Hol Luft, Emma – The Prom. Eine Rezension

Hol Luft, Emma – The Prom. Eine Rezension

Alleine am Rand der Bühne und zur Hälfte im Halbschatten verborgen steht Emma da, gekleidet in eine schlichte orangene Jacke, eine gerade geschnittene Jeans und bereits etwas ausgetretene Turnschuhe. “Hol Luft, Emma”, singt sie, anfangs noch ganz leise und zerbrech­lich, dem Publikum entgegen, und macht mit diesen Worten auch sich selbst Mut. Denn Emma hat sich vor Kurzem geoutet und damit nicht nur die Abneigung ihrer Mitschüler*innen und deren Eltern auf sich gezogen. Sie könnte durch eben dieses Outing auch den gesamten Abschluss­ball ihrer Klassenstufe in Gefahr gebracht haben. Nur wegen des Wunschs nach einem einzigen Tanz mit dem Mädchen, das sie liebt.

Das Musical The Prom – Der Abschlussball, das derzeit im Kaisersaal des Greifswalder Theaters aufgeführt wird, basiert auf dem Stück von Chad Beguelin (2016) und der anschließenden Netflix-Verfilmung (2020). Die Greifswalder Aufführung beeindruckt in erster Linie durch ihre Schlichtheit. Die Bühne ist nur dezent gestaltet – wo wir uns befinden symbolisieren nur ein Spind oder ein Tisch oder vier Bürostühle, die allesamt schnell auf- und abgebaut und hin und her geschoben werden können. Gefühle entstehen vor allem durch die Abwesenheit von großen Effekten und durch das Spiel mit Licht und Dunkelheit, mit den Farben. Und The Prom beeindruckt durch seine Nahbarkeit. Denn der gesamte Cast besteht selbst aus Schüler*innen, denen man abkauft, dass sie verstehen, worüber sie dort sprechen und singen. Die Neunt- bis Zwölftklässler*innen des Jahn-Gymnasiums wissen, was es bedeutet, seinen Platz in der Schubladenwelt finden und behaupten zu müssen, mit der Angst im Hinterkopf, möglicherweise abgelehnt zu werden, von Gleichaltrigen, den Eltern oder vielleicht sogar der ganzen Gesellschaft.

Von Fremdbestimmung und Eigeninitiative

Unterstützt wird Emma bei ihrem Kampf vom Schulleiter und vier etwas in die Jahre gekommenen Broadway-Schauspieler*innen. Es wirkt ein wenig befremdlich und erinnert beinahe an die alltäg­liche Bevormundung queerer Leute durch nicht-queere Menschen, wenn die Vier ohne Absprache mit Emma für die Schülerin sprechen und handeln. Aber wie so vieles im echten Leben ist auch das Stück ein Prozess. Und so merkt Emma gerade durch die Fehler ihrer Schutzengel-Diven, dass sie anfangen muss, für sich selbst zu sprechen. Wir dürfen sie dabei begleiten, wie sie zunehmend ihre eigene Stimme findet, und auf diesem steinigen Weg nicht nur sich selbst, sondern auch ihren eigentlichen Helfer*innen hilft – sie selbst zu sein, Mut zu haben, für sich einzustehen. Und ein Stück weit hilft sie damit auch uns Zuschauer*innen.

Dabei ist es keinesfalls Emmas Anliegen, diese Bürden auf sich zu laden und der Welt – oder zumindest dem vor Wut kochenden Elternrat – entgegenzutreten. “Ich will keinen Aufstand machen, bin zum Vorbild nicht gemacht”, singt sie und klammert sich dabei verzweifelt an die Hände ihrer Freundin. Und während die Eltern den Ball um jeden Preis verhindern wollen und mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die auch für Emma einen Ball fordern, und sich damit gegen das Recht der freien Wahl ein diskriminierendes Arschloch zu sein stellen wollen, steht Emma auf der anderen Seite der Bühne und sagt in einer fast schon absurden Einfachheit: “Ich möchte doch nur zum Abschlussball gehen.”

Die Komik in der Absurdität des Tragischen

Solche Gegenüberstellungen zweier Situationen in der gleichen Szene durchziehen das Stück wie ein roter Faden. Sie verdeutlichen die Ungerechtigkeit und die Hilflosigkeit, wenn man als Einzelne*r gegen alle anderen steht. Und genau diese Ungerechtigkeit ist es, die im Publikum immer wieder teils Unverständnis, teils eine unangemessen wirkende Belustigung auslöst. “Das ist ein Albtraum”, sagt Emma, und ihr Schulleiter erwidert trocken: “Das ist kein Albtraum. Aus einem Albtraum kannst du aufwachen”, und so aus der Ferne betrachtet kann man lachen über diese Worte. Hier im Publikum ist es ja immerhin auch geradezu lächerlich, dass ein erwachsener Mann nur wegen seines Outings seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter haben könnte, von hier aus sieht es absurd komisch aus, wenn die schillernden Broadway-Schauspieler*innen inmitten der schwarzgekleideten Masse stehen, von Akzeptanz singen und dabei von den genervten Monstertruck-Fans ausgebuht werden, die doch eigentlich nur den Sport sehen wollen.

Diejenigen, die solche Szenen aus dem eigenen Alltag kennen, haben aber hingegen vielleicht kein Lachen auf den Lippen, sondern Tränen in den Augen. Man schaut sich einen Moment im Publikum um, blickt in die vielen erheiterten Gesichter, wird zum Nachdenken angeregt. Warum kommt uns Diskriminierung und Ausgrenzung auf der Bühne so absurd und lächerlich vor? Warum können wir hier im Publikum ihre absolute Sinnfreiheit erkennen? Warum gelingt uns das im echten Leben so oft nicht, obwohl es doch täglich direkt in unserer Mitte geschieht?

Ein amerikanisches Musical?

Denn wer regelmäßig nach Neuigkeiten über die LGBTQ+-Community schaut, stolpert andauernd darüber: Im Land der Glorreichen und Freien wurde wieder ein Gesetz gekippt, hat wieder eine weitere Minderheit ihre Rechte verloren. Ob es das im März verabschiedete Don’t say gay bill Floridas ist, nach dem Erzieher*innen und Lehrkräfte gegenüber Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter nichts mehr erwähnen dürfen, das gleichgeschlechtliche Liebe oder trans*-Identitäten andeuten und damit Kinder frühsexualisieren könnte (keine Sorge, Genderparties und Trickfilm-Küsse zwischen Disneyprinz und -prinzessin sind selbstverständlich weiterhin erlaubt). Oder ob es die verschiedenen Gesetze der Südstaaten sind, die alle bereits in diesem Jahr beschlossen wurden und unter anderem Eltern und Lehrkräften mit bis zu 10 Jahren Gefängnis drohen, wenn diese ihren trans*-Kindern helfen wollen, sich in ihrem Körper wohler zu fühlen. Auch der reale Fall McMillen v. Itawamba County School District, auf dem The Prom beruht und bei dem einer Schülerin die Teilnahme an ihrem eigenen Abschlussball verweigert werden sollte, nur weil sie ihre Freundin als Begleitung mitbringen wollte, ist gerade einmal 12 Jahre her, und auch wenn dieser Prozess große Medienaufmerksamkeit erhielt, ist er bei Weitem kein Einzelfall.

Aber das ist ja nur Amerika, nicht wahr? In Deutschland dürfen wir immerhin schon seit nun fast 5 Jahren unsere gleichgeschlechtlichen Partner*innen heiraten (zur besseren Anschaulichkeit: die “Ehe für Alle” ist damit vom Anfang der Coronapandemie genauso weit entfernt wie wir heute), und seit bereits etwas mehr als 10 Jahren kann ich theoretisch mein Geschlecht im Ausweis ändern lassen, ohne zwangssterilisiert zu werden. Großartig! Und trotzdem wirkt die Rhetorik des Elternrats an Emmas Schule nur allzu vertraut. Denn sie wird noch immer zahlreich genutzt, auch hier. Es ist erschreckend, wenn man ohnmächtig wie Emma und ratlos wie zwischen all den lachenden Zu­schauer*innen dabei zusehen muss, wenn die Partei dieBasis, die erst am vergangenen Sonntag in der Greifswalder OB-Wahl auf mehr als 8 Prozent aller Stimmen kam, in ihren Artikeln sichtbar queere Menschen als “extremste Beispiele” beschimpft und im gleichen Atemzug glaubt, für “unauffälli­gere” queere Menschen sprechen zu können, die sich angeblich von all jenen “von der Realität weit entfernten” Individuen angegriffen fühlen. Würden wir über diese Art der Diskriminierung auch lachen, wenn wir sie mit genug Distanz auf der Theaterbühne sehen würden?

The Prom – Der Abschlussball wird noch drei Mal im Kaisersaal aufgeführt, an diesem Donnerstag, Freitag und Samstag. Gespielt von Schüler*innen des Jahn-Gymnasiums ist es sicherlich ein Stück, dass in erster Linie Freund*innen und Familie in den Theatersaal lockt, aber das sollte es nicht sein. Denn Emmas Geschichte ist nicht nur aus der Begeisterung einer Gruppe von Jugendlichen für eine Netflix-Adaption entstanden, sondern aus der Realität unserer Gesellschaft. Und es ist eben diese Nähe zu unseren eigenen Erfahrungen von Diskriminierung – egal welcher Art –, die das Stück für das ge­samte Publikum so fühlbar macht und einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Das Wichtigste auf einen Blick:

Was? Musical The Prom – Der Abschlussball
Wann? Donnerstag, Freitag, Samstag, 16., 17. und 18.06.2022, jeweils 19:30 Uhr
Wo? Kaisersaal, Theater Greifswald
Preis? 12 Euro, ermäßigt für Studierende 10 Euro; Karten sind online oder an der Abendkasse erhältlich

Beitragsbild: Julian Schlichtkrull

Ein packender Roman über den Ersten Weltkrieg

Ein packender Roman über den Ersten Weltkrieg

Zugegeben: Das Thema Krieg ist so aktuell wie selten zuvor in den letzten Jahren. Wen es nicht stört, dazu auch ein Buch zu lesen – das jedoch einen anderen Krieg behandelt, nämlich den Ersten Weltkrieg – der sollte Im Westen nichts Neues unbedingt lesen! Und allen anderen würde ich empfehlen, sich das Buch trotzdem zu merken und es später in die Hand zu nehmen. Gelesen haben sollte es aber meiner Meinung nach jede*r! Man bekommt einen sehr guten Eindruck, wie der Erste Weltkrieg für Soldaten abgelaufen ist und erhält vor allem auch Einblicke in die grauenvolle Seite des Kriegs.

Der Roman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque erschien erstmals 1928 als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung und als Buch am 29. Januar 1929 beim Propyläen Verlag. Er hat in meiner Fassung samt Anhang 325 Seiten, die Geschichte selbst umfasst 259 Seiten, der reine Fließtext hat 252 Seiten. Der Roman schildert die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten und zählt zu einem Klassiker der Weltliteratur.

Das Buch startet nicht mit einer Einleitung, wie die Männer zum Krieg gekommen sind, sondern beginnt in medias res: man wird sofort in die Welt des Krieges hineingezogen. Der Roman zeigt den Leser*innen die Welt des Krieges aus der Sicht des jungen Soldaten Paul Bäumer. Während der Geschichte verliert er Freunde, berichtet vom alltäglichen Kriegsleben, seiner Verletzung mit anschließendem Lazarettbesuch, seinem Heimaturlaub und wie er sich von dem normalen Leben distanziert hat, von ungerechten Vorgesetzten und von den Grauen des Ersten Weltkrieges. Im folgenden Zitat bekommt man einen Einblick, wie Paul Bäumer und seine Kameraden von ihrem Vorgesetzten Himmelstoß tyrannisiert wurden:

Er galt als der schärfste Schinder des Kasernenhofs, und das war sein Stolz. […] Auf Kropp, Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unseren stillen Trotz spürte. Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder fand er etwas daran auszusetzen und riß es herunter. […] ich habe auf seinen Befehl mit einer Zahnbürste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt […] ich habe in vollem Gepäck mit Gewehr auf losem, nassem Sturzacker “Sprung auf, marsch, marsch” und “Hinlegen” geübt, bis ich ein Dreckklumpen war und zusammenbrach;

Im Westen nichts Neues, S. 26-27

Mir persönlich hat kein anderes Buch einen so guten Eindruck vom Ersten Weltkrieg vermittelt wie dieses. Es beschönigt nichts, es glorifiziert nichts, es beschreibt meiner Ansicht nach wirklich, wie ein Soldatenleben während des Krieges ausgesehen haben kann. Es problematisiert vor allem die Schrecken des Krieges und zeigt, dass die jungen Männer eine verlorene Generation waren, wenn sie vom Krieg zurückkehrten, denn sie konnten mit dem normalen Leben nichts mehr anfangen. Es zeugt sowohl von der Ungerechtigkeit des Krieges, aber auch davon, wie normal er für die Soldaten teilweise wurde.

Albert spricht es aus. “Der Krieg hat uns für alles verdorben.” Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr stürmen. Wir sind Flüchtende. Wir flüchten vor uns. Vor unserem Leben. Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir mußten darauf schießen. Die erste Granate, die einschlug, traf unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom Tätigen, vom Streben, vom Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.

Im Westen nichts Neues, S. 80-81

Dieser Antikriegsoman stieß bei seiner Veröffentlichung in Deutschland jedoch nicht überall auf Anerkennung: Er wurde von den Nationalsozialisten missbilligt und wurde 1933 Opfer der Bücherverbrennung. Fünf Jahre später wurde dem Autor zudem die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.

aber bedenk doch mal, daß wir fast alle einfache Leute sind. Und in Frankreich sind die meisten Menschen doch auch Arbeiter, Handwerker oder kleine Beamte. Weshalb soll nun wohl ein französischer Schlösser oder Schuhmacher uns angreifen wollen? Nein, das sind nur die Regierungen. Ich habe nie einen Franzosen gesehen, bevor ich hierherkam, und den meisten Franzosen wird es ähnlich mit uns gehen. Die sind ebensowenig gefragt wie wir.” “Weshalb ist denn überhaupt Krieg?” fragt Tjaden. Kat zuckt die Achseln. “Es muß Leute geben, denen der Krieg nützt.” “Na, ich gehöre nicht dazu”, grinst Tjaden. “Du nicht, und keiner hier.”

Im Westen nichts Neues, S. 182

Fazit

Neben dem bereits beschriebenen Eindruck gefällt mir besonders gut, dass der Autor selbst im Ersten Weltkrieg gedient hat. Das heißt, dass er weiß, wovon er spricht und wahrscheinlich wirkt das Buch genau deshalb so authentisch. Man sollte jedoch als Leser*in kein Problem mit Beschreibungen von Gewalt und Verletzungen haben, denn gerade letzteres wird sehr eindrücklich und nicht beschönigend dargestellt. Es lohnt sich auch absolut, den Anhang zu lesen, da dort Entwürfe des Romans und ein Nachwort zur Entstehungsgeschichte abgedruckt sind.

Ich bin jung, ich bin zwanzig Jahre alt; aber ich kenne vom Leben nichts anderes als die Verzweiflung, den Tod, die Angst und die Verkettung sinnlosester Oberflächlichkeiten mit einem Abgrund des Leidens. Ich sehe, daß Völker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend, unwissend, töricht, gehorsam, unschuldig toten.

Im Westen nichts Neues, S. 233

Meine Fassung ist die 8. Auflage und ist 2017 im Kiepenhauer und Witsch Verlag erschienen.

Beitragsbild: Kirstin Seitz

Filmrezension: Phantastische Tierwesen 3 – Rowlings Geheimnisse

Filmrezension: Phantastische Tierwesen 3 – Rowlings Geheimnisse

Kaum ein Film wurde 2022 mit einer vergleichbaren Erwartungshaltung antizipiert, wie die dritte Instanz der “Phantastische Tierwesen“-Reihe von Warner Bros. Der Grund dafür war nicht zuletzt die mehrfache Verschiebung des Erscheinungsdatums von “Phantastische Tierwesen. Dumbledores Geheimnisse“. Weiterhin wurde der Film schon vor seiner Fertigstellung von Skandalen begleitet. Darunter die vorgeworfene Transphobie J.K. Rowlings, basierend auf einigen Tweets der Autorin im Juni 2020, und der Schauspielerwechsel des Antagonisten im Film. Dieser Artikel konzentriert sich nun allerdings auf die Kunst, die sich hinter dem Tarnumhang des Medienrummels verbirgt.

Eine Welt im Wandel

Der dritte Film des voraussichtlich fünfteiligen Franchises führt uns in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Wie auch in den vorherigen Instanzen wird in puncto Handlung auf internationale Drehorte gesetzt. Während Teil eins und zwei vorwiegend in den U.S.A. und Paris spielten, setzt der dritte Teil noch einen drauf. So spielt der Film unter anderem im Dschungel Brasiliens, im südasiatischen Buthan und sogar in Deutschland finden sich unsere Protagonist*innen zwischenzeitig wieder. Wer jetzt eins und eins zusammenzählen kann – also 1930er Jahre plus Deutschland – muss kein*e Historiker*in sein, um sich denken zu können, dass das deutsche Zaubereiministerium nicht ganz so gut wegkommt in diesem Film.

Die Welt ist im Wandel und damit lässt sich auch das Thema des Films gut einleiten. Wie stoppt man diesen Bösewicht Grindelwald, der versucht, an die Macht zu gelangen und Menschen zu unterdrücken? Denn das eigentlich Gefährliche an der Figur ist ihr Charisma, dass Mads Mikkelsen ihr großartig zu geben vermag. Während der Antagonist der Harry-Potter-Reihe seine Macht durch die Etablierung von Angst in der Zaubereigesellschaft festigte (“Du weißt schon wer”), schafft Grindelwald dies mit einem verquerten Idealismus, der für die Allgemeinheit sehr verlockend zu sein scheint. Dieser Verlockung wollen sich Newt Scamander (Eddie Redmayne) und seine Gefährt*innen nun entgegenstellen. Ein schwieriges Unterfangen, da Grindelwald, wie bereits in Teil zwei etabliert wurde, als Seher in die Zukunft schauen kann. Wie hält man also jemanden auf, der die eigenen Pläne voraussieht?

Der Plan, keinen Plan zu haben

So beginnt also ein Katz-und-Maus-Spiel, das für Verwirrung sorgen soll. Leider ist das jedoch nicht nur für den Antagonisten der Fall. Auch der*die Zuschauer*in fragt sich zwischendurch, was hier eigentlich abgeht. Durch die Vielzahl an Figuren, die alle verschiedene Aufgaben haben, wird aus den Handlungssträngen zwischenzeitig eher ein Handlungsknoten, den nichtmal Houdini in 142 Minuten Filmdauer lösen könnte. So wird der Eindruck erweckt, dass auch der Film an sich eher nach dem Plan handelt, keinen Plan zu haben. Ein Vorwurf, dem sich auch schon der Vorgänger, “Grindelwalds Verbrechen”, stellen musste.

Die Lösung für dieses Problem sollte bei “Dumbledores Geheimnisse” in Form von Steve Kloves kommen. Kloves war der Screenwriter von sieben der insgesamt acht Harry-Potter-Instanzen und hatte bereits bewiesen, dass er J.K. Rowlings komplexe Welt der Bücher sehr gut in die kompakte Welt der Filmscripts übertragen konnte. Nun sollte er also mit J.K. Rowling zusammen für den Film schreiben. Man sieht seinen Einfluss auf das Script an manchen stellen des Films zwar durchaus positiv durchscheinen, aber trotzdem wirkt der Film oft gleichzeitig gehetzt und langatmig und alles in allem etwas ziellos. Das vergisst man allerdings schnell wieder, wenn das 200-Mio.-Dollar-Spektakel – so viel hat der Film nämlich gekostet – tief in die CGI-Kiste greift und ein paar sehr beeindruckende Visual Effects auspackt. Trotzdem bleibt manches in dem Film rätselhaft.

Rowlings Geheimnisse

Die Harry-Potter-Enthusiast*innen, die sich mit “Dumbledores Geheimnisse” Antworten auf die vielen Fragen aus Teil zwei erhofft hatten, werden in vielerlei Hinsicht leider enttäuscht. Es wirkt, als ob J.K. Rowling sich nicht mehr an die Regeln ihrer eigens kreierten Welt hält, die so liebevoll, komplex und wunderbar weird ist. Es sind zwar meist nur Kleinigkeiten, wie beispielsweise, dass Dumbledore nicht “Verteidigung gegen die dunklen Künste”, sondern “Verwandlung” unterrichtet hat, oder etwa, dass Minerva McGonagall, die im Film als Lehrerin auftaucht, eigentlich erst 1935 geboren wurde. Allerdings fragt man sich eben deshalb, weil es solche Kleinigkeiten sind, warum die Entscheidung getroffen wurde, sich nicht an die Informationen der Buchvorlage zu halten. Es kommt einem wie ein komischer Fanservice vor, der die Hardcore-Fans eher re-serviert werden lässt.

Aber möglicherweise ist dies auch Teil eines größeren Plans, den J.K. Rowling gerade ausheckt. Vielleicht ist es ein gewollter Aspekt der Narratologie dieser Reihe, dass manche Unstimmigkeiten bestehen und am Ende werden sie möglicherweise sogar aufgelöst. Ob Rowlings Geheimnisse eine bewusste narratologische Entscheidung sind, oder ob es sich bei der “Phantastische Tierwesen”-Reihe wirklich um ein planloses Spektakel handelt, wird sich in den nächsten Instanzen der Filmreihe zeigen.


Beitragsbild: Jules Marvin Eguilos

Urlaub für die Seele

Urlaub für die Seele

Wer möchte in der aktuellen Lage nicht gerne dem Alltag entfliehen und ein bisschen träumen? Dazu lädt die Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff ein. Sie entführt einen in eine wundervolle Welt, man macht beim Lesen quasi Urlaub und tut der Seele etwas Gutes.

Die Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff wurde 1826 erstmals in der Vereinsbuchhandlung in Berlin, samt einer anderen Novelle von ihm und unter dem Namen Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Zwei Novellen nebst einem Anhang von Liedern und Romanzen, veröffentlicht. Die Novelle stellt einen Klassiker der Spätromantik dar und hat in meiner Ausgabe, inklusive Anmerkungen und Nachwort, 126 Seiten. Während die Geschichte selbst 101 Seiten umfasst, besteht der reine Fließtext nur aus 96 Seiten. In der Novelle wird der Sohn eines Müllers von diesem fortgeschickt, da er ihn als Taugenichts ansieht. Die Erzählung begleitet die Hauptfigur auf seiner Reise durch Europa, wobei auch immer wieder Gedichte und Lieder im Text auftauchen.

Wohin ich geh und schaue,

In Feld und Wald und Tal

Vom Berg ins Himmelsblaue,

Viel schöne gnäd’ge Fraue,

Grüß ich Dich tausendmal.

Aus dem Leben eines Taugenichts, S. 9

Die Hauptfigur startet nach seinem Rauswurf von Zuhause seine Reise vergnügt mit seiner Geige im Schlepptau, ohne jedoch ein genaues Ziel zu haben. Bald kommt eine Kutsche mit zwei Damen an ihm vorbei, denen die Musik des jungen Mannes gefällt. Anschließend nehmen sie ihn mit zu ihrem Schloss in der Nähe von Wien, wo er zunächst als Gärtnerbursche arbeitet, dann zum Zolleinnehmer aufsteigt und sich in die jüngere der Damen verliebt. Im Garten des Zollhauses pflanzt er sodann Blumen an, die er seiner Angebeteten immer wieder heimlich bringt. Er beschließt auch, nicht mehr zu reisen, sondern sein Geld zu sparen und noch etwas Großes zu erreichen. Eines Tages erblickt er jedoch seine Angebetete zusammen mit einem Offizier und sieht sie als unerreichbar an, woraufhin er seine Sachen packt und das Schloss verlässt. Auf seiner anschließenden Reise geht er nach Italien und kehrt letztendlich auf das Schloss zurück. Seine Wanderung hat noch einige Irrungen und Wirrungen zu bieten.

Als ich eine Strecke so fortgewandert war, sah ich rechts von der Straße einen sehr schönen Baumgarten, wo die Morgensonne lustig zwischen den Stämmen und Wipfeln hindurchschimmerte, dass es aussah, als wäre der Rasen mit goldenen Teppichen belegt. Da ich keinen Menschen erblickte, stieg ich über den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behaglich unter einem Apfelbaum ins Gras […]

Aus dem Leben eines Taugenichts, S. 28

Das Lesen des Buches war für mich wie Urlaub. Es entführt einen in eine herrliche Welt, in der alles blüht und die Natur einfach wunderschön ist. Man möchte am liebsten auch fortgehen und eine wundersame Reise erleben. Solche Landschaftsbeschreibungen sind typisch für die Romantik. Obwohl die Novelle weltfremd ist, gerade am Ende, mindert dies jedoch nicht ihre Wertigkeit. Ein fiktiver Text muss nicht realitätsnah sein, damit er gut ist.

So irrte ich den ganzen Tag herum, und die Sonne schien schon schief zwischen den Baumstämmen hindurch, als ich endlich in ein kleines Wiesental hinauskam, das rings von Bergen eingeschlossen war und voller roter und gelber Blumen war, über denen unzählige Schmetterlinge im Abendgolde herumflatterten.

Aus dem Leben eines Taugenichts S. 30

Die Novelle ist absolut empfehlenswert, da man in eine wundervolle Welt eintaucht, dem Alltag entflieht und auf eine schöne Reise geschickt wird. Zudem ist der Text nicht allzu lang, sodass man ihn schnell gelesen hat. Was jedoch für manche abschreckend sein könnte: es ist ein gelbes Reclam-Buch. Auch wenn einige Deutschlehrer*innen in der Schulzeit bei manchen damit vielleicht ein Trauma hinterlassen haben: bekämpft dieses Trauma, indem ihr euch an diese Novelle wagt. Es lohnt sich wirklich! Vielleicht lernen einige von euch damit auch wieder das Lesen lieben, denn es gibt doch nichts Besseres, als alles um einen herum zu vergessen und in eine andere Welt einzutauchen.

Beitragsbild: Kirstin Seitz

Falls du nicht nachdenken kannst oder willst, leg das Buch weg!

Falls du nicht nachdenken kannst oder willst, leg das Buch weg!

Zwei Jahre Pandemie und jeden Tag stellt man sich die Frage, ob Menschen – und vor allem Entscheidungsträger*innen – eigentlich irgendetwas aus diesen zwei Jahren gelernt haben und diese neuen Erfahrungen vielleicht auch endlich einmal anwenden können. Dario Schramm erlebte die letzten zwei Jahre als Schüler einer gymnasialen Oberstufe mit all den Problemen, die nicht nur seit 50 Jahren ignoriert, sondern seit zwei Jahren immer akuter werden. In seinem Buch Die Vernachlässigten rechnet er mit dem deutschen Bildungssystem ab, bringt aber auch Vorschläge zur Verbesserung.

Die Vernachlässigten erschien am 31. Januar 2022 und umfasst 137 Seiten. 118 Seiten reiner Fließtext teilen sich somit auf Vorwort, Einleitung, neun Kapitel und Epilog auf. Die Kapitel widmen sich einzelnen Schwerpunkten innerhalb des Bildungssystems, wie beispielsweise der Digitalisierung, Schulsozialarbeit oder der Inklusion.

Dario Schramm ist Jahrgang 2000 und machte 2021 sein Abitur in Nordrhein-Westfalen. In seinem letzten Schuljahr begleitete er das Amt des Generalsekretärs der Bundesschüler*innenkonferenz – sozusagen war er Schülersprecher aller Schülersprecher*innen. Seit Herbst 2021, also seit dem letzten Wintersemester, studiert er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder Recht und Politik. Im Einleitungstext gibt Dario Schramm erst einmal einen kleinen Überblick über die Situation, wie er sie in den letzten zwei Jahren erlebt hat. Er schreibt von Parkplatztreffen mit seinen Mitschüler*innen, wie die Frustration über die Situation immer weiter anstieg, dass er nichts von Lehrerbashing hält und wie er seinen Weg in die Schulpolitik fand.

Wir kennen es alle!

Jede Person hat eine Schule von innen gesehen. Die Mehrheit kennt demnach den maroden Zustand staatlicher Schulen: bröckelnder Putz, verstopfte Toiletten, undichte Dächer. Auch Dario Schramm kann ein Lied von der schlechten baulichen Substanz singen, was er in seinem ersten Kapitel auch gleich tut. Beim Lesen musste ich feststellen, dass meine Gefühle zwischen Lachen und Weinen wanderten, denn so lustig die Geschichte mit der Kaffeemaschine im Lehrer*innenzimmer, die den Stromkreis überlastete, weswegen im Raum darunter die Lichter flackerten, auch ist: Sie zeigt, wie bescheiden es um deutsche Schulen steht. Würde man Schüler*innen fragen, welche Probleme sie so kennen – jede*r von ihnen hätte etwas zu erzählen.

Für eine Wirtschaftsnation wie die deutsche ist es schlichtweg verwerflich, in welchem maroden Zustand unsere Schulen und damit unsere Nachwuchsstätten sind. Ursache des Problems ist, dass die Gebäude in kommunaler Hand sind. Denn ausgerechnet die Kommunen sind finanziell schwach aufgestellt.

Dario Schramm, S. 25

Dieses erste Kapitel zeigt bereits, wie genau sich Schramm mit dem deutschen Schulsystem und der Verwaltung von Schulen und dem Personal auseinandergesetzt hat. Er weiß, wie Bauaufträge ausgeschrieben werden müssen. Er hat sich mit dem Fachkräftemangel auseinandergesetzt, der über das Gesundheitswesen hinausgeht. Schramm erklärt ausführlich, wie Lehrer*innenstellen vergeben werden und wo die Probleme von “normalen” Lehrer*innen auf Stellen für die Sonderpädagogik liegen. Außerdem gibt er einen Einblick zu der Vergabe von Schulsozialarbeiter*innen.

Die Corona-Pandemie hat nicht nur beim Thema Digitalisierung große Unterschiede deutlich gemacht. Mittellose Bildungssystem-Teilnehmende haben in der Pandemie keine Chance gehabt, vernünftig an der Bildung zu partizipieren. Doch auch davor war es für genau diese Akteure bereits schwierig. Bildung ist eben nicht für jede Person kostenlos. Egal, ob Digitalpakt Schule, die Kultusminister*innenkonferenz, Förderprogramme für einkommensschwache Familien: die Hürde Bürokratie zieht sich durch unser Bildungssystem.

Doch auch von Seiten des Lehrapparats gibt es große Defizite: Schramm selbst weist jedoch eindeutig daraufhin, dass dies selten an den Lehrer*innen selbst liegt, sondern viel mehr ein Problem innerhalb der Ausbildung des Lehrkörpers ist. Dass Schüler*innen mit Talenten und Begabungen oft einen Nachteil dadurch erfahren, dass das Lehrpersonal schlichtweg damit nicht umzugehen weiß, sieht er ebenfalls als Barriere. Er zeigt auf, wieso Schulen oft als feindliches Biotop betrachtet und weniger als motivierender Lernort gesehen werden.

Ich verbinde Schule (aus eigener leidvoller Erfahrung) mit harten Stühlen, kantigen Tischen und einem verkrusteten System alter, eingestaubter Denkweisen.

Dario Schramm, Seite 28

Lesenswerter Mehrwert

Für mich persönlich haben die ersten Kapitel zu Modernisierung, Digitalisierung und zur Kommunikation vor allem neue Einblicke in ein System gebracht, welches ich bis dahin lediglich als Schülerin kennenlernte und weniger als Akteurin, die in diesem für Veränderungen sorgen möchte. Die drei Kapitel haben dazu beigetragen, dass ich öfter mit dem Kopf geschüttelt habe, als ich eigentlich wollte. Außerdem helfen die Kapitel dabei, ein unfassbar bürokratisches System zu sehen, in dem es niemanden mehr wundern sollte, dass alles so bescheiden läuft.

Ebenfalls etwas Neues stellt für mich das Kapitel zur Schulsozialarbeit dar. Ja, mir ist klar, dass es so etwas gibt. Ich selbst bin jedoch nie damit in Berührung gekommen und zu meiner Schulzeit – das klingt jetzt so als wäre ich super alt, aber mein Abitur liegt eigentlich erst sechs Jahre zurück – gab es schlichtweg in meiner Region keine Schulsozialarbeiter*innen. Ähnlich die Situation um die Inklusion: Meine Schulen waren alle DDR-Bauten. Da war nicht viel mit Fahrstühlen oder Klassenräumen, die für jeden Menschen zugänglich sind. Schramms Buch gibt also auch mir, die doch eigenltich noch jung und frisch aus dem System “Schule” heraus ist, einen neuen Blick und vor allem neue Informationen.

Ein bisschen Kritik

Schramms Buch soll zum Nachdenken, zur Reflexion und vor allem zum Hinterfragen der derzeitigen Situation an unseren Schulen und in unserem Bildungssystem anregen. Das schafft es definitiv! Dass es dabei auch noch leicht verständlich und gut erklärt wird, ist ein großer Bonuspunkt. Doch an der ein oder anderen Stelle habe ich mich auch widersprechen gehört (oder gedacht). Natürlich sind Schramms Ideen eben nur als genau das gedacht: Ideen, Vorschläge, Handlungsmöglichkeiten. Doch man darf ja trotzdem widersprechen. Zum Beispiel bei dem “einfachen” Gedanken, den Numerus Clausus an Universitäten für Berufe mit Mangel herunterzusetzen. Das Problem ist komplexer und wird nicht durch das Aussetzen des NCs verbessert – was drei Jahre Hochschulpolitik doch mit einem machen.

Auch der Punkt der Lizenzen in der Online-Lehre hat mich etwas aufhorchen lassen. Ja, man kann durchaus Geld für bereits vorhandene – datenschutzrechtlich fragwürdige – digitale Infrastruktur ausgeben. Der richtige Weg ist länger, aber effektiver, weil er unsere eigene Infrastruktur, unsere Rechenzentren, unsere Server stärkt.

Wenn ihr, nachdem ihr dieses Kapitel gelesen habt, einfach die Seite umblättert, ohne euch Gedanken über das zu machen, was ich gerade geschrieben habe, empfehle ich euch: Legt das Buch lieber gleich weg!

Dario Schramm, Seite 71

Fazit

Es gibt innerhalb des Buches durchaus noch weitere Punkte, die ich anders denken würde. Doch dafür ist diese Rezension nicht gedacht. Worauf ich eigentlich hinaus möchte: Das Buch ist sehr gut und verständlich geschrieben. Man merkt, dass Dario Schramm sich in das System eingearbeitet hat und er auch komplexe Vorgänge mit einfachen Worten erklären und darlegen kann. Man kann seine Gedanken verstehen, seine Wut nachempfinden und reflektiert auch die eigene Position beim Lesen – sofern man kritisch mit seinen eigenen Privilegien umgehen kann. Eine meiner Notizen an einem Absatz ist wortwörtlich: “diggi, bin ich priviligiert” – was vollkommen ernst gemeint ist.

Dieses Buch hat mir mehrfach Gänsehaut bereitet. Bei jedem Fachkräftemangel – seriously, ich hatte ja keine Ahnung, wie schlimm es wirklich ist! – stellte sich mir die Frage, ob man in solch ein kaputtes System wirklich ein Kind setzen möchte. Wenn es um die Kultusminister*innenkonferenz oder das Bildungsministerium ging, kam mir mehrmals die Frage, ob die damalige Bildungsministerin überhaupt ihre Kompetenzen kannte – es wirkt jedenfalls nicht so.

Die Probleme unseres Bildungssystems sind unfassbar vielfältig und vielschichtig, doch Dario Schramm schafft es, diese Probleme in neun Kapiteln und 137 Seiten darzulegen, Möglichkeiten der Verbesserung aufzuzeigen und vor allem zum Nachdenken anzuregen. Ich hoffe, dass es nicht nur mir so erging. Denn eine Reform hat unser Bildungssystem dringend nötig und dieses Buch gibt einen guten Überblick über die Großbaustellen.

Vielleicht zum ersten Mal in unserem Leben begreifen wir, was Schule neben der Vermittlung von Lerninhalten ist: soziales Netz, Ort des Austauschs, Zentrum der Kommunikation.

Dario Schramm, Seite 15

Beitragsbild: Laura Schirrmeister

Streamingdienst der Stadtbibliothek – Das Herausstechen aus der Masse

Streamingdienst der Stadtbibliothek – Das Herausstechen aus der Masse

Netflix, Amazon Prime, Disney Plus, Hulu, HBO Max, RTL+, Youtube premium, Joyn Plus, Sky, Apple TV+… . Streaming regiert die Abendunterhaltung wie Oasis den Wunsch nach Vereinigung, Take That den Wunsch nach Trennung, „We don’t talk about“ Bruno das Herz von Kindern und das Lineal die Kurvendiskussion (wegen ruler…). So stellt sich doch die Frage, worin sich die einzelnen Anbieter noch unterscheiden? Exklusivtitel und Eigenproduktionen locken, jedoch erscheint der berühmte Markt übersättigt durch das Vollgestopfte, mit animierten Sitcoms von super spritzig verrückten Familien, Reality TV über die wirklich wahre Liebe und Filme von und mit Timothée Chalamet und Ryan Reynolds. Bibliotheken des Landes haben dagegen einen Anbieter vorzuweisen, bei dem nun auch die Stadtbibliothek Greifswald Mitglied ist, welcher die Frage mit einem einzigartigen Angebot in ein ganz neues Licht rückt.

Was ist es?

Die Stadtbibliothek Greifswald hat seit dem 15. Dezember das Streamingportal filmfriend in ihr Angebot aufgenommen. Dabei handelt es sich um eine Plattform für Bibliotheken in ganz Deutschland, die Filme zeigt, die sonst selten bei klassischen Streaminganbietern gefunden werden können.
Die Stadtbibliothek schreibt selbst:
Angemeldete Nutzer*innen der Stadtbibliothek können das Filmstreamingportal filmfriend kostenfrei nutzen und damit über 3.000 Filme online schauen. Die Anmeldung erfolgt mit Benutzernummer (auf dem Leserausweis) und Passwort der Stadtbibliothek. Das filmfriend-Angebot umfasst vor allem deutsche und europäische Titel, Arthouse-Fime, Filmklassiker, Kurzfilme, Serien und Dokumentarfilme sowie eine große Filmauswahl für Kinder und Jugendliche.

Was kann es?

Was der Plattform von vornherein zu Gute kommt, ohne das weitere Angebot zu betrachten, ist der unschlagbare Preis. Kostenfrei ohne versteckte Nebenkosten für Bibliotheksmitglieder kann sich wirklich sehen lassen. Interessierte ohne Mitgliedschaft können diese für einen jährlichen Tarif von 15€ (10€ für Studierende) abschließen und dabei auch noch von den physischen Qualitäten der Stadtbibliothek profitieren. Diese stehen im Verhältnis zu monatlichen Beiträgen von meist 8-15€ der klassischen Anbieter, die aufgrund der Andersartigkeit des Angebots aber auch schwer zu vergleichen sind.

Das wichtigeste Herausstellungsmerkmal von Filmfriend lässt sich im Filmangebot ausmachen. Nur um es mal so zu sagen: es gibt vermutlich eine ganze Sammlung von Filmen aus jedem Land Europas, wenn nicht der ganzen Erde, die in irgendeiner Art prämiert wurden. Die Spanne läuft vom dänischen Königshaus zu einem rumänischen Mädchen, das seine Familie nicht mag hin zu einem Pferd aus Finnland. Dazu kommen eine raue Anzahl an Buchverfilmungen, was bei einem Dienst der Bibliothek vermutlich nicht besonders überraschend, aber auch dementsprechend umfangreich ist. Dokumentationen, die in dieser Anzahl und Qualität wohl nur in der zu guten Arte Mediathek gefunden werden können. Trotzdem sind aber auch viele Fernseh- und Kinofilme verfügbar. So gibt es wohl jeden Film mit Daniel Brühl, dem deutschen Bradley Cooper, Lars Eidinger, dem deutschen Neil Patrick Harris und Mads Mikkelsen, dem dänischen Daniel Brühl. “The King’s Speech” hat nicht umsonst vier Oscars gewonnen, “Die Königin und der Leibarzt” fesselt emotional und “Submarine” muss nicht nur aufgrund der Vertonung von Alex Turner zu den besten Coming of Age Dramen gehören. Zu alldem kommt das angesprochene Unterscheidungsmerkmal: Filmfriend weist Filme auf, die in dieser Anzahl wohl nirgends zu finden sind. Als Beispiel dafür gibt es eine ganze Sammlung von in der DDR verbotenen Filmen, die zum Teil erst nach der Wiedervereinigung aus übriggebliebenen Resten zusammengesetzt und hier digital verfügbar gemacht wurden. „Die Russen kommen“ von 1968 zeigt, wie Jugendliche des Nationalsozialismus in der Endzeit des 2. Weltkriegs zwischen Glaube an den Endsieg und völliger Verzweiflung als letzte Verteidigung in den Krieg ziehen mussten. Wenn wir schon bei so aktuell anklingenden Themen sind, muss auch für das Drama “Donbass“, welches den seit 2014 anhaltenden Konflikt in der Ukraine dokumentiert, eine Empfehlung ausgesprochen werden.

Filmfriend hat nicht diese Eigenproduktion, die zur teuersten Serie aller Zeiten werden kann. Aber vermutlich macht das die ganze Plattform zu etwas besonderem, dass sie ein kleines Stück weg vom Kommerz kommt und die Welt so zeigt, wie sie eben ist. Wenig Hollywood Bling Bling dafür mehr echte Emotionen, echte Menschen, echtes Leben. Das Fazit kann daher nur eine absolute Empfehlung an alle Mitglieder der Bibliothek sein, einfach mal reinzuschauen, sowie der Überzeugungspunkt für alle, die an einer Mitgliedschaft noch zweifeln.

Beitragsbild von Glenn Carsten-Peters auf unsplash.com