Rezension: “der herzerlfresser” am Theater Vorpommern

Rezension: “der herzerlfresser” am Theater Vorpommern

Fans von True-Crime und Theater aufgepasst! Es ist eine grausame Mordserie, wie sie im Buche steht. Alles nur Fiktion könnte man meinen. Und doch basiert das Werk “der herzerlfresser”, eine Inszenierung zwischen Krimi und dunkler Komödie, auf einer wahren Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert. Am 20.04.2024 besuchte unsere webmoritz.-Redakteurin Klara die Premiere im Theater Vorpommern Greifswald und darf nun ihre Eindrücke aus der Vorstellung schildern.

Die Vorgeschichte

Es ist der 15.01.1786 in der Region Kindberg, der österreichischen Steiermark. Eine junge Frau, die Dienstmagd Magdalena Angerer, verschwindet kurz vor ihrer Hochzeit plötzlich spurlos. Zwei Wochen später, am 02.02., findet ein Bauer einen nackten Leichnam mit abgetrenntem Kopf und dazu einige Kleiderreste. Angelockt wird der Mann angeblich durch Rabengeschrei. Es ist der Körper von Magdalena Angerer, deren Ermordung eine ganze Region erschüttert. Einen Monat später wird Paul Reininger, ein dreißigjähriger Knecht, durch zwei Bauern des Mordes beschuldigt. Reininger soll am Abend der Tat betrunken gewesen und durch Augenzeugen schlafend in der Nähe des Tatorts gesehen worden sein.

Als man seine Unterkunft durchsucht, werden tatsächlich das blutige Brautkleid Magdalena Angerers, ihr Brautkranz und – umso schlimmer – die Hälfte eines menschlichen Herzens gefunden. Reininger wird festgenommen und gesteht nicht nur den Mord, sondern auch weitere bislang unaufgeklärte Taten. Außer Magdalena Angerer hatte er im Laufe der Jahre noch vier weitere Frauen und ein achtjähriges Mädchen umgebracht. Von jenem Mädchen stammte das halbe Herz, welches die Beamten in Reiningers Unterkunft gefunden hatten. Die andere Hälfte, wie auch die Herzen von Magdalena Angerer und anderer Opfer, hatte er in dem Glauben, es würde ihm Glück bringen und ihn „unsichtbar“ machen, gegessen. Dieses schreckliche Detail brachte ihm den Namen „Der Herzerlfresser“ ein. Weitere Mordmotive Reiningers waren hauptsächlich Habgier und von ihm zuvor begangene Sexualdelikte. Ein zunächst verhängtes Todesurteil vom 24.04.1786 wurde in eine Züchtigungs- und Haftstrafe umgewandelt. Reininger verstarb schließlich am 17.11. desselben Jahres im Gefängnis.

Die Handlung

Der österreichische Schriftsteller, Dramatiker und Theaterwissenschaftler Ferdinand Schmalz greift 2015 in seinem Stück die bestialischen Taten aus dem 18. Jahrhundert erstmals auf. Ein neues Einkaufszentrum wird gebaut. Das Großprojekt soll zum Zentrum des Aufschwungs und der Begegnung werden. Es ist verkehrsgünstig gelegen, soll frischen Wind in die Region bringen. Doch da es auf einem Sumpf errichtet wurde, kommt es bereits vor der Eröffnung zu ersten Problemen. Durch Risse im Boden dringt mooriges Wasser in das Einkaufszentrum. Und es kommt noch schlimmer. In kurzer Zeit findet man auf dem Gelände zwei Frauenleichen. Ihre Herzen wurden herausgeschnitten. Der Bürgermeister der Stadt, der sich die Eröffnung des Prestigeobjekts zur „Herzensangelegenheit“ gemacht hat, beauftragt einen Wachmann, den Fund der Leichname zu vertuschen und auf eigene Faust undercover zu ermitteln. Inszeniert wird das Stück am Theater Vorpommern durch Regisseur Niklas Ritter.

Persönliche Erwartungen

Als ich mich zum ersten Mal mit der Vorgeschichte des Stücks befasste, muss ich zugeben, dass es mir angesichts solch kaltblütiger Taten Schauer über den Rücken jagte. Obwohl es nicht der erste Kriminalfall – ja, nicht einmal der grausamste – war, mit dem ich mich konfrontiert sah (danke an dieser Stelle an die vielen True-Crime-Podcasts auf dem Markt), weckte die Geschichte bei mir ein Kopfkino, was mich wohl erwarten würde. Wie explizit würden die Szenen sein? Würde ich Angst, Ekel, vielleicht Faszination empfinden? Und worum geht es hierbei wirklich? Vielleicht um eine Form der Kritik am Kapitalismus, um die Verdrängung der Natur durch den Konsum? Die vom Theater vorab freigegeben Fotos ließen erahnen, dass es sich um eine Inszenierung mit moderner Kulisse und farbenfroher Kostümierung handeln würde. Da ich schon andere Aufführungen am Theater Vorpommern besuchen dürfte, war ich mit den schauspielerischen Leistungen von Philipp Staschull, Markus Voigt, Amelie Kriss-Heinrich, Olivier Günter und Susanne Kreckel bereits vertraut und bisher immer begeistert gewesen. Umso gespannter auf die Premiere begab ich mich also am 20.04. in den Rubenowsaal der Stadthalle Greifswald.

(Viel) Lob und (wenig) Kritik

Zuallererst war es erfreulich zu sehen, dass das Publikum in der ausverkauften Premiere einen hohen Anteil an jungen Zuschauer*innen aufwies. Bereits während des Anschauens wurde meine Einschätzung bestätigt, dass die Inszenierung für ein gemischtes Publikum, mit Zuschauer*innen ab einem Alter von etwa 15 Jahren, geeignet ist. Im Stück werden zwar zum einen der Kapitalismus und die Folgen von Konsumrausch und Profit thematisiert, im Vordergrund steht jedoch vorrangig eines: die Liebe. Genauer gesagt, der vielfach mit ihr einhergehende Herzschmerz und die Probleme des modernen Datings, wie beispielsweise das Empfinden wahrer, tiefer Zuneigung und die Vereinigung mit einem Menschen. All dies sind Themen, die auch jüngere Zuschauer*innen ab einem gewissen Alter nachvollziehen können. Auch die Darstellungen von Gewalt und Tod sind nicht zu explizit. Zwar wird mit (spritzendem) Kunstblut gearbeitet, jedoch in einem erträglichen Maße. Für besonders empfindliche Gemüter sei jedoch angemerkt, dass einige detaillierte Beschreibungen, wie beispielsweise Monologe über das Aufschneiden eines Körpers oder auch Szenen von gewaltsamen Übergriffen durchaus vorkommen. Die Handlung ist sehr kurzweilig und trotz der teilweise etwas gekünstelten Sprachspiele, bei welchen die österreichischen Einflüsse erkennbar sind, kann man den Darstellungen sehr leicht folgen. Auch die Tatsache, dass der historische Hintergrund der Inszenierung mit eingewoben wurde, hat noch einmal viel zum Verständnis beigetragen, wobei ich mir – und das betrifft wohl eher das Stück an sich – fast noch etwas mehr Bezug zu der Geschichte des Paul Reininger gewünscht hätte.

Die schauspielerische Leistung der Darsteller*innen kann ich wie immer nicht genug loben. Jede Figur war dreidimensional und hatte etwas Spannendes für sich, sodass man sich nicht nur auf eine einzige Person auf der Bühne fokussierte. Eigentlich gab es immer etwas Neues zu entdecken, sogar in den vielen Szenen, in welchen die Figuren im Chor sprachen oder sangen. Dazu beigetragen hat sicherlich die bewegliche Kulisse, welche dafür sorgte, dass meistens alle Schauspieler*innen zugleich auf der Bühne vertreten waren. Insbesondere zwei Leistungen möchte ich an dieser Stelle hervorheben, zum einen die Performance von Philipp Staschull als gangsterer rudi, welcher sowohl in Highheels als auch durch die humorvollen Dialoge mit dem Bürgermeister acker rudi (Markus Voigt) auffiel. Zum anderen beeindruckte Olivier Günter als pfeil herbert mit seinen vielfältigen Lautimitationen, beispielsweise von Schritten im Moor oder auch der Benutzung eines WCs, welche das Publikum zum Lachen brachten. Dass man speziell für seine Rolle zwischenzeitig beinahe Mitleid empfinden und Verständnis aufbringen konnte, spricht schon sehr zum einen für die schriftstellerischen Leistungen von Ferdinand Schmalz und zum anderen natürlich auch für den Schauspieler selbst.

Ohne das Ende an dieser Stelle groß zu spoilern, möchte ich dazu doch sagen, dass man einerseits natürlich den Rubenowsaal mit einem positiven Gefühl verließ und ohne viel Gruseln über die Taten des Paul Reininger in den Abend entlassen wurde. Andererseits fehlte für meinen Geschmack jedoch etwas die Reflexion über das „Happy End“, welches bei mir ein kleines Fragezeichen hinterließ. Vielleicht – wahrscheinlich – ist dies jedoch beabsichtigt und soll die Zuschauer*innen zum Nachdenken über die bereits erwähnten Themenkomplexe anregen.

Insgesamt kann ich das Stück ab einem gewissen Mindestalter allen empfehlen, die sich an der künstlerischen Verarbeitung eines historischen Kriminalfalls mit viel Humor, farbenfrohen Kostümen und etlichen Szenen „fürs Herz“ (*Augenzwinker*) erfreuen möchten.

Weitere Termine

Wer sich ein eigenes Bild dieser gelungenen Inszenierung machen und sich auf die Spuren einer grausigen Mordserie aus dem 18. Jahrhundert begeben möchte, kann dies an folgenden Terminen tun:

  • Sonntag, 28.04., 18:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Freitag, 17.05., 20:00 Uhr, Gustav-Adolf-Saal / Kirche St. Jakobi Stralsund
  • Dienstag, 21.05., 20:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Donnerstag, 23.05., 20:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Freitag, 14.06., 18:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Dienstag, 25.06., 20:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Donnerstag, 27.06., 20:00 Uhr, Gustav-Adolf-Saal / Kirche St. Jakobi Stralsund

Weitere Informationen gibt es hier im Programm: https://www.theater-vorpommern.de/de/programm/der-herzerlfresser

Beitragsbild: Peter Van Heesen


Zur Person der*des Autor*in

Filmrezension: The Zone of Interest

Filmrezension: The Zone of Interest

Triggerwarnung: In diesem Artikel wird über die schweren Kriegsverbrechen im Konzentrationslager Auschwitz während des zweiten Weltkrieges gesprochen.

Die Schrecken hinter den Mauern der Konzentrationslager während des Zweiten Weltkrieges sind jedem bekannt. Der Horror, den die Gefangenen dort tagtäglich durch die Hand der Nazis durchleben mussten. Der oscarprämierte Film “The Zone of Interest” spielt direkt vor den Mauern des Konzentrationslagers in Auschwitz und zeigt den Alltag der Familie des KZ-Kommandanten Höß.

Der Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer, welcher auch das Drehbuch geschrieben, hat, wurde bereits 2023 bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt. Im deutschsprachigen Raum startete der Film am 29. Februar 2024 in den Kinos. Es handelt sich bei dem Projekt um eine internationale Koproduktion zwischen dem Vereinigten Königreich, den USA und Polen. Die Hauptrollen übernahmen die beiden deutschen Schauspieler*innen Christian Friedel und Sandra Hüller.
Gedreht wurde an den Originalschauplätzen in Auschwitz. Das Haus der Familie Höß wurde für den Dreh nachgebildet und innerhalb des Hauses wurden mehrere versteckte Kameras eingebaut, was es ermöglichte, dass die Schauspieler*innen sich ohne Filmteam frei in den Räumen bewegen konnten. Es wurde außerdem während der Dreharbeiten kein künstliches Licht verwendet, damit die Szenerie nicht zu ästhetisch wirkt. 

Trailer

Die Familie Höß

Der Film begleitet die Familie Höß in ihrem alltäglichen Leben direkt neben dem Konzentrationslager Auschwitz, wie es auch wirklich stattgefunden haben könnte, denn die Charaktere im Film basieren auf historischen Personen. Der Familienvater Rudolf Höß baute 1940 im Auftrag Heinrich Himmlers das Konzentrationslager Auschwitz auf, welches aufgrund der vielen Gefangenen, die dorthin gebracht wurden, immer wieder vergrößert wurde. Täglich kamen Züge mit neuen Gefangenen aus ganz Europa. In den folgenden Jahren organisierte Höß den Massenmord der Gefangenen in den Gaskammern. Bis 1943 war er Kommandant des Konzentrationslagers. Dann wurde er abberufen und als Leiter der für die Konzentrationslager zuständigen Amtsgruppe D im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt eingesetzt. Bereits ein Jahr später wurde er wieder nach Auschwitz zurückbeordert, um die Leitung der Massenermordung der ungarischen Juden zu übernehmen. Insgesamt starben in Auschwitz und den dazugehörigen Außenlagern mindestens 1,1 Millionen Menschen. 

Das Grundstück der Familie Höß grenzte an die Außenmauer des Konzentrationslagers. Eine künstlich geschaffene Idylle mit Blumenbeeten, einem Gartenhaus und Pool direkt neben dem Horror. Während ihr Mann tagsüber im Lager arbeitete, kümmerte sich Hedwig Höß um den Garten der Familie, befehligte ihre Bediensteten und die Gefangenen, die für die Familie arbeiteten, und zog ihre fünf Kinder auf. Machten die Gefangenen, die für die Familie arbeiteten, einen Fehler, mussten sie den Tod befürchten. In der filmischen Umsetzung droht Hedwig einem Mädchen beispielsweise damit, dass, wenn sie es wollte, ihr Mann Rudolf die Asche des Mädchen über die Felder von Babice verteilen würde. Tatsächlich wurde die Asche aus den Krematorien als Dünger für die Pflanzen im Garten der Familie benutzt.

„Rudolf nennt mich die Königin von Auschwitz.”

Hedwig Höß (gespielt von Sandra Hüller) zu ihrer Mutter (gespielt von Imogen Kogge)

Bereits zu Beginn des Films überreicht ein Häftling der Hausherrin einen Beutel mit Kleidung, darin befinden sich mehrere Stücke von denen sich die Mädchen im Hause jeweils eines aussuchen dürfen. Währenddessen geht Hedwig in das elterliche Schlafzimmer und probiert dort einen Pelzmantel an. In dessen Tasche findet sie außerdem einen Lippenstift, den sie ausprobiert, aber dann sofort wieder abwischt. Bei all dieser Kleidung handelt es sich um die ehemaligen Besitztümer von Gefangenen.

„Die Kinder der Familie und die Ehefrau trugen Kleider von Menschen, die ihr Mann und Vater vergast hatte.”

Historikerin Raphaela Schmitz (2019)

Die Familie lebte bis 1944 neben dem Lager, bis Rudolf Höß endgültig von seinem Posten dort entbunden wurde. 1945 floh die Familie nach Flensburg und Rudolf Höß verschaffte sich dort unter falschem Namen Arbeit, bis er ein Jahr später verhaftet wurde. Aufgrund seiner Kriegsverbrechen wurde Höß 1947 auf dem Gelände des Stammlagers in Auschwitz hingerichtet. Hedwig sagte als Zeugin bei den Frankfurter Auschwitzprozessen aus und gab sich dabei vor allem unwissend.

Die Idylle vor Augen, den Schrecken im Ohr

Durch die besondere Drehweise mit versteckten Kameras gibt es keinen Charakter, der besonders im Vordergrund steht oder dem die Kamera folgt. Die Zuschauenden versetzt dies in eine unbeteiligte Beobachtungsperspektive einer besonderen Art. Es ist, als würde man vom Nachbarhaus aus das Geschehen auf dem Grundstück der Familie Höß beobachten. Dadurch wird eine Distanz zu den Familienmitgliedern aufgebaut und eine persönliche Bindung könnte gar nicht erst entstehen. 

Es gibt im gesamten Film nur sehr wenige Szenen, die im Lager direkt spielen. Die Gewalt und der Horror, die sich innerhalb der Mauern des Konzentrationslagers in Auschwitz abspielen, werden nie direkt gezeigt, aber man kann sie den ganzen Film über hören. Man hört die Schüsse hinter der Mauer, während Hedwig ihrem Baby die Blumen im Garten zeigt. Man hört die Schreie der Insassen, während Hedwig sich im Gartenstuhl sonnt. Man hört das Brüllen der Wärter, während die Kinder im Garten spielen. Der Film spielt mit der Vorstellungskraft der Zuschauer*innen. Ohne den Horror direkt auf der Leinwand zu verbildlichen, werden durch die Sounds und die Filmmusik die Schrecken hinter der Mauer verdeutlicht. Diese kontrastreiche Umsetzung, in der Kinderlachen und Schüsse zeitgleich aus den Lautsprechern kommen, erschafft eine sehr bedrückende Atmosphäre. Man kann gar nicht glauben, dass das wirklich Realität war. Dass Menschen wirklich eine solch grauenhafte Ignoranz an den Tag gelegt haben und Augen und Ohren vor dem verschlossen haben, was neben ihnen geschah. 

Und plötzlich wird die Leinwand rot. Ein maschineller Sound erfüllt den Saal. Das Dröhnen wird immer lauter. Schreie vermengen sich mit den industriellen Klängen. Und dann Ruhe… Die Macher*innen des Films schaffen es auch hier durch den bloßen Einsatz von Klängen, die Schrecken von Auschwitz in den Köpfen der Zuschauer*innen hervorzurufen. Die Hintergrundgeräusche haben die wohl größte Macht im Film, denn vor allem in ihnen steckt der geschichtliche Hintergrund des Filmes. Die Geschichte, die hinter den Mauern passiert ist, die Hedwig mit Wein zuwachsen lassen will, damit man sie nicht mehr so sieht. 

Hinter der Mauer

Auch wenn sich das Gezeigte zum Großteil vor den Mauern des Konzentrationslagers abspielt, wird dennoch auch bildlich offenbart, was vor sich geht. So sieht man den Dampf der ankommenden Züge, die neue Gefangene ins Lager bringen. Man sieht die Rauchschwaden der Verbrennungsöfen. Sieht wie die Asche aus den Krematorien von einem Häftling als Dünger über die Erdbeerpflanzen verteilt wird und wie ein anderer das Blut von den Schuhen von Rudolf Höß abwäscht, nachdem dieser aus dem Lager nach Hause kommt.
In einer Szene wird Höß von anderen Männern die Funktionsweise eines Verbrennungsofens erklärt. Dabei wird von eben jenen Vertretern hervorgehoben, dass dieser besonders gut sei, da er im Dauerbetrieb eingesetzt werden könne. 
Als er einmal mit seinen Kindern im Fluss schwimmen ist, bemerkt er ein Knochenstück im Wasser, welches von den Krematorien stammt. Daraufhin sieht man, wie die Kinder von Hedwig und den Bediensteten schnell sauber gemacht werden.
Doch für Hedwig ist es ihr Traumzuhause, welches sie nicht einmal verlassen will, als ihr Mann für einige Zeit nach Oranienburg versetzt wird. 

Der Film macht deutlich, dass die Anwohner rund um die Lager gewusst haben müssen, was dort vor sich ging. Es wird gezeigt, wie Frauen die Fenster schließen und die Wäsche reinholen, wenn die Brennöfen im Krematorium laufen. Hedwigs Mutter, die zu Besuch ist, verlässt abrupt und ohne Verabschiedung das Haus, als sie scheinbar realisiert, was dort vor sich geht. Sie hinterlässt Hedwig einen Brief, den diese wütend verbrennt und daraufhin einer jungen Gefangenen mit der Einäscherung droht. 

Am Ende des Films wird das Konzentrationslager in der heutigen Zeit von innen gezeigt. Putzfrauen reinigen die Scheiben hinter, denen sich die Schuhe der Häftlinge türmen. Sie reinigen die Fußböden, und man sieht das erste und einzige Mal das Krematorium von innen. Danach springt der Film wieder in der Zeit zurück und zeigt Rudolf Höß; der Familienvater, der seinen Töchtern zum Einschlafen Gute-Nacht-Geschichten vorliest, und der Mann, der verantwortlich ist für all die Morde in Auschwitz. 

„Monster existieren, aber sie sind zu wenige, um wirklich gefährlich zu sein. Gefährlicher sind die einfachen Männer, die bereit sind zu glauben und zu handeln, ohne Fragen zu stellen.”

Primo Levi, Holocaust-Überlebender

Das Licht im Schatten

Zwischendurch taucht im Film immer wieder ein polnisches Mädchen auf, welches nachts auf den Feldern in der Nähe des Lagers für die dort arbeitenden Insassen Obst verteilt. Sie ist im Gegensatz zu der dunklen Nacht hell erleuchtet. Ihre Figur basiert auf einer polnischen Frau namens Alexandria, die der Regisseur Jonathan Glazer getroffen hat. Sie arbeitete im Alter von 12 Jahren für den polnischen Widerstand und fuhr mit ihrem Fahrrad zum Lager, um dort Äpfel zu verteilen. Glazer hat ihr diesen Film gewidmet.

„It was her bike we used, and the dress the actor wears was her dress. Sadly, she died a few weeks after we spoke.” 

Jonathan Glazer im Interview mit The Guardian (2023)

Mein Eindruck

Der Film ist definitiv durch die Art und Weise wie gedreht wurde, von einzigartiger Natur. Ebenso möchte ich auch die schauspielerische Leistung von Sandra Hüller (Hedwig) und Christian Friedel (Rudolf) hervorheben, die die Ignoranz, Empathielosigkeit und Gefühlsarmut ihrer Charaktere absolut überzeugend dargestellt haben. Der Film ist ein Kunstwerk, das mit Farben und Klängen erschaffen wurde und das Schreckliche abbildet.

Es ist auch gleichzeitig einer der schlimmsten Filme, die ich je gesehen habe. Ich meine damit nicht schlimm im Sinne von schlecht, sondern dass dieser Film für mich vor allem emotional sehr belastend war. Ich wurde, während ich den Film geschaut habe, sehr wütend. Am liebsten hätte ich all diesen grauenhaft ignoranten Charakteren zugerufen, dass sie aufwachen und hinhören sollen und sehen, was um sie herum geschieht. Es hat außerdem ein Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit bei mir eingesetzt, während ich vor der Leinwand saß. Das dringende Bedürfnis, den Menschen hinter der Mauer helfen zu wollen, kam auf, obwohl ich weiß, dass das gar nicht mehr geht. 

Der Film hat mich auch nachdem ich das Kino verlassen habe, nicht losgelassen, und auch während ich diesen Artikel hier schreibe, habe ich immer noch die Schüsse und Schreie im Ohr. Es ist einer dieser Filme, über den man mit anderen reden muss, nachdem man ihn gesehen hat, und ich bin sehr dankbar, dass mir das möglich war. 
Für mich hat sich im Zuge der Recherche für diesen Artikel die Wirkung des Films noch mehr intensiviert, da sich die Bedeutung einiger Szenen erst dann für mich offenbart haben. Dementsprechend nehme ich an, dass mit dem entsprechenden Hintergrundwissen die Wirkung des Filmes noch viel härter ist.

„The Zone of Interest“ ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Filme dieser Zeit, denn er zeigt, wie grauenhaft es ist, das Leid um sich herum zu ignorieren. Er zeigt, dass man die Augen offen halten muss, damit man das Schlimmste verhindern kann. Und vor allem durch die Szenen mit dem polnischen Mädchen wird verdeutlicht, dass auch kleine Dinge große Auswirkungen haben können. Also haltet die Augen offen, helft wo ihr helfen könnt und engagiert euch, damit Dinge wie sie im Film gezeigt werden, nie wieder passieren. Wir können die Vergangenheit nicht mehr ändern, aber die Zukunft liegt in unseren Händen.

Beitragsbild: Carlotta Silvestrini auf Pixabay

Buchrezension: Khaled Hosseini – Tausend strahlende Sonnen

Buchrezension: Khaled Hosseini – Tausend strahlende Sonnen

In der Literaturwelt gibt es Bücher, die weit über das Erzählen von Geschichten hinausgehen – sie entfesseln ganze Emotionen. Khaled Hosseinis “Tausend strahlende Sonnen” (2014) gehört zweifellos zu dieser einzigartigen Kategorie. Hier wird nicht nur erzählt, sondern die Leser*innen werden auf eine tiefgreifende emotionale Reise durch das zerrissene Afghanistan mitgenommen.

Stell dir vor, du öffnest die ersten Seiten eines Buches und spürst augenblicklich, dass dich eine Geschichte erwartet, die dich nicht mehr loslassen wird. Genau dieses Gefühl vermittelt “Tausend strahlende Sonnen” von Khaled Hosseini. Zwei Frauen, Mariam und Laila, finden ihre Schicksale auf unerwartete Weise miteinander verflochten, während das Land Afghanistan von politischem Wandel und Gewalt erschüttert wird. In einer atemberaubenden Erzählung von Liebe, Freundschaft und Überlebenskraft entfaltet der Autor Hosseini eine Welt, in der Hoffnung selbst in den dunkelsten Stunden erstrahlt. Hosseini ist bereits durch seinen Bestseller “Drachenläufer” weltbekannt, die Rezension dazu findet ihr ebenfalls hier beim webmoritz. Der Autor entführt uns nun erneut in die faszinierende, aber oft erschütternde Welt Afghanistans. Mach dich bereit für eine Reise voller Emotionen und Entdeckungen, die lange nachklingen wird…

Um was geht es in dem Buch?

Das Buch entfaltet sich vor dem Hintergrund der politischen Wirren in Afghanistan und erzählt die ergreifende Geschichte zweier Frauen, Mariam und Laila, deren Leben auf tragische Weise miteinander verflochten sind. Die Erzählung beginnt in den 1960er Jahren und führt uns in den ärmlichen Stadtrand von Herat, wo die junge Mariam als uneheliche Tochter eines Dienstmädchens und eines wohlhabenden Geschäftsmannes aufwächst. Ihr Leben ist von Anfang an von Vorurteilen und Ablehnung geprägt, da sie in der Gesellschaft als harami, als ein uneheliches Kind, gilt. Ihre Mutter Nana nimmt sich eines Tages das Leben, was für Mariam ein einschneidendes Ereignis ist und ihre Beziehung zu ihrem Vater weiter belastet. Die Geschichte nimmt eine dramatische Wendung, als Mariam in eine arrangierte Ehe mit dem wesentlich älteren und tyrannischen Raschid gezwungen wird und mit ihm nach Kabul zieht. Raschid ist Mariam gegenüber mit der Zeit gewalttätig und kontrollierend, da sie ihm keinen Sohn gebären kann und eine Fehlgeburt nach der anderen durchmacht. Mariams Ehe ist von Unterdrückung und Misshandlung geprägt.

Gleichzeitig erfahren wir von Laila, einer Nachbarin Mariams, wie sie eine andere Seite der Stadt erlebt. Laila stammt aus einer wohlhabenderen Familie in Kabul und führt ein vergleichsweise privilegiertes Leben. Im Gegensatz zu Mariam genießt Laila eine gute Ausbildung, darf zur Schule gehen und wird von ihrem Vater sehr gefördert. Laila ist eine intelligente und lebensfrohe junge Frau, die sich in Tarik, einem Freund aus ihrer Jugend, verliebt. Beide führen eine innige Freundschaft miteinander, die sich mit der Zeit zu einer heimlichen Romanze entwickelt. Doch die politischen Unruhen in Afghanistan ändern alles. Als Lailas Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie im Haus Raschids aufgenommen. Nach diesem tragischen Vorfall in Lailas Leben nimmt sie den Heiratsantrag von Raschid an und wird seine zweite Frau.

Mariam und Laila finden sich in einer von Gewalt und Unterdrückung geprägten Ehe gemeinsam wieder, die von ihrem Ehemann Raschid dominiert wird. Die beiden Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, werden durch widrige Umstände zu Verbündeten in ihrer gemeinsamen Leidensgeschichte. Mariam, die sich anfangs durch die zweite Frau gedemütigt gefühlt hat, begreift irgendwann, dass Lailas Leben ebenso hart ist wie ihr eigenes und sie sich nicht freiwillig in ihr Leben gedrängt hat. Trotz der schwierigen Umstände entwickelt sich zwischen Mariam und Laila eine tiefe Freundschaft und Solidarität. Die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Frauen wird zu einem Lichtblick in ihrer düsteren Realität. Gemeinsam versuchen sie, sich gegen die Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen und planen die Flucht aus Raschids Tyrannenhaushalt. Dabei wird ihre Geschichte zu einem eindringlichen Plädoyer für die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes und die Kraft der weiblichen Solidarität.

Hosseini schildert einfühlsam die psychologischen, physischen und emotionalen Herausforderungen, mit denen Mariam und Laila konfrontiert sind. Die grausame Realität von häuslicher Gewalt und gesellschaftlicher Unterdrückung wird in einer Weise präsentiert, die den Leser*innen keine Möglichkeit lässt, sich ihrer emotionalen Wirkung zu entziehen. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und bietet einen tiefen Einblick in die wechselvolle Geschichte Afghanistans von den 1970er Jahren bis zur Zeit der Taliban-Herrschaft. Die strahlenden Sonnen im Titel, die sich auf einen poetischen Vers aus dem Buch beziehen, symbolisieren die Hoffnung und das Durchhaltevermögen der Frauen inmitten von Dunkelheit und Schmerz.

“Lass dir das eine Lehre sein, meine Tochter”, sagte Nana. “So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden. Immer. Denk daran, Mariam.”

Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen (3. Auflage, 2015)

Mein persönlicher Eindruck

Mein persönlicher Eindruck von “Tausend strahlende Sonnen” ist schlichtweg überwältigend. Hosseinis Erzählung über das Leben von Mariam und Laila in Afghanistan hat mich zutiefst berührt. Ich weine sehr selten, wenn ich ein Buch lese. Dafür muss es mich schon wirklich emotional treffen. Und genau das hat Hosseini mit seinem Werk geschafft. Ich habe wirkliche mehrere Male Tränen vergießen müssen und mehrmals das Buch weglegen, um runterzukommen. Die Geschichte ist so intensiv und einfühlsam, dass ich mich von Anfang bis Ende mit den Charakteren verbunden fühlte. Dieses Buch ist nicht nur eine Leseempfehlung, sondern ein beeindruckendes Werk, das ich jedem ans Herz lege – besonders denjenigen, die nach einer bewegenden Geschichte voller Emotionen suchen.

Hosseinis Sprache ist von einer poetischen Schönheit, die die Leser*innen in die Straßen von Kabul versetzt und gleichzeitig die universellen Themen von Liebe, Verlust und Überlebenskampf berührt. Die Beschreibungen sind so lebhaft, dass ich jede Seite wirklich verschlungen habe. Ich wollte das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen.

“Tausend strahlende Sonnen” ist nicht nur ein Buch, sondern eine Erfahrung. Es ist eine Reise durch die menschliche Seele, eingebettet in die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen Afghanistans. Die fesselnde Erzählung, die poetische Sprache und die tiefen Charaktere machen dieses Buch zu einem Meisterwerk, das lange nach dem Lesen nachhallt. Für jede Person, die auf der Suche nach einer bewegenden Geschichte ist, die den Glauben an die Kraft der Menschlichkeit wiederherstellt, ist dieses Buch ein absolutes Muss!

Beitragsbild: Lenstravelier auf Unsplash

Buchrezension: Khaled Hosseini – Drachenläufer

Buchrezension: Khaled Hosseini – Drachenläufer

In der Welt der Literatur gibt es Werke, die nicht nur Geschichten erzählen, sondern ganze Emotionen entfesseln. “Drachenläufer” von Khaled Hosseini ist zweifellos eines dieser Bücher, das nicht nur die Herzen seiner Leser*innen berührt, sondern auch eine tiefgreifende kulturelle Reise in die bewegte Geschichte Afghanistans bietet.

Kennt ihr das, wenn ihr ein Buch in eure Hände nehmt, es aufschlagt und die ersten paar Zeilen lest und direkt wisst: “Dieses Buch werde ich sowas von verschlingen!” Genau solch ein Buch möchte ich euch in der heutigen Rezension vorstellen. Khaled Hosseinis Buch “Drachenläufer” ist ein fesselndes Meisterwerk, das Kabuls Straßen zum Leben erweckt. Eine Geschichte voller Freundschaft, Schuld und Vergebung, die den jungen Amir auf seiner schicksalhaften Reise durch ein von Konflikten geprägtes Afghanistan begleitet. Die fliegenden Drachen dienen als Metapher für das Streben nach Erlösung. Hosseinis Erzählkunst nimmt einen mit auf eine Reise, die lange nachklingt. Ein Buch, das Kontraste verschmilzt und die menschliche Erfahrung in all ihren Facetten einfängt.

Um was geht es in dem Buch?

In den belebten Gassen Kabuls entfaltet sich das literarische Meisterwerk “Drachenläufer”. Die Geschichte folgt Amir, der aus wohlhabender Familie kommt, und seinem loyalen Freund Hassan, dem Sohn des Dieners Ali, der bei Amirs Vater Sahib angestellt und auch ein alter Freund von ihm ist. Die Freundschaft zwischen der beiden Jungen ist durch eine Ungleichheit geprägt: Amir gehört der Bevölkerungsgruppe der Paschtunen an und Hassan der diskriminierten, verfolgten Gruppe der Hazara.

Die Freundschaft der zwei Jungen scheint unerschüttlich. Ein schicksalhafter Vorfall verändert jedoch eines Tages alles: Das Ereignis entfaltet sich während eines jährlichen Drachenflugwettbewerbs in Kabul, der von einer Mischung aus Tradition und Leidenschaft geprägt ist. Die engen Freunde Amir und Hassan nehmen an diesem Wettbewerb teil. Beide sind fest entschlossen zu gewinnen und voller Vorfreude. Ziel des Wettbewerbs ist es, die Drachenschnüre der anderen Teilnehmer*innen zu zerschneiden. Derjenige, dessen Drache zum Schluss noch in der Luft fliegt, ist offiziell auch der Gewinner. Drachenläufer wird man, in dem man den letzten abgestürzten Drachen fängt. Und genau diesen fängt auch Hassan, der besonders flink ist. Doch an der Stelle nimmt die Situation eine tragische Wendung ein. Hassan wird brutal misshandelt. Diese Szene ist von großer Tragik und Gewalt geprägt und stellt gleichzeitig den Wendepunkt dar, der die Charaktere und Ereignisse im Verlauf des Romans beeinflusst.

Amir, von Schuldgefühlen geplagt und zutiefst von Hassans Schicksal erschüttert, wählt den Weg des Schweigens. Er entscheidet sich dafür, die Wahrheit über das, was passiert ist, für sich zu behalten, was zu einer schmerzhaften Entfremdung zwischen den Freunden führt. Hassan verlässt zusammen mit seinem Vater schließlich das Zuhause Amirs und damit auch sein Leben. Dieser Verlust wirft einen langen Schatten auf Amirs Leben und hinterlässt tiefe Narben in seiner Seele. Amir und sein Vater fliehen aus Afghanistan, um den politischen Unruhen und dem Einmarsch der Sowjetunion 1979 zu entkommen, die das Land ins Chaos gestürzt haben. Sie finden 1981 Zuflucht in den USA. Die Vergangenheit und die Schuld, die Amir mit sich trägt, lassen ihn jedoch nicht los, selbst in der Ferne. Jahre später, als Amir die Chance zur Wiedergutmachung erhält, kehrt er nach Afghanistan zurück. Hier beginnt eine gefährliche Mission, die den emotionalen Höhepunkt des Buches bildet. Amir muss sich seinen eigenen Dämonen stellen und versuchen, die Fehler seiner Vergangenheit wieder gutzumachen.

Dieser Teil der Geschichte betont die tiefen Themen des Buches: Schuld, Vergebung und die Möglichkeit zur Erlösung. Amir muss nicht nur um die Vergebung anderer kämpfen, sondern auch um Vergebung sich selbst gegenüber. Die Art und Weise, wie diese emotionalen Konflikte dargestellt werden, ist zutiefst bewegend und macht das Buch zu einer eindringlichen Erfahrung für die Leser*innen. Es zeigt uns, dass, selbst wenn wir durch dunkle Zeiten gehen, die Möglichkeit zur Erlösung immer vorhanden ist, wenn wir bereit sind, die Wahrheit zu akzeptieren und Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen.

Mein persönlicher Eindruck:

Persönlich hat mich “Drachenläufer” tief bewegt. Die Charaktere sind so lebendig und vielschichtig gezeichnet, dass ich mich in ihre Geschichten hineinversetzen konnte. Ehrlich gesagt, musste ich auch oft ein paar Tränen vergießen. Besonders beeindruckt hat mich die Fähigkeit des Autors, die kulturelle Atmosphäre Afghanistans einzufangen und gleichzeitig Themen anzusprechen, die wirklich sehr nah ans Herz gehen. Die Szene des Drachenflugwettbewerbs und die Konflikte, die daraus entstehen, sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Insgesamt kann ich “Drachenläufer” von Khaled Hosseini nur wärmstens empfehlen. “Drachenläufer” ist kein gewöhnliches Buch. Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die die Leser*innen auf einer Reise durch die Höhen und Tiefen menschlicher Erfahrungen mitnimmt. Von Freundschaft über Verrat bis hin zur Vergebung berührt es die Herzen. Die meisterhafte Erzählkunst von Khaled Hosseini verleiht dieser Geschichte Flügel, die weit über die Buchseiten hinausreichen und in den Gedanken und Gefühlen der Leser*innen weiterleben.

Wenn du also dazu bereit bist, auf den Flügeln der Literatur zu fliegen und deine Seele in den Seiten eines Buches zu verlieren, dann ist “Drachenläufer” ein absolutes Muss! Eine Geschichte, die einen berührt, inspiriert und einen dazu bringt, über das Leben, die Liebe und die menschliche Verbindung nachzudenken.

Beitragsbild: bovin wook auf Unsplash

Buchrezension: Die letzte Generation – Das sind wir alle

Buchrezension: Die letzte Generation – Das sind wir alle

Kurzer Einschub vorneweg
Diese Rezension befasst sich ausschließlich mit den im Buch vorkommenden Inhalten und bewertet nicht die politischen Botschaften oder das Auftreten der „Letzten Generation“ oder einzelner genannten Personen. Dies beruht auf der aktuellen Dynamik in der Debatte um die „Letzte Generation“ aufgrund des bestehenden Anfangsverdacht wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ und der damit einhergehenden Komplexität der Thematik. Dies führt dazu, dass es keine Stellungnahme zu den oben genannten Punkten geben wird, da ich mich nicht im Stande sehe eine, meiner Meinung nach, der Diskussion förderliche Positionierung zu äußern, da mir gerade bei der rechtlichen Betrachtungsweise das hierzu nötige Wissen fehlt. Mehr zu den aktuellen Entwicklungen rund um die “Letzte Generation” findet ihr hier.

Vom einem Jesuitenpater, einer Schülerin und einem Studenten

Eins wird gleich zu Beginn deutlich, Klimaschutz verbindet die unterschiedlichsten Menschen. Aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten kommen Menschen zusammen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. In dem Buch geht es um drei Personen, die sich und ihr Leben der “Letzten Generation” verschrieben haben. Es begleitet den Weg von Jörg Alt, Lina Eichler und Henning Jeschke hin zu den Klimaprotesten der „Letzten Generation“. Eingeleitet wird das Buch von den Vorstellungen der drei Protagonist*innen. Besonders hierbei ist die Konstellation in der die drei zueinander stehen. Während Jeschke und Eichler aktiv am Protest der „Letzten Generation“ teilnehmen ist Jörg Alt einer der Unterstützer*innen der „ Letzten Generation“. Besonders die Kontakte Alts in Politik und Welt sind es die später eine besondere Rolle spielen werden.

Mit dem ersten Worten des Buches wird aber auch eins deutlich. Dieses Buch wird nicht nur einen Blick hinter die Kulissen der “Letzten Generation” geben, sondern soll auch den Leser überzeugen. Mit Sachargumenten. Nicht mit einer emotionalen Botschaft oder sonstigen Gefühlsduseleinen, sondern mit der Wissenschaft. Immer wieder finden sich Erklärboxen auf den Seiten oder gehen gleich über mehrere. Besonders ist auch, dass es für dieses Buch ein eigenes Quellenverzeichnis gibt. Es ist der Leserin oder dem Leser also möglich sich von jeder Quelle nicht nur einen eigenen Überblick zu verschaffen, sondern gegebenenfalls eigene andere Schlüsse zu ziehen.

Alle Wege führen zum Reichstag

So richtig Fahrt nimmt das Buch in der Mitte auf. Hat man am Anfang noch die drei Protagonist*innen kennengelernt, so erfährt man jetzt, wie der Hungerstreik vor dem Reichstag abläuft. Dieser hatte zum Ziel, dass es ein Gespräch vor der Bundestagswahl 2021 mit dem Kanzlerkandidaten geben sollte. Vor allem aber lernt man die Geschehnisse hinter den Kulissen genauer kennen. So bekommt man nicht nur aus erster Hand mit, wie stark das Leid der Hungerstreikenden ist, sondern auch, wie sehr der Hungerstreik die Gruppendynamik kaputtgemacht hat. Es gibt in der Gruppe selbst immer mehr Zweifel, ob der Hungerstreik über eine so lange Zeit nicht doch ein zu hohes Risiko für das Leben der Streikenden darstellt. Besonders krass finde ich in diesem Zusammenhang, dass gerade bei dieser Aktion Weitsicht eine große Rolle spielt. So wird sich auf diesen Hungerstreik vorbereitet durch Training oder Gespräche mit Fachleuten, wie Ärzt*innen. Aber auch die Schilderungen der Veränderungen werden sehr eindrucksstark übermittelt. So schildert Henning Jeschke zum Bespiel einen stark gebesserten Geruchsinn und teilt rückblickend auf seine Vorbereitung folgende Erfahrung.

„Schon nach drei, vier Tagen Hungern wird der Geruchssinn richtig stark. In der Zeit bin ich noch mal mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, um etwas zu holen. Es war beeindruckend, in welcher Entfernung ich wie intensiv Essen roch, bei jeder Bäckerei aufs Neue.“

Seite 70 Mitte

Der Hungerstreik selbst wird aus den drei unterschiedlichen Perspektiven der Protagonist*innen geschildert. Hennig Jeschke und Lina Eichler, die sich im Hungerstreik befinden und Jörg Alt, der die Gespräche im Hintergrund führt, dabei seine Kontakte in die politische Welt nutzt und eher eine beobachtende Rolle einnimmt. Jeschke und Eichler schildern vor allem ihre Erfahrungen bezogen auf die physischen und psychischen Folgen des Hungerstreiks, aber auch und das ist besonders spannend, wie sich die Gruppe untereinander verhält. Welche Aufruhe herrscht, wenn das Telefon klingelt und die Gruppe hofft eins der erhofften Gespräche zu führen. Der Hungerstreik endet für die Gruppe zwiespältig. Zum einen gibt es Zusagen zu den Gesprächen und 300 neue Kontakte von Menschen, die sich der „Letzten Generation“ anschließen wollen, zum anderen stirbt Henning Jeschke beinahe. Auch der Gruppe als solche geht es nicht besonders gut. Lina Eichler selbst zieht folgendes Fazit über die Gruppe:

„Es ist so schade, dass wir da gemeinsam reingegangen sind, aber nicht als Gruppe rausgekommen sind.“

S. 79 Mitte

Besonders eins ringen mir diese Schilderungen beim Lesen ab. Respekt. Nicht dafür sein Leben zu riskieren, sondern an einer Überzeugung so lange festzuhalten unabhängig von den möglichen Konsequenzen. Das Buch schafft es hier nicht nur einen sehr guten Einblick in die einzelnen Akteure zu liefern, sondern auch einen besonders eindrucksvollen Blick hinter die Kulissen der “Letzten Generation” zu liefern. Vieles gab beim Lesen den Eindruck, dass man praktisch mit vor Ort war, da die Schilderung so voller Leben waren und mich persönlich auch sehr fesseln konnten.

Nach dem Hungerstreik

Nach den Schilderungen zum Hungerstreik verliert das Buch ein wenig den WOW- Faktor. Leider. Nachfolgend wird über verschiedene Sitzblockaden berichtet und auch darüber wie man Pipelines abdreht. Eine eher nicht so spannende Etappe in diesem Buch. Liegt aber hauptsächlich daran, dass man diese Ereignisse aus den Medien bereits kannte oder zumindest davon gehört hatte. Was aber besonders ab der zweiten Hälfte gut gelingt ist die Überzeugung selbst tätig zu werden. Es überwiegt hier für den*die Lesenden nicht mehr der Fokus auf einer großen Aktion der “Letzten Generation”, sondern es gibt viele kleine. Dafür wird aber besonders in der zweiten Hälfte deutlich, warum die drei Protagonist*innen handeln, wie sie handeln. Der Versuch die Lesenden von seinen Ansichten auf wissenschaftlichen Wege zu überzeugen wird besonders hier sehr deutlich.

Am Ende ist man immer schlauer

Besonders gegen Ende des Buches und besonders mit den Schlussworten von Angela Krumpen und von bene! Verlagsleiter Stefan Wiesner wird mir eins klar. Das Buch hat nicht an Spannung verloren. Ich habe nur nach den falschen Dingen gesucht. Dieses Buch gibt einem keinen “Blick hinter die Kulissen” und soll einen so überzeugen. Es bietet um überzeugen zu wollen einen “Blick hinter die Kulissen”. Besonders im Kopf geblieben ist sind mir folgende Worte von Stefan Wiesner:

“Es gibt Bücher, die geschrieben werden müssen. Dieses Buch gehört definitiv dazu.”

Seite 184 unten

Natürlich sind das Worte, die jede Verlagsleitung über Bücher sagen sollte, die im eigenen Verlag veröffentlicht werden, allerdings merkt man gerade in diesem Schlusswort eine bloße Überzeugung in den Worten. Eine Überzeugung, die sich von Anfang bis Ende in jedem geschriebenen Wort des Buches wiederfindet.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass der bene! Verlag uns ein Exemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt hat. Das Buch gibt es für einen Preis von 18€ überall zu kaufen, wo es Bücher gibt.

Beitragsbild: Jan-Niklas Heil

CaMeTa-Staffellauf: Rezension: When They See Us

CaMeTa-Staffellauf: Rezension: When They See Us

Von vermeintlich ungesehenen Mitgliedern einer Gesellschaft und von einem Justizsystem, das die Augen verschließt, erzählt die Netflix-Miniserie »When They See Us« aus dem Jahr 2019. Um welches erschreckendes Fehlverhalten des US-amerikanischen Rechtswesens sich die Serie dreht und wie bewegend die Geschichte der »Central Park Five« wirklich ist, erfahrt ihr hier.

Zum CaMeTa-Staffellauf:

Dieser Artikel ist Teil des kollaborativen CaMeTa-Staffellaufs. Hintergrund sind die namensgebenden Campusmedientage, ein jährliches Treffen studentischer Medien aus ganz Deutschland. Aus dem Treffen heraus entstand dann auch der »Staffellauf«, eine Artikelreihe unter einem gemeinsamen Oberthema (dieses Mal: (Un-)Sichtbar). Die Reihe ist das Ergebnis der Zusammenarbeit aller teilnehmenden Redaktionen und der Weitergabe des »Staffelstabs«, die alle zwei Tage erfolgt. Bleibt auf dem neusten Stand und verfolgt das Projekt auf Instagram!

Wenn man die auf wahren Begebenheiten beruhende Serie zu schauen beginnt, wird man förmlich hineingeworfen in das New York dieser Zeit: belebt, ausgefallen, offen. Der Retro-Vibe der späten Achtzigerjahre ist ein schöner Moment der Ästhetik – der aber schnell verfliegt. Nachdem man die fünf jugendlichen Protagonist*innen der Geschichte kurz vorgestellt bekommt, hat man eine ungefähre Ahnung davon, wen man in den nächsten vier Folgen so begleiten wird. Antron liebt die Yankees, Kevin spielt Trompete, Korey glänzt in der Schule durch Abwesenheit und Raymond und Yusef sind mit ihren Freund*innen unterwegs. Fünf ganz normale Kids und fünf Leben, die sich nun zum ersten Mal kreuzen werden. Eine verhängnisvolle Nacht im April 1989 ist die Startszene der Handlung.

Zum Zeitpunkt des Beginns der Geschichte ist Spring Break, die New Yorker Schüler*innen haben also Ferien und das merkt man an der ausgelassenen Stimmung. Was die fünf Hauptfiguren gemeinsam haben, ist, dass sie an jenem Abend des 19. Aprils gemeinsam mit vielen anderen Jugendlichen im Central Park unterwegs sind. Wildin, wie sie es nennen. Also einfach raus, mal schauen, was so geht, und einfach eine gute Zeit zusammen haben. Ein paar der Kids pöbeln dann zum Teil auch Passant*innen an oder geraten in Raufereien, es wird jedoch schnell klar, dass die fünf, die man kennengelernt hat, sich in dieser Situation eher unwohl fühlen und sich ihr lieber entziehen. Sie alle waren an diesem Abend zufällig im Park. Trotzdem wird ihnen ihr Involvement ungerechterweise zum Verhängnis werden.

Am 19. April 1989 wird die damals 28-jährige Patricia Meili beim Joggen überfallen. Sie wird brutal angegriffen, sexuell missbraucht und so stark verprügelt, dass es einem Wunder gleicht, dass sie diese Nacht überlebt. Patricia war im Dunkeln unterwegs, in einer abgelegenen Ecke des Central Parks. Genau wie die fünf Jungs.

Nachdem die Schwerverletzte von der Polizei gefunden wurde, beginnen prompt die Ermittlungen. An dieser Stelle tritt eine weitere Figur in den Fokus der Serie: Staatsanwältin Linda Fairstein. Fairstein, sichtlich ambitioniert und erbarmungslos, fasst das Ziel, die oder den Verantwortliche*n für die schreckliche Tat so schnell wie möglich zu finden und so einen wichtigen Schritt gegen die wachsende New Yorker Kriminalität zu gehen. Da sich neben dem Verbrechen an der Joggerin zur gleichen Zeit auch die anderen Überfälle und Raufereien der Jugendlichen im Central Park ereigneten, gerieten diese (vor-)schnell ins Visier der Staatsanwältin. So landen die fünf Hauptfiguren in engen Verhörräumen und werden ohne die Anwesenheit eines*r Anwält*in und teils auch ohne ihre Eltern von skrupellosen Ermittler*innen in Gespräche verwickelt. Und nicht nur das, in der Folge dieser Verhöre entstehen auch falsche Geständnisse und Zeug*innenaussagen, weshalb gegen die fünf Jungs schließlich Anklage erhoben wird. Anschließend werden auch der Prozess und das Leben der »Central Park Five«, also der Angeklagten, nach dem Verfahren beleuchtet.

»The mother left, voluntarily?« – » Is it snowing? […] It suddenly feels like christmas.«

Detectives, über die Aussicht, die Minderjährigen ohne Aufsicht zu verhören (Folge 1)

Mein Eindruck

Wer mal wieder so richtig sauer sein möchte, schaut am besten diese Serie. Nicht, weil sie schlecht gemacht ist, sondern weil die unfassbare Ungerechtigkeit in diesem Fall zum Haareraufen ist. Dass die Minderjährigen in den Verdacht der Ermittlungen geraten, ist schwer nachvollziehbar, aber wie dann auch noch mit ihnen umgegangen wird, kann man wirklich nicht akzeptieren. Es entfalten sich Machtgefälle der übelsten Art und die Geschichte ist geprägt von Rassismus, unfairen Verhältnissen und unfähigen Detectives und Ankläger*innen.

Aus heutiger Perspektive ist die Serie, aufgrund dieser Missstände, fast körperlich schmerzhaft anzusehen, dieses Unrecht kaum vorstellbar. Aber das war das echte Leben von Antron McCray, Kevin Richardson, Korey Wise, Raymond Santana und Yusef Salaam. Für die fünf POC wurde dieses Fehlverhalten der Justiz folgenschwer und so verbrachten sie zwischen sechs und 14 Jahren in (Jugend-)Gefängnissen. Ohne Beweislast, nur ermöglicht durch die rassistische Willkür der Staatsanwaltschaft, wurde fünf jungen Menschen das Leben entzogen. Erst 2002 wurden sie aus der Haft entlassen und der Fall neu aufgerollt.

»You’ve been spoon-fed a story and you’re eating it up!«

Aktivist*in in Harlem (Folge 2)

In der Serie wird noch viel mehr betrachtet als dieser kurze Abriss der Geschichte und sie ist definitiv sehenswert. Die Besetzung der Figuren ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen und die Umsetzung der Story geht unter die Haut. Auch wenn es zeitweise wirklich schwer ist, das Unrecht mitanzublicken, und die über eine Stunde langen Folgen keine leichten Happen sind, bin ich der Ansicht, dass jede*r diese Serie gesehen haben sollte. Ich denke, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung rund um den Fall leisten kann. Auf Netflix gibt es auch die ergänzende Dokumentation »When They See Us Now« zu sehen, die einen Talk Show-Auftritt mit Oprah Winfrey abbildet. In dieser Sendung sind sowohl die echten »Central Park Five« vor Ort als auch die Schauspieler*innen, die sie in der Miniserie verkörperten, sowie andere Funktionär*innen der Produktion. Auch diese Sendung ist ein berührender Beitrag zu den Ereignissen und reflektiert über die Leben der Justizopfer.

»When They See Us« ist genau das Richtige für alle, die sich für wahre Verbrechen interessieren und auf hohem Level unterhalten werden wollen. Wer sowohl über die historischen Verhältnisse des Falls lernen möchte als auch erfahren will, wie die fünf zu Unrecht Verurteilten mit dieser Ungerechtigkeit umgehen, sollte die beiden Produktionen sehen. Die Geschichte der »Central Park Five« ist eine Geschichte über Wahrheit, Macht, das Kämpfen und die Bedeutung von Familie und Freund*innen in Zeiten, in denen man nicht aufgeben darf.

Beitragsbild: Tingey Injury Law Firm auf Unsplash