CD: Pablo Sáinz Villegas – Guitar Recital (Naxos)

Das spanische Vilareal liegt zwanzig Kilometer von Benicásim entfernt. Hier treffen sich in der ersten Septemberwoche Gitarristen aus aller Herren Länder, um in der Kunst des Gitarrespielens miteinander zu wetteifern. Auf dem Programm eines jeden einzelnen Teilnehmers fehlt und darf auch sein Name nicht fehlen: Francisco Tárrega. Tárrega (1852 – 1909) ist ein Klassiker, der sich maßgeblich durch sein Wirken als Instrumentalist, Bearbeiter, Lehrer und Komponist auf dem Gebiet der Gitarre einen Namen machte. Dabei reizte er technisch und klangfarblich alle Möglichkeiten des Instrumentes aus.

Pablo Sáinz Villegas ist der Preisträger des vergangenen Jahres. Seine CD liegt bereits vor. Ein Gitarren Recital der Extraklasse. Für alle die, die gern einen Überblick über die Entwicklung der Gitarrenliteratur ausgehend vom späten 19. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts haben wollen, ist diese Einspielung eine gute Empfehlung. Namen wie Turina, Torroba, Rodriogo, Gerhard oder de Falla fehlen nicht. Villegas stellt Andrés Segovia mit dessen 5 Anecdotas als einen Komponisten vor. Eine Rarität. Das Booklet bietet prägnante Hintergrundinformationen und das gespielte Programm schließt abrundend mit der Miniatur ?Maria-Gavota? von Tárrega. Die Aufnahme lebt vom spielerischen Feuer Pablo Sáinz Villegas. Ungebremster Hörgenuss auf sechs Saiten. 

Geschrieben von Uwe Roßner

CD: Charles Koechlin – Le Docteur Fabricius op. 202 & Vers la voute étoile op. 129 (Hänssler Classic)

Überraschungen gibt es immer noch. Vor allem, wenn sie die Vergangenheit betreffen. Im Bereich der diesjährigen Einspielungen ist die Wiederentdeckung des Elsässers Charles Koechlin (1867 – 1950), dem Dirigenten und Komponisten Heinz Hollinger zu verdanken. Zusammen mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart hebt er die Sinfonische Dichtung „Le Docteur Fabricius op. 202“ nach der Novelle von Charles Dollfus aus der Taufe. Eine Welturaufführung.

„Le Docteur Fabricius“ entsteht nach einer zweijährigen Schaffenspause Koechlins, ein glücklicherweise nur mittelfristiges Verstummen des Komponisten nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Sternenhimmel klingt hier anders als bei dem Nocturne für Orchester „Vers la Voûte étoilée op. 129“. Die Gestirne erstrahlen in einem jeweils ganz eigenen Glanz der Orchestergruppen und zusammengesetzten Klangfarben. Das Nocturne lässt den Zuhörer erheben, in der Symphonischen Dichtung weitet sich zwar die Brust, die Seele jedoch intoniert aus tiefer Not. Die romantisch-impressionistische Handschrift Koechlins ist ein Stil, der nicht ganz so glatt wie Debussy ins Ohr geht, der dem Hörer allerdings neue Klangräume öffnet. In der Kategorie ?Orchestermusik 20. Jahrhundert? wurde die CD für den Cannes Classical Award 2004 nominiert. Die Aufmerksamkeit ist berechtigt.

Geschrieben von Uwe Roßner

PolenmARkT 2004

Die Kulturtage des PolenmARkTs boten vom 13. bis zum 22. November eine Fülle von Möglichkeiten, sich kulturell mit dem Nachbarland vertrauter zu machen. Lesungen, Konzerte, Filme und ein Tangoabend im Theater Vorpommern vermittelten beispielsweise ein Gespür für polnische Lebensart. Das Theater Vorpommern startete die Aufführung von Slawomir Mrozèks Dreiakter ?Tango? innerhalb der neun Kulturtage. Das Ensemble controverse gab während Eröffnungsveranstaltung einen ersten Einblick in die neuere und neueste Literatur polnischer Kammermusik.

?Die Menschen haben Interesse an polnischer Kultur in Greifswald. Die Möglichkeiten sind dafür gewachsen. Es lohnt sich diese Arbeit weiterzumachen?, sagt Dr. Ulrich Rose, Vorstandsmitglied des Vereins des PolenmARkTs. Die Vorbereitungen des Festivals leben vom Engagement einzelner Personen, vor allem Studenten der Universität und Greifswalder Institutionen, die ihre Ideen in die Planung eingebracht und ihre Verwirklichung mit Enthusiasmus vorangetrieben haben. Seitdem der Verein das Festival organisiert, mausert es sich von einer einstigen universitätsinternen Veranstaltung zu einer öffentlichkeitswirksamen Kulturreihe. Eine frischerstellte Homepage gab neben dem Flyern Auskunft über das Programm. Im vergangenen Jahr setzte Gertrud Fahr mit ihrem Plakat für einen einladenden Aushang.
?Was aus Polen kommt, ist nicht schlecht. Für viele besteht dabei noch eine Hemmschwelle, sich damit auseinander zusetzen?, so Dr. Rose. ?Der PolenmARkT ermöglicht die Begegnung von Deutschen und Polen auf einer Ebene, bei der sie über ihr Verhältnis nachdenken können. Die Hoffnung, dadurch die Hemmschwelle herunterzusetzen, ist nicht ganz unberechtigt.?  
?Die Polen wissen um die Ängste, die Arbeitslosigkeit und die Armut?, sagt Agata Wisniewska-Schmidt, die sich als Projektleiterin für mit einer aufklärenden Ausstellung zum Thema Polenmärkte im Rahmen des Festivals im Geburtshaus Wolfgang Koeppens engagierte. ?Ich war anfangs geschockt wie nah sie bereits einander sind.? Die bisherige Forschungsliteratur böte zum Grenzgebietsphänomen PolenmARkT kaum Auskunft. Mit jeweils einem Journalisten und Fotographen aus den beiden Nachbarländern entdeckte sie die Beziehungen zwischen Menschen zweier Nachbarstaaten innerhalb der anfänglichen Rolle von Käufer und Verkäufer, die sich zu herzlicher Freundschaft wandeln kann.
Der PolenmARkT erhielt für seine Bemühung um Kulturvermittlung im Jahr des Beitritts Polens in die EU zum Festivalauftakt von offizieller Seite wenig Beachtung.
Gemeint sind damit die Vertreter der Stadt und der Universitätsleitung. ?Einladungen sind an beide herausgegangen?, versichert Dr. Ulrich Rose. Allerdings blieben Antworten aus. Nicht einmal ein beglückwünschender Gruß. Der Festivalauftakt sprach unabhängig davon deutlich für sich. Das Ensemble controverse verzückte das Publikum mit neuer polnischer Kammermusik und rahmte den literarischen Teil des Lesungskonzerts. Und dann, im Wechsel und zwischen den einzelnen Stücken:  Ungezwungen und herzlich las der polnische Dichter Mariusz Grzebalski seine Texte und die deutsche Schauspielerin Eva-Maria Blumentrath vom Theater Vorpommern die entsprechenden Übersetzungen Seite an Seite. Welch ein Anfang! 

Geschrieben von Uwe Roßner

Getanzte Emotionen: „Nachtwege“

Eine Premiere zum ersten Ballettabend der neuen Saison des Theater Vorpommerns. Ralf Dörnen schlug mit ?Nachtwege? zwar keine völlig neue Bahn ein, überraschte dennoch das Publikum und zog es in seinen Bann.

Während in der vergangenen Spielzeit die ?Erste Sinfonie von Johannes Brahms? oder die zeitlich etwas weiter zurückliegende ?5. Sinfonie von Peter I. Tschaikowsky? auf die Bühne kamen, geht der Choreograph bei seinen sinfonischen Balletten einen Schritt weiter. ?Hier geht es nicht mehr darum, auf die Komponisten-Biographien Bezug zu nehmen oder kulturellen Hintergründen nachzuspüren. Vielmehr stelle ich mir die puristische Frage, wie die Musik unmittelbar heute auf mich wirkt.? Musik und Tanz verschmelzen als gleichberechtigte Partner. Bartóks ?Divertimento für Streichorchester fügt sich an Hector Berlioz ?Les Nuits d´été? und bildet mit Benjamin Brittens ?Sinfonia da Requiem? ein Klanggebilde, das den passenden tänzerischen Raum um Melancholie, Verlust und Liebe öffnet. Spitzentanz, neoklassischer Tanz und Anlehnungen an Modern Dance á la Martha Graham verleihen der Musik sichtbare Bewegung.
?Musik wird Emotion, Emotion wird Situation, Situation wird Tanz?, so Dörnen.
Wer nach dem Sinn oder der gültigen Interpretation fragt, wird konsequent auf die Bühne verwiesen. ?Mir ist es wichtig, dass die Zuschauer mit offenem Herzen die Aufführung sehen und das sie sich selbst von der Musik und den Choreographien inspirieren lassen?, bemerkt Dörnen und fügt hinzu: ?So, wie ich von meinen Emotionen geleitet wurde und diese nun als Tanzsprache auf die Bühne bringe, so soll auch das Publikum eingeladen werden, mit seinen Gedanken zu spielen.?
Wie gut, dass solche Experimente in Greifswald möglich sind und dass das Publikums die Auseinandersetzung sucht. Der enthusiastische Applaus bestätigt es zumindest. Bravo!

Geschrieben von Uwe Roßner

Vom Lehrer zum Elternersatz

Am Studienkolleg werden ausländische Studenten auf ihr Studium vorbereitet

?Wir sind Vater, Mutter, Bruder, Opa – so ziemlich alles auf einmal?, sagt Gudrun Schimpfky, wenn man sie über das Verhältnis zu ihren Studenten fragt. Gudrun Schimpfky ist die Leiterin des Studienkollegs in der Makarenkostraße und ihre Studenten kommen aus Marokko, dem Jemen oder Israel.

Am Studienkolleg werden ausländische Studienbewerber in verschiedenen Schwerpunktkursen sprachlich und fachlich auf ihr Studium in Deutschland vorbereitet. Es gibt drei verschiedene Arten von Kursen. ?Der M-Kurs richtet sich an diejenigen, die Medizin, Biologie, Pharmazie oder Sport studieren möchten?, erklärt Gudrun Schimpfky. Die T-Kursen bereiteten auf technische, mathematische, sowie alle anderen naturwissenschaftlichen Studienfächer außer Biologie vor. ?Der G-Kurs schließlich ist zur Vorbereitung auf die sprachlichen, geisteswissenschaftlichen sowie künstlerischen Fächer gedacht.? Die Ausbildung dauert in der Regel zwei Semester und schließt mit einer ?Prüfung zur Feststellung der Eignung ausländischer Studienbewerber für die Aufnahme eines Studiums an Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland? (oder kurz: Festellungsprüfung) ab. ?Danach kann sich der Student an jeder Universität in Deutschland bewerben und wird behandelt wie ein deutscher Kommilitone auch.? Dies sei auch der Grund, warum der Unterricht bereits am siebten Januar bzw. siebten Juli ende. ?Schließlich müssen ja die Fristen für die NC-Fächer eingehalten werden.?
Der Ablauf im Studienkolleg erinnert an die Schule, ?auch wenn ich den Ausdruck ‚Schule’ im Zusammenhang mit uns nicht gerne höre.? Der Unterricht beginnt um acht Uhr und erstreckt sich in sechs bis acht Stunden über den Vormittag. Auch Hausaufgaben gibt es natürlich.
Ist das Ende des Semesters erreicht, beginnen für Gudrun Schimpfky und ihre sieben Mitarbeiter (laut Gesetzt muss jeder die Qualifikation zum Gymnasiallehrer besitzen) stressige Tage. Nun heißt es, Klausuren zu korrigieren, damit sich die Studenten schnell bewerben können. ?Eine Prüfung gibt es nach jedem der zwei Semester. Nach dem ersten Semester bekommen die Studenten eine Bewertung, die sie bestehen müssen.? Erst dann kämen sie ins zweite Semester, das sie dann mit der bereits erwähnten Feststellungsprüfung beenden.
Vorraussetzung um überhaupt am Studienkolleg zugelassen zu werden, ist das Bestehen eines Aufnahmetests im Januar bzw. August eines Jahres. Nur die besten werden zugelassen.
Das Greifswalder Studienkolleg ist eines von 25 ähnlichen Einrichtungen in Deutschland. ?Wir sind ein eigenständiges Institut und direkt dem Rektor unterstellt?, berichtet Gudrun Schimpfky. In Greifswald kämen die Studenten in erster Linie aus den arabischen Ländern. ?Das war schon zu DDR-Zeiten so.? Studienvorbereitende Kurse gäbe es hier bereits seit 1979 – und Gudrun Schimpfky ist von Anfang an dabei. ?Damals haben wir mit 30 Studenten angefangen?, erinnert sie sich. Heute sind es 130. Da stießen die Kurse häufig an ihre Kapazitätsgrenze. ?Eigentlich sollen höchstens zwanzig Studenten in einem Kurs sein; meist sind es jedoch 25.?
Auch das Haus, in dem sich das Studienkolleg befindet, hat schon bessere Zeiten erlebt. Als Kindergarten gebaut, beherbergt es seit 1997 das Kolleg. ?Als wir herkamen, war nichts hergerichtet und wir mussten uns die Möbel selbst zusammensuchen.? Ein paar Monate später habe die Uni dann jedoch gehandelt und das Erdgeschoss renovieren lassen. ?Wir sind hier ganz zufrieden – zumindest im Vergleich zu früher.? Nach der Wende befand sich das Studienkolleg nämlich in der Kapaunenstraße. Irgendwann hätten die Statiker dann herausgefunden, dass das Haus eigentlich nicht mehr nutzbar sei. ?Aber wir hatten kein anderes Gebäude.? Erst als sich das Haus gesenkt habe, habe man sich wohl oder übel etwas einfallen lassen müssen. ?Als Risse in der Wand waren, mussten wir raus.? Nach einem kurzen Zwischenspiel in der BWL, sei man dann in die Makarenkostraße gezogen.
Heute sieht Gudrun Schimpfky die Probleme woanders. ?Dieses Jahr hatten wir besonders mit der Wohnraumsituation unserer Studenten zu kämpfen.? Viele hätten kurz vor Semesterbeginn noch keine Unterkunft gehabt. ?Ich bin davon überzeugt, dass auch heute noch nicht jeder eine Bleibe hat.? Doch es gibt auch positive Erlebnisse. So hätten sich auch viele Studenten in Eigenregie eine Wohnung besorgt und Wohngemeinschaften gebildet. Und wenn es hart auf hart kommt, sind Gudrun Schimpfky und ihre Mitstreiter auch gerne bereit, sich noch nach der Arbeitszeit für ihre Schützlinge zu engagieren. So hätte ein Kollege vor einiger Zeit einige Studenten beim Einzug geholfen und Möbel gefahren. ?Das gehört auch zur Betreuungstätigkeit.? Kein Wunder, dass die Lehrer so schnell zum Familienersatz werden.

Geschrieben von Kai Doering