moritz 95 – Dezember 2011 – Alles schwul oder wie?

moritz 95 – Dezember 2011 – Alles schwul oder wie?

Jetzt aber schnell!

Lieber moritz-Leser, liebe moritz-Leserin.

Besinnlichkeit ist ein Begriff, der gerne mit der Weihnachtszeit in Verbindung gebracht wird. Auch Postkarten und Werbespots erinnern häufig an diese Verknüpfung. Anscheinend hat man pünktlich zum ersten Advent in besinnlicher Stimmung zu sein – und wehe wenn nicht. Wer jetzt, kurz vor dem großem Tag, noch nicht von sich behaupten kann diesem Zustand anzugehören, sieht zu „noch schnell in Weihnachtsstimmung zu kommen“. Mir persönlich hilft da immer ein Spaziergang über den Weihnachtsmarkt.

Aber wie kommt es, dass so viele eben noch nicht „Jingle Bells“ pfeifend durch die Stadt laufen? Man könnte natürlich meinen, es lege an den Dingen, die noch für die Uni erledigt werden müssen oder am alljährlichen Geschenkestress. Doch ich habe da eine andere Erklärung. Meiner Meinung nach liegt es ganz eindeutig an den miesen Machenschaften jener Leute, die bereits drei Tage nach Beendigung des Sommers Lebkuchenherzen und Schoko-Männer in die Supermärkte infiltrieren. Die netten Figuren aus Vollmilch sind halt nicht mehr so spannend, wenn man sie seit drei Monaten beim Einkaufen antrifft. Ginge es nach mir, hätten wir da auch schon längst ein Gesetz gegen. So bleibt einem nichts anderes übrig, als zu versuchen, die Weihnachtszeit trotz alledem in vollen Zügen zu genießen.

Was gibt es auch Schöneres als ein Stück Lebkuchen zum Glühwein, wenn es draußen so richtig kalt ist. Besonders in dieser Zeit tun mir diejenigen immer ein bisschen Leid, die diese ganze vegane oder frutarische Ernährungssache mitmachen. Mir drängt sich dann oft die Frage auf: Machen die das freiwillig? Wer will schon darüber nachdenken, ob die Trauben in seinem Glühwein gesammelt wurden, nachdem sie friedlich von den Reben gefallen sind, oder ob sie brutal aus dem Leben gepflückt wurden. Tatsächlich haben sich einige moritz-Redakteure mit diesem Thema beschäftigt. Die Idee, sich im Winter frutarisch zu ernähren, wurde allerdings wieder verworfen. Zum Glück, wie ich finde. Für einen Artikel muss auch bei uns keiner verhungern. Allerdings wagten sie sich an den veganen Selbstversuch heran und stellten dafür mitten in der süßesten Jahreszeit ihre Essgewohnheiten um. Ob dies den Redakteuren schwer gefallen ist und auf welche Dinge sie im Besonderen achten mussten, könnt ihr in diesem Heft nachlesen.

Möglicherweise wäre es auch eine Aufgabe für unseren Rektor dies zu untersuchen. Der studierte Psychologe möchte sich nämlich demnächst wieder verstärkt der Forschung widmen. Vielleicht können wir uns ab 2013 auf eine Studie zur Kompatibilität von Frutariern und Weihnachten freuen. Warum er für so etwas bald Zeit haben wird, könnt ihr im Interview mit ihm auf den kommenden Seiten genauer nachlesen.

Laura-Ann Treffenfeld

Das komplette Heft als pdf könnt ihr hier herunterladen, ausgewählte Artikel wie immer direkt online lesen und kommentieren.

TITEL Colour up your life

Die Gender Trouble AG hat durch ihre gleichnamige Schwulen- und Lesbenpartys einen hohen Bekanntheitsgrad in Greifswald erlangt. In den letzten Monaten wandelte sich das Angebot in der Hansestadt und neue Initiativen bereichern die Szene.

Pauline Kagels & Sebastian Dahm, sind die Gründer des Treff MalAnders

Laut einer Meldung der Bundeszentrale für politische Bildung von 2010 sind fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell. Trotz dieser relativ hohen Anzahl sind viele von ihnen immer noch einer stetigen Diskriminierung ausgesetzt. Erst 1992 wurde Homosexualität von der Liste ansteckender Krankheiten der International Statistical Classification of Diseases der Weltgesundheitsorganisation gestrichen. Auch noch fast 20 Jahre später wird Homosexualität immer noch nicht vollständig toleriert, wie eine ältere Umfrage von MoritzTV aus dem Jahr 2007 ergeben hat. Aussagen wie „Sowas kann ich nicht begreifen und auch nicht tolerieren“ oder „Homosexualität muss genauso bekämpft werden wie das Trinken“ zeigten eindeutig die intolerante Haltung zur gleichgeschlechtlichen Liebe.

Eine weitere Umfrage, die letztes Jahr von MoritzTV durchgeführt worden ist, ergab das erfreuliche Ergebnis, dass mittlerweile mehr Befragte Homosexualität akzeptieren und auch unterstützen: „Jeder soll lieben, wen er will“. Es hat sich also etwas getan, doch wie sieht es genau in der Szene in Greifswald aus? In Greifswald gab es schon vorher Initiativen, die sich für Belange der Homosexuellen einsetzten, doch die bekannteste entwickelte sich Anfang der 1990er mit der Gender Trouble Arbeitsgemeinschaft (AG). Sie ist eine von der Greifswalder Studierendenschaft gegründete AG. Ihre Ziele sind vor allem die Erhaltung und die Weiterentwicklung der homosexuellen Szene in der Hansestadt, auch unter „Queerszene“ bekannt. Neben den sehr beliebten monatlichen Partys gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten der AG auch Aufklärungsarbeit, welche die Mitglieder leisten. Lange war sie die einzige Anlaufstelle für Homosexuelle, doch im Laufe der letzten zwei Jahre gründeten sich neue Vereine und Initiativen, welche das Spektrum in Greifswald erweitern und versuchen zu entwickeln. (mehr …)

TITEL » Ich lebe so, wie ich es will «

Tommy und Robert* sind schwul, doch nur einer von ihnen lebt seine Homosexu-alität offen aus. Wie sie zu ihrem Outing stehen, wie dies ihren Alltag beeinflusst und auf welche Probleme sie dabei stoßen, erzählen sie moritz im Gespräch.

Für viele in Deutschland und Europa ist es kaum vorstellbar, sich für seine Liebe verstecken zu müssen, doch in über 18 Staaten der Welt stehen homosexuelle Handlungen unter Todesstrafe oder lebenslanger Haft. Selbst im aufgeklärten Deutschland stellt das Outing einen schwierigen Schritt dar. Robert* wollte nicht mit uns persönlich sprechen, sondern lieber anonym bleiben. Er erzählt, dass er schon seit frühester Kindheit das Gefühl gehabt hätte anders zu sein. Dies wurde ihm am Beginn der Oberstufe dann richtig bewusst: „Als alle Jungen anfingen zu sagen: Boa, das Mädchen ist echt hübsch. Ich empfand aber immer etwas anderes.“ Zudem berichtet Robert, dass er schon immer einen besseren Draht zu Mädchen gehabt hätte. „Ich hatte viele Freundinnen, aber eher weniger Freunde.“ (mehr …)

TITEL » Zehn Prozent sind homosexuell «

Die Gleichstellungsreferentin des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), Lisa Brokmöller, ist für Studierende mit Kind sowie für die Gleichberechtigung von Homosexuellen verantwortlich. moritz sprach mit ihr über ihre Arbeit.

Lisa Brokmüller

Fühlst du dich als Referentin für Gleichstellung beim AStA von der Stadt Greifswald und deren Verwaltung unterstützt?
Es ist schwierig. Durch häufige Wechsel der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt – vertretungsbedingt – kam es leider noch nicht zu einer Zusammenarbeit. Aber wichtiger war mir im Moment auch erstmal uniintern meine Arbeit ordentlich zu machen. Aber es gab vor einem halben Jahr die Aktion mit der Fahne an der Alten Post. Und da war die Stadtverwaltung sehr engagiert und hilfsbereit.

 

Ist es richtig, dass es in Greifswald keine Aids-Hilfe gibt?
Beim Gesundheitsamt kannst du einen Test machen, aber der kostet dann auch 23 Euro. In Rostock ist die nächste Aids-Beratungsstelle. Das ist dann zwar Beratung, aber keine wirkliche Aids-Hilfe. Bei der ist der Test dann bei Vorzeigen des Studentenausweises auch kostenlos. Aber das ist in jeder Stadt leider anders.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, einen Test zu machen, außer nach Rostock zu fahren?
Grundsätzlich wird bei einer Blutspende immer das Blut auf den HI-Virus getestet, aber es ist beispielsweise so, dass Homosexuelle überhaupt kein Blut spenden dürfen und viele verschweigen dann ihre Homosexualität. Es ist ja auch ein gängiges Klischee, dass Homosexuelle mehr von Aids betroffen seien als andere Bevölkerungsgruppen. (mehr …)

» Hier bin ich fast der Einzige «

Mit Daniel Stein Kokins Professur zählt nun ein Amerikaner mit hohem Bildungshintergrund zu den Uni-Mitarbeitern. Er ist einer der wenigen jüdischen Forscher, der in Deutschland eine Professur an einer Theologischen Fakultät übernimmt.

Daniel Stein Kokin

Los Angeles – Harvard – Yale – Jerusalem: Wie passt Greifswald in die Reihe?
Ich hatte schon seit langem Interesse daran, einige Zeit in Europa zu verbringen, denn hier wird im Moment sehr viel interessante Forschung zur jüdischen Geschichte betrieben. Außerdem stehen hier zahlreiche Quellen zur Verfügung, besonders für meinen Fachbereich der frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte. Dann habe ich ein Angebot von der Universität Greifswald bekommen und dachte, das könnte interessant sein. Ich hoffe, dass ist jetzt nicht zu enttäuschend für Sie. (lacht)
Und haben sich Ihre Erwartungen an die Stelle erfüllt?

Ja, ich habe an der Theologischen Fakultät ein sehr forschungsorientiertes Umfeld. Die Kollegen bieten mir ständig Möglichkeiten zum Mitwirken an und unterstützen mich in meiner Arbeit. Ich hatte noch nie so viele Forschungskooperationen innerhalb meines Fachbereiches wie hier in Greifswald. Im Moment arbeiten wir an einem Sammelband über die Geschichte von Johann Friedrich Mayer, der Professor an der Theologischen Fakultät war und im Jahr 1700 in seinem eigenen Haus eine Synagoge für seine Studenten errichtete.

Wie sieht es mit dem Forschungsmaterial aus? Ist da die Situation ähnlich gut?
Das ist ein bisschen problematisch. Unsere UB ist kleiner als andere Universitätsbibliotheken. Dafür haben wir aber zum Beispiel die Dalman-Sammlung und die vielleicht größte Sammlung der Welt an frühen Fotos und Dias aus Palästina. Ich würde aber gern dafür sorgen, dass noch mehr Leute über Greifswald und die Sammlung Bescheid wissen.

Es gibt keine jüdische Gemeinde in Greifswald. Stellt das ein Problem für Sie dar?
Das stimmt, es gibt keine Synagoge in Greifswald. Dafür muss ich schon woanders hingehen. Inzwischen kenne ich die Berliner Gemeinde sehr gut. Ich habe aber gemerkt, dass es in Greifswald ein sehr großes Interesse für jüdisches Leben gibt. Die Menschen wollen einen Zugang zum Judentum bekommen, vielleicht gerade weil es hier keine eigene Gemeinde gibt. Es ist also nicht problematisch, in Greifswald jüdisch zu sein. Ich habe hier außerdem eine ganz andere, aber auch wichtige Perspektive auf die jüdische Geschichte bekommen. Ich bin es ja gewohnt, in einer größeren Gemeinde zu leben. Immerhin bin ich in Los Angeles aufgewachsen, wo es etwa 700 000 Juden gibt. Hier bin ich fast der einzige. Ich kann jetzt etwas besser verstehen, wie sich die Leute im Mittelalter fühlten, als die Gemeinden sehr klein waren und oft nur aus ein paar wenigen Mitgliedern bestanden.

Kann man in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald überhaupt koscher leben?
Wenn man die Regeln streng befolgt, kann man in manchen Restaurants vielleicht nur einen Salat essen. Koscheres Fleisch gibt es hier gar nicht zu kaufen. Für mich ist das aber nicht so schlimm, denn ich lebe vegetarisch und esse sehr gerne Fisch. Überraschend fand ich, dass es hier im Supermarkt Matzen gibt, also ungesäuertes Brot, das wir zum Pessachfest essen. Insgesamt sind hier die Möglichkeiten, koscher zu leben, zwar begrenzt, aber woanders wäre es schwieriger.

Das Interview führte Stefanie Pätzold und Lea Runge, das Foto schoss Lea Runge