Lecker Filmchen!

Schulterzuckende Talkgäste und -master bekannter Shows grüßen stumm. Blende. „Sind sie weg?“, fragt ein junger Typ. Ende. Keine zwei Minuten.

Ja, sie sind weg. Kein sinnentleertes Blabla fragwürdiger Gestalten, sondern studentische Filmkunst zeigt Volker Kriegers Beitrag. radio 98eins und die Medienwerkstatt des Caspar-David-Friedrich-Instituts boten am 15. Dezember ein breites Spektrum an Kurzfilmen.

Ein Strichmännchen namens Schneewitte mit ihrem männermordenden Busen durchlebt Sodom und Gomorra im Zeichentrick „Schneewitte und die Vier“ von Inga Bremer. Ein animierter Knopf geht im Beitrag „Die wundersame Reise des Herrn Orbiculus“ der Greifswalder Studentin Susann Jonneg auf Erkundungstour.
Bei zwei Realfilmen kristallisiert sich das Bild des sensiblen Mannes heraus. Dieser lässt aufgrund seiner Schüchternheit beim Flirten die Frau den ersten Schritt machen, um dann etwa, eine Berührung fürchtend, seine Hand wegzuziehen („Linie 9“ von Matthias Krause) oder seinen nervösen Magen entleert („Staila crudanta“ von Pascal Bergamin).

Außerdem gab es noch bunt animierte Tierchen, Männchen und abstrakte, geometrische Figuren auf ihrem Weg durch Labyrinthe. Thematisch wurden auch sozial kritische Töne angeschlagen. Ein Mann des „Prekariats“ verliert Frau, Job, sowie Wohnung und sieht letztlich den einzigen Ausweg im Sturz vom Balkon der Plattenbausiedlung.

Der Gewinner

19 Filme werden in zwei Stunden vorgeführt, aus denen das Greifswalder Publikum ihren Liebling wählte. Und kleine Überraschung – der diesmalige Gewinner war auch der letztmalige. Ingo Schiller begeisterte erstmals mit „Durch das Warten wachsen“ und gewann jetzt die selbst gebastelte Kamera mit „Bernd und sein Leben“. Bernds stressig anmutendes Dasein ist voller Detailliebe gedreht. Die durchgehende Stop Motion-Technik, bei der einzeln aufgenommene Einstellungen aneinander gefügt werden, macht die Besonderheit aus. So raste das Bett des schlafenden Bernds über Felder, Straßen, sowie Bahnschienen bis er in seinem Zimmer erwachte und ein normaler Tag anderer Art beginnt…

Bewährtes Rezept

Die zweite Kurzfilmnacht war ein Abend nach dem vor einem Jahr geschaffenen Konzept. Damals hatte die Radioredaktion „Kulturbeutel“ erstmals dieses filmische Ereignis organisiert. Ziel damals wie heute war, jungen Filmemachern deutschsprachiger Hochschulen die Möglichkeit zu geben, ihre Werke öffentlich zu zeigen. Zudem, wie Dorith Broja von der Radioredaktion „Kulturbeutel“ erklärt: „Wir wollen den Leuten einen schönen Abend bereiten. Dabei soll nicht an Geld gedacht, sondern sich auf den Film konzentriert und sich wohl gefühlt werden.“

Letzteres erhofften sich wohl auch die zahlreich Erschienenen. Der Andrang überstieg abermals die Kapazität der Medienwerkstatt. 150  filminteressierte Gäste und dann war Schluss. Punkt acht Uhr nahmen die Zuschauer, gestärkt mit einem Begrüßungsdrink und ausgerüstet mit Stimmzettel für den Publikumspreis auf Sitzmatten und Klappstühlen Platz.

In zwei Etappen mit dazwischen liegender Pause samt Buffet wurden nun die 19 Filme präsentiert. worden Diese waren zuvor von der Kulturredaktion demokratisch ausgewählt. Sechzig Filmemacher sendeten teilweise auch mehrere ihrer Werke ein, nachdem an ihren Medienhochschulen Anfang Oktober die zweite Kurzfilmnacht beworben wurde.

Der Talk

Fünf der Filmemacher kamen auch nach Greifswald. Während der Stimmenauszählung wurde sie von der Moderatorin dieses Abends, Tina Harz, zu Filmdrehs und Idealen befragt. So erzeugte Matthias Krause in seinem Beitrag „Linie 9“ das Fahrgefühl einer Hannoveraner U-Bahn durch bloßes Kamerarütteln und den passenden Geräuschen. Die Bahn fuhr nicht. Und es ging auch ohne Drehgenehmigung.

Weil es für junge Filmemacher in Deutschland eine finanziell sichere Zukunft nicht gibt, müssen sie auch mal weniger kreative Angebote annehmen. Ein Gefühl „wie Prostitution“ erlebte Andreas Krüger („Flucht à la carte“) beim Drehen eines Werbespots für Burger King.

Deutlich zeigte sich das Streben der jungen Regisseure, hochwertige Kurzfilme mit besonderem Inhalt zu schaffen. Und nicht im kommerziellen Allerlei zu landen.           

Geschrieben von Frauke Kibscholl

Probieren und Studieren mit drei Euro Startkapital

Jungunternehmer vermitteln Sprachreisen nach England

Eine Geschäftsidee, drei Euro Startkapital und sechs Wochen Zeit, das sind die Eckdaten des S3-Enterprise  Wettbewerbs, der von der Sparkasse Vorpommern, dem Unternehmerverband Vorpommern und dem Förderverein der Wirtschaftswissenschaften der Universität Greifswald unterstützt wird. Ziel ist es, das unternehmerische Denken und Handeln der  Studierenden zu fördern.
Am 10. November musste die Projektplanung stehen, am 21. Dezember erfolgte die Abgabe des Geschäftsberichtes. Unter den sieben teilnehmenden Teams, die während des Wettbewerbs von Experten betreut und in Crashkursen wie Marketing, Recht und Finanzmanagement auf die Marktphase vorbereitet wurden, ist auch die m3-Sprachagentur.
Matthias Dumbeck (22), Martin Honerbom (20) und Martin Cyrankowski (22) haben die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und durch den Wettbewerb eine GbR gegründet. Sie vermitteln nun Sprachreisen nach England, speziell nach Bournemouth. „Die Stadt ist fantastisch, direkt am Atlantik gelegen und das Klima entspricht überhaupt nicht den Klischees, die man sonst von England hat“, schwärmt Matthias Dumbeck, der selbst zwei Jahre dort verbrachte und in dieser Zeit viele Kontakte knüpfte. „Bisher hatte ich interessierte Leute über Umwege vermittelt, jetzt machen wir das alles selbst und auf direkten Wegen. Deshalb sind die Preise so günstig“, sagt der Politikwissenschafts- und Wirtschaftsstudent.

Arbeiten und Studieren

Sein Geschäftspartner Martin Honerbom studiert BWL und kümmert sich vor allem um den verwaltungstechnischen Bereich. Das dritte „M“ im Bunde, Martin Cyrankowski, ebenfalls BWL-Student, soll polnische Studenten als Kunden gewinnen. Der Internetauftritt der Agentur kann demnächst auch in englischer und polnischer Sprache aufgerufen werden.
Neben reinen Sprachreisen bietet die Agentur Work & Study-Programme an. Generell können die Kunden zwischen WG-Unterkünften, Hotels und Gastfamilien wählen. In Kürze gibt es außerdem die Möglichkeit als Au-Pair in Norwich zu arbeiten. „Des weiteren haben wir vor, Studenten an Partnerschulen in Spanien und Panama zu vermitteln, aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik“, sagt Dumbeck.  
Am 16. Januar erfolgte  die Abschluss-veranstaltung des S3-Enterprise Wettbewerbs. Dort mussten die Teilnehmer ihr Unternehmen vor einer Jury präsentieren. Neben Teilnehmerzertifikaten gab es dann Preise im Gesamtwert von 1500 Euro zu gewinnen.

Geschrieben von Michael Popp

Die Situation der Massenmedien in Russland

Nach dem Mord der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober 2006 rückte das Problem der Pressefreiheit in Russland zusehends in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Klagen gegen Medien und Angriffe auf Journalisten haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Anzahl der Gerichtsverfahren gegen Medien und Journalisten stieg 2006 auf 240. Gegenüber 2005 ist das eine Zunahme um sieben Verfahren, gegenüber 2004 sogar um 37. Eine Entspannung der Situation bezüglich der Medien in Russland wird nicht erwartet.

Dennoch äußerte sich Wladimir Putin zur Eröffnung des 59. Weltzeitungskongresses im Sommer des vorherigen Jahres in Moskau: „Unser Volk hat sich bewusst für die Demokratie entschieden. Ein wichtiges Unterpfand dafür, dass diese Wahl nicht rückgängig gemacht wird, ist nach wie vor die Freiheit der Massenmedien. Sie ist unsere bedeu-tende Errungenschaft und wird von der Verfassung der Russischen Föderation garantiert.“
 
Wie sieht die Situation in der russischen Medienlandschaft derzeit aus?
Zur Erinnerung: Massenmedien haben bestimmte Leistungen und Funktionen, die ihnen im Hinblick auf den (Fort-) Bestand unseres Gesellschaftssystems attestiert oder auch nur von ihnen gefordert oder als Bringschuld eingeklagt werden.
Die wichtigste aller Funktionen von Massenmedien ist die der Information. Menschen benötigen insbesondere Informationen, um sich ein Bild von der Welt zu machen, zu positionieren, zur Fähigkeit einer Meinungsbildung. Medien dienen der sozialen und politischen Sozialisation und Orientierung der Bürger in komplex organisierten Industriegesellschaften, der Unterhaltung, der Integrationsherstellung- und bewahrung der Gesellschaft. Sie dienen der Herstellung von Öffentlichkeit, sind damit Teil des Politischen. Sprachrohr – nicht nur für Demokraten – und Darstellungsräume können Medien ebenso sein, wie Teil der öffentlichen Konsensbildung und politisches Bildungsorgan. Als eine für das politische System in demokratisch organisierten Gesellschaften ganz wesentliche Leistung ist insbesondere noch die Kritik- und Kontrollfunktion zu nennen. Die Fähigkeit und Möglichkeit von Mitgliedern einer Gesellschaft zur Kritik an politischen Machtträgern muss zweifellos als ein zentrales Kennzeichen von Demokratie gewertet werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Medien ihre politische Kritik- und Kontrollfunktion erfüllen können, ist ihre Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Machteinflüssen jeglicher Art, ihre Freiheit vom staatlichen, aber auch machtvollen gesellschaftlichen Zwang und Druck. Diese Freiheit umfasst auch die Wege zu den Informationen und kann als Recht auf Öffentlichmachen bezeichnet werden. Gerade eine Demokratie lebt schließlich von der Freiheit der Informationen und unabhängige Medien sind Voraussetzungen für die Entstehung und Entwicklung demokratischer Gesellschaften.

Wie erfüllen nun Massenmedien wie das Fernsehen, Zeitungen und Radiosender diese dargestellten Funktionen in einem Land wie Russland, in dem nur noch von einer so genannten „gelenkten“ Demokratie gesprochen werden kann?  
 
Putin nennt es „gelenkte Demokratie“

Jahrzehntelang wurde das russische Mediensystem durch die dominante Kontrolle des Staates beherrscht. Dies gilt bereits für die Zarenzeit, in der das russische Zeitungswesen unter Peter dem Großen begründet wurde, genauso wie für die in der Sowjetepoche entstandenen Medien Hörfunk und Fernsehen. In der Zeit des Kommunismus wurde die Presse in hohem Maße dafür genutzt, die russische Bevölkerung im Sinne der KPDSU zu lenken und zu manipulieren. Im Parteijournalismus waren Propaganda und Zensur keine Seltenheit; Informationen konnten nur aus dem Lehrbuch der Partei gezogen werden.

In den achtziger Jahren entwickelten sich die Medien unter Gorbatschow, wenn auch begrenzt, zu einem Mittel der pluralistischen Meinungsvielfalt. Gorbatschows Leitlinien „Glasnost“ (Transparenz) und „Perestrojka“ (Umgestaltung) führten zu Veränderungen in der Sowjetunion, die vor allem für die Presse und die russische Gesellschaft von großer Bedeutung waren. Auch wenn Gorbatschows Reformierung und Modernisierung nur auf die Erneuerung des kommunistischen Systems ausgerichtet war und eine Demokratisierung des Pressewesens in dem stattfindenden Umfang nicht angestrebt wurde, so löste die teilweise Liberalisierung der Medien und das Recht auf freie Meinungsäußerung eine Bewegung in Presse und Öffentlichkeit aus, die nicht mehr aufzuhalten war. Unter dem Eindruck der Umbrüche in Osteuropa wurden die Medien zu einem wichtigen Sprachrohr für eine konsequentere Liberalisierung und drängten Gorbatschow zu deutlich weitreichenden Reformen. Die zuerst geregelte Erweiterung der Themenvielfalt und die geforderte kritische Berichterstattung der Medien entwickelte eine Dynamik in der Presse, die letztendlich zu der Verabschiedung des ersten Pressegesetzes 1990 in der ehemaligen UdSSR führte, das die Meinungs-  und Informationsfreiheit, die Freiheit der Medien vor staatlicher Einmischung, sowie das Verbot der Vorzensur garantierte.  
Wie das erste Pressegesetz der Sowjetunion, so war auch das folgende Gesetz der Russischen Föderation (GUS) „Über die Massenmedien“ von 1991 eigentlich auch nicht die logische Fortsetzung der bisherigen Reformen. Mit diesem Gesetz wurde die Zensur endgültig abgeschafft, Richtlinien zur Verhinderung der Monopolbildung im Medienmarkt vorgesehen und das Verhältnis zwischen Redaktion und Eigentümer bezüglich der Entscheidungen über die Inhalte zum Vorteil der Redaktionen geändert. Theoretisch wurde damit die Auflösung der staatlichen Kontrolle und die Demokratisierung der Massenmedien gesichert, doch praktisch unterliegt die Presse immer noch den Anweisungen des Staates.  
 
Die heutige Situation

Der nach dem Sieg Jelzins ausgebrochene Kampf der verschiedenen Wirtschafts- und politischen Gruppierungen um die Einflussnahme auf die politischen Entscheidungen im Staat, zeigte, mit welcher Wirkung Massenmedien als politisches Kampfmittel eingesetzt werden können. Vor allem seit dem massiven Medieneinsatz im Präsidentenwahlkampf 1996, als die damals vom Staat noch relativ unabhängigen Medien ihren Einfluss vor dem zweiten Wahlgang für Boris Jelzin gegen den kommunistischen Präsidentenkandidaten Gennadij Sjuganow einsetzten und Jelzin den Wahlsieg ermöglichten, ist den Regierenden die Macht der Medien vollständig bewusst geworden. Die Bedeutung der Medien zeigte sich in den neunziger Jahren demnach vor allem in Wahlkampfzeiten und bei kritischer Berichterstattung. Nachdem etwa der Fernsehsender NTW erschreckende Bilder aus dem ersten Tschetschenienkrieg ausgestrahlt hatte, wuchs die öffentliche Opposition zum Krieg. Präsident Jelzin nutzte administrative Mittel, um kritische Medien zu disziplinieren. So musste etwa NTW Mitte der neunziger Jahre regelmäßig um die Sendelizenz fürchten.

Nach dem Amtsantritt des derzeitigen Präsidenten Putin im Jahr 2000 begann der Staat, die für die Meinungsbildung wichtigen Medien – landesweit ausstrahlende Fernsehsender und auflagenstärkste Zeitungen – unter seine Kontrolle zu bringen.  Vor dem Regierungswechsel Putins gab es sechs landesweit empfangbare Fernsehsender, vier davon waren staatlich und zwei privat organisiert. Inzwischen sind es sechs staatliche Sender. Des weiteren wurden seit dem Regierungsbeginn Putins 49 Gesetzesänderungen eingebracht, die die Presse betrafen: das Gesetz über den Terrorismus, der Steuerkodex, das Gesetz über die Werbung und das Gesetz über Wahlen. Es wird erwartet, dass der Prozess der Zentralisierung der Macht durch den Staat und damit auch die Monopolisierung der Medien sich bis zu den Parlamentswahlen, die im Dezember diesen Jahres stattfinden, und zu den Präsidentenwahlen 2008 noch verstärken wird, da die Bewahrung des gegenwärtigen politischen Status zum Ziel der Präsidentenadministration erklärt worden ist.

Und um diese Politik fortzusetzen, benötigt es einen Wahlsieg der größten Partei Russlands „Einheitliches Russland“ bei den kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Diese Partei wird auch regelmäßig als „Beamtenpartei“ oder „administrative Partei“ der Obrigkeit bezeichnet, da ihr die große Mehrheit der Mächtigen in Russland angehört. So werden die wichtigsten Medien für die Mehrheitspartei unter Kontrolle gebracht und jedem Zugriff durch oppositionelle Parteien und deren Anhänger entzogen, um nichts dem Zufall zu überlassen.
 
Das Fernsehen

Das gebührenfreie Fernsehen zählt in der russischen Gesellschaft mit Abstand zur wichtigsten Informationsquelle. In einer Umfrage, die das kremlnahe Meinungsforschungsins-titut WZIOM im Herbst 2006 durchführte, erklärten 85 Prozent der russischen Bevölkerung, dass sie das nationale Fernsehen als vorwiegende Informationsquelle benutzen.

Angesichts der überaus wichtigen Rolle, die das Fernsehen in der Gesellschaft Russlands spielt, überrascht es nicht, dass es eines der ersten Ziele von Putins Kampagnen war, dieses unter seine Kontrolle zu bringen. Seit seinem Amtsantritt wurden etliche Medien von staatlich kontrollierten Holdings oder durch Tochterfirmen von Staatskonzernen übernommen. Die drei wichtigsten Fernsehsender ORT, Rossija und NTW sind verstaatlicht oder werden durch staatliche Konzerne kontrolliert.
Am Anfang seiner Präsidentschaft nahm Putin dem Oligarchen Boris Beresowskij die Kontrolle über ORT (Öffentlich Russisches Fernsehen) ab. Russlands wichtigster Fernsehsender, mit der größten Reichweite, heißt jetzt Kanal Eins heißt und wird von 99,8 Prozent der Bevölkerung empfangen. Offiziell kontrolliert die russische Regierung 51 Prozent der Aktien des Senders, 49 Prozent sind in privatem Besitz.
Rossija (auch RTR) ist der zweitgrößte russische Fernsehsender. Unter Oleg Dobrodejew, dem Generaldirektor dieses russischen Staatsfernsehens, hat Rossija ein Netzwerk von 80 regionalen Radio- und Fernsehsendern errichtet, die einheitliche und damit regierungstreue Botschaften aus Moskau ausstrahlen. Der Vorläufer des Telekanal Rossija existierte bereits zu Zeiten der Sowjetunion als offizieller Staatssender der Russischen Teilrepublik und wurde 1991 in Telekanal Rossija umbenannt. 1998 wurde der Sender in die staatliche Medienholding WGTRK integriert und untersteht seitdem indirekt der Medienaufsicht des Kremls. 96 Prozent der russischen Bevölkerung können Rossija empfangen, über 75 Prozent gaben bei einer Umfrage 2006 an,  den Sender mindestens wöchentlich eingeschaltet, womit der Sender auch in diesen beiden Disziplinen landesweit auf Rang zwei liegt (nach ORT).

Der Sender NTW war einer der Vorläufer der postsowjetischen unabhängigen Medien. Das von Wladimir Gussinski geleitete Unternehmen stellte hohe professionelle Standards für das russische Fernsehen auf, brachte Live-Übertragungen und eine scharfe Analyse der aktuellen Ereignisse. Im April 2001 übernahm der staatliche Energiegigant Gazprom die Kontrolle über den Fernsehsender NTW, den einzigen landesweit zu empfangenden Sender, der kritisch über das Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien berichtete. Offizielle Begründung der Übernahme war, dass Gussinskis Mediengruppe Media-Most, zu der auch NTW gehörte und deren Haupteigentümer die Gazprom war, überschuldet wäre. Dass dies in erster Linie ein Vorwand war, wurde klar, als nach der Übernahme die kritische Berichterstattung augenblicklich aufhörte.

Der russische Staat besitzt oder kontrolliert damit die wichtigsten Fernsehsender: Kanal Eins, Rossija, NTW sowie TV-Zenter und Ren-TV. Von diesen fünf widmen die erstgenannten vier etwa 90 Prozent ihrer politischen Berichterstattung den Aktivitäten von Regierung und Behörden und das fast immer in positiven oder neutralen Wendungen, wie ein Studie des Zentrums für Journalismus im März 2006 zeigte. Diese Sender wandten 4 Prozent oder weniger ihrer politischen Berichterstattung für die Opposition auf, und diese Berichte waren im Allgemeinen negativ. Nur Ren-TV widmete 19 Prozent seiner politischen Berichterstattung der Opposition.

Seit 2003 gehören damit alle landesweit ausstrahlenden Fernsehsender direkt dem Staat oder Unternehmen, an denen der Staat mehrheitlich die Aktien besitzt. Somit hat die Präsidentenadministration die strategischen Medienanstalten, die für den Wahlausgang 2007 und 2008 von Bedeutung sind, in eigenen Besitz gebracht.    
Deren Nachrichtenpolitik wird auf allen Ebenen nicht nur von staatlichen finanziellen Zuschüssen bestimmt, sondern auch von den permanenten, täglich gesendeten Impulsen des Kremls. Die regierende Elite weist die Behauptungen, es gäbe direkte Weisungen der Präsidentenadministration, weit von sich. Das Gegenteil wird von befragten Mitarbeitern bestätigt. Die überwiegende Anzahl der Fernsehsender ist untrennbar mit den Interessen ihrer Eigentümer verbunden, und die Unternehmen ihrerseits werden in Russland immer mehr vom Staat abhängig. Somit kann behauptet werden, dass praktisch die gesamte Fernsehwelt des Landes vom Staat kontrolliert wird. Deshalb bekommt das Bild des Landes, das über die Mattscheiben transportiert wird, recht sonderbare und oft illusorische Züge. Die für die Wahlen weniger wichtigen Medien – regionale private Fernsehkanäle, Presse, Radio – bleiben im Besitz entweder der regionalen Behörden oder der mit ihnen eng verbundenen bzw. von ihnen abhängigen Unternehmern. Obwohl hier die Regierung in Moskau keinen direkten Einfluss ausübt, sind auch diese Medien der Staatslinie hörig. Den wenigen von den regionalen und kommunalen Behörden unabhängigen Fernsehstationen wird vor allem durch wirtschaftliche Instrumente – Subventionen an erwünschte Medien aus dem Haushalt einerseits und steuerrechtliche Verfolgung der ungenehmen andererseits – die eigenverantwortliche Existenzgrundlage entzogen.
 
Die Printmedien

Nachdem die Regierung die Kontrolle über die nationalen Fernsehsender erlangt hatte, galt die nächste Etappe den wichtigsten Printmedien. Nach offiziellen Angaben existieren gegenwärtig über 20.000 Druckschriften in Russland. Deutlich weniger als die Hälfte davon sind gesellschaftspolitische Zeitungen, die die Wählerpräferenzen beeinflussen könnten. Die restlichen Zeitungen verfolgen die Linie der Boulevardzeitschriften, indem sie sich im Wesentlichen auf „leichtere“ Themen konzentrieren bzw. denen nur eingeschränkte Seriosität zugeschrieben werden. Die große Mehrzahl dieser Zeitungen sind die so genannten „Bezirkszeitungen“ mit kleinen Auflagen in Höhe von zwei- bis fünftausend, die hauptsächlich in begrenzten Regionen an einen konservativen, sich an diese Zeitung
gewohnten Leser richten.

Die auflagenstärksten überregionalen Zeitungen gründen Filialen in den Regionen und erscheinen als kombinierte Zeitungen wie Komsomolskaja Prawda in Nowosibirsk oder Moskowskij Komsomolez in Archangelsk. Dank einer gewissen Unabhängigkeit von den Regionalverwaltungen können diese Zeitungen mutiger auftreten, sind aber meistens wirtschaftlich unrentabel.

In diesem Spektrum stellen Moskowskij Komsomolez und die Komsomolskaja Prawda die etablierten Tageszeitungen dar. Die Moskowskij Komsomolez ist mit einer Auflage von 2,25 Millionen – nach eigenen Angaben – die derzeit mit Abstand  am weitesten verbreitete Tageszeitung Moskaus und eine der  meist gelesenen Zeitungen Russlands.

Die Komsomolskaja Prawda, die heute in einer Auflage von über 700.000 Exemplaren erscheint, wird von der Allianz Lukoil-Rosbank finanziert und ist die zweitauflagenstärkste Tageszeitung in der Russischen Föderation nach der Moskowski Komsomolez. Die Iswestija (Nachrichten), mit einer derzeitigen Auflage von 230.000 Exemplaren, wurde nach der Auflösung  UdSSR durch Privatisierung zur Aktiengesellschaft unter dem Dach von Rosbank und Lukoil. Nach der Geiselnahme von Beslan im September 2004 wurde der Chefredakteur der Zeitung, Raf Schakirow, auf politischen Druck hin entlassen, weil die Zeitung zu kritisch über die Ereignisse berichtet habe. Im Sommer 2005 wurden 50,2 Prozent der Iswestija-Aktien an den kremlnahen Medienkonzern Gazprom-Media verkauft. Heute unterscheidet sie sich kaum von anderen staatstreuen Zeitungen und wird ebenfalls eher als Boulevardzeitung denn als unabhängiges Nachrichtenmedium angesehen.  
Das seit 1990 erscheinende Blatt Nesawisimaja Gaseta (Unabhängige Zeitung) ist eine Tageszeitung mit einer Auflage von 35.000 bis 53.000 Exemplaren. Bis zum Jahr 2005 gehörte die Moskauer Zeitung dem im Exil lebenden ehemaligen Oligarchen Boris Beresowski, dann wurde sie von dem ehemaligen Regierungs-Berater Konstantin Remtschukow gekauft.

Moskowskije Nowosti ist eine russische Wochenzeitung, die in russischer und – als Moscow News – auch in englischer Sprache erscheint. Die erste Ausgabe der Zeitung erschien am 5. Oktober 1930. Sie war als sowjetische Propagandaschrift für Ausländer konzipiert und erschien zunächst nur auf Englisch. Im März 2005 verkaufte die Menatep-Bank die ihr gehörende bekannte und seit den Perestrojka-Jahren geschätzte Zeitung an einen ukrainischen Geschäftsmann, der sie kurz danach an einen russischstämmigen israelischen Geschäftsmann weiterverkaufte. Dieser erklärte sofort, die Zeitung werde ab jetzt
regierungsfreundlicher, wie üblich apolitisch.

Im Juni 2006 wurde der Kauf von 49 Prozent der Aktien der bislang einzigen tatsächlich oppositionellen Zeitung Nowaya Gazeta (Neue Zeitung) durch Michail Gorbatschow und den Bankier und Staatsduma-Abgeordneten und Mitglied der Regierungspartei „Einheitliches Russland“ Alexander Lebedew bekannt gegeben. Die restlichen 51 Prozent befinden sich weiterhin in den Händen der Redaktion. Die zweimal wöchentlich erscheinende Zeitung ist ständigem Druck von Seiten der russischen Behörden ausgesetzt. Zu den beliebtesten Mitteln gehören Klagen gegen die Zeitung vor einem Gericht mit nachfolgender Aburteilung, Überprüfungen seitens der russischen Finanzbehörden und der Brandschutz-Behörde. Dazu kommt Druck auf tatsächliche oder potenzielle Anzeigenkunden. Journalisten der Nowaja Gaseta wurden auffallend oft Opfer von Erpressungsversuchen, Überfällen und Morden. Neben den Morden an Igor Domnikow (12. Mai 2000) und Anna Politkowskaja (7. Oktober 2006), kam es zu dem bislang ungeklärten Todesfall des stellvertretenden Chefredakteurs Juri Schtschekotschichin am 3. Juli 2003.

Auf dem russischen Markt gibt es damit nur noch wenige Zeitungen, die nicht vom Staat kontrolliert werden. Dazu gehört die Tageszeitung Wedomosti (Listen) mit einer Auflage von 67.700 Exemplaren, die in ausländischem Besitz ist. Zu den Eigentümern gehören die finnische Firma Independent Media Sanoma Magazines, das Wallstreet Journal und die Financial Times. Die Zeitung konzentriert sich hauptsächlich auf Wirtschaftsnachrichten.

Die Tageszeitung Kommersant (Geschäftsmann), mit einer Auflage von etwa 131.000 Exemplaren, war wegen unabhängiger und kremlkritischer Berichterstattung im postsowjetischen Russland hoch angesehen. Ende September 2006 wurde die Zeitung, die vorher vom Kommersant-Verlag herausgegeben wurde, jedoch von Alischer Usmanow übernommen, dem Besitzer einer Vielzahl von Stahlfirmen und Präsidenten der Gazprom-Invest-Holding, einer 100-prozentigen Tochterfirma von Gazprom. Usmanow ist auf Platz 25 der Forbes-Liste der reichsten Russen. Sein Vermögen wird auf 3,1 Milliarden US-Dollar geschätzt.  
 
Der Rundfunk

Man kann feststellen, und das bestätigen Studien, dass die Berichterstattung der Radiosender deutlich weniger kontrolliert wird als die des Fernsehens oder der Zeitung, da die wenigen Nachrichtensendungen im Radio auf ein Minimum an „neutralen“ Nachrichten reduziert sind und eher unterhaltende Beiträge senden.
Radio Rossii (Radio Russlands) ist genauso wie Radio Majak (Radio Leuchtturm) ein staatlicher russischer Radiosender aus Moskau, der sein Programm landesweit ausstrahlt. Die beiden Sender, die über die größten Marktanteile verfügen, sind im Besitz der staatlichen Russischen Medienholding WGTRK, zu der auch Fernsehsender wie Telekanal Rossija und einige weitere Radiostationen gehören.

Als in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow 1990 erstmals nicht-staatliche Medien zugelassen wurden, gründete eine Gruppe von Journalisten mit einem Startkapital von 150.000 Rubel (umgerechnet etwa 430€) Echo Moskwy (Echo Moskaus). 66 Prozent der Aktienanteile des Radios hält Gazprom, der Rest der Anteile gehört den Redaktionsmitgliedern. Die Zahl der Hörer schätzt man auf 650.000 in der russischen Hauptstadt und eineinhalb Millionen in den Regionen. Unter den Moskauer Sendern ist Echo Moskwy die Nummer Zehn vom Marktanteil mit etwa fünf Prozent, landesweit beträgt der Höreranteil  etwa zwei Prozent (damit Nummer 13 der Radiostationen Russlands).
 
Fazit

Die Entfaltung der freien Medien in Russland wird beeinträchtigt durch zwei Hemmschuhe: Zum Einen sind die Medien zum spekulativen Spielball des Staates geworden und zum Zweiten wird die freie Meinungsäußerung durch immer neue repressive Gesetze im Keim erstickt.

Die russische Medienlandschaft wird auch weiterhin von der Regierung missbraucht, um politische Interessen im Land durchzusetzen und politische Gegner auszuschalten. Auch wenn der Glasnost-Prozess unter Gorbatschow eine pluralistische Meinungsvielfalt hervorgebracht hat, so ist doch die restriktive Informationspolitik Putins beängstigend und hat viele Rückschritte gebracht.
Die Ergebnisse sind offensichtlich: Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 sind 21 Journalisten in Russland vor allem aufgrund kremlkritischer Berichte ermordet worden. Auf der Rangliste zur weltweiten Situation der Pressefreiheit belegte das Land im Jahr 2006 anschaulich den erschreckenden 147. Platz von168 erfassten Länder.

Das Verschwinden von unabhängigen Medien, die für eine freie und unabhängige Berichterstattung stehen, sind für einen demokratischen Rechtsstaat, als der sich Russland gern darstellt, von größter Bedeutung. Aber die fast täglichen Angriffe auf Journalisten, die die Öffentlichkeit kritisch und unabhängig von jeglicher staatlicher Institution informieren möchten, sind auch Angriffe auf die Demokratie und auf das Recht der Bürger auf freie Informationen. Der Verfassung nach sind die russischen Massenmedien zwar frei, doch praktisch kämpfen sie noch täglich für ihre Meinungs- und Pressefreiheit. Selbstzensur ist in fast allen Medien zum Normalfall geworden.
Damit kann man sagen, dass Medien in Russland nicht als Forum für den Austausch von Meinungen dienen und die Öffentlichkeit so nicht mit einer informierten und analytischen Diskussion politischer Themen und der Regierungs- und Behördenarbeit versorgen. Russische Medien erfüllen somit nicht diejenigen Funktionen, die in einer Demokratie von ihnen verlangt werden.

Neben der Manipulation der Medien durch die Regierung kann aber auch mangelndes Bewusstsein sowohl in der Bevölkerung als auch bei vielen Journalisten und Vertretern der Rechtsprechung kritisiert werden. Nicht wenige in der Sowjetunion sozialisierte Journalisten und Richter sind es gewohnt, im Sinne der Regierung zu berichten bzw. Menschen, die gegen die Interessen des Staates handeln, zu verurteilen.

Putin äußerte sich im Juli 2006 in einem Interview mit dem ZDF noch mit den folgenden Worten: “Machen Sie sich keine Sorgen um die Entwicklung der Demokratie in Russland.“ Sein Land unterstütze die Entwicklung der Zivilgesellschaft „mit allen Mitteln“.

Die Autorin studiert Politikwissenschaft, Kommunikations-wissenschaft und Betriebswirtschaftslehre und absolvierte im letzten Jahr ein Auslandssemester in Russland.

Geschrieben von Ina Kubbe

Kritische Antwort auf „Djihad und Dhimmitude. Warum der Scharia-Islam gegen die Menschenrechte steht“

„Hätte es nicht jene mütterliche Liebe der Kirche gegeben, […] auch wenn sie am Ende den mündig gewordenen Bürger allzu sehr bedrängte […], wären die europäischen Völkerscharen in arabische Räuberhaufen ausgeartet.“ Georg Friedrich Sartorius, Geschichte des Hanseatischen Bundes, Bd. 1, Göttingen 1802, S. iV.

Die Scharia ist, „egal wie abgemildert, auf radikalste Weise […] anti-menschenrechtlich”, befindet der Greifswalder Althistoriker Egon Flaig in der Dezember-Ausgabe des moritz in seinem (äußerst scharfsinnigen und in vielen Punkten zutreffenden) Essay „Djihad und Dhimmitude – Warum der Scharia-Islam gegen die Menschenrechte steht”. Der Aufsatz ist eine überarbeitete Version eines Flaig-Artikels aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. September 2006. Wegen des Vorwurfs der Beleidigung des Islams hat Ägypten die Ausgaben der FAZ verboten. Die Regierung betonte, sie werde keine Veröffentlichungen dulden, die den Islam beleidige oder zu Hass oder Geringschätzung irgendeiner Religion aufriefe. Das ist natürlich kein demokratischer Schritt. Und vordergründig mag es Flaigs These von der nicht existenten „Toleranz des Islam“ bestätigen. Doch es zeigt auch, welche Büchse der Pandora Flaig quasi im Windschatten der Regensburger Papst-Rede geöffnet hat.

Welches wissenschaftliche Anliegen liegt seiner Auseinandersetzung mit dem Islam zu Grunde? Flaig strebt immer wieder den Vergleich von Djihad und Kreuzzügen an. Er legt Wert auf jenes von ihm skizzierte neue Paradigma, wonach „die rechtlich fixierte Unterdrückung Andersgläubiger […] unter dem Halbmond deutlich schwerer als unter dem Kreuz” gewesen sei.

Mit akribischer Sorgfalt will er dies belegen: „Was die Kreuzfahrer 1099 in Jerusalem anrichteten, das hatten die moslemischen Heerführer schon längst unentwegt praktiziert: 698 traf es Karthagos, 838 Syrakus; […] es traf Zamora (981), Coimbra (987)”, usw.

Historisch liegt Flaig richtig. Dennoch ist seine Auflistung an Perversionen kaum zu überbieten. Christliche und muslimische Massaker gegeneinander aufzurechnen, halte ich für historisch wie politisch illegitim, wenngleich eine Dämonisierung der Kreuzzüge sicher auch ahistorisch wäre. „Was haben wir nun wissenschaftlich gewonnen?”, fragt Flaig selber in anderem Zusammenhang. Diese Frage möchte ich hier in den Raum stellen.

Flaigs Argumentation ist in ihrer Essenz chauvinistisch: Er versucht eine kulturelle Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Islam zu konstruieren und historisch zu legitimieren. Ein Beitrag zur Verständigung der Weltreligionen ist das sicher nicht. Gut: provozieren, polemisieren will er. Das ist auch nötig, um die Wissenschaft weiter zu entwickeln. Revisionismus ist unabdingbar. Es stellt sich jedoch bei Flaig die Frage nach der Aufgabe der Geschichte: Was soll, was kann, was darf sie leisten – und was nicht?

„Seine Vergangenheit nicht zu kennen, heißt, sie wiederholen zu müssen. Wer weiterhin das Märchen von der islamischen Toleranz verbreitet, behindert jene muslimischen Intellektuellen, die ernsthaft an jener Reform des Islam arbeiten […]“, schrieb Flaig in seinem Essay für die FAZ. Dem möchte ich widersprechen. Wenn uns die Geschichte eines gezeigt hat, dann, dass wir nicht aus ihr lernen können. Wir sollten sie also nicht selber schon instrumentalisieren.

Überdies benutzt er „Scharia-Islam“ als wenig differenzierten Kampfbegriff. Er sei „das radikalste Gegenteil der europäischen Bürgergesellschaften“, welche „am perfektesten realisiert in antiken Stadtstaaten“ gewesen sei, wo „freie Rede [und] mehrheitliche Abstimmung den Willen der Gemeinschaft herstellten. Nichts davon im Scharia-Islam“, so Flaig. Mit welchem Recht will Flaig die europäische Bürgeridee dem Islam aufdrängen? Genau diese imperiale Geiteshaltung wirft er dem „Scharia-Islam“ doch vor, wenn er sagt, der Djihad sei „naturgemäß ein Angriffskrieg und als solcher theologisch gerechtfertigt”,  da, „wer Muslime zu bekehren sucht, […] überall wo die Scharia herrscht, getötet” werde. Nur weil die islamische Gesellschaftsidee anders (kollektiver) ist, muss sie nicht minderwertig sein. So sehr wir auch die unsere schätzen. Es wurden auch in islamischen Ländern Rechte auf  Rede- und Meinungsfreiheit auf Grundlage der Scharia gewährt (vgl. Biel, S. 214).  
„Viele Muslime leugnen die Dhimmitude”, die Ungleichbehandlung von Nicht-Muslimen im Islam, so Flaig. „Wenn das Leugnen weitergeht und wenn die Wissenschaft selber zum Terrain wird auf dem die Leugner nach Belieben […] diffamieren dürfen, dann können nur noch Anti-Leugnungsgesetze helfen […]. [Diese] greifen leider tief ein in den freien Austausch der Gedanken. Aber sie sind die logische Folge einer Wandlung des intellektuellen Feldes: Nämlich wenn die wissenschaftliche Praxis nicht mehr nach [sic!] universalen Regeln auf Wahrheit verpflichtet ist, sondern wenn ein multikulturelles Eigenrecht die Intellektuellen jeglicher Kultur auf „ihre eigene“ Wahrheit einschwört.“ Hier zeigt sich die Angst Flaigs vor einer „Hinrichtung der Geschichte“, die er 2006 bei der Tagung „Wahre Geschichte – Geschichte als Ware“ vortrug: Auch dabei dreht es sich um die Frage nach dem „Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Nietzsche).  Geschichte, fürchtet Flaig, könne vollständig für das kulturelle Gedächtnis instrumentalisiert werden. Sein Plädoyer ist daher eines dafür, dass die Geschichtswissenschaft eine Wahrheit annehmen müsse, die sich auf eine „äußere, objektive Realität” bezieht. Hier stimme ich ihm zu.
Doch Flaig lässt sich mit seinem Essay genau vor diesen Wagen spannen. Durch seinen Ansatz versucht er das kulturelle Gedächtnis des Christentums rein zu waschen, statt nach den tief liegenden Ursachen des aufkeimenden Islamismus zu fragen. Zeigt nicht die extreme Reaktion der (islamischen) ägyptischen Regierung, dass sie bemüht ist, der Radikalen im Lande Herr zu werden? Beschreibt Flaig nicht gerade die politische Instrumentalisierung des Islams und Djihads –  denn der ist bekanntlich Interpretationssache? Die Hintergründe aber spart Flaig aus; nämlich, dass es weltweit einen wachsenden religiösen Fanatismus gibt und dass die Perspektivlosigkeit in der „arabischen Welt” ihr Übriges dazu beiträgt. „Viele Rechtsgelehrte definieren den Djihad als individuelle Pflicht”, so Flaig. Die Konsequenz: „Al Qaida ist keine Verirrung, sondern entspricht dieser Traditionslinie.” Aber es ist eben nur eine Traditionslinie. Flaig selber gesteht ein, dass über diese Linie „fatalerweise […] innerhalb der orthodoxen Tradition seit dem 9. Jh. keine Einigkeit” herrsche. Ist das nicht ein positives Zeichen?

Vielleicht ist das Paradigma Flaigs ja gar nicht so neu, sondern ist in einer Kontinuität zu sehen, die sich schon vor 200 Jahren bei Satorius offenbarte.

Der Autor studiert Geschichte und Anglistik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und arbeitet seit sechs Jahren als freier Journalist.

Geschrieben von Martin Behrens

Geräusche aus dem Off

Deutsche Demokratische Untergrundtapekultur wiederentdeckt

Auch – oder nicht vielmehr gerade? – die graue DDR hatte ihren künstlerischen Untergrund. Dieser hält noch 17 Jahre nach dem Abgang des Arbeiter- und Bauernstaats Überraschungen bereit, wie das kürzlich erschienene Buch Spannung.Leistung.Widerstand.“ zeigt. Mitherausgeber Alexander Pehlemann und Zeitzeuge Claus Löser gaben im lockeren Gespräch im Ikuwo einen Einblick in den Magnetbanduntergrund der DDR.

Im Untergrund

Während der finalen Dekade der DDR begann sich eine musikalische Subkultur herauszubilden, in der ein bisschen von allem vorhanden war: Punkrevolte, Lyrik und Bildende Kunst. Jenseits staatlicher Spielerlaubnis und öffentlicher Wahrnehmung gründeten sich zahlreiche Bands und es entstanden lokale Netzwerke, in denen viele der damaligen Einflüsse verarbeitet wurden. Das stilistische Spektrum war sehr weit; vielleicht schon zu breit, um im Nachhinein konzise erfasst werden zu können. Kategorien wie New Wave, Dub und dergleichen mehr greifen angesichts dessen, was Löser und Pehlemann an Ton- und auch Bildmaterial vorstellen, nur bedingt.  Als Pehlemann ein Stück von Bert Papenfuß anspielt, bezeichnet Löser dies als Akkustik-Punk. Ein Bezeichnungskomposit also,  das aus zwei sich eigentlich widersprechenden Begriffen besteht und anzeigt, wie weit die Vielfalt gehen konnte.

Bei allen Unterschieden gab es aber doch eine Gemeinsamkeit in der Szene, erläutert Pehlemann im moritz-Gespräch. Der Do-it-yourself-Gedanke, welcher zum Teil aus dem Westen herübergekommen war und sich zum Teil auch aus der DDR-spezifischen Situation heraus ergab, spielte in jedem Fall eine Rolle.  An so etwas wie Plattenverträge oder Unterstützung in anderer Form war ja überhaupt nicht zu denken. Erst einige Zeit später, als seitens des Staates eine Art torschlusspanischer Liberalisierung gegenüber Punks und anderen Strömungen einsetzte, wurde es den Tapekünstlern möglich, sich über den Jugendsender DT 64 einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Der Sound des Mangels

Vorläufig kam also nur das Selbermachen in Frage, was allerdings viel Improvisationstalent erforderte, denn elektronische Musikinstrumente und Aufnahmetechnik waren nur schwer zu beschaffen. Claus Löser berichtet von einem Zeitgenossen, der seine gesamte LP-Sammlung verkaufte und dabei die für DDR-Verhältnisse Schwindel erregende Summe von 8000 Ostmark erhielt. Dieses Geld, wofür so mancher zu dieser Zeit fast ein Jahr arbeiten musste, floss in die  Anschaffung begehrter Westtechnik: Keyboards und Synthesizer der Marken Korg oder Casio mussten es sein. Wer diese Summen nicht aufbringen konnte, bastelte sich sein Equipment selbst oder ließ es basteln. Löser besaß einen von einem Freund zusammengelöten Eigenbauverstärker, mit dem es sich nach seinen Worten auch gut arbeiten ließ. Dass uns die Musik dieser Enthusiasten heute auf Kassettenbändern vorliegt, hängt ebenfalls mit diesem Problem zusammen: wo teure Technik nicht zu beschaffen war, begnügte man sich mit Naheliegendem. Statt der Achtspurmaschine tat es eben der Kassettenrekorder für 60 Mark, was übrigens immer noch viel Geld war. Eine LP-Produktion lag gar nicht im Bereich des Denkbaren. Das Tape hingegen war ideal, um in jener Lage dennoch Musik machen und diese einfach verbreiten zu können.

Ausgerüstet mit solchen einfachen Mitteln trafen sich die Bands in ihren Wohnzimmern, Gartenlauben oder Kellern und hielten ihre Sessions ab. Dies geschah vor allem in Zentren des DDR-Untergrundes wie dem Prenzlauer Berg in Berlin, wo besonders die Dichter Bert Papenfuß und Sascha Anderson in die Musik hinein wirkten. Letzterer hatte eine Band namens „Zwitschermaschine“, für die er die Texte schrieb. Papenfuß hingegen war in vielen verschiedenen Bezügen anzutreffen. Die Berliner Formation „Ornament&Verbrechen“ trat mit ihm auf und er sprach zu deren Musik seine Texte. Claus Löser arbeitete mit seiner Band „Die Gehirne“ in Karl-Marx-Stadt, wo der Einfluss der Bildenden Kunst sehr hoch war. Die „AG Geige“, die ebenfalls dort beheimatet war, bestand beispielsweise nur aus bildenden Künstlern. Deren Konzerte waren dementsprechend mehr Performances als alleinige Darbietung von Musik. Auftritte waren aber auch wichtig für die gegenseitige Tuchfühlung. Neue Aufnahmen konnten hier unter die Leute gebracht werden, wobei die „Auflagen“  mit selten mehr als 20 Exemplaren geradezu unterirdisch klein waren. Geld wurde dafür selten genommen: Was den Magnetbanduntergrund in der Rückschau zusätzlich so interessant macht, führen Löser und Pehlemann aus, ist die Tatsache, dass in jenen Netzwerken Kunst entstanden ist, die völlig ohne Verwertungszwang auskam. Viele der Exponenten waren, wie Pehlemann sagt, ökonomisch „freigesetzt“, und zwar dadurch, dass sie irgendeinen kleinen Job hatten, der sie ernährte. Das Leben war zudem billig und somit war trotz aller Equipmentengpässe viel Raum für das Musikmachen ohne jedes Produktbewusstsein.

Die Firma

Zwar mag der Magnetbanduntergrund erst durch die Bedingungen des real existierenden Sozialismus zu dem geworden sein, was er war und seine sehr spezielle Ästhetik ohne das Biotop DDR wohl nicht denkbar.  Aber die Erinnerungen an die Zeit vor 1990 sind dennoch nicht allzu wehmütig, so lautet jedenfalls Claus Lösers Meinung. Es dürfe nicht vergessen werden, dass man als junger Mensch damals ja gerade heraus wollte aus dem Topf, in den man heute mit anderen Augen hineinschaut. Zudem spielt bei der Erinnerung das Thema Staatssicherheit auch eine Rolle.

Im Grunde ahnte jeder in der Szene, was da im Gange war, erzählt Löser zum Problem Stasi. Man versuchte aber, in der künstlerischen Tätigkeit den Kopf von eben diesem Gedanken freizuhalten,  denn die Kunst sollte ja schließlich gerade dem Ausbruch aus dem System DDR dienen. Als jedoch nach 1990 die Enthüllungen über die Arbeit des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) begannen, zeigte sich, wie weit dessen Fühler in den Magnetbanduntergrund tatsächlich hineinreichten. Als inoffizieller Mitarbeiter enttarnt wurde beispielsweise der bereits erwähnte Sascha Anderson. Ausgerechnet dieser Mann, kommentiert Alexander Pehlemann, hatte aber viel für die Szene getan, war einer der tatkräftigsten Organisatoren im Prenzlauer Berg und brachte auch viele künstlerische Impulse mit ein. Schluchtentiefe Ambivalenzen taten sich damit auf. Andersons Akte offenbart unter anderem, dass er manche der Konzerte, die er mühselig organisierte, alsbald seinen Führungsoffizieren meldete. Dass diese mit den Umtrieben der Tapeszene hingegen nicht viel anfangen konnten, zeigten die Akten auch. Ein Versuch, den vermeintlichen Delinquenten ein Etikett zu geben, endete in Karl-Marx-Stadt mit dem Vermerk, es handle sich hier um Störer und „Expressionisten“, was völlig am Eigentlichen vorbeiging. Die Durchsetzung hatte mitunter makaberste Folgen. Es gab unter den vielen Gruppen der Tapeszene auch eine, die den Namen „Die Firma“ trug. Firma, das weiß jeder gelernte DDR-Bürger, war aber auch ein Codewort für Mielkes Stasi. Die Aufarbeitung ergab eine bitterböse Pointe: In jener Formation war eins der Mitglieder ein IM.

Alter Scheiß und 80er-Dreck

Die ersten Jahre nach der Wende brachten aber auch noch anderes mit sich als solche Entdeckungen. Löser fährt fort, dass man in dieser Zeit sehr mit der Bewältigung des völlig umgekrempelten Alltags beschäftigt war. Zudem interessierte sich sowieso niemand für das, was da im Osten der Republik gemacht worden war. Ein Teil der Aktivisten setzte die Arbeit gar nicht fort, andere wiederum gingen in neuen Projekten auf, wie zum Beispiel die „Magdalena Keibel Combo“, bestehend aus Paul Landers und Christian „Flake“ Lorenz:  Sie gründeten mit anderen Musikern die Band „Rammstein“, die heute in aller Munde ist.

Die Idee eines Buches über die Szene nebst einer Kompilation von Tapeaufnahmen lag dann irgendwie auf der Hand. Man musste gar nicht lange suchen, um die alten Kassetten zu finden. Diese trugen mittlerweile Beschriftungen wie „alter Scheiß“ und „80er-Dreck“; derbe Bezeichnungen für die eigenen Schöpfungen, was zunächst ein wenig verwundert. Löser sagt dazu, dass diese Sachen erst in der Rückschau wieder interessant wurden.

Im September des letzten Jahres gab es anlässlich des Erscheinens des Buches  „Spannung.Leistung.Widerstand.“ in der Berliner Volksbühne ein großes Zusammentreffen der damaligen Akteure und der Magnetbanduntergrund glühte noch einmal auf. Doch von einer Wiederkehr kann und soll nicht die Rede sein. Das Bewusstsein wird durch das Sein bestimmt, und dieses bestand für den Magnetbanduntergrund nun einmal in der untergegangenen DDR.

Das Buch: Spannung.Leistung.Widerstand.

Neben einem einführenden Vorwort der Herausgeber Alexander Pehlemann und Ronald Galenza finden sich auf knapp 200 Seiten Interviews und kurze Texte über den Magnetbanduntergrund der DDR. Dazu gibt es eine Doppel-CD mit insgesamt 48 Titeln aus der Szene, die von Ronald Lippok, Bert Papenfuß, Bo Kondren und Bernd Jestram – allesamt Aktivisten des Untergrundes und im Buch behandelt – zusammengestellt wurden.
Spannung.Leistung.Widerstand ist in Kooperation mit dem Label ZickZack und PomLit im Verbrecherverlag Berlin erschienen und kostet 29,90€.