Was sonst noch war: webMoritz kompakt

In den vergangenen Wochen hat sich weihnachtsbedingt nicht so viel wie sonst in der Hansestadt ereignet und der webMoritz ist für ein paar Tage in den Winterschlaf gefallen. Ein paar Nachrichten waren zwar nicht groß genug für einen eigenen Artikel, verdienen aber im Rahmen einer Presseschau ihre Erwähnung. Wir stellen im Folgenden zusammen, was sich in den letzten Wochen ereignet hat und bisher noch keinen Eingang auf den webMoritz fand:

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Jahreswechsel: Oberbürgermeister zieht Bilanz

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Das Denkmal für Caspar David Friedrich befindet sich noch in der Fertigstellung. Foto: privat

In einem Interview mit dem Nordkurier zieht Oberbürgermeister Dr. Arthur König eine kurze Bilanz des abgelaufenen Jahres. Der Originaltext des Interviews war nur am Erscheinungstag nachzulesen. In dem Interview nennt König die Eröffnung der Bahnparallele und die der sanierten Stadthalle als bauliche Höhepunkte des Jahres und gibt die Absicht der Stadt zu Protokoll, künftig mehr für Caspar David Friedrich zu tun. Neben dem Friedrich-Denkmal soll im kommenden Jahr auch das Caspar-David-Friedrich-Zentrum eröffnet werden. Außerdem ist ein Friedrich-Anbau an das pommersche Landesmuseum geplant. Die wirtschaftliche Situation der Greifswalder Unternehmen hält der OB trotz der Krise für stabil.

Städtischer Haushalt verabschiedet (mehr …)

Festakt zur Neueröffnung der Stadthalle

Die über Jahre hinweg sanierungsbedürftige Stadthalle Greifswalds wurde nach umfassenden Renovierungsarbeiten am 18.Dezember in einem knapp zweieinhalbstündigen Festakt der Theater Vorpommern GmbH als neuer Betreiberin übergeben.

Bereits vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung nutzten viele der geladenen Gäste den Getränkeausschank in der Eingangshalle und dabei auch die Gelegenheit, die restaurierten Räumlichkeiten zu begutachten. Mithilfe eines Beamers wurden an einer der Seitenwände Videos von den Renovierungsarbeiten gezeigt. Positiv fielen auch die Modernisierungen des Gebäudes wie die behindertengerechten Toiletten und der Anbau eines Fahrstuhles auf.

Über das mehr oder weniger kontrastreich gelb und grau gestrichene Treppenhaus gelangten die zahlreichen Gäste in den Kaisersaal, den größeren der beiden Säle der Stadthalle.

Das Programm begann mit kleiner Verzögerung und unruhig werdendem Publikum nach Ankunft des Generalmusikdirektors Karl Prokopetz mit einer Darbietung der Leonoren-Ouvertüre Nr.3 (C-Dur, op.72 a) von Ludwig van Beethoven durch das Philharmonische Orchester Vorpommern, welches sich auch für die folgenden Stücke verantwortlich zeichnete.

Anschließend hatte Dr. Hans Peter Ickrath, der Geschäftsfüher und Verwaltungsdirektor der Theater Vorpommern GmbH, das Wort. Er sprach über die Zeit, in der das Theater Vorpommern die Räumlichkeiten für Proben nutzte und der schlechte Zustand nicht nur dadurch auffiel, dass es im Winter schier unmöglich gewesen sei, die Kälte aus dem Gebäude zu vertreiben: „Man hatte grundsätzlich den Eindruck, dass es schmierig und hässlich ist“. Das Theater habe sich verpflichtet gefühlt, zur Verwirklichung der Sanierung beizutragen. Es freue sich „insbesondere über die Inbetriebnahme des Rubenowsaals“, denn hier wird das Theater auf einer Studiobühne einziehen.

Dr. Ickrath schloss seine Rede mit umfangreichen Dankesworten und sowie dem Hinweis auf den in der Stadthalle stattfindenden Silvesterball, zu welchem etwa 500 Gäste erwartet würden, und übergab das Wort an Greifswalds Oberbürgermeister, Dr. Arthur König.

Dessen Rede wurde gleich nach den einleitenden Worten „Es fällt mir heute Abend ein Stein vom Herzen“ durch Applaus des Publikums unterbrochen. Er stellte heraus, dass für die Renovierung des Gebäudes bis zur wohl letzten Gelegenheit 2005 sowohl Finanzen als auch politischer Wille gefehlt hätten. In lobenden Worten fasste er das Ergebnis der Arbeiten zusammen, wobei er einzelne architektonische Elemente besonders hervorhob.

Nach einigen Dankesworten berichtete er ausführlich über die wechselvolle Geschichte der 1914 erstmals eröffneten heutigen Stadthalle. Anläufe zur Restauration seien im Vorfeld mehrmals gescheitert, bis am 1. April 2008 offizieller Baustart war. Dr. König schloss seine Rede mit Worten seines Amtsvorgängers Dr. Gerding, der diese bei der Eröffnung des Gebäudes vor 95 Jahren nutzte: „Sie sei […] eine Kulturstätte ersten Ranges“ und verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Stadthalle auch heute noch die gleiche Bedeutung für die Entwicklung Greifswalds haben werde wie seinerzeit.

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Professor Nekovar, Intendant des Theaters Vorpommern, bei seiner Ansprache

Symbolisch übergab er daraufhin einen Schlüssel an Professor Anton Nekovar, den Intendanten der Theater Vorpommern AG. Es folgte Mendelssohns „Meeresstille und glückliche Fahrt“ (Konzertouvertüre op.27).

Zu einer kleinen Überraschung kam es  im späteren Verlauf des Abends, als Generalmusikdirektor Karl Prokopetz mitteilte, dass es eine kleine Änderung im Programmablauf gäbe und das Publikum ein paar Minuten in verwirrtem Schweigen ließ, bis er erklärte: „So klänge diese Stadthalle ohne das Orchester. Wir bitten Sie darum, lassen sie nicht zu, dass dieses Orchester abgeschafft wird.“ Am 12. Dezember habe Kultursenator Ulf Dembski erklärt, das Orchester teilweise oder ganz abschaffen zu wollen.  Nach teils stehendem Applaus folgte mit Wagners Vorspiel zu „Die Meistersänger von Nürnberg“ (WWV 96) das Ende des offiziellen Teils.

Bilder: Julia Löcherbach

Am Montag: Demo zum Erhalt der StraZe – *Foto-Update*

Am morgigen Montag will die Bürgerinitiative zum Erhalt des Gebäudes „Stralsunder Straße 10“ („StraZe“) zahlreiche Greifswalder für eine öffentlichkeitswirksame Aktion an dem Haus versammeln. Die Aktion steht unter dem Titel „Ein Haus geht auf die Straße“ und soll um 16:30 Uhr beginnen. Gleichzeitig wird auch eine Sitzung der Bürgerschaft stattfinden. Zum Ort schreiben die Veranstalter lediglich „an, um, in (?) der Stralsunder Straße 10“.

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Der vollständige Flyer als pdf-Datei

Über den genauen Ablauf der Aktion war in deren Vorfeld auf den zahlreichen Websites zum Erhalt des Hauses nichts zu erfahren. Wie aus dem Handzettel hervorgeht, soll das angeblich akut vom Teilabriss bedrohte Haus von den Teilnehmern umstellt werden. Außerdem sollen diese eine Kerze, eine Laterne, eine Öllampe oder eine Lavalampe mitbringen. Die vollständige Begründung für die Aktion liest sich so:

„WARUM: weil‘s Zeit wird und weil die Bürgerschaft tagt und die Straze Thema ist und weil schon vor 20 Jahren Bürger/innen Häuser umstellt haben, um sie vor dem Abriss zu retten und weil: warum nicht…“

Außerdem weisen die Veranstalter auf ihrem Handzettel auf eine weitere Website hin: Das Portal straze.erichartmann.de soll die Möglichkeit zum Online-Protest bieten. Der seit einigen Monaten dort zu findenden Online-Erklärung zum Erhalt des Hauses haben bisher aber gerade mal 10 Personen zugestimmt.

Bilder: Veranstalter

*Update* Fotos von der Demonstration

EILMELDUNG: DONG gibt Kraftwerkspläne für Lubmin auf

Am Freitagmittag teilte der dänische Energiekonzern DONG Energy in einer Pressemitteilung mit, dass man sich entschieden habe die Kraftwerksplanungen für den Standort Lubmin aufzugeben. Der mögliche Kraftwerksbau hatte seit mindestens anderthalb Jahren die Gemüter in MV, speziell in der Region Greifswald, bewegt.

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Mehrfach hatte es in Greifswald große Demionstrationen gegen das Kraftwerk gegeben.

Viele Bürger hatten sich mit Initiativen, Unterschriftensammlungen, Flashmobs und vielen anderen Aktionen gegen den Bau des Steinkohlekraftwerks stark gemacht. Der Beginn des UN-Klimagipfels in Kopenhagen hatte dazu geführt, das die Proteste sich in den letzten Wochen noch einmal verstärkt hatten.

Bereits vor einigen Wochen war in vielen Medien offen über einen möglichen Rückzug von DONG spekuliert worden. Unternehmenssprecher Michael Deutschbein hatte damals gegenüber dem webMoritz noch erklärt: „Der Bau des Kraftwerks hat nie in Frage gestanden“

In der heutigen Presseerklärung heißt es:

Der Aufsichtsrat von DONG Energy hat in seiner heutigen Sitzung den Rückzug von einer weiteren Teilnahme an den Untersuchungen für einen Kraftwerkbau in der Nähe von Greifswald in Norddeutschland beschlossen. (…)

Im Zuge der jüngsten Meldungen der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns ist DONG Energy nicht mehr davon überzeugt, dass das Projekt den erforderlichen politischen Rückhalt genießt. Hinzu kommt, dass sich das Genehmigungsverfahren seit Einreichung des ersten Projektantrages vor drei Jahren, ohne Aussicht auf baldige Klärung, sehr in die Länge gezogen hat.

„DONG Energy ist auf eine enge Kooperation mit der örtlichen Gemeinschaft angewiesen, die wir bedienen. Da wir den Eindruck haben, dass das Projekt bei der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns die erforderliche politische Unterstützung nicht findet, ziehen wir die entsprechenden Konsequenzen. Deshalb haben wir die Einstellung unserer Projektteilnahme beschlossen, um uns fortan vollends auf andere geplante Investmentprojekte konzentrieren zu können“, so der geschäftsführende Direktor Anders Eldrup. (…)

Besonders seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) vor gut einem Jahr hatte sich das politische Blatt für DONG gedreht, im Gegensatz zu seinem Vorgänger vermied Sellering öffentliche Unterstützungsbekundungen für die Pläne des Energiekonzerns. Lediglich der kleinere Koalitionspartner in der Landesregierung, die CDU, hatte in den letzten Monaten den Bau offen befürwortet.

Zusatzinfos:

Vollständige Pressemitteilung von DONG Energy

Bilder:

webMoritz-Archiv

NPD wirbt verkleidet auf dem Weihnachtsmarkt

Ausgerechnet als Weihnachtsmann verkleidet hat gestern ein Unbekannter auf dem Greifswalder Weihnachtsmarkt Beutel mit Süßigkeiten verbreitet, die auch Werbematerial für die NPD enthielten. Darauf weist die Stadt in einer heute versendeten Pressemitteilung hin.

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So offensiv war man seitens der NPD diesmal nicht bekleidet.

Die Stadt sei auf die Aktion von Besuchern und Schaustellern aufmerksam gemacht worden. Unmittelbar im Anschluss daran sei der Verkleidete vom Marktmeister des Platzes verwiesen worden. Die Polizei sei überdies informiert worden, um sich nun auf weitere Aktionen einzustellen.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung:

„Der für Ordnung und Sicherheit zuständige Senator Ulf Dembski nannte den Vorfall unglaublich: „Es ist ungeheuerlich, dass Rechtsextreme die Weihnachtszeit und vor allem die Kinder für ihre Zwecke missbrauchen. Sich hinter der Maske des Weihnachtsmannes zu verstecken und Süßigkeiten als Mittel zum Zweck zu benutzen, um ihre menschenverachtende Botschaft weiterzugeben, ist perfide. Offensichtlich ist denen jedes Mittel recht.“ Der Senator machte deutlich, dass er dieses Vorgehen nicht dulden werde und die Stadt alles unternehmen werde, um diesem Treiben ein Ende zu setzen.

Gleichzeitig riet er den Greifswaldern und ihren Gästen, aufmerksamer und kritischer zu sein, wenn ihnen etwas überreicht wird.“

Bild: webMoritz-Archiv

„Greifswald 1989“ – Studenten interviewten Zeitzeugen

Viele Veranstaltung hat es in den letzten Monaten anlässlich 20 Jahren friedlicher Revolution in Greifswald gegeben, einige stehen noch bevor. Seitens der Uni gab es bisher jedoch kaum eine Würdigung der Ereignisse. Am Historischen Institut haben die Dozenten PD Dr. Frank Möller und Dirk Mellies vom Lehrstuhl für neueste Geschichte zusammen mit knapp 20 Studenten in den letzten Monaten eine Publikation mit Zeitzeugen der Wendejahre erarbeitet.

Der frisch erschienene Band „Greifswald 1989“ stellt die Erinnerungen von 21 Zeitzeugen an die Wendeereignisse und die Folgezeit zusammen. Den Befragten ist gemein, dass sie zur Wendezeit in Greifswald lebten oder mit Greifswald in Verbindung standen und eine gewisse – zumindest lokale – Prominenz genießen. Unter ihnen sind zum Beispiel der SPD-Politiker Hinrich Kuessner, zu Wendezeiten Vorsteher der Odebrecht-Stiftung, Dietmar Enderlein, Gründer und Chef des Medigreif-Konzerns und damals Komandeur der Militärmedizinischen Sektion der Uni, Reinhard Arenskrieger, heute Bausenator der Stadt und 1990 von der Partnerstadt Osnabrück als „Aufbauhelfer“ entsandt, oder Reinhard Amler, damals wie heute Leiter der Lokalredaktion der Ostsee-Zeitung.

„Nicht die Vergangenheit, sondern das Gedächtnis der Vergangenheit erfasst.“

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Buchcover

Die Zeitzeugen wurden im Sommer von jeweils ein bis zwei Studenten interviewt, die aus den Interviews anschließend einen Fließtext von etwa zehn Buchseiten Länge entwarfen. Die Herausgeber Möller und Mellies redigierten die Texte seit Anfang des Semesters und schrieben das ausführliche und informative Vorwort, das das Vorgehen der Arbeitsgruppe genau beschreibt. Zudem betonen sie dort, dass es das Werk mit den Interviews nicht einfach „Quellen der Vergangenheit zu erzeugen“ könne. Vielmehr „standen für uns auch nicht die Rekonstruktion der Wende in Greifswald, sondern die persönlichen Erfahrungen, Erinnerungen und Bewertungen im Mittelunkt […]. Nicht die Vergangenheit sondern das Gedächtnis der Vergangenheit wird hier erfasst.“

Mit der Arbeit der Studenten sind die Dozenten insgesamt sehr zufrieden. Frank Möller: „Wir müssen ihnen ein großes Kompliment machen. Die Projektarbeit hat sehr gut funktioniert.“ Alle seien jedoch überrascht gewesen, wie viele Stunden Arbeit für die Transkription eines aufgezeichneten Interviews nötig gewesen seien. Auch seien einige wenige Interviewte vor der Veröffentlichung wieder abgesprungen. Insgesamt sei es aber nicht so gewesen, dass die Zeitzeugen nachträglich viel gestrichen oder korrigiert hätten.

„Werde die Dinge, so wie ich sie gerne hätte, darstellen.“

Dass die Erinnerungen mitunter ganz schön subjektiv sind, versteht sich angesichts dieses Ansatzes von selbst. Manche Interviewte legen Wert darauf, diese Subjektivität  vor ihren Ausführungen noch einmal zu betonen. So etwa Dietmar Enderlein, der nach seinem kometenhaften (Wieder-)aufstieg nach der Wende immer wieder viel Kritik ertragen musste (siehe z.B. hier),  schreibt:

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Prof. Dietmar Enderlein (Archivbild)

„Wenn du irgendwas hinter dich gebracht hast, denkst du in fünf Jahren nur noch an das Gute und dann reproduzierst du das aus der Wunschvorstellung. Dann kannst du dich äußern und plötzlich kommt etwas ganz anderes raus, als das was irgendwo mal in der Realität gewesen ist. Auch ich werde die Dinge, so wie ich sie gerne hätte und wie sie aus meiner Sicht zu sehen sind, darstellen.“

Enderlein, der sich selbst für ein „begehrtes Ausfrageobjekt“ hält und freimütig bekennt, dass er „von Angst und Gier“ getrieben wird, erzählt ausführlich über die Zeit vor und während der Wende und seinen Umgang als Soldat mit den Ereignissen. Die Aufzeichnungen liefern einen spannenden Einblick in die Gedankenwelt des Ex-Komandeurs und heutigen Unternehmers.

Enderlein, stets ein Freund klarer Worte, geizt nicht mit individuellen Herangehensweisen an zentrale Fragen. Etwa diese hier: „Wie haben Sie die Staatssicherheit erlebt? – Da stell ich euch mal ’ne Frage. Warum konzentrieren sich alle auf die Staatssicherheit? Weil die zum Buhmann der Nation erklärt wurde. Warum konzentriert ihr euch nicht auf den Bundesnachrichtendienst und warum nicht auf die CIA? […] Wie ich die Staatssicherheit erlebt habe? Na ich hatte hier eine Abteilung und da waren vier Offiziere der Staatssicherheit, die waren mir unterstellt. Punkt.“

„Der Weg zur Wiedervereinigung war mir von der Sache her Wurst.“

Ebenfalls etwas eigenwillig ist seine Sicht auf den Mauerfall: „Die Maueröffnung war für sich in diesem ganzen System gar nicht so bedeutungsvoll. […] Wenige Tage vorher sind die Kleinblöden, die da schreiend über die Mauer gerannt sind, noch auf der Demonstration zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober mit FDJ-Bluse und Transparent durch Berlin marschiert. Der Weg zur Wiedervereinigung war mir von der Sache her Wurst. Aber als Soldat, da kriegst du einen Befehl und dann machst du. Ich war nicht dazu da, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu beurteilen und zu sagen „das mache ich jetzt aber nicht, ich schieß‘ in die andere Richtung.“

Weiter rechnet Enderlein mit den Wendehälsen ab, die nach der Wende plötzlich anders tickten als zuvor (er selbst tat das in seinen Augen nicht) und spart auch nicht mit Kritik an den Altvorderen des Runden Tisches und anderer Institutionen der Wende. Reinhard Glöckner etwa, dem ersten frei gewählten Greifswalder Bürgermeister nach der Wende, der auch schon vorher Abgeordneter des Stadtparlaments war, hält er vor: „ „Wenn Sie wirklich dieser absolute Gegner des DDR-Regimes waren, dann müste ja in jedem Beschluss des Parlaments […] eine Gegenstimme sein, mindestens eine. War aber nicht, hat er immer mitgestimmt.“ Auch eine vernünftige DDR habe er sich vorstellen können, sagt Enderlein, wenn ihm aber einer die Frage stelle „Willst du die DDR wiederhaben?“, dann: „merke ich schon an der Fragestellung: Du bist ein Idiot, fertig.“

„Ansonsten würde ich „Hurra“ schreien.“

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Friedensgebet im Dom 1989

Nicht alle Erinnerungen lesen sich so spektakulär wie die Enderleins, aber die meisten Befragten offenbaren spannende Gedanken und Erlebnisse. Frank Pergande, heute FAZ-Korrespondent für M-V und in den 90ern Herausgeber des „Greifswalder Tageblatts“, weiß zu berichten, dass es Mitte der 80er Jahre auch schon bürgerlichen Widerstand gegen den Stadtabriss nördlich der Langen Straße gab. Auch die etwas weniger prominenten Zeitzeugen sind interessant zu lesen: Der Franzose Jean-Pierre Pané-Farreé, heute Koch im Café Caspar und 1977 „aus Liebe zu meiner Frau“ nach Greifswald gekommen, ist dankbar für die Wende und freut sich darüber, dass nach 1989 „die Zeremonie der Bürokratie“ vorbei war. Hans-Joachim Hübler, vor der Wende Bauleiter im KKW Lubmin und heute ALGII-Empfänger klagt über den Verlust der materiellen Sicherheit. Er könne sich nicht mehr leisten, seine Kinder besuchen zu fahren: „Das ist die Einschränkung meiner Freiheit. Ansonsten würde ich „Hurra“ schreien heute.“

Alle 21 Zeitzeugen offenbaren ihren eigenen, individuellen Blick auf die Ereignisse; die Zusammenstellung ist lebendig und längst nicht nur für Greifswalder und Historiker ungemein lesenswert. Angereichert wird das Buch mit zahlreichen Fotografien aus den Wendejahren. Für die bessere Lesbarkeit wäre mitunter eine etwas stärkere Anpassung der Aufzeichnungen an die Schriftsprache wünschenswert gewesen – doch auf diese Weise bleibt immerhin viel der sprachlichen Authentizität erhalten. Die hier und da etwas eigentümliche Orthographie und Interpunktion ist vermutlich dem Zeitdruck geschuldet, unter dem die Herausgeber standen, um ihr Werk noch in diesem Jahr herauszubringen.

Buchpräsentation am Mittwoch

Am kommenden Mittwoch um 18 Uhr wird der Band zusammen mit der Stadt, die das Projekt mit einem Druckzuschuss förderte, den Herausgebern, einigen beteiligten Studenten und einigen Befragten im Rathaus präsentiert.

Kaufen kann man das Buch seit der letzten Woche im Uni-Laden für 19,90 Euro (292 Seiten, Marburg 2009, Tectum Verlag). Auch regulär über den Buchhandel ist es erhältlich. Die Exemplare an die örtlichen Bibliotheken sind unterwegs, werden aber erfahrungsgemäß bis zur Verfügbarkeit noch einige Wochen benötigen. Laut OPAC ist es aber zumindest in der alten Uni-Bibliothek bereits im Präsenzbestand vorhanden.

Bilder: Tectum-Verlag (Buchcover), Sandro Teuber (Enderlein), Dorothea Puttkamer (Friedensgebet)