Interview: „Das Land Polen unseren Mitmenschen näher bringen“

Ein Resümée des PolenmARkT ‘05 mit Professor Christian Lübcke, Vorsitzender des Greifswalder Kulturfestivals

moritz: Was ist das Ziel des PolenmARkTs?
Uns liegt daran, den Greifswaldern die polnische Kultur näher zu bringen. Aus diesem Grunde bieten wir sie auch pur, dass heißt ohne deutsche Komponenten an. Wenn ich von Kultur spreche, umfasst das alle Gebiete: vom Leben über die Musik, Literatur, Wissenschaft und so weiter. So haben beispielsweise Mensa und s*bar während der Veranstaltungstage polnische Gerichte angeboten.

Wie war die Resonanz auf die diesjährigen Veranstaltungen?
In diesem Jahr konnten wir 1.200 Besucher zählen, im Vergleich zum Vorjahr waren das 200 Interessierte mehr.

Die Tendenz ist steigend?
Im Prinzip ja. Allerdings geht es uns nicht darum, eine breite Masse anzusprechen. Dies würde uns mit der Organisation zum Beispiel von polnischen Rockkonzerten sicher gelingen. Uns geht es aber darum, die Randbereiche der Kultur, wie etwa Kammerkonzerte, zu fördern.

Wann fing die Initiative „PolenmARkT“ an?
In den 97/98-ern habe sich einige Slawistikstudenten zusammengetan, die ihren Schwerpunkt auf das Land Polen gesetzt hatten und dieses ihren Mitmenschen näher bringen wollten.

Wer und wie viele organisieren heute die Veranstaltungen? Machen auch Polen mit?
Zu 90 Prozent sind wir Deutsche. Der harte Kern besteht aus ca. 20 Organisatoren. Allerdings sind eine Menge zusätzlicher Helfer bei einzelnen Programmpunkten zur Stelle.

Woher kommen die benötigten Gelder?
Hauptgeldgeber ist zunächst einmal die Sparkasse. Die Universität hilft uns, indem Verwaltung und Organisationskosten in das Uni-Geschäft integriert sind. Zusätzlich haben wir uns in diesem Jahr an die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit gewendet. Zuguterletzt haben wir auch einige freie Förderer, die uns zur Seite stehen.

Geschrieben von Uta-Caecilla Nabert

Subtiler Humor und archaische Bilder

„4“ – Ein Nachtrag zum 23. Filmfest München

Der Film „4“, dessen Buch der Filmemacher Ilya Khrzhanovsky zusammen mit dem bekannten russischen Autor Vladimir Sorokin verfasste, entführt den Zuschauer in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Der erste Teil spielt in der Großstadt. Es ist Winter und spät Nachts treffen zufällig vier Menschen in einer Bar aufeinander. Im wirklichen Leben ist Oleg Kaufmann und handelt mit Fleisch, indem er die alten Tiefkühlbestände aus Sowjet-Zeiten auflöst. Volodya verdient seinen Lebensunterhalt als Klavierstimmer und Marina arbeitet als Prostituierte.
Den vierten im Bunde bildet der Bartender hinter seinem Tresen. Irgendwann entspinnt sich das Gespräch darüber, was man denn beruflich mache. Marina arbeitet auf einmal im Vertrieb von Klimaanlagen. Oleg behauptet, er habe sein Büro in der Lubjanka – nein, nicht beim KGB, er sei Regierungsbeamter und für das Trinkwasser des Präsidenten zuständig, denn dieser trinke nur Wasser von der Quelle der Wolga. Volodya gibt vor, Biochemiker zu sein und in einem Klon-Projet zu arbeiten – ja, menschliche Klone gebe es schon lange, seit dem zweiten Weltkrieg, man könne auch gar nicht mehr sagen wie viele geklonte Menschen tagtäglich herumlaufen. Der Bartender ist und bleibt der Bartender.
Während die erste Hälfte von Ilya Khrzhanovskys Film durch ihren subtilen Humor besticht und der Zuschauer, der ja die wahre Identität der Protagonisten kennt, schmunzeln muß, überwältigt die zweite Hälfte durch die archaische Wucht ihrer Bilder. Die Verbindung zwischen beiden Teilen ist Marina, die zum Begräbnis einer ihrer drei Schwestern reist.
Ihr Heimatdorf inmitten der russischen Provinz erwartet sie als Ort, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Verblichene Holzhütten, eine Industrieruine, streunende Hunde, sonst nur Leere. Die Zurückgebliebenen im Dorf: alte Mütterchen, Marina, ihre beiden verbleibenden Schwestern, der Freund der Toten. Die Verstorbene sicherte den Unterhalt des Dorfes, schuf Puppen aus Brotteig, den die alten Frauen für sie kauten.
Der Ort steht vor der Katastrophe. Das Totenmahl wird zum Betrinken, zur Orgie, zum Rausch – die Handkamera wie mit einem Teleobjektiv hautnah dabei. Eine Montage voller Energie und Dynamik und radikale Bilder voller Kraft und Direktheit schaffen im zweiten Teil ein Werk, wie man es nur selten zu Gesicht bekommt.
Dem unter anderem in Rotterdam preisgekrönten Film ist zu wünschen, daß er bald in den Kinos seiner Heimat gezeigt werden kann. In Russland wartet das hochpolitische Werk Khrzhanovskys noch auf die Freigabe durch die Zensur. Für den Rest der Welt ist zu hoffen, dass sich genug mutige Kinobetreiber und Filmverleiher finden, die den Film ob seiner Radikalität und Progressivität nicht einem größeren Publikum vorenthalten.

Geschrieben von Maximilian Fleischmann

Interview: Für ein Semester in Polen

moritz traf zwei Austauschstudenten aus Greifswald….

Zum Studium nach Polen? Warum beim Auslandsaufenthalt nicht gen Osten statt gen Westen? Inzwischen ist Studieren in Polen nicht mehr nur für Slawistik-Studenten attraktiv. Tendenziell kann man dort jedes Fach studieren, ein Platz in einem Austauschprogramm sogar kurzfristig bekommen.

Nichstdestoweniger ist gute Planung vonnöten: Auf jeden Fall empfehlen sich Polnisch-Kenntnisse, die vorab in einem Sprachintensivkurs erworben werden sollten. Teilweise werden Sprachkurse von den Austauschprogrammen oder den polnischen Universitäten angeboten. Andererseits gibt es Studiengänge auf Englisch, vereinzelte Seminare und Vorlesungen bisweilen auch auf Deutsch.
Erste Anlaufstelle für Studenten, die ins östliche Nachbarland wollen, ist das Akademische Auslandsamt (AAA) in der Domstraße 8. Dort wird eine ausführlicher Beratung anboten und es liegen Infoblätter und Broschüren aus.
Das Studiensystem in Polen ist dem deutschen sehr ähnlich. An den meisten Hochschulen gibt es aber keine Semester sondern das akademische Jahr.
Die Lebenskosten sind in Polen gering. Hat man ein Stipendium, entfallen die Studiengebühren an der jeweiligen Hochschule. Auslands-BAföG ist möglich.
Das SOCRATES/ERASMUS-Programm erlässt nicht nur die Studiengebühren, sondern zahlt zusätzlich ein monatliches Stipendium von rund 75 Euro. Sprachkurse vor und während des Aufenthalts werden angeboten, ein Lernvertrag zwischen den beteiligten Hochschulen soll das nahtlose Weiterstudieren nach der Rückkehr ermöglichen. Anmeldeschluß für das nächste Wintersemester beziehungsweise das Sommersemester 2007 ist Ende Februar 2006.
Auch der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD) vergibt Stipendien, allerdings stärker leistungsbezogen. Daneben bietet er jeden Sommer Polnisch-Sprachkurse an, die in diesem Jahr so wenig ausgelastet waren, dass sich der Anmeldeschluß auf den 15. Dezember verschiebt. Die Teilnahme ist immer ein gutes Argument für eine spätere Bewerbung um ein DAAD-Stipendium.

Georg Laaß

studiert Französisch, Englisch und Polnisch; ist zurzeit in Torun für sein (obligatorisches) Auslandssemeste

Was unterscheidet polnische von deutschen Studenten?
Der polnische Student ist dem deutschen überwiegend ähnlich. Es gibt dennoch Unterschiede: Er hat in der Regel bedeutend weniger Geld zur Verfügung. Nichtsdestotrotz geht der polnische Student leidenschaftlich gerne aus. Studenten in Polen sind sehr westeuropäisch orientiert und haben im Allgemeinen gute Fremdsprachenkenntnisse. In Polen lebt man als Student in der Regel zu zweit, zu dritt oder gar zu viert in einem Zimmer und bezahlt im Schnitt etwa 200-300 Zloty (50-80 Euro) pro Monat.

Was unterscheidet Studieren in Polen von Studieren in Deutschland?
Ein wichtiger Unterschied zum Studium in Deutschland ist die jahresbezogene Strukturierung des Studiums. Der Eindruck, dass das Studium “verschulter“ ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass in den Veranstaltungen Anwesenheitspflicht herrscht und dass in den Seminaren eine permanente mündliche Leistung gefordert wird – Schlafen selten möglich. Zur Beantwortung der im Unterricht gestellten Fragen ruft der Dozent oft rigoros aus der Liste der Teilnehmer auf. Die Studienbedingungen sind gut, man kann sogar sonntags in der Unibibliothek arbeiten, in den Fachbibliotheken auch samstags.

Wie klappt der „interkulturelle Austausch“?
In der Regel gut. Jeder der Erasmusstu-denten hat eine/n Mentor/in zur Lebens-bewältigung im neuen Umfeld zur Seite. Man ist in Polen offen und herzlich, freundet sich schneller an als in Deutschland. Ein Nachteil ist die quasi-separate Unterkunft der Erasmusstudenten. Es gibt das Bewusstsein für eine europäische Identität und das Wissen über den westlichen Nachbarn ist in der Regel größer als unser Wissen über Polen.

Thomas Maier

ist inzwischen wieder in Greifswald; studierte im Sommersemester 2005 Polonistik
in Krakau

Über welches Austauschprogramm bist du nach Polen gekommen?
Ich war über das Erasmus-Programm in Krakau. Im November des Vorjahres ging ich zum Akademischen Auslandsamt, das mich gleich weiter zu meinem Polonistik-Prof schickte. Er hat dann alles in die Wege geleitet. Nach Krakau zu gehen war überhaupt kein Problem. Ich bekam dort sogar einen Platz im Studentenwohnheim, habe dann aber doch privat gewohnt.

Was unterscheidet polnische von deutschen Studenten?
Auf jeden Fall feiern sie beide gleich viel! Und polnische Studenten sind ungeheuer kreativ und improvisationsfähig: Wenn einen der Prof in Krakau dazu verdonnert, ein Buch zu lesen, das es nur in der Bibliothek von Danzig gibt, dann wird irgendwie eine Kopie organisiert.

Was ist unterscheidet Studieren in Polen von Studieren in Deutschland?
Die polnischen Studenten müssen fleißiger sein. Das liegt sicherlich auch an dem deutlich hierarchischeren System an den polnischen Unis. Es gibt zwar genauso wie bei uns die Humboldtsche Einheit von Forschung und Lehre, aber die Distanz zwischen Studenten und Lehrenden ist größer.

Wie schätzt du die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland allgemein ein?
Nach dem aktuellen Regierungswechsel gibt es die Ankündigung, kompromissloser mit Deutschland und der EU zu sein. Andererseits wachsen beide Länder auf der menschlichen Ebene stark zusammen. Die größte Gruppe der Erasmus-Studenten in Polen sind Deutsche. Man wird in Polen eigentlich immer mit offenen Ohren und warm empfangen – besonders dann, wenn man ein wenig Polnisch kann!

Geschrieben von Arvid Hansmann, Ulrich Kötter

Die Filmemacher von morgen

Vom 19. bis 26. November fand in München das 25. Internationale Festival der Filmhochschulen statt. Rund 100 junge Filmemacher aus 24 Ländern zeigten im Münchner Filmmuseum vor einer hochkarätigen Jury und einem interessierten Publikum ihre Werke, wobei die Vorstellungen meistens ausverkauft waren. Und das zu recht, denn in allen Filmblöcken fanden sich unter den Beiträgen aus den verschiedensten Ländern viele neue Inspirationen, interessante Sichtweisen und fesselnde Geschichten.

Darüber hinaus wurde natürlich auch das 25-jährige Jubiläum angemessen gefeiert. 1981 erstmals veranstaltet, entwickelte sich das Filmhochschulfestival, das eng mit der Gründung des Filmfests München zusammenhängt, bald von einem rein europäischen Wettbewerb zu einem „der besten, wichtigsten und produktivsten Studentenfilmfestivals der Welt“, so Henry Verhasselt, Executive Secretary des CILECT, dem Zusammenschluss der bedeutendsten Film- und Fernsehhochschulen der Welt.
International bekannte Regisseure wie Lars von Trier, Thomas Vinterberg, Caroline Link, Rainer Kaufmann, Sönke Wortmann oder Florian Gallenberger stellten sich hier als Filmstudenten – teilweise erstmals – einem größeren Publikum. Beim Festival 1990 zeigte der Trickfilmer Nick Park seinen ersten „Wallace & Gromit“-Film.
Aber auch die Liste der Jurypräsidenten der Letzten 25 Jahre unterstreicht die Qualität des Münchner Festivals, darunter Wim Wenders, Alan Parker, Volker Schlöndorff, Bernd Eichinger, Roland Emmerich oder Fridrik Thor Fridriksson.
Immer wieder gaben sich im Laufe der Jahre weitere illustre Persönlichkeiten wie etwa Julius Epstein, der Drehbuchautor von „Casablanca“, Arthur Hiller als damaliger Präsident der „Academy of Motion Arts and Science“ oder die Filmemacher Sam Fuller und Francesco Rosi ihr Stelldichein beim Münchner Filmhochschulfestival und hielten eine Masterclass für die Teilnehmer.
Man darf also gespannt sein welche weiteren Impulse vom internationalen Festival der Filmhochschulen in den nächsten Jahren ausgehen. Eines ist jedenfalls schon heute sicher: Auch nächstes Jahr wird es wieder viele zukunftsweisende Filme, interessante Gespräche und Kontakte zwischen alten Hasen, aufstrebenden Talenten und gut informierten Besuchern geben. Das alles in einer Offenheit, für die München bekannt ist.

Geschrieben von Maximilian Fleischmann

Mangelnde Akzeptanz

Johannes Paul II: „Polen und Deutsche sind sich als Nachbarn von Gott gegeben.“

Über das Verhältnis von Polen und Deutschen, Freundschaft und gute Nachbarschaft

Ende August speiste Horst Köhler, Bundespräsident, an der Tafel von Aleksander Kwasniewski, damaliges polnisches Staatsoberhaupt. Doch bevor sich die beiden über Kalbslenden in Sahnesauce hermachten, hielt der Deutsche noch eine Tischrede, weil das so üblich ist. Von Kollege zu Kollege sprach er: „Die Menschen diesseits und jenseits der Oder und Neiße lernen sich immer besser kennen und schätzen. Das ist Voraussetzung dafür, dass wir zu guten Nachbarn werden und Freundschaft zwischen den Menschen entstehen kann. Das ist unser Ziel.“ Und am Ende der Rede stand er mit erhobenen Kelch und toastete Kwasniewski zu: „Es war Johannes Paul II., der sagte, dass sich Polen und Deutsche als Nachbarn von Gott gegeben sind. Darin liegt ein Auftrag. Lassen Sie uns diesen Auftrag annehmen.“

Für ein Staatsbankett erstaunlich, raspelte unser Mann kein Süßholz und sondierte klar die Auftragslage der beiden Völker. Nix mit Freundschaft, nix mit privilegierter Nachbarschaft, sondern: hier hat sich ein Auftrag gestellt, der beiden Seiten harte Arbeit abverlangt. Packen wir’s an. Wenn Politiker von „Aufträgen“ und „Zielen“ sprechen, dann kann es sich bei dem, was sie zu erreichen wünschen, nur um Aufgaben handeln, deren Lösung noch in weiter Ferne liegen. Man sollte Horst Köhler für diese Worte des Abends dankbar sein, denn er hat mit der Beurteilung sehr recht.
Schauen wir uns die Baustelle an. Das Gebäude steht schief, jedenfalls was die öffentliche Wahrnehmung der bilateralen Beziehungen auf außerpolitischer Ebene betrifft. Während nach landläufiger Meinung die Polen zum Spargelstechen im Bus über die Grenze kommen, lassen sich deutsche Manager bei ihren östlichen Firmenuntergebenen einfliegen. Wo jenseits der Oder Loreley und Zugspitze als akzeptiertes Reiseziel gelten, müssen sich diesseits die Masurenurlauber nach ihrer Rückkehr zuerst einmal fragen lassen, ob sie noch im Besitz ihres Autos seien. Wenn ganze Domains wie polenwitze.de das Nachbarland der Lächerlichkeit Preis geben, sind dort Späße über Deutsche Mangelware. Das jeweilige Fremdsprachenangebots in den Schulen ist nicht in Relation zu setzen. Deutsch ist nach Englisch bei den Nachbarn sehr gefragt. Die Schülerzahl für Polnischunterricht an deutschen Schulen liegt noch weit unter Alt-Griechisch und Schwedisch.
Es fehlt an gleichwertigem Respekt. Deutschland, das große und starke Wi-Wa-Wunderland, Polen der rückständige Nachbar zwischen Kartoffeläckern, Korruption und Alt-Kommunisten. Die Beziehung läuft nicht auf gleicher Augenhöhe und führt zu komplementären Rollen. Der Deutsche fühlt sich zum Nachhilfelehrer in Sachen Marktwirtschaft, Demokratie und Ordnung berufen. Aber unter den Polen ist Deutschland nicht gerade der Lieblingslehrer. Es gibt andere Favoriten. Der Deustche weiß das noch nicht. Oft genug aber nimmt man den Schülergestus in Polen auch an und glaubt was wunder über deutsche Pünktlichkeit und Präzision, Ordnung und Sauberkeit, Steifheit und Humordefizit. Abbau von Vorurteilen ist eine förderliche Maßnahme. Doch bis alle Deutschen in Polen gewesen sind und andersherum, wird Horst Köhler schon lang nicht mehr Bundespräsident sein.
Immer wieder wird die Rolle der Jugend hervorgehoben. Bei ihr verspricht man sich die größten Fortschritte am Projekt für gute Nachbarschaft und Freundschaft.

Brückenbauer in Greifswald

In Greifswald feiern sie offiziell schon Richtfest. An der Uni lernen derzeit 49 polnische Austauschstudenten, an der Mensatheke gibt es polnische Kalbslenden in Sahnesauce, das Kulturfestival PolenmARkT ist gerade erfolgreich über die Bühne gelaufen.
Wir besuchen das Wohnheim in der Geschwister-Scholl-Straße. In dem Block leben 28 polnische Studenten. Haben sie schon Freundschaft mit Deutschen geschlossen? Mitunter gebe es Kontakte. Es sei nicht so schwierig, mit Deutschen ins Gespräch zu kommen. Aber danach werde es schwierig, eine persönliche Ebene zu erreichen. Woran das liege, wollen wir wissen. Zwei Gründe. Die polnische Mentalität sei expressiver. So teile man sich untereinander direkter mit, woran das Herz jubele oder leide. Die Deutschen ließen sich nicht so leicht in die Karten schauen und machten oft ein unergründlich frohes Gesicht. Natürlich gäbe es auch einen pragmatischen Hintergrund: Freundschaft und Seelenbeichte seien keine Geschäfte, die sich in kürzester Zeit entwickeln könnten. Weder diesseits, noch jenseits von Oder und Neiße. Und weil die Austauschstudenten oft nur wenige Monate zu Gast sind, stellt sich die Einsicht in die Notwendigkeit von selbst: Sie seien hier vorrangig um Deutsch zu lernen, nicht um neue Freundschaften aufzubauen.
Wie sind die Rahmenbedingungen im Gastort, fragen wir weiter. Ehrliches und großes Lob gibt es für das Akademische Auslandsamt, die Sprachlehrer und Universitätsdozenten. Sie alle gäben ihr Möglichstes, um ihnen einen erfolgreichen Studienaufenthalt zu verschaffen. Überrascht sei man von der Lockerheit der Angestellten und Dozenten. Polnische Bürokraten und Universitätslehrer könnten sich eine Scheibe abschneiden.
Eher unglücklich sind die Studenten mit der Art ihrer Unterbringung im Wohnheim. In der Regel wohnen Polen mit Polen auf den Doppelzimmern. Allein schon der Sprache wegen würde man lieber mit deutschen Kommilitonen, wenigstens aber mit Gaststudenten anderer Nationen das Zimmer teilen wollen. Enttäuscht sei man auch von der Situation, dass polnische Studenten die größte ausländische Delegation in Greifswald bilden. Man hätte sich eine größere, internationale Durchmischung erhofft, um mehr Zeit im Dialog der Kulturen zu verbringen.

Deutschland, keine Heimat

Zuletzt fragen wir, was die Polen mit ihrer Erfahrung aus Greifswald zukünftig anfangen werden? Würden Sie nach dem Studium versuchen, in Deutschland zu arbeiten? Fast alle zieht es zurück in die Heimat. Allein der Freunde und Verwandten wegen, aber auch die fremde Sprache bildet oft eine Barriere in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Gerne wollten sie beruflich an polnisch-deutschen Unternehmungen teilhaben, die beide Nationen verbinden. Die Studenten denken darüber nach, bestimmte Vorzüge des deutschen Alltags nach Polen zu importieren, beispielsweise die offene und gelassene Atmosphäre zwischen Privatpersonen und administrativen Personal. Die deutsche Universitätslehre wolle man wiederum hinter der Grenze zurücklassen. In der Heimat lerne man systembedingt effektiver und tiefgründiger. Das Bildungsniveau der deutschen Studenten lasse zu wünschen übrig. Mit einer Mischung aus Skepsis und Neid werden hiesige Studiendauer und Prüfungsmodalitäten beäugt.
Diese selbstbewusste Einstellung erzeugt Respekt bei uns, wenngleich man diese Sichtweise nicht uneingeschränkt teilen muss. Oder wie es Horst Köhler an der Warschauer Tafel sagte: „Man braucht auch die Kraft dafür, mit Offenheit und ohne Verkrampfungen zu reagieren, wenn es einmal unterschiedliche Meinungen gibt. All das können wir uns heute zutrauen.“
Freundschaft bedeutet darüber hinaus, sich gegenseitige Herzlichkeit zu erweisen. Darin sind unter anderen die Polen Weltmeister. Eine Kostprobe gaben die polnischen Studenten im Rahmen des PolenmARkTes, finanziell und logistisch vom Auslandsamt unterstützt. Es wurde tagelang vorgekocht und Süßes gebacken, deutschsprachiges Theater einstudiert und am Ende drehte eine Kapelle aus der Nähe Stettins die Gitarrenverstärker auf, zur völligen Begeisterung des polnisch-deutschen Tanzpublikums. Für die hier vorgenommene Sezierung des bilateralen Verhältnisses konnte neben all den Vergnügungen des Abends auch eine interessante Beobachtung gemacht werden: Die Polen kippten in einem bedeutenden Punkt in ihre Rolle als belächelte Hinterwäldler zurück. Wie hieß das Motto des Abends noch gleich? Polen zu Zeiten der sozialistischen Volksrepublik. Man kleidete sich zur Erheiterung aller Beteiligten in Kittelschürze und Kopftuch und zelebrierte die polnische Mangelwirtschaft der 80er Jahre. In gewisser Weise eilten die Organisatoren so dem tief verankerten Polenbild der Deutschen willfährig voraus. Ihre eigene Sicht der Dinge versteckten sie, sicher unbewusst, am Rande des Programms in einer kaum beachteten Diashow mit Fakten aus dem heutigen Polen. Unter den gezeigten Bildern moderner polnischer Geschäftszentren- und Innenstädte war in der kommentierenden Untertitelung von „polnischer Boomwirtschaft“ und der „polnischen Vorreiterrolle im Transformationsprozess der osteuropäischen Staaten“ zu lesen. Schade das man es nur lesen konnte, denn in diesem Bewusstsein steckt der eigentliche Schlüssel zum Erfolg von Horst Köhlers Auftrag. Erst wenn man in Deutschland die Polen als europäischen Partner auf gleicher Augenhöhe wahrnimmt und akzeptiert, wird es auch auf kultureller und zwischenmenschlicher Ebene eine breite Verständigung geben können. Polnisch als zweite Fremdsprache würde an deutschen Schulen an Attraktivität stark gewinnen. Touristen würden bedenkenlos mit dem Auto über die Grenze fahren. Deutscher Spargel müsste dann doch noch von Deutschen gestochen werden und mittelständische Handwerksbetriebe aus den neuen Bundesländern bemühten sich jenseits der Oder um alltägliche Aufträge.

Geschichte ad acta

Bis zu diesem Zeitpunkt wird noch viel Wasser die Oder hinunterfließen. Unsere Gespräche mit polnischen Studenten zu beiden Seiten des Grenzflusses zeigten jedoch in einem Aspekt eine für die Zukunft günstige Konstellation. Die deutsch-polnische Geschichte im zweiten Weltkrieg hat im Umgang von Student zu Student kein Gewicht. Man will der deutschen Enkelgeneration nichts nachtragen, wenngleich die historischen Tatsachen im Hinterkopf bleiben. Natürlich auch im Bewusstsein der Deutschen, bei denen sich dadurch jeder Nationalstolz in Eigenregie kaltstellt. Dies erweist dem polnisch-deutschen Umgang eine Wohltat. Eitle Ereiferungen über ethnische und kulturelle Vorzüge der Völker wird es so bald nicht wieder geben.
Eine wesentliche Chance für das junge Polen, den nötigen Respekt aus Deutschland zu erlangen und zurückzugeben.

Geschrieben von Robert Tremmel