von Archiv | 15.11.2006
Kenneth Angers „Hollywood Babylon“
Die US-amerikanische Filmgeschichte begann glorreich. Millionen Zuschauer strömten jede Woche in die Kinotheater. Die 1920er Jahre gelten als das „Goldene Zeitalter“ von Hollywood und Beginn des Studiosystems. Die Schauspieler waren Götter. Angehimmelt von ihren Fans und beschützt von den Filmmogulen.
Doch dann kommt der unanhängige Künstler und Autor Kenneth Anger und erinnert in seinem Blick hinter die Fassade des Filmgeschäfts an menschliche Abgründe und Tragödien. Die detailreichen Ausführungen – Ähnlichkeiten mit der Schreibweise von Tabloid-Blättern sind beabsichtigt – und unzähligen Fotos zeigen Hollywood ohne die alles blendenden Scheinwerfer. Die Auflistung von Drogeneskapaden, sexuellen Umtrieben aller Art und die Verlogenheit der Moral im Film, vernichtet den Glamour Hollywoods. Angers Verdienst ist zwar nur die ausführliche Auflistung aufgrund seiner Recherche. Doch kann so gängige filmgeschichtliche Auseinandersetzung mit dieser Zeit ergänzt werden. Die Neuauflage des vor über 30 Jahren erstmals auf deutsch erschienenen Werkes vereint zwei Bände mit den Traum zerstörenden Anekdoten. Im Filmgeschäft arbeiten halt auch nur Menschen.
Geschrieben von Björn Buß
von Archiv | 15.11.2006
Nick Hornbys „A long way down“
Vier Menschen beschließen in einer Silvesternacht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Zufällig treffen sie auf dem Dach eines Hochhauses aufeinander. Das als sinnlos empfundene Dasein ist ihre einzige Gemeinsamkeit, denn unterschiedlicher könnten die Protagonisten gar nicht sein.
Martin, JJ, Maureen und Jess hangeln sich von einer Hoffnung zur nächsten und vereinbaren den Valentinstag, um endgültig über einen finalen Sprung zu entscheiden. Alle Personen entwickeln sich weiter. Es ist zwar interessant, dies mitzuverfolgen, aber es bleibt auch nicht hängen.
Die Handlung ist geprägt durch die unterschiedliche Erzählweise der Protagonisten. Durch die Augen der Handelnden macht Hornby die Geschichte vierfach erfahrbar. Manche Passagen stimmen für die Dauer des Lesens nachdenklich, aber nicht darüber hinaus.
Interessant ist es, wie die verschiedenen Charaktere ihre Krise überwinden oder möglicherweise auch nicht.
Da mit zahlreichen Klischees gespielt wird, lässt sich ein Vergleich mit frühabendlicher Fernsehunterhaltung nicht vermeiden. Unterhaltsam ist die Story allemal.
Geschrieben von Judith Küther
von Archiv | 15.11.2006
Zuccheros „Fly“
Zu singen, was nötig ist, bedarf einer Stimme. Wenn darin eine leichte aufrichtige Prise Wehmut liegt, so verliert in der Musik zuweilen Geradliniges seine Süße nicht, sondern vermag sogar noch einiges dazu zu gewinnen.
Dem bärtigen Italiener mit der Sonnenbrille und dem Hut mag man dies nicht absprechen. Seit 35 Jahren bewegt sich Adelmo Fornaciari alias Zucchero im Musikgeschäft. Nach der Zusammenarbeit mit beispielsweise Miles Davis, B. B. King oder Paul Young drängt sich seit „Zu & Co“ die Frage auf, warum der Durchbruch in den USA noch aussteht. Mit dem schillernden Produzenten Don Was und interessanten Gästen hinter dem Mikrofon sieht der Erfolg des Neulings „Fly“, wenn auch sorgfältig vorbereitet, für ihn mehr als günstig aus. In „Quanti anni ho“ und „È delicato“ glänzt Zuccheros stimmlicher Schmelz. Nicht als toskanischer Don Qujiote endete der Italiener in aller Abgeschiedenheit vor seiner Windmühle, sondern meldet sich vielmehr als geistreicher Spaßvogel aus dem Tonstudio von Los Angeles zurück. Ein kleiner, feiner italienischer Satz prangt in der Hülle unter der Silberscheibe: Wie kann man fliegen, wenn man von Idioten umringt ist? Ist das nicht süß? Bedarf es der Worte mehr?
Geschrieben von Uwe Roßner
von Archiv | 15.11.2006
Jonathan Dayton und Valerie Faris‘ „Little Miss Sunshine“
Familie kann man das nicht wirklich nennen. Der Opa (Alan Arkin) kifft ständig und fliegt deshalb aus dem Altersheim. Der Sohn (Paul Dano) trotzt der Welt seit einem halben Jahr schweigend. Der Schwager (Steve Carell) überlebt einen Selbstmordversuch und muß nun rundum betreut werden. Die Hauptfigur Richard Hoover (Greg Kinnear) verspricht in Motivationskursen lebensverbessernden Erfolg. Dafür müssen Teilnehmer nur neun Stufen erklimmen. Sein eigenes und das familiäre Leben scheinen nicht verbesserungsfähig.
Einzig die siebenjährige, etwas pummelige Tochter Olive (wunderbar: Abigail Breslin) strahlt Optimismus aus. Positiv wirkt ihr Traum, am jährlichen Schönheitswettbewerb „Little Miss Sunshine“ teilzunehmen. Sie erhält eine Einladung und die ganze Familie – die keine mehr ist – macht sich auf den Weg nach Kalifornien. Große und kleine Katastrophen während der Fahrt stellen die Figuren auf eine harte Probe. Doch Olives kindlicher Optimismus darf nicht erschüttert werden, denn der Wettbewerb steht über den individuellen Interessen der Fahrgemeinschaft. Kämpferisch lösen die Einzelgänger ihre familiären Probleme und eine alte neue Gemeinschaft ist geschaffen. In ihrem Regiedebüt verzichten Jonathan Dayton und Valerie Faris auf große Emotionen. Leise Töne, kleine Gesten und wachsendes Vertrauen machen die Familie aus. Schonungslos stellt sich der Alltag der Hoovers dar und trotz der Einfachheit der filmischen Mittel überzeugt der Film. Die generationenübergreifend großartigen Darsteller sind das Aushängeschild dieser US-amerikanischen Independent-Produktion.
Geschrieben von Verena Lilge
von Archiv | 15.11.2006
Festmusik aus Sicht eines Chormitglieds
Montag, 16. 10. 2006, abends gegen zehn. Der Universitäts-Chor stand seit Stunden im unbeheizten Dom, probte, frierte, lutschte exzessiv Hustenbonbons, stand sich die Beine in den Bauch, sang sich die Stimmbänder wund. Dennoch schien es einfach nicht voran gehen zu wollen.
Es war die Generalprobe zum Jubiläumskonzert. Laut unserem Chorleiter würde dies ein sehr wichtiger Tag für den Chor werden. Alles musste stimmen, schließlich würden wir uns einer breiten Öffentlichkeit präsentieren.
Proben als Passion
Die Chorproben begannen in den Semesterferien, als man eigentlich gerne noch ein paar Tage weggefahren wäre. Aber was tut man nicht alles für die gute Sache. Und wir hatten viel zu tun. Zum einen musste die über die Semesterferien wieder eingerostete Krönungsmesse von Mozart aufgefrischt werden. Zum anderen musste ein neu komponiertes Stück, die Croy-Cantate vom Kirchenmusikdirektor, Herrn Jochen M. Modeß, einstudiert werden. Das schien zunächst eine interessante Sache zu werden. In diesem Stück wurde der universitätseigene Croy-Teppich quasi vertont. Die Noten hatten wir am Ende des letzten Semesters erhalten. Das Stück war damals noch gar nicht vollendet. Wir mussten als erste Aufgabe bei den Proben alle unsere Noten mit dem fertigen Stück abgleichen. Aufgrund der hohen Zahl der Mitwirkenden, der Solisten, dem Philharmonischen Orchester Vorpommern, dem Dom-Chor und uns, war das nicht einfach. Meist herrschte nur allgemeine Verwirrung. Wo sind wir jetzt? Wann kommt der Einsatz? Und wie wird sich das später wohl anhören?
Zusammenfassend kann man sagen: Es waren sehr kreative Proben, denn jede Woche wurden wir über die neuesten Änderungen am Stück in Kenntnis gesetzt. Und es waren verdammt viele Proben. Aber die Aussicht auf den großen Tag schien alles zu rechtfertigen.
Die heiße Phase
Schon in den Ferien war ein jeder von unserem Chorleiter, Universitätsmusik-direktor Harald Braun gebeten worden, seine persönlichen Daten wie Name und Geburtstag ans BKA zu mailen. Für Sicherheitskontrollen während des festlichen Empfangs am Dienstagmorgen. Schließlich galt höchste Sicherheitsstufe. Greifswald erwartet ja auch nicht jeden Tag so hohen Besuch. Der Bundespräsident und sogar die schwedische Königin hatten sich angesagt! Schon da hat man sich ziemlich wichtig gefühlt.
Dass das Fernsehen ebenfalls erwartet wurde und das Ganze sogar live übertragen werden sollte potenzierte dieses Gefühl nur noch. Welches Ausmaß an Sicherheitsvorkehrungen ein jeder von uns über sich würde ergehen lassen müssen, drang aber erst kurz vor dem tatsächlichen Ereignis in unser Bewusstsein.
Zuerst erhielten wir am Ende der Generalprobe alle einen Organisationsteam-Ausweis. Und dann erklärte uns Harald Braun den Zeitplan für den Empfang. Da es schon um zehn losging, sollten wir alle spätestens gegen acht Uhr am Dom sein. Ausweiskontrolle, Taschenkontrolle, Bodycheck, Spürhunde, das ganze Programm. Wir sollten Zeit mitbringen.
Für zehn Sekunden
Das taten wir dann auch. Frühzeitiges Aufstehen um sechs, duschen, frisieren, stylen, dreimal vorm Spiegel drehen und los. Es war sogar zu früh, um sich irgendwo einen Kaffee zu kaufen! Aber: Es lohnt sich ja! Das Fernsehen kommt! Und die schwedische Königin! Da möchte man ja dabei sein. Also schnell zum Dom, den tollen Ausweis griffbereit, doch… den wollte niemand sehen! Unsere Taschen wurden nicht gefilzt und abgetastet wurde auch niemand.
Nach zweistündigem Einsingen und Warten hinter der Bühne ging‘s dann los: Das Orchester begann zu spielen, alle erhoben sich, die Köpfe drehten sich erwartungsvoll zur Tür und da kamen sie dann. Die ganzen wichtigen Persönlichkeiten: Ihre Majestät Königin Sylvia, Bundespräsident Horst Köhler, unser Rektor Magnifizenz Westermann, der Kardinal, der Bischof und ganz viele andere.
Als der Chor dann einsetzte, zwischen zwei Reden das Gloria schmetternd, schwenkten die Kameras für zehn Sekunden über den Chor, aus weiter Ferne. Wofür hatte man sich nochmal so fein gemacht? Warum sagte Sylvia denn die ganze Zeit nichts und überhaupt! Aber zum Ärgern blieb gar keine Zeit.
Letzte Änderungen
Schnell fernsehfein zu den wichtigsten Vorlesungen eilen, was durchaus befremdete Blicke seitens der Kommilitonen hervorrief, was essen, noch die neue Aula besichtigen (aufgemalter Stuck…) und dann schon wieder fix zum Dom. Das so wichtige, repräsentative Konzert nahte!
Konzentriertes Einsingen, Noten zurecht suchen, den letzten Anti-Halsschmerz-Tee austrinken. Kurz vor Konzertbeginn teilte uns der Komponist Modeß noch die letzten, ultimativen, finalen Änderungen in der Cantate mit.
Aber bevor man sich so richtig aufregen konnte, hatte das Konzert auch schon begonnen. Die Brahmsche Ouvertüre und die Mozartsche Messe gelangen erwartungsgemäß gut. Nun kam die Probe aufs Exempel: Die Uraufführung der Croy-Cantate. Alles bezog Position, es sollte nämlich die räumliche Aufteilung des Teppichs dargestellt werden. Der Uni-Chor stand um das Publikum herum, als Teppichrand. Wir waren quasi die Troddeln. Was zur Folge hatte, dass man den Zuhörern direkt ins Ohr sang. Die Armen.
Jeder zählte eifrig Takte, versuchte, die Einsätze und die Töne zu treffen, deutlich zu artikulieren und den Takt zu halten. Es gab dennoch kleine Patzer, aber mit der entsprechenden Überzeugungskraft gesungen passte das ins Stück. Moderne Musik. Am Ende wurde viel applaudiert und Erleichterung machte sich breit. Wir hatten es geschafft! Das Konzert war vorbei. Man durfte die schmerzenden Beine wieder bewegen und Zufriedenheit durchströmte einen. 550 Jahre Uni Greifswald! Und wir waren dabei! Im Fernsehen! Und als Teppichtroddeln! Is dat schön!
Geschrieben von Antonia Garitz