“Man verwendet für Zeitungsartikel keine Informationen, die durch Schnüffeleien in StudiVZ, in

Freundeskreisen der betroffenen Person o.ä. erfahren wurden. Schon gar nicht über Menschen, die vermisst werden”, sagt Korbinian Geiger. Er ist übe

r die Berichterstattung der Ostsee-Zeitung entrüstet. Und er ist nicht allein. Über 40 Studenten haben seinen Beschwerdebrief an den deutschen Presserat unterzeichnet.

Seit über zwei Wochen wird die Studentin Janine Blaul vermisst. Die Greifswalder Lokalredaktion der Ostsee-Zeitung veröffentlichte jedoch nicht nur eine Suchanzeige, sondern spekulierte auch über die Hintergründe des Verschwindens. So schreibt Lokalchef Amler in seinem Artikel vom 23. Oktober über ihre Prüfungsergebnisse, den Ausblick auf ihr Staatsexamen, ihren Beziehungsstatus und wie ihre Freunde sie als Person einschätzen. Dazu nutzte er das Studi-VZ wie zuletzt die Bild-Zeitung.

Für Jurastudent Korbinian Geiger sind dies klare Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte. Er hat nun einen Brief an den Deutschen Presserat in Bonn geschickt und sich über die Berichterstattung beschwert. Er hofft, die Zeitung erhält eine Rüge – die höchste Strafe die der Presserat aussprechen kann.

Den Brief an den Presserat haben über 40 Studenten unterschrieben. Darunter hochrangige StuPa- und viele AStA-Mitglieder, sowie andere hochschulpolitisch aktive Studenten.

In dem Schreiben an den Presserat heißt es:

Korbinian Geiger

“Am 23. Oktober fand nun diese, diesem Schreiben beiliegende, Sensationsberichterstattung über das Verschwinden der Studentin statt.

Es werden niedrige voyeuristische Instinkte bedient:

  1. In Ihrem Bekannten- und Freundeskreis wurde herumgefragt und herausgefunden, [welchen Beziehungsstatus sie hat – und dies mit dem StudiVZ-Profil verglichen], hierin sehe ich eine schwere Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte.
  2. Sie erzählte wohl von sich, [Hier folgen Aussagen zum Status Ihres Studiums]. Die Autoren des Artikels haben herausgefunden (und auch publiziert), daß [ein anderer Status richtig sei]. Dies verletzt in außergewöhnlich deutlicher Weise ihre Persönlichkeitsrechte.
  3. Richtline 8.1 VI legt eine Zurückhaltung bei der Berichterstattung nahe, diese wurde in keiner Weise gewahrt.

Bleibt festzustellen, daß, [ … ] ein solcher Artikel die Entscheidung, wieder ins „normale Leben” zurückzukehren, gewiß nicht fördert.”

[Die Stellen in Klammern wurden vom Autor gekürzt / anonymisiert]

Beschwerdeführer Korbinian Geiger sieht im Fall der Lokalredaktion Greifswald keinen Einzelfall. Im Zusammenhang mit einem Selbstmord vom Greifswalder Dom sei ebenfalls in unverantwortbarer Weise berichtet worden, so Geiger. “Der Bericht auf Seite Eins des Lokalteils war reich bebildert, unter anderem mit Fotos vom Aufprallort, detaillierte Schilderung, wie sie runterstürzte und so weiter.” Auch dort sei die Richtlinie zum Pressekodex eindeutig:

“Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.”

So dürfe es nicht weitergehen. “Selbst die Bild-Zeitung, die einen Tag später über den Fall Blaul berichtete hat, hat die Prüfungsergebnisse der Studentin nicht erwähnt”, vergleicht Geiger.

zwar ist Geiger auch AStA-Referent für Queer und Gleichstellung (Hier im Interview mit dem Moritz), führt seine Beschwerde jedoch bewußt privat. Trotzdem sind auch andere AStA-Mitglieder entrüstet. So habe Chefredakteur Amler im AStA persönlich angerufen. Man habe ihm nur unter absoluten Zitierverbot geantwortet. Diese Bitte wurde jedoch ignoriert. Am nächsten Tag standen die Aussagen trotzdem in der Zeitung – wenn auch ohne Namen.

Eine Anfrage zur Stellungnahme der Lokalredaktion blieb bisher unbeantwortet. Die Greifswalder Ostsee-Zeitung war zuletzt wegen ihrer einseitigen Berichterstattung in Bezug auf den WVG-Verkauf scharf kritisiert worden (vergleiche hier).

Die Moritz Redaktionen erinnern in diesem Zusammenhang auch an die Einladung zum Greifswalder Medien-Stammtisch. Dort sollen sich kritische Leser und Journalisten aus Greifswald und Umgebung über Medien und die richtige Berichterstattung austauschen. Nächster Termin des Medienstammtisch ist am 27. November im Café Caspar um 20 Uhr.

*Update: 1. November 2007 – 16 Uhr*

In folgender E-Mail begründet Herr Amler nun gegenüber dem webMoritz seinen Artikel. Um sie nicht zu verfälschen, drucken wir die Mail in Gänze ab:

“Sehr geehrter Herr Jabbusch!

Ich war mehrere Tage nicht in der Redaktion, insofern kann ich Ihre Mail erst heute beantworten.
Soviel vornweg: Ich freue mich, dass sich neuerdings so viele Studenten so intensiv mit der lokalen Berichterstattung unserer Zeitung beschäftigen. Das spricht doch wohl dafür, dass wir zunehmend interesanter auch für junge Menschen werden.

Natürlich sind wir jederzeit für kritische Stimmen offen und ggf. auch für Hinweise vom Deutschen Presserat, an den sich ja jeder Bürger der Bundesrepublik wenden kann, wenn er meint, Beschwerde führen zu müssen.

Was den von Ihnen angesprochenen Beitrag betrifft, so ist diese allerdings völlig unbegründet. Denn hier wurde in keinster Weise der Pressekodex verletzt. Ziffer 8 sieht ausdrücklich vor, dass Berichterstattungen über die Privatsphäre von Menschen zulässig sind, wenn dies von öffentlichem Interesse ist. Im vorliegenden Fall war es sogar von großem öffentlichen Interesse. Dies ergibt sich u.a. aus dem polizeilichen Aufruf um Mithilfe bei der Suche nach Janine Blaul, der uns zugeleitet wurde. Des Weiteren aus dem großen Polizeiaufgebot, das bei der Suche nach ihr auf der Insel Usedom eingesetzt worden ist.

Eine Nachfrage bei der Studierendenvertretung gehört für mich in einem solchen Fall ebenfalls zur notwendigen Recherche. Die beiden Studierenden, mit denen ich gesprochen haben, baten lediglich darum, nicht namentlich erwähnt zu werden. Genau daran habe ich mich gehalten. Insofern kann ich deren nachträgliche Einwände überhaupt nicht verstehen.

Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Amler”