Kleiner Mann in großer Depression

Einen Roman aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise während (nach?) der Finanzkrise auf die Bühne zu bringen, zeugt von Gespür für die Zeit. Oder von Humor. Oder von beidem. In Hans Falladas Kleiner Mann, was nun? wird der beschwerliche Weg des Buchhalters Pinneberg und seiner Frau Emma, genannt Lämmchen, aufgezeigt. Die zahlreichen Wendungen zum Guten und immer öfter zum Schlechten bringen Pinnebergs Rechtschaffenheit nicht ins Wanken, aber wird das ein gutes Ende nehmen? Hans Fallada (geb. 1893 als Rudolf Ditzen in Greifswald) schrieb dazu

Nun schön, man hat mir nicht nur Lobendes gesagt, man hat mich vor allem in vielen Briefen gefragt: Warum weißt du keine Antwort auf die Frage: Kleiner Mann – was nun? Ich weiß schon eine Antwort und ich habe sie auch hingeschrieben, meine Antwort heißt Lämmchen. Aber ebenso gut weiß ich, dass dies nur eine Einzelantwort ist, dass es keine Antwort gibt, die für alle gilt.

Aus dem Roman ein dreieinhalbstündiges Theaterstück zu machen, ist sicherlich nicht einfach. Ein Überbleibsel davon sind die eingeschobenen Beschreibungen der Figuren über ihre Gedanken und die Umgebung. Diese Einschübe wirken nie störend, sondern selbstverständlich und ermöglichen ein sehr reduziertes Bühnenbild, das nur aus einem sog. Plafond mit 16 Lichtfeldern besteht, die mit unterschiedlicher Beleuchtung die verschiedenen Stationen verdeutlichen.

Grian Duesberg und Eva-Maria Blumentrath und Ensemble

Grian Duesberg und Eva-Maria Blumentrath und Ensemble

Auch für Heiterkeit wird gesorgt, wenn mehrstimmige Lieder vorgetragen werden und durch die zahlreichen Verkleidungen der Nebendarsteller, z.B. Markus Voigt als Mutter Mörschel oder Marco Bahr dessen Auftreten als Kleinholz an Ekel Alfred erinnert.

Die Inszenierung von Uta Koschel erfolgte in Kooperation mit Studenten des Caspar-David-Friedrich-Instituts in Form der begleitenden Ausstellung „O Lämmchen, was haben sie aus mir gemacht?“. Darin wird neben der Liebesgeschichte der zwei Protagonisten auch auf die aktuelle Finanzkrise Bezug genommen

v.l.n.r. Andreas Kohl, Eva-Maria Blumentrath, Lukas Goldbach, Markus Voigt, Jan Bernhardt und Grian Duesberg

v.l.n.r. Andreas Kohl, Eva-Maria Blumentrath, Lukas Goldbach, Markus Voigt, Jan Bernhardt und Grian Duesberg

Wer das empfehlenswerte Stück sehen möchte, hat dazu noch mehrfach Gelegenheit:

17. März, 18:00 Uhr, Greifswald, Großes Haus
21. März, 19:30 Uhr, Putbus, Theater Putbus
28. März, 16:00 Uhr, Greifswald, Großes Haus
3. April, 19:30 Uhr, Stralsund, Großes Haus
10. April, 19:30 Uhr, Stralsund, Großes Haus

Karten gibt es im Vorverkauf direkt beim Theater oder über die Webseite.

Fotos: Vincent Leifer

„I’m with you in Rockland“ – Gedanken zur 60. Berlinale

Auch wenn ich das Filmprogramm wieder nur in bruchstückhaften Auszügen wahrnehmen konnte, so schien darüber in diesem Jubiläumsjahr der Grundtenor von „Gefangenschaft“ und „Befreiung“ zu schweben. Sei es der konkrete Umgang mit der dem Motiv der Haftanstalt, oder die Skizzierung sozialer Normen und Schranken, gegen die die Protagonisten ankämpften, an denen sie scheiterten, die sie überwanden.

„Und sperrt man mich ein

Im finsteren Kerker (…)“

Filmplakat "A somewhat gentle man"

Der norwegische Wettbewerbsbeitrag „En ganske snill mann“ („A somewhat gentle man“) von Hans Petter Moland stellte dabei mit seinem grotesk-lakonischen Humor eine gewisse Ausnahme dar, da die tragische Situation des entlassenen Schwerverbrechers – so viel sei verraten – in einem gewissen „Happy End“ der Frühlingssonne ausklingt. Um dem Klischee zu folgen, dass Verbrecher meist „Ausländer“ seien, besetzte Moland die Hauptrolle mit dem Schweden Stellan Skarsgård, der hier in seiner gebrochenen Vaterfigur an den „Fluch der Karibik“ erinnert.

Den digitalen Arabesken aus untotem Seemannsgarn steht hier aber die nüchtern-realistische Welt Skandinaviens gegenüber, die jedoch mit ihren schrägen Charakteren und „desperate housewives“ ebenso zu Amüsement und Gruseln einlädt: Dieser Film ist wärmstens für den „Nordischen Klang“ zu empfehlen!

In puncto Realismus ging der Rumäne Florin Şerban in „Eu cand vreu sa fluier, fluier“ („Wenn ich pfeifen will, dann pfeife ich“) noch einen Schritt weiter. Für die Geschichte eines jugendlichen Sträflings, die fast ausschließlich in der Barackenlandschaft einer Zuchtanstalt mit „agrarischer Ausrichtung“ spielt, wurden teils echte „Knastbrüder“ und Wärter eingesetzt. (mehr …)

Schnee hinterlässt Millionenschaden an Greifswalds Straßen

Der Winter und seine Stürme brachte der Stadt Greifswald ungeahnte Schneemassen. Wochenlang lag eine dicke Schnee- und Eisschicht auf den Straßen, Rad- und Gehwegen. Das Tauwetter der letzten Tage bringt jedoch erst ans Licht, welche gewaltigen Schäden der Winter auf diesen hinterlassen hat.

Gehwegräumung

Das Ausbessern bzw. Beseitigen der Schlaglöcher auf den Fahrbahnen allein wird nach Schätzungen des hiesigen Bauamts rund 1,2 Millionen Euro kosten. Dies sind allerdings noch keine abschließenden Zahlen.

An vielen Stellen hat man bereits mit den Reparaturen begonnen. Die zwölf Mitarbeiter des Bauhof waren in den vergangen  Tagen bereits am Gorzberg, in der Anklamer Straße und der Schönwalder Landstraße tätig. In dieser Woche will man sich um die Stalsunder Straße kümmern. In den meisten Fällen versuche man zunächst die Löcher mit Kaltasphalt zu füllen, erklärt der Bauhofleiter Uwe Adam. Das ist jedoch bestenfalls ein schnelles Provisorium – das Material hält im Allgemeinen nur einige Wochen.

An vielen Stellen ist der Straßenbelag jedoch so sehr beschädigt, dass Kaltasphalt keine Lösung sei. Diese Straßen müssen großflächig abgefräst und neu asphaltiert werden. Im Gegensatz zu den kleineren Reparaturen an Straßen und der Instandsetzung der Gehwege, kann die Stadt dies jedoch nicht mit eigenen Mitteln bewerkstelligen. „Wir sind gegenwärtig dabei, die Bereitstellung der dafür nötigen finanziellen Mittel mit dem Kämmerer abzustimmen. Erst dann können wir ausschreiben“, so Bauamtsleiter Fred Wixforth. Er  rechnet deshalb damit, dass diese Instandsetzungen erst nach Ostern beginnen werden.

Die Schneeschmelze selbst verursachte derweil Probleme auf den Wiesen am südlichen Stadtrand. Dort pumpen Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks tausende Hektoliter Wasser in den Stadtgraben. Der gestern noch überschwemmte Fahrradtunnel in der Scharnhorststraße ist mittlerweile auch wieder passierbar.

Spannend wird in der Tat die Frage wie diese zusätzlichen Kosten finanziert werden. Der städtische Haushalt, der im Herbst verabschiedet worden war, musste konjunkturbedingt ohnehin größere Kürzungen hinnehmen.

Fotos:

Gehwegräumung – Julia Löcherbach

Schlagloch Startseite – „sindre-wimberger“ via flickr

Die Blockade von Dresden – Innenansicht

Ein Gast-Erlebnisbericht von Stephan Schumann

Am 13. Februar kommen jedes Jahr unzählige Nazis nach Dresden. Sie benutzen die Vergangenheit um für ihre Parolen zu werben. Seit 1998 jedes Jahr dasselbe. Soweit, so bekannt. Doch dieses Mal war alles anders.

Die Stadt Dresden selber und die örtliche CDU und FDP beteiligten sich am Protest. Ok, nur durch eine Menschenkette, aber um die friedlichen „GehDenken“ Demonstrationen der letzten Jahre haben selbige immer einen größeren Bogen gemacht.

Eine hohe Polizeipräsenz sollte Ausschreitungen verhindern.

Währenddessen versuchte ein breites linkes Bündnis den Aufmarsch der Rechtsextremen zu verhindern. An deren Sammelpunkt, dem Bahnhof Neustadt, wurden Punkt 9 Uhr wichtige Knotenpunkte besetzt. Der Versuch selbiges durch das Anmelden von Spontankundgebungen wenigsten etwas legaler zu machen fiel unterschiedlich erfolgreich aus. Auf dem Albertplatz wurde eine Kundgebung „Gegen das Demonstrationsverbot für Linke in der Neustadt“ genehmigt.  (mehr …)

Der Senat diskutiert über den Namenspatron

Die Debatte um den Namenspatron der Greifswalder Universität ging am vergangenen Mittwoch in die letzte und vermutlich entscheidende Runde. Nach dem die vom Senat speziell zu diesem Zweck eingesetzte Kommission ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte, wurde dieser unter den Senatoren noch einmal besprochen. Die zehn Kommissionsmitglieder hatten sich am Ende nicht durchringen können, eine Empfehlung an das höchste universitäre Gremium zu geben. Stattdessen hatte man noch einmal verschiedene Materialien zur Debatte zusammengestellt und eigene Texte mit den Argumenten für und wider Arndt vorgelegt.

Thomas Schattschneider

Sitzungsleiter (und gleichzeitig Kommissionsvorsitzender) Thomas Schattschneider bat zu Beginn des Tagesordnungspunktes allerdings darum, diese Argumente nicht noch einmal einzeln zu diskutieren. Vielmehr sollte Gelegenheit gegeben werden Rückfragen und eventuelle Ergänzungen anzubringen. Er erklärte weiterhin die Kommission habe unter anderem deswegen keine abschließende Empfehlung abgeben wollen, weil sich die Mitglieder nicht noch stärker als bisher öffentlichen Schmähungen und Diffamierungen aussetzen wollten.

Zusätzlich zum Bericht der Kommission lagen dem Senat Gutachten über die rechtliche Grundlage für eine eventuelle Namensänderung und die geschätzten Kosten einer solchen vor. Diese beiden Papiere sind bisher nicht veröffentlicht worden. Klar ist jedoch, dass allein der Senat für die Namensgebung zuständig ist, nicht wie zu Anfang der Debatte behauptet das Bildungsministerium. Für eine solche Änderung benötigt es allerdings eine 2/3-Mehrheit. Die Kosten einer Umbenennung wurden in dem entsprechenden Gutachten auf 100.000 Euro geschätzt. Über welchen Zeitraum die Umstellung von Briefköpfen u.Ä. in diesem Plan erfolgen soll ist jedoch nicht bekannt.

Auf Nachfrage erläuterten die Arndt-Befürworter und Kommissionsmitglieder Dr. Dirk Alvermann und Dr. Irmfried Garbe ihr Sicht auf die Kritik am universitären Namensgeber: Arndts Werk weise zwar rassistische und antisemitische Passagen auf, ihn jedoch vordergründig als Rassisten und Antisemiten zu sehen, werde seinem Gesamtwerk nicht gerecht. Auch Senator und Altrektor Prof. Jürgen Kohler machte sich für den umstrittenen Freiheitsdichter stark. Arndt wäre eine Kämpfernatur gewesen und habe für seine Überzeugungen viele Repressalien ertragen. Daran hätten sich, so Kohler, im Jahr 1933 einige Professoren ein Beispiel nehmen sollen.

Professor Hubertus Buchstein

Gegen Arndt argumentierten vor allem Senator Professor Hubertus Buchstein. Er erklärte in seinem Fachbereich, der Politischen Ideengeschichte, sei Arndt keineswegs umstritten. Wenn überhaupt so werde er dort als „rhetorisch begabter Propagandist mit fremdenfeindlichem und antisemitischem Gedankengut“  betrachtet. In den meisten Standartwerken finde Arndt jedoch gar keine Beachtung. Auch Senator und Anti-Arndt-Aktivist Sebastian Jabbusch erneuerte seine Kritik am Patron der Universität.

Von Professor Patrick Bednarski wurden die hohen Kosten einer möglichen Namensänderung kritisiert. Seiner Auffassung nach, sei das Gutachten noch sehr optimistisch. Er frage sich ob das Geld an anderer stelle nicht besser aufgehoben sei. Professor Werner Stegmaier erklärte man müsse sich im Klaren darüber sein, dass es in dieser Entscheidung keinen Kompromiss gebe. Der Senat riskiere mit der Entscheidung entweder die regionale Bevölkerung oder die bundesweite Presse zu verärgern, eines von beiden müsse man wohl in Kauf nehmen. Professor Hannelore Weber sprach von der Wahl zwischen „einem linken und einem rechten blauen Auge.“

Der stellvertretende Senatsvorsitzende Thomas Schattschneider erklärte er erwarte zur Sitzung des Senats am 17. März Anträge zur Namensfrage.

Bilder:

Foto Schattschneider – Sandro Teuber

Foto Prof. Buchstein – Ulrich Kötter

Nachgeforscht: Grund für Komplikationen bei Blutspenden

Uns Studenten interessiert an der Universität in erster Linie meist die Lehre, doch natürlich wird hier in Greifswald auch geforscht. In der Serie “Nachgeforscht” wollen wir einzelne Projekte vorstellen.

Greifswalder Forschern ist in den letzten Wochen ein Durchbruch zur Erhöhung der Sicherheit von Bluttransfusionen gelungen.
Die  Arbeitsgruppen Transfusionsmedizin unter Leitung von Prof. Andreas Greinacher, die Funktionelle Genomforschung mit Prof. Uwe Völker sowie die Arbeitsgruppe Leukozytenimmunologie des DRK-Blutspendedienstes West in Hagen (Nordrhein-Westfalen) unter der Leitung von Prof. Jürgen Bux und  Dr. Angelika Reil haben ein vorher unbekanntes Protein auf weißen Blutzellen isoliert, welches zusammen mit den entsprechenden Antikörpern für die transfusionsinduzierte Lungeninsuffizienz (TRALI), eine der häufigsten Komplikationen bei  der Übertragung von Spenderblut, verantwortlich ist.

Professor Greinacher unterhielt sich mit dem webMoritz über diese Forschung und ihre Ergebnisse.

webMoritz: Herr Professor Greinacher, wie steht es momentan mit Ihrer Forschung zur TRALI-Reaktion?

Prof. Greinacher: Ich komme gerade aus dem Labor. Die ersten Tests funktionieren jetzt – und wir haben sofort eine Spenderin mit diesen Antikörpern gefunden.

webMoritz: Kann das Blut dennoch verwendet werden?

Prof. Greinacher: Nein, sämtliche Blutprodukte dieser Spenderin sind gesperrt, das Blut wird gar nicht ausgegeben. Der Spenderin wird dann mitgeteilt, dass sie zukünftig nicht mehr Blut spenden darf.

webMoritz: Worauf beruht diese Unverträglichkeit des Spenderblutes mit dem des Empfängers?

Professor Andreas Greinacher forschte seit mehr als drei Jahren an dem Phänomen

Prof. Greinacher: Sie kennen doch aus dem Biologieunterricht noch die Rhesus-Unverträglichkeit.

Die menschlichen Blutzellen haben nicht nur die A, B-, 0- und Rhesus-Eigenschaften auf ihrer Oberfläche, sondern noch ganz viele andere. Diese Eigenschaften oder Blutgruppen liegen auf Proteinen oder auf Zuckerstrukturen. Wird nun Blut auf einen anderen Menschen übertragen, werden die unterschiedlichen Strukturen der Blutgruppen vom Immunsystem des Blutempfängers eines anderen Menschen als jeweils fremd erkannt und das Immunsystem beginnt, Antikörper zu produzieren.

Die häufgsten Situationen, in denen es zur Übertragung von Blut zwischen verschiedenen Menschen kommt, sind  zum einen die Bluttransfusion, zum anderen die Schwangerschaft, in der geringe Mengen Blut des Kindes an die Mutter übertragen werden, etwa wenn während der Geburt kleinere Risse in der Plazenta entstehen. Dann kommt es zu Abwehrreaktionen. Und diese machen dann krank.

Wird nun Blut auf einen anderen Menschen übertragen, kann das dazu führen, das dieser Antikörper produziert. Dann kann das Immunsystem etwa der schwangeren Frau gegen Blutgruppen auf der Oberfläche der Blutzellen des Kindes, die die Mutter selbst nicht hat, Antikörper ausbilden.

Wir haben uns jetzt mit einer ganz wichtigen dieser Blutgruppen beschäftigt, die sich auf den weißen Blutkörperchen (Leukozyten), genauer auf den neutrophilen Granulozyten befindet. Diese hier lokalisierten Antigene nennen sich dementsprechend Humane Nneutrophile Antigene (HNA). Sie sind der Reihe nach durchnummeriert – das die TRALI-Reaktion betreffende Antigen heißt HNA-3a.

webMoritz: Es gab ja bereits vorher Forschungen zu dieser Reaktion, wie sahen denn deren Ergebnisse aus?

Prof. Greinacher: Man hat die ersten Beobachtungen dieser Antigene dahingehend gemacht, dass zum Einen die Neugeborenen einiger Frauen, welche schon mehrere Schwangerschaften hatten, bei der Geburt nur sehr wenigen Granulozyten besaßen, und zum Anderen das Blut insbesondere von Frauen mit mehreren Schwangerschaften eine akute Erkrankung beim Blutempfänger verursacht.

Bereits vor 50 Jahren wurden dann die weißen Blutkörperchen des Patienten isoliert und mit dem gespendeten Plasma von Blutspendern zusammen inkubiert. Dann konnte man unter dem Mikroskop beobachten, wie das Plasma die Blutzellen verklumpt. Bringt man solches Plasma nun mit den Granulozyten verschiedener Individuen zusammen, sieht man, das es bei einigen zu ganz starkem Verklumpen kommt, bei anderen kaum und bei einigen gar nicht.

Dies zeigt, dass hier eine Eigenschaft vorliegt, die von ersteren homozygot, von zweiteren heterozygot und von letzteren negativ homozygot ausgebildet wird.

Forschung scheiterte bis vor kurzem an technischem Problem

webMoritz: Was passiert denn im Körper des Blut-Empfängers bei der TRALI-Reaktion?

Prof. Greinacher: Mittlerweile ist die transfusionsinduzierte akute Lungeninsuffizienz eines der häufigsten gravierenden Probleme der Bluttransfusion. Andere Komplikationen, vor allem die Übertragung von HIV und Hepatitis B und C mit Spenderblut wurden gelöst; es gibt hier sehr sensitive automatisierte Tests für das Spenderblut, mit denen Blutspender, die das Virus in sich tragen, identifiziert werden können. Dann wird deren Blut nicht mehr für Patienten verwendet.

Die gravierenden Risiken der Bluttransfusion haben heute vor allem zwei Ursachen. Zum Einen kommt es zu menschlichem Versagen. Wenn der Patient verwechselt wird und Blut der falschen Blutgruppe bekommt, wird es natürlich schwerwiegende Probleme geben. Zum Anderen wird der Prozess zwar richtig durchgeführt, es kommt aber dennoch zu gravierenden Problemen mit der Lunge, der Atmung. Dies ist dann TRALI. Hierbei werden Antikörper gegen Blutgruppen auf den neutrophilen Granulozyten mit der Blutkonserve auf den Patienten übertragen.

Im Körper des Blutempfängers verklumpen die Antikörper aus dem Spenderblut die Granulozyten des Patienten. Diese  Aggregate passen dann nicht mehr durch die feinen Lungengefäße, sie bleiben wie in einem Fischernetz hängen. Und da das gesamte Blut durch die Lunge geführt werden muss und hier schon von vornherein besonders viele Granulozyten vorhanden sind, um eingeatmete Keime abtöten zu können, enstehen in der Lunge besonders viele dieser Aggregate.

Eines der häufigsten Folgeprobleme von Bluttransfusionen kann durch die Greifswalder Forscher künftig bekämpft werden.

Die Granulozyten werden durch die Antikörper zudem aktiviert und veranlasst, Stoffe abzugeben, die sonst der Keimbekämpfung dienen. Im Prinzip ist es genau die gleiche Reaktion, die auftritt, wenn man sich einen Splitter in den Finger reißt – nach einigen Stunden schwillt der Finger an und pocht. Auch diese Entzündungsreaktion wird vermittelt durch die Substanzen, die die weißen Blutkörperchen freisetzen. Bei TRALI passiert genau diese Entzündungsreaktion dann großflächig in der Lunge. Durch das „Anschwellen“ funktioniert dann der Sauerstoffaustausch nicht mehr.

webMoritz: Die auslösenden Antikörper sind bereits länger bekannt. Warum wird nicht auf diese getestet?

Prof. Greinacher: Der Test auf die TRALI-auslösenden Antikörper ist ausgesprochen aufwändig. Man muss dafür die Granulozyten frisch extrahieren, diese dann mit dem Blut des Blutspenders inkubieren und lange Zeit unter dem Mikroskop beobachten, um zu sehen, ob das Plasma des Spenders die Granulozyten aggregiert. Und diese Untersuchungen müssen vier Stunde nach Entnahme der Granulozyten abgeschlossen sein. Das ist natürlich nicht für jede der jährlich vier Millionen Blutspenden in Deutschland möglich.

Sehr viel einfacher wird es, wenn man weiß, woran genau an der Oberfläche der Granulozyten die Antikörper binden – schließlich gibt es hunderte bis tausende verschiedene Proteine auf dieser Zelloberfläche. Dann kann man dieses Protein alleine in einem Testsystem einsetzen.

Nachdem wir das Protein, das die HNA-3a Blutgruppe trägt, identifiziert haben, wissen wir jetzt auch, warum es so schwer war, dieses Protein zu finden. Es ist wie ein Gartenzaun mehrmals durch die Zellmembran geschlungen. Wenn man ein solches Protein aus der Membran lösen will, muss man es an allen Membranbindungsstellen aus  der Zellwand lösen. Das führt aber dazu, dass die gesamte Struktur des Proteins in sich zusammenbricht. Der Antikörper erkennt eine ganz bestimmte Stelle an dem Protein – wenn dies aber durch das Herauslösen aus der „Aufhängung“ in sich zusammenfällt, verändert sich auch diese ganz spezielle Struktur und der Antikörper bindet nicht mehr. An diesem primär technischen Problem ist die Aufklärung der Struktur des HNA-3a Antigens die letzten 50 Jahre gescheitert.

webMoritz:
Dieses Problem haben Sie ja gelöst, könnten Sie kurz erklären, auf welche Weise?

Prof. Greinacher: Wir haben Magnetpartikel genommen, und an diese Magnetpartikel einen Antikörper geheftet und an diesen wiederum den HNA-3a-Antikörper gebunden. Dieses Konstrukt haben wir dann mit Granulozyten inkubiert. Die menschlichen HNA-3a Antikörper binden sich dann wie vorher auch an die entsprechenden Proteinstrukturen, allerdings hängt jetzt an den Antikörpern noch der Magnetpartikel.

Dann haben wir die Zellwand der Granulozyten aufgelöst und mithilfe eines großen Magneten die Magnetpartikel mit den daran hängenden Antikörpern herausgezogen. An den HNA-3a-Antikörpern waren jetzt noch Reste des Proteins gebunden. Diese Proteine haben wir dann mit dem Verdauungsenzym Trypsin von den Antikörpern abgelöst und mithilfe eines Massenspektrometers untersucht.

Wir haben in etwa einen Liter Plasma mit diesen Antikörpern gebraucht und Mengen an Granulozyten, um minimalste Mengen des Proteins isolieren zu können. Nachdem wir die Aminosäure-Abfolge in den Fragmenten durch die Untersuchung im Massenspektrometer identifiziert hatten, konnten wir auf die DNA Struktur zurück schließen, die diese Aminosäure-Sequenz kodiert. Nachdem uns dies bei mehreren Fragmenten gelungen war, hatten wir sozusagen einen „Fingerabdruck“ bestimmter DNA-Sequenzen. Dann haben wir über die Datenbanken des humanen Genomprojektes aus diesen Sequenzen auf das Protein zurück geschlossen und das Protein als Cholin-Transporter-Like Protein 2 identifiziert.

Bis hierhin hat es etwa drei Jahre gedauert. Dann haben wir die DNA-Sequenz dieses Proteins bei Menschen untersucht, deren Granulozyten entweder stark oder gar nicht mit dem HNA-3a Antikörper reagieren. Dabei fand sich dann ein einzelner Unterschied in einer Nukleotid zwischen diesen verschiedenen Individuen. Durch diese Änderung im Genom wird eine Aminosäure im Protein ausgetauscht und dies bestimmt, ob ein Mensch die Blutgruppe HNA-3a oder HNA-3b auf seinen Granulozyten trägt.

Stärke der Greifswalder Universität: Der Schulterschluss zwischen den Fakultäten

webMoritz: Auch an anderen Stellen wurde zu dem Problem geforscht. Gibt es einen besonderen Grund, dass gerade Ihre Greifswalder Gruppe Erfolg hatte?

Das Greifswalder Klinikum am Beitz-Platz

Prof. Greinacher: Diese Universität hat im Vergleich zu anderen Universitäten die Besonderheit hat, dass verschiedene Arbeitsgruppen auch aus unterschiedlichen Fakultäten eng miteinander zusammenarbeiten. Damit kommt vielfältige Expertise zusammen.

Im Bereich der Transfusionsmedizin konnten wir die Zellen isolieren, die die spezielle Oberflächenstruktur besitzen und die Antikörper gewinnen. In der Funktionellen Genomforschung gibt es große Erfahrung mit der Massenspektrometrie. Auch ist die apparative Ausstattung der Funktionellen Genomforschung hervorragend.

Dieser Schulterschluss zwischen den Fakultäten und verschiedenen Experten führt dann dazu, dass man Dinge erreichen kann, die an anderen Orten nicht möglich sind. Das ist eine der großen Stärken der Greifswalder Universität.

webMoritz: Jetzt gibt es einen Test, um Träger der Antikörper auszuschließen. Wie funktioniert dieser?

Prof. Greinacher: Als wir wussten, um welches Protein es sich handelt, welche genetische Struktur es besitzt und wo die Antikörper binden, konnten wir an Verfahren für ein praktikables Testsystem arbeiten.

Man kann die Proteinfragmente, die die Blutgruppe tragen, mithilfe von Bakterien vervielfältigen und dann aufreinigen. Diese gereinigten Proteinfragmente werden dann auf eine Mikrotiterplatte gebracht und haften dort an. In der Mikrotiterplatte werden die Fragmente dann mit dem Serum des Spenderbluts zusammengebracht. Anschließend kann die Bindung des Antikörpers an die Proteinfragmente nachgewiesen werden.

Dieses System ist automatisierbar und kann schnell durchgeführt werden. Damit steht ein System zur Verfügung, mit dem alle Blutspender auf das Vorliegen der Antikörper untersucht werden können.

webMoritz: Die TRALI-Reaktion ist – verglichen mit HIV und Hepathitis C etwa – eher unbekannt. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Prof. Greinacher: Es handelt sich um eine relativ komplizierte Reaktion. Ein Virus mit Blut zu übertragen ist leicht zu testen und jeder kann sich etwas darunter vorstellen.

Allgemein verständlich darzustellen, dass sich eine Spenderin oder ein Spender früher im Leben einmal immunisiert und Antikörper gegen eine andere Blutgruppe gebildet hat, diese Antikörper jetzt mit den Blutkonserven auf die Patienten überträgt und nur die Patienten, die das entsprechende Antigen tragen, dann krank werden können, ist ausgesprochen schwierig verständlich zu vermitteln.

Die Häufigkeit der TRALI-Reaktion liegt etwa bei 1:20-30.000 Bluttransfusionen, die Häufigkeit der HIV-Infektion bei ca. 1:13 Millionen.
Diese Zahlen haben aber auch eine Historie. Die Häufigkeit der HIV-Infektionen lag vor 20 Jahren sehr viel höher. Mitte der 1980er Jahre waren die Übertragung von Hepatitis und HIV die großen Probleme der Transfusionsmedizin und damit auch ein Schwerpunkt der Forschung. Allerdings wurden in der Zwischenzeit Tests entwickelt, mit denen die Viren gefunden und entsprechende Spender ausgeschlossen werden können. Aber es ist natürlich noch sehr viel mehr im allgemeinen Bewusstsein.

webMoritz: Spenden Sie eigentlich Blut?

Prof. Greinacher: Ja klar!

webMoritz: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!

Bilder:

Prof. Greinacher – Tjorven Hinzke

Klinikum – webMoritz-Archiv

Blutbeutel – „digiom“ via flickr