen nach dem Zustand des örtlichen Radverkehrs. Vier von zehn Befragten fürchteten vor allem den Fahrraddiebstahl, gefolgt von Glasscherben und Pkw. Auch Lkw und mangelhafte Straßenbeläge schätzten viele als gefährlich ein. Jede*r vierte Befragte gab an, selbst schonmal in einen Unfall verwickelt gewesen zu sein. In 54 Fällen war dabei ein Pkw involviert.
Auch wenn am Lenkrad nicht per se größere Gefährder*innen sitzen als am Fahrradlenker, ist die Furcht vor Pkw im Radverkehr nicht unbegründet. Die Polizeiinspektion Anklam verzeichnete zwischen 2018 und 2020 im Greifswalder Stadtgebiet 274 Radunfälle, bei denen die Unfallschuld Autofahrer*innen zugerechnet wurde. Bei 251 Unfällen wurde die Schuld Radfahrenden zugeordnet. Da jedoch nicht an jedem Radunfall ein PKW beteiligt ist, lässt sich auf ein höheres Gefährdungspotenzial durch Kfz schließen. Da Radfahrende bei Kontakt mit Pkw einem größeren Verletzungsrisiko ausgesetzt sind, werden diese Unfälle allerdings womöglich auch eher gemeldet.
Rad und Auto werden vor allem dort füreinander zur Gefahr, wo sich ihre Wege kreuzen: Vorfahrtsmissachtungen, Abbiegefehler und das Einfahren in den fließenden Verkehr sorgen für den größten Teil an Radunfällen, die von Autos verursacht werden. Bei Radfahrenden als Unfallverursachenden nennt die polizeiliche Unfallstatistik besonders ungenügenden Sicherheitsabstand, Fehler beim Einfahren oder verbotswidrige Nutzungen von Fahrbahnen. Das betrifft meist Wege, die nicht für Räder ausgewiesen sind, sowie Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot.
Getrennte Wege für höhere Sicherheit
Viele der Ursachen potenzieller Gefährdung ließen sich auf den engen Kontakt von Rad und Auto zurückführen, vor allem wenn Letztere zu schnell oder zu nah fahren, sagen die Radbegeisterten Laura und Niklas: „Wenn ich mit dreißig Stundenkilometern durch eine Tempo-30-Zone fahre, werde ich trotzdem überholt“, berichtet Laura. Mehr Radarkontrollen aufzustellen löse das Problem jedoch womöglich nicht: „Die Daumenschrauben sind schon angezogen. Da ist fraglich, ob weitere Kontrollen etwas bringen. Eine Trennung von Rad- und Fahrbahn wäre sinnvoller.“
Getrennte Radstreifen unterstützen auch die Bürgerschaftsfraktionen SPD, Linke/ Tierschutzpartei und Bündnis 90/ Die Grünen. Das geht aus den Antworten der Fraktionen auf Anfrage des webmoritz. hervor. Rad und Kfz würden sich demnach künftig Fahrbahnen nicht mehr teilen, sondern sich auf separaten Spuren bewegen. Dieses Konzept lässt sich baulich jedoch nicht überall einfach umsetzen – besonders, wenn man bei engen Straßen an die umliegenden Häuser gebunden ist, wie zum Beispiel in der Friedrich-Löffler-Straße.
Die Suche nach Problemherden
Das Statistische Bundesamt gibt seit einigen Jahren einen Unfallatlas heraus. Auf der digitalen Karte wird erfasst, auf welchen Straßen wie viele Unfälle gemeldet worden sind. Wer sich nach Unfallhotspots in Greifswald erkundigen möchte, findet aber nur einen weißen Fleck in der Form und Größe Mecklenburg-Vorpommerns. Als einziges Bundesland liegen für MV keine sogenannten georeferentiellen Unfalldaten vor. Auf Nachfrage teilte das Bundesamt mit, MV werde voraussichtlich ab diesem Jahr im Unfallatlas vertreten sein. Warum bislang keine Daten vorhanden sind, teilte uns das zuständige Landesamt in Schwerin auf Anfrage nicht mit.
Aus der Antwort der Polizeiinspektion Anklam gehen jedoch einige Kreuzungen hervor, an denen sich nach ihrer Einschätzung Unfälle mit Radbeteiligung häufen. Das sind vor allem die Kreuzungen entlang der Anklamer Straße sowie in Schönwalde an der Schönwalder Landstraße, der Ostrowskistraße und der Lomonossowallee. Aber auch an einigen anderen Kreuzungen mit komplizierter Verkehrsleitung häufen sich Unfälle, zum Beispiel der Neunmorgenstraße/ Gützkower Straße, der Einfahrt zur Marienstraße auf der Wolgaster Straße und an der Kreuzung Lange Reihe/Stephanistraße.