Festmusik aus Sicht eines Chormitglieds

Montag, 16. 10. 2006, abends gegen zehn. Der Universitäts-Chor stand seit Stunden im unbeheizten Dom, probte, frierte, lutschte exzessiv Hustenbonbons, stand sich die Beine in den Bauch, sang sich die Stimmbänder wund. Dennoch schien es einfach nicht voran gehen zu wollen.

Es war die Generalprobe zum Jubiläumskonzert. Laut unserem Chorleiter würde dies ein sehr wichtiger Tag für den Chor werden. Alles musste stimmen, schließlich würden wir uns einer breiten Öffentlichkeit präsentieren.

Proben als Passion

Die Chorproben begannen in den Semesterferien, als man eigentlich gerne noch ein paar Tage weggefahren wäre. Aber was tut man nicht alles für die gute Sache. Und wir hatten viel zu tun. Zum einen musste die über die Semesterferien wieder eingerostete Krönungsmesse von Mozart aufgefrischt werden. Zum anderen musste ein neu komponiertes Stück, die Croy-Cantate vom Kirchenmusikdirektor, Herrn Jochen  M. Modeß, einstudiert werden. Das schien zunächst eine interessante Sache zu werden. In diesem Stück wurde der universitätseigene Croy-Teppich quasi vertont. Die Noten hatten wir am Ende des letzten Semesters erhalten. Das Stück war damals noch gar nicht vollendet. Wir mussten als erste Aufgabe bei den Proben alle unsere Noten mit dem fertigen Stück abgleichen. Aufgrund der hohen Zahl der Mitwirkenden, der Solisten, dem Philharmonischen Orchester Vorpommern, dem Dom-Chor und uns, war das nicht einfach. Meist herrschte nur allgemeine Verwirrung. Wo sind wir jetzt? Wann kommt der Einsatz? Und wie wird sich das später wohl anhören?
Zusammenfassend kann man sagen: Es waren sehr kreative Proben, denn jede Woche wurden wir über die neuesten Änderungen am Stück in Kenntnis gesetzt. Und es waren verdammt viele Proben. Aber die Aussicht auf den großen Tag schien alles zu rechtfertigen.

Die heiße Phase

Schon in den Ferien war ein jeder von unserem Chorleiter, Universitätsmusik-direktor Harald Braun gebeten worden, seine persönlichen Daten wie Name und Geburtstag ans BKA zu mailen. Für Sicherheitskontrollen während des festlichen Empfangs am Dienstagmorgen. Schließlich galt höchste Sicherheitsstufe. Greifswald erwartet ja auch nicht jeden Tag so hohen Besuch. Der Bundespräsident und sogar die schwedische Königin hatten sich angesagt! Schon da hat man sich ziemlich wichtig gefühlt.
Dass das Fernsehen ebenfalls erwartet wurde und das Ganze sogar live übertragen werden sollte potenzierte dieses Gefühl nur noch. Welches Ausmaß an Sicherheitsvorkehrungen ein jeder von uns über sich würde ergehen lassen müssen, drang aber erst kurz vor dem tatsächlichen Ereignis in unser Bewusstsein.
Zuerst erhielten wir am Ende der Generalprobe alle einen Organisationsteam-Ausweis. Und dann erklärte uns Harald Braun den Zeitplan für den Empfang. Da es schon um zehn losging, sollten wir alle spätestens gegen acht Uhr am Dom sein. Ausweiskontrolle, Taschenkontrolle, Bodycheck, Spürhunde, das ganze Programm. Wir sollten Zeit mitbringen.

Für zehn Sekunden

Das taten wir dann auch. Frühzeitiges Aufstehen um sechs, duschen, frisieren, stylen, dreimal vorm Spiegel drehen und los. Es war sogar zu früh, um sich irgendwo einen Kaffee zu kaufen! Aber: Es lohnt sich ja! Das Fernsehen kommt! Und die schwedische Königin! Da möchte man ja dabei sein. Also schnell zum Dom, den tollen Ausweis  griffbereit, doch… den wollte niemand sehen! Unsere Taschen wurden nicht gefilzt und abgetastet wurde auch niemand.
Nach zweistündigem Einsingen und Warten hinter der Bühne ging‘s dann los: Das Orchester begann zu spielen, alle erhoben sich, die Köpfe drehten sich erwartungsvoll zur Tür und da kamen sie dann. Die ganzen wichtigen Persönlichkeiten: Ihre Majestät Königin Sylvia, Bundespräsident Horst Köhler, unser Rektor Magnifizenz Westermann, der Kardinal, der Bischof und ganz viele andere.
Als der Chor dann einsetzte, zwischen zwei Reden das Gloria schmetternd, schwenkten die Kameras für zehn Sekunden über den Chor, aus weiter Ferne. Wofür hatte man sich nochmal so fein gemacht? Warum sagte Sylvia denn die ganze Zeit nichts und überhaupt! Aber zum Ärgern blieb gar keine Zeit.

Letzte Änderungen

Schnell fernsehfein zu den wichtigsten Vorlesungen eilen, was durchaus befremdete Blicke seitens der Kommilitonen hervorrief, was essen, noch die neue Aula besichtigen (aufgemalter Stuck…) und dann schon wieder fix zum Dom. Das so wichtige, repräsentative Konzert nahte!
Konzentriertes Einsingen, Noten zurecht suchen, den letzten Anti-Halsschmerz-Tee austrinken. Kurz vor Konzertbeginn teilte uns der Komponist Modeß noch die letzten, ultimativen, finalen Änderungen in der Cantate mit.
Aber bevor man sich so richtig aufregen konnte, hatte das Konzert auch schon begonnen. Die Brahmsche Ouvertüre und die Mozartsche Messe gelangen erwartungsgemäß gut. Nun kam die Probe aufs Exempel: Die Uraufführung der Croy-Cantate. Alles bezog Position, es sollte nämlich die räumliche Aufteilung des Teppichs dargestellt werden. Der Uni-Chor stand um das Publikum herum, als Teppichrand. Wir waren quasi die Troddeln. Was zur Folge hatte, dass man den Zuhörern direkt ins Ohr sang. Die Armen.
Jeder zählte eifrig Takte, versuchte, die Einsätze und die Töne zu treffen, deutlich zu artikulieren und den Takt zu halten. Es gab dennoch kleine Patzer, aber mit der entsprechenden Überzeugungskraft gesungen passte das ins Stück. Moderne Musik. Am Ende wurde viel applaudiert und Erleichterung machte sich breit. Wir hatten es geschafft! Das Konzert war vorbei. Man durfte die schmerzenden Beine wieder bewegen und Zufriedenheit durchströmte einen. 550 Jahre Uni Greifswald! Und wir waren dabei! Im Fernsehen! Und als Teppichtroddeln! Is dat schön!

Geschrieben von Antonia Garitz