von moritz.magazin | 04.10.2013
Im letzten Wintersemester hat die Universität Greifswald 44 000 Euro durch die Wohnsitzprämie erhalten. Wo kommt das Geld her, was wird damit gemacht und was ist die Wohnsitzprämie überhaupt? moritz hat für euch nachgeforscht.
Im Sommer 2011 startete das Pilotprojekt „Wohnsitzprämie“ an der Universität Greifswald. Es wurde auf einen Erlass des Bildungsministeriums Mecklenburg-Vorpommern (MV) durchgesetzt. Dieser besagt, dass ab einer Grenze von 50 Prozent aller Neuimmatrikulierten in einem Fach, die ihr Abitur außerhalb von MV gemacht und ihren Erstwohnsitz nach Greifswald verlegt haben, die Universität für jeden weiteren Umgemeldeten 1 000 Euro vom Land erhält.
Die Medizin zum Beispiel hatte im letzten Wintersemester 150 neuimmatrikulierte Studenten, die aus einem anderen Bundesland kamen. Um die 50 Prozent-Grenze zu schaffen, hätten sich mindestens 75 Studenten ummelden müssen. Tatsächlich wurden 85 Personen Greifswalder. Das bedeutet, dass die Universität für jeden weiteren Studenten über den 75 Umgemeldeten 1 000 Euro bekam. Insgesamt waren das 10 000 Euro allein für die Mediziner. Dadurch wurden sie die Gewinner im internen Ranking der Wohnsitzprämie. Von den 36 gelisteten Studiengängen schafften aber nur zehn den Sprung über die 50 Prozent-Hürde.
Der Grundstein der Wohnsitzprämie wurde im Winter 2010/2011 gelegt, als man sich im Ministerium die Frage stellte, wie man eine gute und wettbewerbsfähige Hochschulbildung finanzieren kann ohne Studiengebühren zu erheben, wie es in anderen Ländern üblich war. Die Lösung bestand natürlich aus mehr Geld. Dieses komme aus dem Länderfinanzausgleich, aus dem MV für jeden umgemeldeten Einwohner 2 400 Euro erhalte, so in einer Rektoratsvorlage aus dem Dezernat für Planung und Technik. Das Land gibt nun 1 000 Euro davon für die Verbesserung von Studium und Lehre an die Universität ab.
Konkurrenzfähige Uni ohne Studiengebühren
Warum gerade unsere Universität für dieses Projekt ausgewählt wurde, erklärt Erik von Malottki, Mitglied des Studierendenparlaments, studentischer Senator und Vorsitzender der Arbeitsguppe (AG) Wohnsitzprämie, damit, dass „in Greifswald 2/3 der Studenten aus anderen Bundesländern kommen“, während Rostock mehr eine Landeskinderuniversität sei. Diesen Fakt musste man sich zunutzen machen und sowohl die Universität als auch die Stadt anreizen, die Studenten zu motivieren, Greifswalder zu werden. Denn nicht nur die Universität profitiert vom Geldfluss aus Schwerin. Die Stadt erhält pro umgemeldeten Bürger circa 320 Euro, von denen sie dieses Jahr wieder 100 Euro als Willkommensprämie an jeden neuen Einwohner abgibt. Dazu erhält jeder ein Bonusheft, das aus der Kooperation zwischen der Studierendenschaft, der Stadt und der Universität entstanden ist. Das restliche Geld „soll wiederverwendet werden, um die Greifswalder Kulturlandschaft aufrecht zu erhalten“, so Anja Mirasch, Mitarbeiterin in der Abteilung Wirtschaft und Tourismus der Stadt.
Da die Universitätsleitung es versäumte, die Wohnsitzprämie hinreichend publik zu machen und diese zu bewerben, haben nun die Studenten das Zepter an sich gerissen und setzen sich dafür ein. „Erst durch unsere Bemühung haben wir angestoßen, dass die Universitätsleitung langsam erkennt, wie wichtig dieses Thema betreffend der Unterfinanzierung der Universität sein kann“, so Erik, „im Moment ist die Zusammenarbeit mit der Universitätsleitung sehr gut, aber ohne unser Engagement wäre da wenig passiert.“ Gerade der Allgemeine Studierendenaussschuss (AStA) und einzelne hochschulpolitisch Aktive haben sich in der letzten Zeit besonders für das Projekt engagiert. Zum Semesterbeginn erwartet die Erstsemester eine Fülle an Werbematerialien wie Flyer, Plakate, Lesezeichen und Beutel. Diese Anregungen für diese Produkte wurden in einer neueingerichteten AG Wohnsitzprämie gesammelt, zu der alle Fachschaften eingeladen wurden. Bei der Umsetzung halfen die Stadt und die Universität sowohl finanziell als auch mit Ideen mit. „Das Projekt ist deutlich größer geworden als wir es geplant haben“, erzählt der Pressesprecher der Universität Jan Meßerschmidt. In der AG wurden aber nicht nur Werbemaßnahmen geplant, sondern auch Vorschläge gesammelt, wie man die Studierendenschaft an der Verteilung der Gelder beteiligen kann und was mit den Geldern gemacht werden soll.
Studenten fordern Vorschlagsrecht
So fordert die AG ein Vorschlagsrecht für die Fachschaftsräte und die Vollversammlung der Studierendenschaft, an das sich die Institute und die Universitätsleitung halten müssen. In der Philosophischen Fakultät wurde dies schon vom Dekan abgesegnet und auch die Rektorin empfiehlt den Dekanen, dies so zu handhaben.
Die 44 000 Euro vom letzten Jahr gilt es nun aufzuteilen und auszugeben, denn diese müssen bis Ende des Jahres aufgebraucht sein. An die Verwaltung gehen zehn Prozent der Einnahmen, also im letzten Jahr 4 400 Euro. Die einzelnen Institute bekommen 67,5 Prozent ihrer facheigenen Einnahmen. Rückgreifend auf das Beispiel der Medizin sind das 6 750 Euro. Diese werden für die fachspezifischen Bedürfnisse eingesetzt. Das Vorschlagsrecht liegt jetzt schon in vielen Instituten bei den Fachschaftsräten. So plant die Anglistik zum Beispiel, ihre Literaturbestände aufzubessern. Die restlichen 22,5 Prozent sollen für die Verbesserung der allgemeinen Studienbedingungen ausgegeben werden, das sind aus dem letzten Jahr rund 9 900 Euro. Auf der Vollversammlung im Sommer 2013 wurde über die Verwendung des Geldes abgestimmt. Ein Teil soll für neue Bücher in den Bibliotheken und der andere für Exkursionen verbraucht werden. Laut dem Vorsitzenden der AG Wohnsitzprämie ist „der Dekan der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät mit diesem Verfahren nicht einverstanden.“ Denn Professor Klaus Fesser meint, dass das Geld anteilmäßig auf die einzelnen Fakultäten verteilt werden soll und „für die Fakultätsanteile sollten nur die Fachschaften der Fakultät sich äußern.“ Da in Greifswald der Modellversuch läuft, wird das Projekt vielleicht anhand der Greifswalder Verbesserungen und Umsetzungen in ganz MV eingeführt. Verbesserungsvorschläge gibt es schon. Der Erlass vom Ministerium an die Universität soll angeglichen und flexibilisiert werden. Zum ersten „spricht der Erlass überhaupt nicht von den Studenten“ und zum zweiten „ist es extrem problematisch das Geld in einem Jahr auszugeben“, kritisiert Erik, denn zur Zeit ist es festgeschrieben, dass das eingenommene Geld innerhalb eines Jahres verbraucht werden muss. Des Weiteren muss der Erlass bezüglich der förderungswürdigen Projekte angepasst werden. Viele Fachschaften wünschen sich, ihre Exkursionen mit dem Geld zu finanzieren. Doch es gibt eine Exkursionsrichtlinie an der Universität, nach der keine Übernachtungen übernommen werden dürfen. Als Letztes bemängelt Erik, dass „wir im Moment kein demokratisches Verfahren haben, in dem die Fachschaften beteiligt werden.“ Der komplette Prozess wie er in letzter Zeit abgelaufen ist, war so nicht vom Ministerium geplant und deshalb auch vom Gutwillen der Universitäts- und der einzelnen Institutsleitungen abhängig. Meßerschmidt kontert, dass „in den Gesprächen über die Wohnsitzprämie nie daran gezweifelt wurde, dass die Studenten bei der Verteilung der Mittel einbezogen werden.“ Man müsse sich aber an bestimmte Regeln halten.
Wichtiges Mittel gegen Unterfinanzierung
Im letzten Jahr war die Wohnsitzprämie zum ersten Mal erfolgreich. Doch die 44 000 Euro sind den Engagierten nicht genug. Ihr Ziel für dieses Jahr sind 100 000 Euro. Hinsichtlich der Unterfinanzierung der Universität ist jede neue Einnahmequelle eine Hilfe, deshalb verwundert es umso mehr, dass das Projekt nur mangelhaft mit fünf iPads von der Universitätsleitung im letzten Jahr beworben wurde. Falls der Kampagne dieses Jahr mehr Studenten folgen, ist es wichtig, dass die Studierendenschaft, die Universität und das Land vorher die rechtlichen Angelegenheiten klären und den Erlass anpassen. Sonst haben die Studenten keinen Anspruch auf das Geld oder was damit gemacht wird, obwohl es ihrem Engagement geschuldet ist.
Ein Bericht von Anne Sammler.
von moritz.magazin | 18.06.2013
100 Tage ist es her, dass die Toni-Kroos-Universität einen neuen Rektor bekommen hat: Professor Milos Rodatos. Dieser ist nicht nur ein ehemaliger Student der Universität, sondern auch der jüngste Rektor Norddeutschlands. Anlass genug, sich mit ihm persönlich zu treffen.
Vom Präsidenten des Studierendenparlamentes (StuPa) zum Rektor: Wie haben sich die vergangenen 20 Jahre angefühlt?
(schmunzelt und zeigt mit dem linken Daumen nach oben) Es waren einige sehr emotionale Momente dabei. Sei es der Bachelor- und Masterabschluss oder auch das Erreichen des Doktortitels und schlussendlich die Berufung nach Rostock. Der Rektorensessel der Toni-Kroos-Universität Greifswald (TKU) war jedoch immer das Ziel, auf das ich hingearbeitet habe.
Wir feiern dieses Jahr den 575. Geburtstag der Universität. Inwieweit sehen Sie den Fortschritt in den letzten 20 Jahren, die Sie sicherlich mitverfolgt haben?
Die Universität hat vor allem in einem Punkt dazu gelernt: Studierende und Unileitung ziehen inzwischen zusammen an einem Strang. So hat die verfasste Studierendenschaft endlich ein größeres Mitspracherecht bekommen. Als ich zu meinen Masterzeiten das Amt des AStA-Vorsitzenden (Allgemeiner Studierendenausschuss, Anm.d.Red.) inne hatte, durfte ich bereits den Grundstein dafür mit legen: Die Vollversammlungen der Studierendenschaft wurde verbindlich! Und das dies, gut 15 Jahre später immer noch so ist, zeigt, dass es ein Schritt in die richtige Richtung war.
Sie sind der jüngste Rektor in der Geschichte Norddeutschlands. Sie wurden heute vor 100 Tagen zum Rektor gewählt. Wie hat es sich angefühlt der neue Rektor der TKU zu werden?
Ich war sehr nervös, aber zugleich äußerst glücklich darüber. Es sind natürlich große Schuhe, die ich füllen muss. Auch wenn meine Vorgänger meist Psychologen waren, sehe ich als Politologe viele Möglichkeiten die Uni zu verbessern. Der entscheidende Punkt ist doch, dass wir die Uni gemeinsam voranbringen wollen.
„Bildung und Wissenschaft sollten ein freies Gut sein.“
Bei Ihrer Investitur haben Sie eine Tradition gebrochen: Sie wollten diese unter freiem Himmel veranstalten, damit mehr Studenten dabei sein können. Zeigt das Ihre basisnahe Politik?
Dort haben die Universitätsverwaltung und ich gut zusammengearbeitet. Es war lange geplant, dass wir die Investitur auf dem Marktplatz haben. Dort konnten mindestens 200 Uniangehörige und Studenten Sitzplätze auffinden. Die beiden Leinwände waren besonders für die an den Seiten Stehenden gut. An dieser Stelle noch einmal ein großes Danke an „Die krossenMedien“ für die Liveübetragung und die Berichterstattung. Mir war es sehr wichtig so die erste Grundlage für ein gutes Verhältnis zu der Studierendenschaft zu legen. Und die fünf großen Freibierfässer haben bestimmt ein restliches gemacht (grinst zufrieden).
Ihr Präsidenten-Daumen ist durch den Verkauf von verschiedenen Produkten mittlerweile sehr beliebt. In unseren Archiven findet man Artikel, in denen Sie am Anfang gar nicht so begeistert von der Idee waren. Hat sich das geändert?
Anfangs habe ich mich natürlich sehr gewundert und war dem Projekt sehr skeptisch gegenüber. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass die Kampagne „StuPa greifbarer machen“ große Veränderungen mit sich brachte: Nicht nur, dass die Besucherbänke des StuPa stets gefüllt waren, auch die Wahlbeteiligung ist radikal angestiegen. So konnte bei der letzten StuPa-Wahl (2032) die 60 Prozent-Hürde zum ersten Mal in der Universitätsgeschichte geknackt werden. Darauf bin ich auch als Rektor stolz und nehme es gerne in Kauf, mein Gesicht auf T-Shirts, Basecaps, Postern und anderen Merchandiseprodukten zu sehen. Die damaligen Köpfe hinter der Kampagne haben inzwischen die Rechte daran an die Universität verkauft und somit ein zusätzliches finanzielles Standbein für die Universität geschaffen.
Wie sehen die Ziele für Ihre Amtszeit aus?
Bereits zu meinen StuPa-Zeiten lag mir das OpenAccess-Projekt am Herzen. Bildung und Wissenschaft sollten ein freies Gut an der TKU sein. Wir haben noch ein wenig im Senat zu kämpfen, aber ich sehe dem Ganzen sehr positiv entgegen und bin fest davon überzeugt, dass das in den nächsten zwei Monaten spätestens umgesetzt werden kann. Aber auch die Vernetzung im Ostseeraum liegt mir sehr am Herzen. Gerade mit unserer Partneruniversität in Riga möchte ich gerne mehr zusammenarbeiten. Wir könnten noch viel mehr Konferenzen auf die Beine stellen und uns gegenseitig öfter besuchen.
Dieses Interview entspringt der Fantasie der beiden Autorinnen. Milos Rodatos hat die Aussagen nie getätigt und falls er sich durch diese genötigt oder unter Druck gesetzt fühlt, zitieren wir ihn selbst:„YOLO“.
Ein Interview von Natalie Rath & Anne Sammler (die 2033 hoffentlich ihr Studium abgeschlossen haben)
von moritz.magazin | 18.06.2013
Zukunft! Jeder von uns erwartet etwas anderes. Heute etwas anderes als morgen. Greifswald ist genau die Stadt, die man sich ansehen muss, um die Zukunft abschätzen zu können. Hier studieren die Menschen der Zukunft. Wir sind die Zukunft. Aber was bedeutet das eigentlich? Sollten wir nicht große Angst haben vor dem Ungewissen? Nein, denn Angst lähmt uns und lässt uns an Bestehendem festhalten. Man kann nicht immer alles planen. Einige Dinge ergeben sich einfach. Ich finde, wir sollten leben, wie wir es für richtig halten. Wir sollten tun, was uns Spaß macht. Der Rest ergibt sich von selbst. Ich wurde einmal gefragt: „Wo siehst du dich in zehn Jahren?“ Ich konnte diese Frage nicht beantworten. Gerade jetzt in diesem Abschnitt unseres Lebens kann so viel passieren. Alles kann sich ändern. Wir können uns noch einmal verändern. Zehn Jahre wirkt eigentlich nicht viel aus der Sicht unserer Eltern oder Großeltern. Aber für uns. Was mache ich nun in zehn Jahren? Vielleicht studiere ich immer noch, was ich nicht hoffe. Vielleicht arbeite ich in meinem Traumjob, aber vielleicht bin ich auch Taxifahrer, was bei meinem Studium ganz normal scheint. Das Wichtigste ist doch, dass wir bei dem, was wir tun, glücklich sind und es gern machen.
Die Welt wird sich ohnehin drastisch verändern. Denkt doch mal zurück. Vor zehn Jahren hatten wir noch keine Smartphones oder Tablets, wir hatten zwar schon den Euro, aber der steckte damals noch nicht in der Krise. Wenn wir einmal ganz krass zurückgehen: Vor 30 Jahren war hier noch keine Demokratie. Warum sollte ich also wissen wollen, wie die Zukunft aussieht?
Willy Brandt sagte einmal: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Diese Meinung teile ich. Wir haben das nötige Werkzeug in unserer Hand oder besser gesagt in unseren Köpfen. Wir können aus dem Leben das Beste machen. Meinetwegen müssen wir nicht gleich die ganze Welt retten, aber wenn jeder so lebt, dass er ein kleines Stück der Welt verbessert, können wir zufrieden sein.
In diesem Heft seht ihr, wie sich Fachpersonal die Zukunft der Universität, der Wirtschaft und der Kultur vorstellt. Ihr seht aber auch, wie sich unsere Redaktion Gedanken über die Zukunft macht. Ob das alles ernst gemeint ist, sei dahingestellt. Also viel Spaß beim Lesen und schreibt uns doch einfach einmal eine Mail oder bei facebook, was ihr von der Zukunft erwartet!
Anne Sammler
Das neue Magazin findet ihr überall in der Uni oder hier zum Download.
von moritz.magazin | 18.06.2013
Ob „Tauschen statt Besitzen“, „Swappen statt shoppen“ oder „Teilen statt Konsumieren“ – seit mehreren Jahren scheinen die Deutschen dem Trend verfallen zu sein, weniger selbst zu besitzen und mehr gemeinsam zu nutzen. Handelt es sich dabei nur um einen Medienhype oder führt der Trend zu einem Wandel der Gesellschaft?
Bibliotheken, Videotheken, Autovermietungen, Flohmärkte – sie alle haben als Grundsatz, dass ein Gut verliehen oder zur Weiternutzung durch einen Anderen verkauft wird. Allerdings hat sich in den letzten Jahren, besonders nach der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise, der Trend verstärkt und unter neuen Namen bemerkbar gemacht: Man spricht nun von „collaborative consumption“ oder „sharing economy“.
Die letzten Jahre waren geprägt durch neue Möglichkeiten der sozialen Netzwerke und ein verstärkter Austausch auf diesen sowie ein erhöhtes Umweltbewusstsein. Wohl auch deswegen beginnt der kollaborative Konsum, auch KoKonsum abgekürzt, sich in Deutschland zu etablieren. Laut einer Studie der Leuphana Universität Lüneburg ist die Umweltverträglichkeit für die Menschen der drittwichtigste Faktor bei Gütern und Dienstleistungen – nach der Qualität und dem Preis. Und genau darin liegen die Stärken des KoKonsums. Durch ihn werden Rohstoffe besser genutzt und wenig verwendete Geräte besser ausgelastet. Das wiederum kann Unternehmen dazu animieren, Produkte langlebiger zu gestalten.
Zwölf Prozent aller Deutschen nutzen die Möglichkeiten des gemeinsamen Konsumierens – Tendenz steigend. Gerade unter jungen Menschen ist der KoKonsum weit verbreitet: Etwa ein Viertel aller 14 bis 29-Jährigen haben Erfahrungen mit ihm, so die Studie der Leuphana Universität. Allerdings stellt sie auch fest, dass es auffallend viele junge Menschen mit höherer Bildung und Einkommen sind. Sie konstatiert, dass dreiviertel aller Deutschen mit dieser Form des Konsums noch nicht in Berührung gekommen sind. Und genau da sind die Ansatzpunkte: Mit Imagekampagnen soll der alternative Lebensstil weiter verbreitet werden, rechtlichen Grundlagen müssen hierfür geschaffen werden – und vielleicht gibt es auch Steuervergünstigungen, beispielsweise bei der Mehrwertssteuer.
Kein neuer Trend
Ganz neu ist der Trend des gemeinsamen Nutzens jedoch nicht. Schon in den 1970er Jahren kamen die Second-Hand-Läden auf – allerdings waren deren Nutzer als ‚Ökos’ verschrien. In den letzten Jahren hat sich das Image hingegen gewandelt; das Tragen von gebrauchter Kleidung avancierte zum Modetrend und ebnete somit Plattformen wie kleiderkreisel.de den Weg. Seit 2009 kann man auf dem Internetportal Klamotten und Accessoires, die man selbst nicht mehr braucht, gegen Geld oder ein anderes Kleidungsstück tauschen – pro Tag werden laut eigenen Angaben 2 000 Transaktionen getätigt und 3 500 Artikel online gestellt.
In Greifswald finden sich auch Ansätze des kollaborativen Konsums. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es den Umsonstladen, bei dem nicht mehr genutzte Gegenstände im Laden gegen andere eingetauscht werden können. „Es ist nur schade, dass es einer Wirtschafts- und Finanzkrise bedarf, um den Gebrauchswert von Gegenständen besser wert zu schätzen“, meinen die Mitglieder des Umsonstladen Greifswald e.V., „Das Funktionieren des Umsonstladens sollte aber nicht nur der Krise zugeordnet werden. Uns gab es ja schon vorher.“ Sie freuen sich über den Trend des Teilens. Auch der Möbelsprinter, der IKEA-Möbel von Rostock nach Greifswald bringt, ist eine Art der „collaborative consumption“ – mietet man doch hier für seine bestellten Möbel den Platz im Sprinter. Während der Umsonstladen sich über Spenden finanziert und damit beispielsweise die Hausmiete zahlt, nehmen die Jungs vom Möbelsprinter durch die Fahrten das Geld für das geliehene Auto ein. „Wir hoffen, dass wir irgendwann ein eigenes Elektroauto haben, mit dem wir die Fahrten erledigen können“, erzählt Philipp Hunsche, der die Idee zum Sprinter hatte. Sie wollen zwar ein gewinnbringendes Unternehmen aufbauen, dabei aber die Umwelt nicht belasten.
Tauschen bringt nicht immer Vorteile
Doch nicht immer ist es sinnvoll, Objekte miteinander zu tauschen. Eine Kurzstudie der Heinrich-Böll-Stiftung und des Naturschutzbundes zeigt, dass durch den Transport oder die Verpackung der Tauschgegenstände das eigentliche Potential der Ressourcenschonung gemindert wird. Auch können die Gegenstände übernutzt werden, wodurch sich der Verschleiß erhöht. Gibt man dann den Erlös für neue Güter aus, wird die Ressourcenschonung wieder zunichte gemacht.
Obwohl um ihn in den Medien gerade ein großer Rummel gemacht wird, hat der KoKonsum das Potential, zu einem Wandel in der Gesellschaft und des Konsumverhaltens beizutragen. Gelingt es, die Vorteile herauszustreichen, ohne die Nachteile unter den Teppich zu kehren, werden in 20 Jahren vielleicht schon über die Hälfte aller Deutschen mit ihm in Berührung.
Feature und Montage von Katrin Haubold; Grafiken: xooplathe (Menschen, Wekrzeug), Michael/FreeVector (Auto), Easyvectors (Banknoten)
von moritz.magazin | 18.06.2013
Ein Artikel des Los Angeles Time Magazine aus dem Jahre 1988 gibt Aufschluss darüber, welche Zukunftsvisionen damals über das Jahr 2013 herrschten. moritz gibt einen Einblick in den heutigen Alltag, wie er sich vor 25 Jahren ausgemalt wurde.
Das Klingeln meines Weckers reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Es klopft an der Tür, doch bevor ich überhaupt Gelegenheit erhalte, den Gast hereinzubitten, steht mein Mitbewohner schon im Zimmer. Hierbei handelt es sich nicht um die Art Mitbewohner, die um 8 Uhr morgens dein Zimmer aufsuchen, um nach einer durchzechten Nacht von den jüngsten Mensaereignissen zu berichten. Es handelt sich vielmehr um einen ordnungsfanatischen Roboter namens Ernst, der keine Abweichung vom täglichen Zeitplan zulässt: „Guten Morgen. Höchste Zeit aufzustehen. In 57 Minuten beginnt Ihre Vorlesung. Das Frühstück steht zubereitet in der Küche. Außerdem wäre eine Dusche für Sie äußerst empfehlenswert.“ Widerwillig starte ich in den Tag, bevor Ernst mit dem nächsten Schritt des Weckprogrammes beginnt und einen Eimer kaltes Wasser holt. Schon das erste Nippen am Kaffee zeigt, dass Ernsts Barista-Qualitäten deutliches Steigerungspotential besitzen. Mit diesem Gebräu könnte man Tote zum Leben erwecken – wobei es laut Zeitungstitelblatt nur noch eine Frage der Zeit sei, bis dies der Wissenschaft gelinge. Der herzhafte Schrei aus dem Zimmer meiner Mitbewohnerin verrät, dass Ernst doch auf den Wassereimer zurückgreifen durfte. An der Haustür halte ich Ausschau nach meinem e-Bike. Das aufgebrochene Schloss auf seinem Stellplatz gibt Aufschluss über sein tragisches Schicksal. Ein Glück, dass Ernst mit dem Aufwischen der Wasserpfütze beschäftigt ist, denn für eine Standpauke über akkurate Radsicherung fehlt mir dank des bevorstehenden Fußmarsches die Zeit.
Professor im Schlafrock
Knallrot erreiche ich den Vorlesungssaal. Bei all dem Ärger habe ich vergessen, die Sonnencreme LSF 50+ aufzutragen. Die 3D-Projektion meines Professors bittet darum, die Tablet-PCs schon einmal herauszuholen, während er sich einen Bademantel um seine mit Herzchen bestickte Unterhose zieht. Er bittet um Entschuldigung: Sein Roboter sei noch auf die Semesterferien programmiert. Auch seine Frau scheint in seliger Ruhe verschlafen zu haben und serviert ihm seinen Kaffee. Ich bin verwundert, dass ein Professor des Grades Alpha mit einem Beta verheiratet sein darf. In Huxleys Roman „brave new world“ wäre dies nicht möglich. Während mein Professor nun über das eigentliche Thema „Atommolekularbiologie für den Einsatz von Knochenmarkttransplantationen“ referiert, schalte ich den Kopf aus und mein Tablet an. Fred, ein Kommilitone, sitzt seit bereits acht Monaten in Amerika fest, da Smogwolken aus Asien den Flugverkehr lahm legen. Man wüsste nicht, wie sich das Ganze noch entwickeln würde, schreibt Fred. Daher muss er vorerst in Amerika bleiben, obwohl er für nur ein Semester verschwinden wollte.
Mensaessen 2.0
Der verkorkste Start in den Tag löst fast so etwas wie Vorfreude auf das Mensaessen aus. Die Auswahl der Gerichte ist aber seit den Nahrungsengpässen auf einen Einheitsbrei beschränkt. Endlich Platz genommen, verrät das Transparent meines Sitznachbarn, dass er an der Demonstration zur Herabsetzung des Rentenalters auf 84 teilnahm. Da fällt mir ein, dass ich meiner Oma am Wochenende einen Besuch in ihrer WG abstatten wollte. Glücklicherweise lassen sich keine Ersatzteile für den kaputten Kassettenspieler ihrer Mitbewohnerin finden, sodass mir eine Dauerbeschallung durch die Wildecker Herzbuben erspart bleibt. Eigentlich sollte Ernst in Omas Haushalt arbeiten, doch ihr Misstrauen gegenüber den maschinellen Zeitgenossen führte ihn in meine Studentenbude. Wenn er wüsste, welch Unheil ihm erspart bleibt, würde er seltener auf den Wassereimer zurückgreifen. Nun muss ich mich aber beeilen, um pünktlich zu meinem ersten Arbeitstag als studentische Hilfskraft zu erscheinen.
Als ich das Institut betrete, wundere ich mich schon nicht mehr über die Hightech-Schiebetüren, die sich mir über fünf Korridore bis hin zum Büro von Master Professor Alpha 42 öffnen. Er hat auf alles eine Antwort. Zumindest könnte man diese Vermutung als Fan von „Per Anhalter durch die Galaxis“ haben. Jedoch erhalte ich auf meine Frage, worin meine Aufgabe für heute bestehe, nur die Antwort „42“. Dann werde ich in ein Zimmer mit überdimensionalen Flachbildschirmen geleitet. Ein kleines Deltamädchen versucht mühsam zu erklären, dass ich eine Videokonferenz mit japanischen Wissenschaftlern abhalten werde. JAPANISCH? Aber ich kann doch gar kein japanisch. Das junge Team der Tokyo University of Modern Medicine berichtet von einer Testreihe namens „I am legend“. Das Lachen, welches ich mir bei diesem merkwürdigen Namen nicht verkneifen kann und der mich eher an Will Smith erinnert, vergeht mir bereits im nächsten Atemzug. Die Wissenschaftler erklären, dass in Japan ein Virus ausgebrochen sei. Erkrankte ziehen sich zurück, essen wenig, meiden die Sonneneinstrahlung und entwickeln eine blasse Haut, die teilweise sogar verfaule. In meinem Magen dreht sich der Mensabrei. Die Wissenschaftler berichten von sogenannten I.L.-Tabletten und manövrieren diese über einen Scanner in den Raum. Ich muss hier raus, ehe ich noch aufgefordert werde, diese Dinger zu probieren.
Nah und Frisch
Langsam wird mir die Umgebung immer grotesker. Seit wann sind Supermärkte in Hierarchieklassen unterteilt? Ganz links dürfen die Alphas schmackhafte Delikatessen einkaufen. Ich traue meinen Augen nicht, dass ich richtige Lebensmittel erwerben kann, nachdem es in der Mensa nur diesen Einheitsbrei für uns Studenten gab. Doch sobald ich den Supermarkt betrete, stellt sich die übliche Frage: Was wollte ich einkaufen? Ich zücke mein Smartphone. Ein einziger Klick auf das kleine Kühlschranksymbol gewährt mir Einblick in den WG-Kühlschrank. Er scheint nur noch von Licht gefüllt zu sein. „Vielen Dank für Ihren Einkauf. Auf Wiedersehen“, schallt es nach dem Großeinkauf aus dem Kassenautomaten. Auch, wenn die Roboter weitaus mehr Höflichkeit als ihre menschlichen Vorgänger an den Tag legen, ersehne ich mir doch eine unfreundliche Kassiererin anstelle der kalten Maschine. Wie viele Arbeitsplätze hier wohl verloren gingen? Ich sollte nicht darüber nachdenken.
Umso mehr freue ich mich nun darauf, endlich zu Hause anzukommen. Natürlich koche ich nicht. „Wieso auch?“, schaut mich meine Mitbewohnerin verwundert an, als ich sie frage wo die Kochtöpfe sind,„Ernst macht das schon.“
Doch als Import aus Indien gelingt es Ernst und seinen scharfen Kochkünsten wieder einmal, mir die Speiseröhre zu verätzen. Mir reicht es endgültig. Was für ein Tag. Fluchend verziehe ich mich in mein Zimmer und setze mich vor den Fernseher. Gerade als ich mich zurücklehne um die DVD „Der Aufstand der Alten“ dort weiterzuschauen, wo ich gestern Abend aufgehört hatte, wird meine Aufmerksamkeit zum Fenster gelenkt. Auf der Straße demonstrieren hunderte Menschen gegen die hohe Arbeitslosigkeit. Ein Anlass für die Polizei, sich in bedrohlicher Angriffshaltung zu formatieren. Der Fernseher vermag wohl die Schreie der Demonstranten zu übertönen, doch finden meine Gedanken keine Ruhe, demn der Film zeigt mir kein wirklich anderes Bild. In der Hoffnung, dass der morgige Tag mehr Raum für Optimismus lässt, lösche ich das Licht.
Das Klingeln meines Weckers reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Mit verschwommenem Blick erkenne ich, dass ich das Läuten seit bereits zwanzig Minuten erfolgreich ignoriere. Zu tief war ich in meinen Träumen um das Jahr 2013, wie es hätte sein können, versunken. Auch, wenn es bedeutet, dass ich mein Frühstück selbst zubereiten muss, bin ich doch froh, in dieser Gegenwart zu erwachen.
Ein Blick in eine alternative Realität von Ulrike Günther & Marie Wieschmann
Titelbild: Ausschnitt aus einem Gemälde von Albert Robida