retro.kolumne: PLAYMOBIL

retro.kolumne: PLAYMOBIL

Retro, retro, retro yeah! Die neue Kolumne über alte Dinge. Kennt Ihr diese Spiele, Filme, Accessoires noch? Aus der Kindheit, meist noch aus den 90ern stammen sie und sind vielleicht ja doch noch ein Guilty Pleasure des einen oder anderen.

Eine Weltraumstation reiht sich an eine bäuerliche Farm und an eine von Meerjungfrauen und -männern bevölkerte Unterwasserwelt, alles schön ordentlich in Glaskästen verstaut, und mit einem kleinen Tisch in der Mitte, auf dem diverse Figuren und Gegenstände verteilt liegen, mit denen Kinder (und Erwachsene) spielen können. So sieht es noch bis zum 12. August auf der großen Ausstellungsfläche im Elisen Park aus, und so ähnlich hat es auch bei vielen von uns damals in den Kinderzimmern ausgesehen, nur wahrscheinlich ohne die Glaskästen und die wildfremden Kinder.

PLAYMOBIL ist heute genauso wie LEGO aus den deutschen Kinderzimmern kaum mehr wegzudenken. Und auch wenn die 7,5 cm großen Figuren seit ihren ersten Erkundungsversuchen auf dem deutschen Spielwarenmarkt 1974 gut bei den Kunden ankommen, liest sich die Geschichte der Plastikmenschen und der Firma, die hinter ihnen steckt, an einigen Stellen doch wie das Konzept einer Dramaserie à la Halt and Catch Fire. Scheiternde Ideen, plagiierende Unternehmen, harte Kritik und große Erfolge.

Die Geschichte hinter den Menschen mit dem stupiden Grinsen

1876-1954
– Andreas Brandstätter gründet die Firma, anfangs nur für Metallbeschläge von Schatullen und für Schlösser.
– 1908 übernimmt sein Sohn Georg Brandstätter das Unternehmen. Sie produzieren jetzt neben den Metallwaren vor allem Spielzeug, für Kaufmannsläden, Schaukelpferde, Spielzeugtelefone und Registrierspardosen, die das Geld gleich zählen, wenn man es einwirft.
– In der Firma hilft auch bereits Horst Brandstätter mit, beim Testen der Spardosen. Aber seine Visionen streben schon als Kind nach mehr als nur Metallkassen und Telefonen. Sicher nicht nach den Handgranaten, die geobra Brandstätter während des 2. Weltkriegs mal schnell ins Sortiment einbaut, bevor man wieder ganz gesittet zu Kinderspielzeug übergeht.

1948
– Hans Beck, gelernter Möbeltischler, soll eigentlich aus dem sowjetisch besetzten Thüringen ins Uranbergwerk eingezogen werden, will aber nicht und flieht nach Bayern. Über einen Bekannten aus dem Modellfliegerclub gelangt er 10 Jahre später an Horst Brandstätter. Der hat seit seiner Volljährigkeit 1954 die Firma übernommen und sucht jetzt einen Mustermacher – aber alle, die sich bisher vorgestellt haben, können nur Modelle nach Vorlagen bauen, nicht aber etwas ganz eigenes erschaffen. Beck ist ebenso wie Brandstätter Visionär. Die Zusammenarbeit ist erfolgreich.

1950er
– Unter der neuen Führung von Horst Brandstätter wird mehr Wert auf Spielzeug und vor allem auf den neuen Werkstoff Plastik gesetzt. Durch den amerikanischen Trend werden Hula-Hoop-Reifen entwickelt. Sie verkaufen sich gut, auch wenn sie nie richtig rund kreisen.
– Der Trend klingt bald wieder ab, eine neue Idee muss her, am besten eine, die die hohen Investitionen in die neuen Plastik-Blas-Maschinen rechtfertigen würde. Man entwickelt Porsche-Traktoren für Kinder zum Spielen, deren laute Motorengeräusche von den Eltern stark kritisiert werden. Das Produkt scheitert, die Firma auch?

1972
– Ölkrise. Horst Brandstätter fordert bei Hans Beck ein neues Produkt an, irgendetwas Kleines, das nicht so viel von dem teuren Material in Anspruch nimmt. Eine Idee von Spielzeugautos entsteht. Beck ist der Meinung, dass die sich besser machen würden, wenn kleine Figuren darin sitzen würden, doch Brandstätter hält nicht viel davon, erlaubt Beck nur neben der Arbeit daran zu basteln. Beck entwickelt die Figur trotzdem, die mit ihrem zu großen, runden Kopf vor allem an Kinderzeichnungen angelehnt ist, und bereits den charakteristischen gezackten Pony besitzt.
– Unter dem Aktenzeichen P 22 05 525.0-15 wird trotzdem schon mal das Patent eingereicht für eine „Spielzeugfigur mit einem nach unten offenen Körper, in die gegenüber dem Körper um je eine Achse bewegbare Arme und Beine eingesteckt und mittels einer von unten in den Körper eingeführten, den Kopf halternden Lagerteils festgelegt sind“. Danach verschwindet das Spielzeug aber erst mal wieder in Becks Schublade.

1973
geobra geht immer mehr ein. Kurz vor Weihnachten 1973 beschließt Horst Brandstätter, die Nürnberger Spielwarenmesse im Februar 1974 zu nutzen, um ein neues Produkt vorzustellen. Er kommt auf Hans Beck zu, fragt ihn, ob er nicht die kleinen Plastikmännchen bis zur Messe präsentabel machen könnte. Beck versucht es, arbeitet in den 6 Wochen unermüdlich daran, baut auch nachts noch an den Kulissen weiter.

1974
– Zur Messe steht endlich die fertige Figur, samt Dekoration, damit man sie ansehnlich anrichten kann. Aber der Erfolg bleibt aus, niemand scheint sich für das Produkt zu begeistern. Einer von den Händlern nimmt Brandstätter schließlich zur Seite, aber anstatt Interesse zu bekunden, sagt er nur:

„Du hast schon viel Gutes gemacht. Aber das da, das ist der größte Quatsch, den du jemals auf den Mark gebracht hast.“

– Kurz vor Ende der Messe bestellt auf einmal ein Großhändler aus den Niederlanden Figuren im Wert von 1 Million Mark bei geobra. Die Anfrage ruft weitere Interessierte heran, innerhalb kurzer Zeit liegen die Forderungen bei 3 Millionen Mark. Aber die Maschinen sind nicht für so viel ausgelegt. Horst Brandstätter besorgt sich die Liste eines Maschinenanbieters und klappert darauf in ganz Deutschland alle Käufer*innen einzeln ab, ob nicht irgendjemand alte Maschinen zu verkaufen hätte, bis sie endlich mit der Produktion beginnen können.
– Das Produkt – PLAYMOBIL – kommt auf den Markt, die Figur selbst wird sogar mit einer Gebrauchsanweisung herausgegeben, die beschreibt, welche Teile beweglich sind, was für Accessoires daran angebracht werden können. Und: „Die Figur – kurz Klicky genannt – ist 7,5 cm groß und rundum einfach sympathisch.“
– Es werden gleich negative Schlagzeilen gemacht: Auf einem Werbeprospekt haben geobra zwei Bauarbeiter dargestellt, die auf Bierkisten sitzen und selbst Bierflaschen in der Hand halten. In dem kleinen Comic sagt der eine zum anderen: „Das ist heute schon meine fünfte Flasche.“ Der zweite Bauarbeiter erwidert: „Macht nichts, es ist genug Bier da.“ Das Jugendministerium ist empört.

1975-1978
– Die Firma BIG aus dem benachbarten Dorf bringt die Spielfigur PlayBIG auf den Markt, die abge­sehen von ein paar Zentimetern mehr in der Größe und einer etwas klobigeren Form den Klickys erstaunlich ähnlich sieht. Selbst die Themenbereiche – Ritter, Bauarbeiter und Indianer – sind die gleichen. Es wird spekuliert, dass ein Mitarbeiter dafür verantwortlich ist, der früher bei geobra und jetzt bei BIG arbeitet.
– Horst Brandstätter reicht Klage ein und gewinnt. Doch BIG zieht weiter zum Bundesgerichtshof, wo ihnen Recht gegeben wird, da „PlayBIG-Figuren den Eindruck eines selbstbewussten, sportlichen, aggressiven jungen Mannes vermitteln, demgegenüber das PLAYMOBIL-Männchen die Wirkung von einem Kind, nett und noch unsicher auf den Beinen, habe“. Aber der Streit hat sich mittlerweile 3 Jahre hingezogen und in der Zwischenzeit hat ohnehin der Markt entschieden. PLAYMOBIL ist beliebt, PlayBIG eher nicht so. BIG konzentriert sich daraufhin mehr auf ihre anderen Produkte – darunter das Bobbycar.

1976
– Die erste Frauenfigur kommt dazu, mit Longshirt und mittellangen Haaren. Es dauert aber noch 13 Jahre, bis sie auch Brüste herausbildet. Außerdem trägt sie dann auch lange Röcke, was unpraktisch ist, da sie damit nicht mehr auf die Pferde passt. Damit die Kinder auch ihre eingeschränkten Frauen auf Reisen schicken können, erfindet geobra die Eisenbahn.
– Das Rollenbild ist bei PLAYMOBIL anfangs noch klar definiert: Frauen können als Lehrerin, Tierärztin oder Akrobatin arbeiten, im Saloon gibt es sie mit interessant rot geschminkten Lippen. In Werbeanzeigen fährt immer die männliche Figur das Auto, die Frau sitzt auf dem Beifahrersitz. Erst 1999 mit dem Cityflitzer darf sie selbst fahren, damit die Frau, deren Name als „Mutti Gabrielle“ angegeben wird, auch ihre Kinder zum Einkaufen mitnehmen kann.

1981
– Die ersten Kinderfiguren werden entwickelt, mit drehbaren Handgelenken, was die Großen erst ein Jahr später nachmachen. Der Werbespruch zeugt von ungebrochener Kreativität: „Kinder, jetzt gibt’s PLAYMOBIL-Kinder“.

1983
– Das kleine Schlossgespenst wird entwickelt, das im Dunkeln leuchtet. Eltern sind besorgt um die Gesundheit ihrer Kinder. Horst Brandstätter muss sich von der LGA bescheinigen lassen, dass da keine radioaktiven Stoffe mit im Spiel sind.

1984
– In Japan versucht man PLAYMOBIL als Geschenke in Kekstüten zu verbreiten, in den USA in Happymeals. Die amerikanischen Kindern reißen ihnen aber die Arme aus, Eltern halten das Produkt für unbrauchbar, es wird wieder vom Markt genommen.

1988
– Endlich ist auch die Indianerfigur nicht mehr weiß. Man entscheidet sich dem Zeitgeist entsprechend für ein sehr realistisches rot-orange als neue Hautfarbe.

1989
– Immer noch sind drei Viertel der Kinder-Kunden Jungs. Die neue „Spielwelt 1900“ wird gebaut, um diese Marktlücke zu schließen: „Spielen und erfahren, wie es damals war“, für Mädchen ab 6 Jahren. Damit man das auch sieht, ist die Packung nicht blau sondern rosa-pink.

1991
– Neben der Eröffnung des FunParks in Zirndorf steht ein erneutes Problem an: Carrera stellt „play o.k.“-Figuren her – in Playmobil-ähnlichem Look, aber mit der von Hans Beck verschmähten angefügten runden Nase. Das Konzept ist ziemlich modern: „Jede Figur kann ihre Identität ändern, aus dem Feuerwehrmann wird ein Gärtner.“ geobra gewinnt zwar das Gerichtsverfahren, aber der kostspielige Streit dauert bis 1994 an.

2001
– Durch Zufall kommt genau im September 2001 der erste PLAYMOBIL-Flughafen und das erste Flugzeug auf den Markt. Man hofft aber, dass das Spielzeug den Kindern helfen kann, das Gesehene und Erlebte zu verarbeiten.

2003
– Bei der Deutschlandtour der Radfahrer führt eine Etappe direkt am PLAYMOBIL-Werk vorbei. Man stellt die Szene mit PLAYMOBIL nach und schneidet sie bei der Fernsehausstrahlung einfach dazwischen.

2009
– Hans Beck stirbt. Auf seiner Todesanzeige ist eine PLAYMOBIL-Ritterfigur abgebildet.

2015
– Horst Brandstätter stirbt. Nach seinem Tod gibt es Streitigkeiten in der geteilten Führungsspitze, die jetzt aus drei Vorständen besteht.

Was die grinsenden Figuren sonst noch können

Auch außerhalb der Firma entsteht unter jungen und alten Spieler*innen ein richtiger Kult um die kleine Figur. Einige Sammler*innen bauen aus den Einzelteilen auch ganze Welten, vereinen durch das Klick-System die Wände verschiedener Häuser, um daraus riesige Opern und Schulen, größere Ritterwelten und ähnliches zu schaffen. Manche Geschichten werden sogar in Büchern veröffentlicht.

Harald Schmidt benutzt in der Late-Night-Show PLAYMOBIL, um antike Mythen wie Ödipus oder Herakles nachzustellen, so wie heute auch noch der Youtube-Kanal Sommers Weltliteratur to go. Vor allem angeregt von dem nie enden wollenden Grinsen der Figuren entsteht außerdem über die Jahrzehnte hinweg eine Reihe von Werken verschiedenster Künstler*innen. So stellt Kiki Ahlers zum Beispiel 10.312 gleich aussehende Figuren in Reih und Glied auf insgesamt 120 Quadratmetern auf. An die Wand des Ausstellungsraumes schreibt sie genauso viele Namen, aber ohne sie den einzelnen Figuren zuzuordnen. Die zentrale Frage bei den meisten dieser Kunstwerke ist dabei der Kontrast von Anonymität und Massenware gegenüber Individualität und Persönlichkeit.

Eine nachhaltige Plastik-Figur

PLAYMOBIL arbeiten auch nachhaltig, also so nachhaltig, wie es bei einem Plastikspielzeug eben sein kann. Wenn beim Guss etwas fehlerhaft ist oder abfällt, wird es wieder eingeschmolzen und noch mal verarbeitet. Was nicht mehr für neue Teile genutzt werden kann (z.B. weil es schon mit anderen Farben gemischt wurde), wird in Blumentöpfen, Gartenzäunen und ähnlichem recycelt. Auch die Transportverpackungen sind aus recycelter Wellpappe oder man benutzt Mehrwegverpackungen. Die blauen Kartons, in denen die Playmobil-Teile zum Kauf angeboten werden, bestehen zu 80-95 Prozent aus Altpapier, die Plastikbeutel, in denen das Spielzeug verpackt ist, sind aus Niederdruck-Polyäthelyn, das auch umweltfreundlich verbrannt werden kann. Selbst in der Firma wird die Heizenergie aus der Abwärme der Spritzmaschinen gewonnen.

Außerdem ist die Idee von Anfang an: Die Figuren sollen lange verwendet und nicht weggeschmissen werden. „Weil eins zum anderen passt.“ Man soll die verschiedenen Angebote miteinander kombinieren können, anstatt sie einfach zu ersetzen. So ist es auch vorrangiges Ziel, die Figuren möglichst wenig abzuändern und nur Accessoires und Zubehör zu variieren, damit selbst in der zweiten und dritten Generation Kinder noch mit den Figuren ihrer Eltern spielen können.

Beitragsbilder: Julia Schlichtkrull; Banner: Jonathan Dehn

Und die Welt steht still, hier im Hinterwald – Teil 2: Rügen

Und die Welt steht still, hier im Hinterwald – Teil 2: Rügen

So soll es laut Silbermond an der B96 in Sachsen sein, und so scheint es auch hier, im Norden der B96. Mecklenburg-Vorpommern ist eine einsame, alte, eingeschlafene Gegend, aber keinesfalls leer und tot. MV ist reich an Kultur und Geschichte, an ruhigen weiten Feldern, stürmischen Küsten und tiefen Wäldern. Zahlreiche Ideen für Ausflugsziele für alle, die eine Auszeit vom Unialltag brauchen und denen langsam die Prokrastinationsmöglichkeiten ausgehen.

Wenn die Tage sonniger werden und die Temperaturen steigen, wenn der Unistress vergessen werden soll und man an einem Wochenende einmal wirklich freimachen kann, dann ist es Zeit für einen Ausflug. Rügen ist bei den Deutschen Urlaubsort Nummer eins, aber genauso lohnt es sich, die Insel nur für einen eintägigen Kurztrip zu besuchen. Durch die Rotbuchenwälder spazieren, Eis essen in Bergen, abends rüber fahren nach Ummanz, um dort am Strand die Sonne direkt vor sich untergehen zu sehen. Rügen steht für Natur und Kultur, kleine Dörfer und Städte voller Tradition und eine weit zurückreichende, bedeutende Geschichte.

In einem ersten Teil wollen wir euch bereits einige der Orte zeigen, bei denen sich ein Besuch durchaus lohnen könnte. Natürlich bleibt es nicht dabei. Rügen ist zu groß und zu abwechslungsreich, um alles auf einmal vorzustellen. Darüber hinaus bietet es sich auf Rügen wohl am ehesten an, einfach das Fahrrad mitzunehmen und die Insel selbst zu entdecken. Gerade abseits der Hauptstraßen, über holprige Feldwege hinweg, durch die tiefen Wälder hindurch oder an der Küste entlang, stößt man dabei immer wieder auf Neues und Unerwartetes – kleine Dörfer voller Reetdachhäuser, Wälder, die plötzlich in eine Steilküste münden, Hügel- und Hünengräber verstreut im Land, als Zeugen längst vergangener Kulturen.

Sonnenuntergang auf Ummanz

Anbindung

Tatsächlich ist es relativ simpel und lohnenswert, sich auf Rügen mit dem Fahrrad fortzubewegen. Nicht nur, weil das Fahrrad Flexibilität erlaubt und es wesentlich einfacher macht, spontan an schönen Stellen zu halten, auch wenn gerade keine Parkfläche in der Nähe zu sein scheint. Rügen ist zwar die größte Insel Deutschlands, aber mit rund 51 km Länge und 43 km Breite trotzdem nicht so groß, dass man nicht zumindest von den Bahnhöfen aus das meiste bequem mit dem Fahrrad erreichen kann. Die Hauptzugstrecke auf Rügen führt einmal quer über die Insel, von Stralsund nach Sassnitz. Von Bergen zweigt außerdem die Bahn Richtung Lauterbach ab, von Lietzow gibt es auch eine Strecke Richtung Binz. Wer zu Fuß unterwegs sein möchte, kann auch auf ein gut ausgebautes Busnetz zurückgreifen.

Lietzow

Die bereits erwähnte Gemeinde Lietzow ist aber nicht nur wegen ihres Bahnhofs interessant. Über dem Ort thront ein kleines „Schlösschen“, bei dem es sich eigentlich gar nicht um ein Schloss handelt, sondern um einen Kunstbau, eine kleine Kopie des Schlosses Lichtenstein in Baden-Württemberg. Hübsch ist es trotzdem. Am Fuß des Berges, am Rand von Lietzow, schließen sich erst ein Wald und dahinter eine niedrige Steilküste und das Meer an. Im Sommer kann man hier am steinigen Strand baden gehen, an kühleren Tagen bietet sich das Ufer aber auch einfach nur zum Spazieren an. Popularität erlangte Lietzow aber vor allem durch die mehr als 6000 Jahre alten Werkzeuge und Waffen aus Feuerstein, die hier gefunden wurden. Die Kultur, aus der sie stammen, ist unter Historiker*innen dementsprechend als Lietzow-Kultur bekannt. Die Fundstücke sind nicht einfach nur alt. Sie sind die ältesten Beweise Rügens für eine sesshaft gewordene Gesellschaft, die hier ausreichend Rohstoffe und Nahrung vorfand, um sich niederzulassen und die ersten Siedlungen zu errichten.

Feuersteinfelder bei Neu Mukran

Fährt man von Lietzow aus nach Osten, kommt man schon nach kurzer Zeit zu den Feuersteinfeldern. Mit dem Fahrrad sind sie nur etwa 6 km von Lietzow entfernt, wer mit dem Auto kommt, kann an dem Parkplatz an der Straße zwischen Prora und Neu Mukran halten und muss von dort aus nur noch ein kleines Stück von etwa 2 km zu Fuß durch den Kiefernwald laufen. Die Feuersteine wurden vor etwa 4000 Jahren durch starke Sturmfluten angespült und hier zu gigantischen Wällen aufgetürmt – auf einer Fläche von rund 350 bis zu 2000 Metern sowie mehreren Metern Höhe. Begehbar ist heute nur ein geringer Teil davon, das meiste liegt unter Sand und Kiefern begraben.

Wenn man sich an heißen Tagen vor den Kreuzottern vorsieht, kann man sich hier auf einen wunderschönen Spaziergang freuen, über die schwarz-weißen knirschenden Steine hinweg, durch Wacholder, Heidekraut, Heckenrosen und Obstbäume hindurch. Mit etwas Glück findet man vielleicht sogar einen Hühnergott. Den Steinen wurde früher übrigens wirklich eine gottgleiche Wirkung nachgesagt – man legte sie den Hühnern mit in die Nester, weil man glaubte, die Tiere würden dann gesünder bleiben und mehr Eier legen.

Woorker Berge

Von Lietzow aus in die andere Richtung, nur wenige Kilometer im Westen, liegt Ralswiek. In den 1970er und 80er Jahren wurden bei dem kleinen Dorf vier alte Holzboote aus dem frühen Mittelalter gefunden, die den Beweis für einen aktiven Handel mit den Wikingern liefern. Heute ist Ralswiek vor allem für seine Störtebeker Festspiele bekannt, aber genauso bietet sich die Stadt für einen Spaziergang an – zum Beispiel vom Hafen aus den Hügel hinauf durch den Landschaftspark hindurch, bis man zum Ralswieker Schloss gelangt.

Wer von Ralswiek aus der Straße Richtung Westen folgt, kommt nach etwa 3 km aus dem Wald heraus auf ein Feld, auf dem sich die sogenannten „Woorker Berge“ befinden. Vor allem mit dem Auto sind sie schwer zu finden. Wer sich Woorke von Süden aus nähert, muss darauf achten, am Ort nach links abzubiegen. Nach einem kurzen Weg über eine landwirtschaftlich genutzte Straße aus Steinplatten hinweg, tauchen die Hügel schließlich auf der rechten Seite auf.

Bei den „Woorker Bergen“ handelt es sich nicht wirklich um Berge. Die 14 Hügel sind künstlich aufgeschüttet worden, während der Bronzezeit vor etwa 3500 Jahren, als Begräbnisstätten. Wegen der kostbaren Grabbeigaben wurden viele der Hügelgräber aber schon vor langer Zeit geplündert. Andere wurden abgetragen, um dem Straßennetz oder der Landwirtschaft Platz zu schaffen. Zwar sind auf Rügen noch immer mehrere Hundert Hügelgräber erhalten, diese stehen aber oft so vereinzelt oder sind so sehr von einem Wald verborgen, dass man sie schnell übersehen kann. Hier bei Woorke dominieren sie die Landschaft. Lässt man Auto oder Fahrrad einfach stehen und erkundet zu Fuß die Gegend, steht man – zumindest im Sommer – vor einem beeindruckenden Anblick von gelben Rapsfeldern, aus denen sich hier und dort die bewaldeten Hügel erheben, als lebendige Zeugen vergangener Kulturen.

Bergen auf Rügen

Etwa 10 km südöstlich von Woorke stößt man auf einen richtigen Berg, der einen der wohl schönsten Ausblicke über ganz Rügen bietet. 1875 wurde der hier auf dem Rugard zu Arndts 100. Geburtstag errichtete Ernst-Moritz-Arndt-Turm fertiggestellt. Gegen ein kleines Entgelt von 2 € bzw. 1,50 € für Studierende ist es möglich, den Turm zu besteigen – im Sommer einfach beim Turm selbst, in den kälteren Monaten wird einem der alte, klobige Turmschlüssel auf Nachfrage hin im angrenzenden Hotel überlassen. Die Aussicht ist atemberaubend und reicht von der Kuppel aus und bei gutem Wetter von Stralsund bis zu den Kreidefelsen. Inmitten von Rügen zu stehen und die gesamte Insel überblicken zu können – ein wenig verschafft es einem ein Gefühl davon, wie es sich zu slawischen Zeiten angefühlt haben muss, als hier auf dem Rugard, der Burg der Rygir oder Rugier, noch eine Wallburg stand.

Das älteste noch erhaltene geschichtliche Vermächtnis Bergens ist wohl die Marienkirche. Die slawischen Ranen, die Rügen noch bis zum 12. Jahrhundert beherrschten, konnten erst 1168 endgültig vom Dänenkönig Waldemar I. unterworfen werden. Es gelang den dänischen Truppen dabei nicht nur, die Jaromarsburg am Kap Arkona zu zerstören, sondern auch, die Ranen zur Christianisierung zu drängen. Klöster wie das Kloster in Eldena führten die Missionierungen aus, daneben stiftete Waldemar I. Geld für die Errichtung von insgesamt 12 Kirchen. Mit dem Bau der ersten davon, der Bergener Marienkirche, wurde 1180 begonnen.

Dass die Kirche so alt ist, merkt man ihr beim Betreten sofort an. Der gotische Bau, in den romanische und über die Zeit hinweg auch barocke Elemente eingearbeitet wurden, strahlt eine gewisse Macht und Größe aus, man wird ehrfurchtsvoll und fühlt sich geradezu in die Zeit zurückversetzt. Populär ist die Marienkirche aber nicht unbedingt für ihre imposante Ausstrahlung geworden, sondern vor allem für das Uhrenziffernblatt an der Nordseite – bei einer Restaurierung 1983 wurde hier nämlich anstatt der Löcher für die üblichen 60 Minuten ein 61. Loch gebohrt.

Aber ein Tagesausflug nach Bergen ist auch ganz unabhängig von überschüssigen Minuten keine Zeitverschwendung. Rund um den Marktplatz, der als Parkfläche dient, ragen Giebelfassaden im Historismus und Jugendstil auf, im neben der Marienkirche gelegenen ehemaligen Zisterzienserinnenklosters befindet sich heute ein Stadtmuseum, in dem gegen 2 € Eintritt Exponate aus Rügens Ur- und Frühgeschichte besichtigt werden können. An heißen Sommertagen laden auch die Cafés und Eisdielen der Stadt ein – vielleicht gibt es bei einigen davon sogar ungewöhnliche Schätze zu entdecken, wie eine große Eisenbahnmodellanlage im Hinterhof.

Putbus

Von Bergen aus ist schließlich auch Putbus, eine andere größere Stadt Rügens, nicht mehr allzu weit entfernt – rund 8 km Richtung Süden mit dem Fahrrad bzw. 9 km mit dem Auto. Bis 1815 waren Rügen und Hiddensee noch schwedisch, erst nach dem Wiener Kongress gingen sie an Preußen über. Vielleicht war es dem preußischen Beamtentum geschuldet, dass schon kurze Zeit darauf viele Städte Rügens zu Kurorten ausgebaut wurden. 1816 wird Putbus zum ersten Seebad Rügens. In den darauf folgenden Jahren wurde die Stadt unter Fürst Wilhelm Malte I. zu einer fürstlichen Residenzstadt ausgebaut. Als „Stadt der Rosen“ oder „Weiße Stadt“ bekannt, wurde viel Wert darauf gelegt, Putbus vor allem für vornehme Sommergäste attraktiv zu gestalten.

Eindrucksvoll ist das noch immer am Circus zu erkennen, dem Mittelpunkt der Stadt. Der kreisrund angelegte Platz ist von strahlend weiß gestrichenen Häusern umgeben, vor denen unzählige Rosenbüsche gepflanzt wurden. In symmetrischer Anordnung führen acht Wege auf den Obelisken im Zentrum des Platzes zu, der 1845 errichtet wurde und an den Stadtpromi Fürst Malte I. erinnern soll.

Bereits in Aufzeichnungen aus dem 14. Jahrhundert ist belegt, dass eine Burg in Putbus den Grafen von Putbus als Herrschaftssitz diente. Von der Burg ist heute aber nichts mehr erhalten – sie wurde schon kurz nach 1600 zu einem Schloss umgebaut. Aber auch von dem Schloss ist kaum mehr was übrig – erst wurde es 1865 von einem Feuer zerstört, dann riss man den Neubau nur 100 Jahre später unter der DDR-Regierung ab.

Heute ist von der alten Fürstenresidenz nur noch die Schlossterrasse und der umliegende Schlosspark erhalten, aber ein Besuch lohnt sich trotzdem. Wer sich auf die Suche nach den noch immer im Park verstreut liegenden Zweckbauten macht, kann zum Beispiel das Mausoleum, das Affenhaus oder den Marstall entdecken. Im Affenhaus befindet sich heute ein Puppen- und Spielzeugmuseum, der Marstall wird für Konzerte genutzt. Die Schlosskirche wurde eigentlich als Salon zum Spielen, Tanzen und Feiern für die adlige Gesellschaft errichtet und erst 1891 zur Kirche umgebaut. Die ehemalige Villa Löwenstein wird heute als Rosencafé genutzt, in der Orangerie sind regelmäßig wechselnde Kunstwerke ausgestellt. Von dem Fasanenhaus am Schwanenteich ist nur noch eine Ruine geblieben.

Wer vom Circus aus gesehen den ganzen Park einmal durchquert, kommt am Ende beim Wildgehege heraus. Die etwa 8 Hektar große Anlage bietet seit ihrer Eröffnung 1833 Rot- und Damwild ein Zuhause. Wer nach einem Parkspaziergang noch eine Abendbeschäftigung sucht, kann einen Blick in den Theaterspielplan des Theaters Vorpommern werfen. Und wenn die Sonne danach noch nicht ganz versunken ist, lohnt sich auch ein Ausflug an den nur 3 km entfernten Strand von Neuendorf, um im weichen Sand oder im warmen Wasser entspannt den Tag ausklingen zu lassen.

Bilder: Julia Schlichtkrull, Franziska Schlichtkrull

Leihen statt Kaufen

Leihen statt Kaufen

Die Redakteur*innen der moritz.medien haben sich schon immer einen Kopf um unsere Umwelt gemacht und darüber berichtet. In unserer neuen Kolumne erzählen wir euch, was wir über das Thema Nachhaltigkeit denken und geben euch viele hilfreiche Tipps, um euer Leben (noch) nachhaltiger zu gestalten.

Laut Studien des Statistischen Bundesamts haben deutsche Haushalte 2017 im Durchschnitt 140 Euro für Innenausstattung und Haushaltsgeräte und 110 Euro für Kleidung ausgegeben – und das jeden Monat. Damit stehen diese beiden Konsumausgaben bei uns Deutschen auf Platz 6 und 7, gleich hinter Wohnen und Energie, Nahrungsmitteln, Verkehr, Kultur, und Dienstleistungen wie Hotels und Gastronomien. Dabei könnte gerade in den Bereichen Kleidung und Ausstattung viel gespart werden, sowohl finanziell als auch umweltökonomisch.

Wie oft nutzen wir die Dinge, die wir kaufen, wirklich und wie lange? Vieles, das wir nur wenige Male brauchen und nicht sofort konsumieren, können wir auch auf andere Weise erhalten, und die meisten tun das bereits. Wir leihen uns Bücher, Musik und Filme aus Bibliotheken, Videotheken oder schauen sie über Streaming-Dienste an. Anstatt ein eigenes Auto zu besitzen, greifen wir oft lieber auf öffentliche Verkehrsmittel zurück, und wenn es doch einmal notwendig ist, mieten wir lieber, nutzen Carsharing oder einen Fahrradverleih in fremden Städten. Wenn wir eine Party organisieren wollen, brauchen wir kaum etwas selbst mitzubringen. Wie auch in Greifswald gibt es an vielen Orten Unternehmen, über die wir die Locations, Partyzelte und sogar ganze Ausstattungen samt Bierzeltgarnitur, Stehtischen und Stühlen ausleihen können – gegen ein kleines Entgelt.

Die meisten dieser Dienste sind nicht völlig kostenlos, aber in den allermeisten Fällen bleibt es mit einem gemieteten Wagen oder Zelt, oder einem monatlichen oder jährlichen Mitgliedsbeitrag dennoch billiger als wenn wir uns die entsprechende Sache selbst anschaffen würden. Unabhängig davon ist sowohl Leihen als auch Mieten wesentlich nachhaltiger, denn jedes Buch, das wir leihen, jeder Tisch, den wir mieten, bedeutet am Ende weniger Produktion und damit geschonte Ressourcen.

Kleider, Elektronik oder ganze Maschinen

Und die Firmen und Läden passen sich an. Viele Anbieter haben ihren Verkauf schon längst auch auf einen Verleih erweitert. Bei vielen Elektrofachhandeln und Baumärkten ist es möglich, sich Geräte einfach zu leihen, anstatt sie teuer zu erwerben. Wer mal eben für eine kleine Renovierung einen Hammer oder eine Bohrmaschine braucht, kann sich diese jederzeit für nur wenig Geld mieten. Bei längeren Zeiträumen ist es auch möglich, einen Vertrag abzuschließen, sollte in dieser Zeit das Gerät den Geist aufgeben, – also ohne Eigenverschuldung – wird es sogar kostenfrei ersetzt.

Gleiches gilt für Elektrogeräte. Wasserkocher und Waschmaschinen und sogar Notebooks, Kameras oder Smartphones können in vielen Märkten mit einem ähnlichen Vertrag ausgeliehen werden und stehen einem dann für einen bestimmen Zeitraum zur Verfügung. Der Vertrag kann monatlich gekündigt oder verlängert werden, bei vielen Märkten geht das Mieten auch bereits ganz einfach und versandkostenfrei online.

Neben einem Second-Hand-Erwerb kann auch bei Kleidern aufs Ausleihen zurückgegriffen werden. Vor allem bei Kleidung, die nicht oft gebraucht wird, wie teuren Anzügen oder Abendkleidern, bieten sich Plattformen an, die selbst hochwertige Designermode für einen kurzen Zeitraum gegen geringes Geld vermieten. Junge Startups haben Plattformen entwickelt, über die man durch ein monatliches Abo eine bestimmte Anzahl an Kleidung für einen gewissen Zeitraum mieten kann. So ist es möglich, immer mal wieder einen neuen Stil auszuprobieren, ohne gleich den gesamten Kleiderschrank zu verdoppeln. Für den privaten Verleih haben Websites wie eBay Kleinanzeigen außerdem eigene Foren eingerichtet, bei denen jede*r Nutzer*in ganz einfach das anbieten kann, was er*sie besitzt, aber gerade nicht braucht. Ein bisschen gezielte Recherche lohnt sich hier also immer.

Sharing Economy

Das Prinzip hinter dem ganzen Leihen und Mieten ist fast schon zu einer eigenen Wissenschaft geworden. Bei der Sharing (auch Shared oder Share) Economy dreht sich alles rund um die Idee von Collaborative Consumption, also den Gemeinschaftskonsum. Das Prinzip ist simpel: Ein*e Anbieter*in (meistens eine Privatperson, aber auch Interessensgruppen und Unternehmen) stellt einen Gegenstand, Raum etc. zur Verfügung, der von einem*r Nachfrager*in vorübergehend benutzt oder bewirtschaftet werden kann. Das bezieht sich sowohl auf privates, kostenfreies Verleihen als auch auf das Vermieten, z. B. über eine vermittelnde Dienstleistung oder Plattform.

Kritisiert wird dabei oft, dass diese Plattformen zwar bereits in großer Zahl existieren, aber oft nur im digitalen Raum verfügbar sind. Es wird befürchtet, dass diejenigen, die kein Internet nutzen oder nutzen können, vom Sharing-Trend ausgeschlossen werden und sich damit eine gesellschaftliche Schere – zum Beispiel zwischen den Generationen – auftut. Gleichzeitig bietet die Onlineverfügbarkeit der Sharing-Dienste aber auch den großen Vorteil, dass Leihen und Mieten fast überall, schnell, simpel und möglichst kostengünstig möglich ist. Darüber hinaus gewährleistet das Prinzip des Sharings natürlich, dass bereits existierende Ressourcen optimal genutzt werden können und damit keine neuen beansprucht werden müssen. Und auch auf sozialer Ebene ist Sharing sinnvoll, denn es vernetzt die Leute und schafft damit einen stärkeren sozialen Zusammenhalt.

Fazit

Sharing, sowohl durch Verleih als auch durch Miete, ist eine einfache Möglichkeit, um den eigenen Konsum möglichst nachhaltig und flexibel zu gestalten. Es ermöglicht uns, alles, was wir nur für eine kurze Zeit brauchen oder immer mal wieder austauschen möchten, einfach und schnell zu erhalten – selbst Dekoartikel, Kunstwerke, Topfpflanzen und sogar überschüssiges Essen durch Plattformen wie foodsharing.de. Erster Anlaufpunkt sind bei den meisten wahrscheinlich die Nachbar*innen oder Freund*innen. In einigen Orten in der Schweiz funktioniert das mittlerweile sogar schon in gut organisiertem Rahmen über vom Projekt Pumpipumpe vorgefertigte Sticker am Briefkasten, mit denen man zeigen kann, was man zu verleihen hat.

Wer keine Lust auf Leihen hat, aber trotzdem nachhaltig sein will, kann sich viele Produkte auch selbst anfertigen, wie wir euch in den letzten Wochen bereits gezeigt haben. Nächstes Mal geht es übrigens ums Upcycling – eine weitere Möglichkeit, etwas Neues zu erhalten und dabei gleichzeitig Ressourcen zu schonen.

Beitragsbild: Viktor Kern auf Unsplash

Banner: Jonathan Dehn

Traduire contre le racisme

Traduire contre le racisme

Was ist eigentlich „Zuhause“? Was bedeutet es für einen deutschen Studenten in Greifswald oder für eine Griechin in Athen? Was bedeutet es für eine syrische Familie, die aus einem zerstörten Land geflüchtet ist? Und wie übersetzt man dieses Konzept, „Zuhause“?

Dieser und anderen Fragen stellten sich im Kontext des Festival contre le racisme Tobias Reußwig und Dirk Uwe Hansen am 07.06. bei einer Lesung im Café Küstenkind. Die beiden sind Übersetzer, Tobias Reußwig stellt Texte vor, die er aus dem Englischen übersetzt hat, die Texte von Dirk Uwe Hansen stammen von griechischen Schriftsteller*innen. Sie schreiben auch eigene Texte, aber an diesem Abend steht vor allem die Übersetzung im Vordergrund.

Übersetzen hat immer auch eine anti-rassistische Tendenz, erklären sie. Einen Text aus einer anderen Sprache und Kultur zu nehmen und in die eigene zu übertragen, bedeutet in erster Linie, sich auf etwas Anderes, Fremdes einzulassen und es ernst zu nehmen. Zugleich stellen alle Texte auch immer Intertexte dar, sie stehen in ihrem eigenen Kontext, reflektieren den Erfahrungshorizont der Schriftsteller*innen. Die Gedichte, die Hansen vorstellt, sind von griechischen Autor*innen verfasst, viele von ihnen schreiben über das Ausland – Schweden, die USA, Afrika. Das Fremde durch die Augen einer*s Fremden.

Trotzdem betonen sie, wie schön es ist, dass Übersetzen so schwierig ist. Jede Sprache hat ihre eigenen, individuellen Wege, um letztendlich das gleiche zu tun, erklärt Reußwig, aber dabei spiegeln sie immer auch die Eigenheiten der jeweiligen Kultur wider. Es kann daher keine Auseinandersetzung mit einer sprachlichen Äußerung geben, ohne sich zuerst auf die Meinung der*des anderen einzulassen. Man kann Leute nur dann völlig verstehen, fügt Hansen an, wenn man dazu bereit ist, ihre Welt auch durch ihre Sprache zu sehen. Er überlegt, wie wichtig es eigentlich wäre, Übersetzen an Schulen zu unterrichten. Den Schüler*innen näherzubringen, wie das geht, sich auf die Denkweise der anderen einzulassen.

Wenn also jede Sprache ihre eigenen Besonderheiten hat, die eine andere Sprache nie gänzlich wiedergeben kann, gibt es dann überhaupt eine perfekte Übersetzung, eine Übersetzung, mit der wir als Leser*innen wirklich zufrieden sein können? Nein, ist die kurze Antwort von Hansen. Aber gleichzeitig auch Ja. Denn trotz der Tatsache, dass bei jeder Übersetzung etwas verloren geht, wird auch immer etwas gewonnen. Neue sprachliche und kulturelle Eigenheiten, die das Original nicht liefert und liefern kann.

At home, a casa, heima. Der Begriff „Zuhause“ scheint auf den ersten Blick die einfachste Übersetzung der Welt zu sein, und trotzdem wird das übersetzte Wort niemals das sagen können, was der Originaltext meint. Vielleicht ist es unmöglich, mit einer Übersetzung an das tatsächliche Konzept heranzukommen, überlegt Hansen. Aber er hofft dennoch, mit seinen eigenen Texten und seinen eigenen Worten am Ende in den Leser*innen in etwa das gleiche Gefühle auszulösen, wie es das Original schafft.

Beitragsbild: Julia Schlichtkrull

Sámi Sessions im St. Spiritus

Sámi Sessions im St. Spiritus

Die beiden norwegischen Bands Kajsa Balto Trio und Sex Magick Wizards wurden im letzten Jahr ausgiebig gecoacht. Jetzt, am vergangenen Dienstag auf dem Nordischen Klang waren sie ausreichend vorzeigbar, um zum ersten Mal auch im Ausland aufzutreten.

Als die Sex Magick Wizards vom Nordischen Klang gebucht wurden, hießen sie noch Viktor Bomstad, benannt nach dem Gitarristen und Komponisten der Band. Mittlerweile performen sie Sexmagie. Veranstalter Dr. Frithjof Strauß erklärt in seiner Vorrede lachend, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, was das bedeuten könnte – entweder werden sie versuchen, sexuelle Ziele mit Magie zu erreichen oder magische Ziele mit Sex.

Die Sex Magick Wizards

Dass die Sex Magick Wizards eine ganz eigene Art von Musik haben, merkt man schon, als sie die Bühne betreten, gehüllt in goldene Umhänge, Mönchskostüme, barfuß und mit Masken vor den Augen. Ihre Musik ist eine laute Mischung aus Jazz und Alternative, durchmischt mit Elementen aus Classic Rock oder Thrash. Ganz wie ihre Vorbilder aus den 70ern, darunter zum Beispiel John McLaughlin oder das Gateway Trio, haben sie Spaß daran, mit ihren Instrumenten – E-Gitarre, Schlagzeug, Kontrabass und Saxofon – zu experimentieren. Obwohl sie laut Programmheft des Nordischen Klangs „traditionellen, samischen Joik“ in ihren Liedern verarbeiten sollen, wird nur wenige Male wirklich gejoikt. Darunter einmal in den Korpus der E-Gitarre hinein.

Vielleicht verließen gerade wegen dieses Erwartungsbruchs einige Gäste während des Auftrittes die Vorstellung. Vielleicht war auch einfach der Unterschied zur ersten Band, dem Kajsa Balto Trio, zu krass.

Das Kajsa Balto Trio

Kajsa Balto, die Sängerin der Band, wuchs in Oslo auf, als Tochter eines Samen und einer Norwegerin. Zwischen den einzelnen Liedern erzählt sie dem Publikum immer wieder Geschichten aus ihrer Kindheit oder der ihres Vaters, Hintergründe zu ihren Lieder, Ereignisse, die sie inspiriert haben. Als Kind im Norwegen der 50er und 60er Jahre hatte ihr Vater es nicht immer leicht – er musste seinen Bruder sterben sehen und wurde von der norwegischen Politik schon früh gezwungen, ein Internat zu besuchen, in dem ihm seine eigene Sprache verwehrt wurde. Auch wenn er Samisch deshalb nie schreiben lernte, kann er es doch sprechen und er brachte es seiner Tochter bei, genauso wie das Joiken. Diese tiefe Verbundenheit zur Natur, zur Familie und zur samischen Tradition lässt Kajsa Balto in ihre Lieder einfließen, widmet eines dem Onkel, den sie nie kennenlernen konnte, ein anderes der alten Kiefer auf dem Hof ihres Vaters, ein weiteres dem Schlaflied der Trollmutter. Dabei sind die melodischen Texte, untermalt von Percussion, Cello und Keyboard, immer zum Teil auch auf Norwegisch – als Spiegel der anderen Hälfte ihrer Herkunft.

Wer bis zum Schluss blieb, konnte am Dienstagabend im St. Spiritus mit den beiden Bands einige Einblicke in die norwegische Musik gewinnen. Das Publikum war begeistert. Die Sex Magick Wizards machten ordentlich Stimmung und die Leute tanzten ausgelassen dazu. Und Kajsa Balto und ihr Trio wurden vom Publikum nicht eher von der Bühne gelassen, bis sie eine Zugabe spielten – obwohl aus der Menge eigentlich drei verlangt wurden.

Beitragsbilder: Julia Schlichtkrull