advents.kalender 2019: 19. Türchen – A Christmas Cola, Kapitel 3

advents.kalender 2019: 19. Türchen – A Christmas Cola, Kapitel 3

Es weihnachtet sehr, auch in Greifswald – und besonders bei den moritz.medien. Mit dem advents.kalender geben wir Euch weihnachtliche Tipps, Tricks, Erfahrungsberichte, Rezepte uvm. für die Adventszeit. Öffnet jeden Tag ein Beitrags-“Türchen”! Im heutigen Türchen helfen Daniel, Pip und Lucy Charles dabei, eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben.

Die vergangene Weihnacht

Der nächste Morgen begrüßte Charles mit heftigen Kopf­schmerzen. Die Matratze unter ihm war weicher, als er es von Zuhause gewohnt war, und auch die Bettdecke, die lose um seine Beine geschlungen war, fühlte sich anders an. Was war in der letzten Nacht geschehen? Er hatte den Abend im Pub ver­bracht, aber danach war alles verschwommen, ein Schlag auf den Kopf, bunte Lichter, laute Musik … Vielleicht hatte Wilkie ihn gefunden. Der Junge war oft morgens in den Straßen Lon­dons unterwegs, um von einem Schlafzimmer zum nächsten zu schleichen. Es kam nicht selten vor, dass er dabei einem be­trunkenen Charles über den Weg lief und anstatt zu einer seiner Geliebten schließlich zu seiner eigenen Wohnung zurückkehrte, seinen halb bewusstlosen Freund im Schlepptau.

»Wilkie?«, murmelte er in das Kissen hinein, das so riesig und dick war, dass sein gesamter Kopf davon verschlungen wurde.

Niemand antwortete. Aber er konnte Geräusche aus einem anderen Zimmer hören, etwas klapperte und klirrte leise. Er spürte warmen Sonnenschein auf seinem Gesicht. Ob Catherine sich wohl bereits Sorgen um ihn machte? Er bezweifelte es.

»Wilkie!« Dieses Mal war seine Stimme lauter gewesen, aber nicht unbedingt kräftiger. Seine Kehle kratzte. Hatte er die ganze Nacht auf der Straße in der Kälte verbracht?

Langsam öffnete er die Augen. Das Sonnenlicht blendete ihn und als er zwei, drei Mal müde blinzelte und der Raum um ihn herum Gestalt annahm, bemerkte er die Eisblumen auf dem Fenster, die die Strahlen der Sonne brachen und verstärkten.

Das Fenster. Es schien nicht an der gleichen Stelle zu sein, an der es in seiner Erinnerung gewesen war. Zwar hatte er schon lange nicht mehr bei Wilkie übernachtet, aber konnte er in diesen Monaten seine Wohnung so sehr umgestellt haben? Oder war er vielleicht gänzlich umgezogen, von einem wüten­den Ehegatten verfolgt, dessen Frau der Junge wieder einmal bezirzt hatte? Wilkie hielt nicht viel von solchen Konstrukten wie Liebe und Ehe. Humbug, nannte er sie.

Ein wenig beneidete Charles ihn um diese Einstellung.

Er drehte sich auf den Rücken, stöhnte dabei vor Schmer­zen. Sein Körper fühlte sich ausgezehrt an, die Schultern waren verspannt, der Kopf brummte wie ein ganzes Stahlwerk, und ihm war übel, so übel, dass er sich am liebsten sofort umge­dreht und erbrochen hätte.

Charles zwang sich zur Selbstbeherrschung. Er wollte Wil­kies Gastfreundschaft nicht überstrapazieren, denn es war si­cherlich nicht das letzte Mal, dass dieser ihn von der Straße auflesen musste. Und der Junge hatte Stil. So einen Ausbruch der Übelkeitsgefühle würde er ihm niemals verzeihen.

Er öffnete die Augen ganz, blinzelte hinauf zur Decke. Und stutzte. Ja, Wilkie hatte Stil. Aber so viel Stil?

Charles zumindest hatte die Decke nicht in einem gesättig­ten Orangeton in Erinnerung. Auch die darauf gemalten Blu­menornamente waren ihm völlig fremd. Und noch viel seltsa­mer schien es ihm, dass die Pinselstriche der Blumen an der Wand hinunter krochen und unten in ein Meer aus krakeligen Kinderzeichnungen übergingen. Dazwischen hingen winzige Porträts oder kolorierte Fotografien, eingefasst in hölzerne Rahmen. Manche von ihnen zeigten zwei Männer, andere ein junges Mädchen, auf wieder anderen waren alle drei gemein­sam abgebildet.

Keiner von ihnen war Wilkie.

Charles schreckte hoch. Einen Moment lang sah er nur wei­ße Sterne vor seinen Augen tanzen, dann konnte er langsam den Raum ausmachen. Das war definitiv nicht Wilkies Woh­nung. Und was immer er über den Stil der hübsch bemalten Decke noch gedacht hatte, diese Möbel, allesamt so schrecklich schlicht und glatt gehalten, machten diesen Eindruck sofort wieder zunichte.

Auf einem Stuhl zu seiner Seite – ein Stuhl mit nur einem einzigen Bein, das sich unten in einen krakenartigen Fuß er­streckte – lagen sein Mantel, seine Weste und seine Hose, alle säuberlich gefaltet und gestapelt. Charles‘ Blick glitt an seinem Körper hinab. Er trug nur noch sein Hemd und, nach dem was er unter der halb zurückgeschlagenen Bettdecke ausmachen konnte, seine lange Unterhose.

Er war nicht bei Wilkie. Und man hatte ihn entkleidet! Am Ende war es gar eine Frau gewesen, die ihn in solch einer Blö­ße, so einer unanständigen Freizügigkeit gesehen hatte!

Charles riss die Bettdecke gänzlich zurück und sprang aus dem Bett. Innerhalb weniger Sekunden war er in seine Klei­dung geschlüpft und bereit aus dem Zimmer zu stürmen, zu flüchten wenn nötig.

Er kam nur bis zum Flur. Durch die halb geöffnete Tür späh­te er in einen Licht durchfluteten Raum, der mit einem hohen Tisch und einer Art Küche ausgestattet war. Ein junger Mann stand vor dem Ofen an einem Herd – ein echter Herd, wenn Charles es richtig sehen konnte. Von dem Mann konnte er nur kupferrotes Haar erkennen und seinen schlanken, hoch ge­wachsenen Körper.

Erinnerungen zischten wie Blitze durch sein Gedächtnis. Laute Musik. Der Geruch von süßen Backwaren, auch jetzt lag er wieder in der Luft. Ein helles Licht und ein riesiger Kasten, bunte grelle Lichter, heißer Würzwein.

Der Mann am Herd wandte sich um und lächelte. »Ah, du bist wach.« Er gestikulierte mit einem riesigen Löffel auf den Tisch zu. »Setz dich doch schon mal.«

Charles bewegte sich nicht vom Fleck. Misstrauisch spähte er an dem Mann vorbei auf die Pfanne, deren Griff er mit der linken Hand hielt. Ein Stück Fisch zischte fröhlich darin vor sich her. Neben dem Herd auf einem Küchentisch waren zwei große hölzerne Bretter aufgebaut, die mit allerlei Gemüse, Kä­se und Fleisch belegt waren. In einem kleinen Korb dampfte frisches Brot.

Der Rothaarige bemerkte Charles‘ neugierigen Blick und sein Lachen wurde breiter, zeigte große Schneidezähne und tie­fe Grübchen. »Am Sinterklaastag gourmetten wir gerne. Kostet zwar ein bisschen mehr, aber Lucy liebt es.«

Lucy … Eine rote schwebende Kugel, auf magische Weise an einem Seil in der Luft gehalten. Sinterklaas. Lucy liebt Ge­schenke.

»Ich hoffe, du hast gut geschlafen.« Der Rothaarige deutete mit dem Kochlöffel in einen hinteren Teil des Raumes, in dem ein weiterer niedriger Tisch und ein Sofa standen. »Daniel und ich haben uns zusammen da rauf gequetscht. Aber du hast es kaum mehr die Treppe hoch geschafft, weil du so dicht warst, und da wollten wir dir wenigstens ein ordentliches Bett anbie­ten. Noch Kopfschmerzen?«

Ungläubig betrachtete Charles das Sofa. Es schien kaum groß genug zu sein, dass er allein bequem darauf Platz gefun­den hätte. Sich vorzustellen, dass zwei Männer, die er kaum kannte, sich diesen winzigen Raum geteilt hatten, um ihm ihr Bett anzubieten, erfüllte ihn mit Fassungslosigkeit und einer angenehm warmen Dankbarkeit.

Er bemerkte, wie der andere ihn noch immer ansah und auf eine Antwort wartete. Charles lächelte schwach. »Nur ein biss­chen.« Vorsichtig trat er nach vorne und an den Tisch heran, zog sich einen der Stühle zurück und setzte sich darauf. »Pip war der Name, richtig?«

Der Rothaarige lachte und machte sich weiter daran, seinen Fisch zu braten. »Eigentlich Philip. Aber Daniel hat mich so genannt, seit wir uns das erste Mal getroffen haben. Er hatte große Erwartungen an mich, meinte er.« Der Mann lachte wie­der und Charles merkte, dass er wohl eine Art Witz gemacht haben musste. Der Witz ging nicht ganz auf, stattdessen zog er nur fragend die Augenbrauen hoch.

Pip blickte über die Schulter zurück und bemerkte seine Verwirrung. »Du weißt schon, wegen dem Buch.«

»Buch?«

»Große Erwartungen. Ist ein Klassiker.«

Charles zuckte nur die Achseln als Antwort, was den Rot­haarigen wieder zum Lachen brachte. »Gestern Abend warst du noch gesprächiger. Da hast du ganze Romane gequatscht.«

Charles wurde hellhörig. »War etwas Brauchbares dabei?«

»Hm?«

»Ich suche noch eine gute Geschichte für mein nächstes Buch. Aber mir sind die Ideen ausgegangen.«

»Oh, du schreibst also wirklich.« Pip zog die Mundwinkel hinab, überrascht und beeindruckt. »Worüber denn?«

Wieder zuckte Charles die Schultern. »Über das Leben.«

Pip lachte. Er schmunzelte weiter, als er den Löffel beiseite legte und den Fisch neben all den anderen Köstlichkeiten auf einem kleinen Teller anrichtete. »Warum schreibst du nicht ein­fach über Weihnachten? Das ist immer ein gutes Thema.«

Dieses Mal war es an Charles zu lachen. »Was, über eine herrlich langweilige Weihnachtsmesse vielleicht?«

»Quatsch. Über das, was wirklich zählt zu Weihnachten.« Er nahm eines der Bretter in die Hand und trug es zum Tisch hinü­ber. »Freundschaft und Familie. Ein gemütliches Zuhause. Lie­be. Das ist doch das, was Weihnachten ausmacht.«

Charles schnaubte verächtlich. »Nicht hier in England.«

»Auch hier in England. Zumindest bei denen, die so viel Glück haben wie wir.« Pip holte das zweite Brett und stellte es ordentlich neben das erste. Er betrachtete es mit einem sanften Lächeln, dann hob er den Blick und sah Charles aus aufrichti­gen klaren Augen an. »Hab ein Herz, das nie verhärtet, ein Ge­müt, das nie ermüdet und eine Berührung, die nie verletzt. Für einander da sein, das heißt Weihnachten. Etwas für diejenigen tun, denen es nicht so gut geht. Die letzten Pennies an eine Ob­dachlosenunterkunft spenden. Oder einen Fremden von der Straße auflesen.« Er zwinkerte.

Charles hatte noch nie von so einem Weihnachtsfest gehört. Mit Catherine und den Kindern ging er in die Kirche, weil es von ihnen erwartet wurde, mehr nicht. Manchmal las er den Kleinen von der Geburt Jesu vor, wenn ihm danach war. Dann gingen sie zu Bett, standen am nächsten Morgen wieder früh auf, verbrachten einen Tag wie jeden anderen. Er hatte nie et­was gespendet oder den Weihnachtstag als einen besonderen Tag der Familie betrachtet, und er kannte auch niemanden, der das anders hielt.

»Daniel holt gerade Lucy von der Schule ab, aber sie wer­den bald zurück sein. Möchtest du mir dabei helfen, den Tisch und den Raum ein wenig zu schmücken?« Pip ging vor einem kleinen Schrank in die Knie, kramte darin herum und hielt dann eine große Kiste auf den Armen, als er sich wieder auf­richtete. Sie war bis zum Rand gefüllt mit Kerzen, Tannenzwei­gen, aus Stroh zusammengesteckten Sternen und roten Tü­chern. »Damit alles schön aussieht, wenn die beiden ankom­men. Wir erzählen Lucy dann immer, Sinterklaas hätte das alles aufgebaut, als er die Geschenke gebracht hat.«

Die nächsten Minuten verbrachten sie damit, den Raum her­zurichten. Nie zuvor hatte Charles Sterne an die Fenster gehan­gen oder Zweige als Schmuck auf den Tisch gelegt, aber er be­fand, dass es schön aussah. Warm und herzlich. Sie unterhielten sich ausgelassen, während sie die gesamte Wohnung in sanftem Kerzenschein erstrahlen ließen. Pip berichtete ihm davon, wie er als kleiner Junge mit seinen Eltern Weihnachten gefeiert hatte und wie er diese Werte auch jetzt noch pflegte, mit seiner eigenen kleinen Familie mit Lucy und Daniel. Er erzählte viel von den beiden, von der starken Liebe, die sie alle miteinander verband. Vom Weihnachtszauber, der ihm immer wieder half, sich bewusst zu werden, wie glücklich er war.

Charles lauschte interessiert. Es irritierte ihn ein wenig, dass ihn Berichte über etwas Banales wie das Weihnachtsfest mehr inspirieren konnten als tausende Kriegsgeschichten vom alten Shapney. Aber Pip ließ es keinesfalls banal klingen, dieses Weihnachtsfest, sondern nach Wärme und Liebe, nach Mitge­fühl und Barmherzigkeit.

Die Tür öffnete sich und brachte kalte Winterluft in die Wohnung. Ein kleines Mädchen tapste hinein, eine Tasche auf dem Rücken, die fast genauso groß schien wie sie selbst, das rote, geflochtene Haar voller weißer Flocken. Ihre Augen wei­teten sich vor Freude und Kerzenschein spiegelte sich darin wider. Pip trat zu ihr heran, ging vor ihr in die Knie und hauchte ihr einen Kuss auf die eiskalte Stirn, dann richtete er sich wieder auf und schenkte auch Daniel einen Kuss. »Happy Sinterklaas.«

Lucys Begeisterung war wunderschön anzusehen. Ihre Auf­regung wuchs mit jedem der kleinen Geschenke, die sie von Pip überreicht bekam, aber am meisten schien sie sich dennoch über die Kerzen und den Weihnachtsschmuck zu freuen. Sie war ein aufgewecktes Mädchen, das ununterbrochen redete und lachte. Sie redete weiter, während sie aßen, erzählte, was sie den Tag über erlebt hatte, und ließ dabei die alltäglichsten Klei­nigkeiten klingen wie einen Abenteuerroman.

Schließlich verließ Pip das Zimmer und kam wenig später zurück, ein Buch in der Hand. »Hier«, sagte er zu Charles. »Es ist jetzt nicht eingepackt. Aber das ist für dich.«

Charles nahm es entgegen und blickte auf den Einband hi­nunter. Es war in rotes Leder eingeschlagen, auf dem mit gol­dener Farbe verschlungene Linien und Buchstaben gezeichnet waren. Eine Weihnachtsgeschichte. Charles Dickens.

Charles stockte der Atem. Das war sein Name. Sein Name, aber eine Geschichte, die er nicht geschrieben hatte. Hatte ein anderer Autor seinen Namen benutzt? Oder konnte es sein …

Seine Finger zitterten, als er vorsichtig die erste Seite auf­schlug. Chapman and Hall, 1843.

Ihm wurde schwindelig. Die Schrift verschwamm vor sei­nen Augen, als würden die Buchstaben wie flüssige Tinte in­einander laufen, dann schienen sie die ganze Seite einzuneh­men, während der Raum um ihm herum dunkler wurde, als hätte man plötzlich ein gewaltiges Tuch über ihn geworfen.

Das nächste, was er spürte, war wie er fiel.

Und aufschlug. Kalter, harter Stein. Regentropfen auf seinem Gesicht, die in seine Haut einschnitten. Er hörte Stimmen, Männer, die sich anschrien, als sie miteinander stritten. Seine Augen öffneten sich nur müh­sam, aber dann gelang es ihm. Es war dunkel. Nacht. Über ihm ragten die Londoner Fassaden in den Himmel auf.

Ein Gesicht schob sich in sein Blickfeld, das zur Hälfte von einem grauen Bart bedeckt wurde, und zur anderen von dunk­len Schatten, die ein hoch aufragender Zylinder warf. »’tschul­digung, Sir.« Der Man hob seine Hand, um damit herum zu fuchteln. Seine Finger hielten eine Glasflasche umklammert. Cola. »Ich habe gerade in meinem Zimmer an einem neuen Konzept ge­arbeitet, als dieses dämliche Vieh durchs Fenster gesprungen ist.«

Charles stützte die Handflächen auf den nassen Boden und drückte sich auf. Seine Fingerspitzen berührten etwas und er wandte den Blick hinab.

»Diese Katze hat einfach meine neueste Erfindung gepackt und ist damit davon gesprungen«, fuhr der Mann unbeirrt fort. »Ist einfach raus aus dem Fenster und über die Dächer damit.«

Charles hörte ihn nicht mehr. In einer größer werdenden Pfütze aus Regenwasser lag ein Buch mit rotem Ledereinband, dessen Seiten langsam begannen, sich zu wellen von der Nässe. Goldene verschlungene Linien, die ein Netz aus Blättern form­ten, aber dort, wo zuvor der Titel und sein Name gestanden hat­ten, war jetzt nichts als Leere.

Aber er wusste ohnehin, was dort zu stehen hatte.

»Konnte ja nicht ahnen, dass sie die Flasche einfach auf Ihren Kopf fallen lässt. Geht es Ihnen denn gut, Sir? Das blutet ja nun doch ein wenig.«

Charles kümmerte sich nicht darum. Er lachte nur, so laut, dass es durch die nächtliche Londoner Stille schallte. »Gibt es ein größeres Geschenk als die Liebe einer Katze?«

»Sir?«

Charles schnappte sich das Buch und sprang auf die Beine. Ein bisschen schwindelte ihm noch, vielleicht von dem Sturz. Wie die drei wohl geguckt haben mochten, als er vor ihnen vom Stuhl gefallen und verschwunden war?

Er wandte sich zu dem Mann um, schenkte ihm ein dankba­res Lächeln und ein Nicken. »Sie haben da etwas Großartiges erfunden, mein Freund!«, stieß er aus, etwas atemlos vor Be­geisterung. Er musste nach Hause, auf der Stelle, er musste eine Geschichte schreiben, voller Liebe und Barmherzigkeit und all der wunderbaren Weihnachtsdinge, eine Weihnachtsge­schichte. Charles sah hinab auf die Flasche des Mannes und nickte noch einmal. »Aber ich würde eine weiß-rote Farbge­bung vorschlagen. Das passt doch etwas besser zu Weihnachten als dieses schlichte Weiß, finden Sie nicht?«

»’tschuldigung?«

»Happy Sinterklaas!« Und er stürmte davon. Weiße Schnee­flocken in rotem Haar. Eine rote schwebende Kugel an weißem Seil. Weiße Kerzen auf rotem Band. Ein roter Einband und weiße Seiten, die er füllen würde.

Lucy liebt Geschenke. Und sie liebt es zu singen und zu basteln. Und sie liebt Geschichten.

Er würde ihr eine Geschichte schreiben. Eine Geschichte der Zukunft und der Vergangenheit, und vor allem der Gegenwart. Eine Geschichte des Glücks und der Liebe. Eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben konnte.

Beitragsbild: Till Junker
bearbeitet von: Anne Frieda Müller

advents.kalender 2019: 15. Türchen – Weihnachten mit Schuss

advents.kalender 2019: 15. Türchen – Weihnachten mit Schuss

Es weihnachtet sehr, auch in Greifswald – und besonders bei den moritz.medien. Mit dem advents.kalender geben wir Euch weihnachtliche Tipps, Tricks, Erfahrungsberichte, Rezepte uvm. für die Adventszeit. Öffnet jeden Tag ein Beitrags-“Türchen”! Im heutigen Türchen: drei Getränke für die Weihnachtszeit.

Frust über den Vorweihnachtsstress oder Ärger darüber, dass ihr trotz aller Vorsicht bereits ge-wahm!’ed wurdet? Oder einfach nur Lust auf einen Abend im Freundeskreis, bei dem ihr gemütlich im Warmen zusammensitzt, während draußen in der Kälte der erste Schneeregen des Jahres fällt?

Für diese Anlässe und noch viele weitere verraten wir euch hier drei Rezepte unserer liebsten Weihnachtsdrinks, für eine besinnliche und beschwipste Weihnachtszeit. Jedes Getränk lässt sich aber natürlich nach eigenem Geschmack auch mit weniger oder ganz ohne Alkohol zubereiten.

Glühwein

1 l trockener Rotwein
1 unbehandelte Zitrone
2 Stangen Zimt
3 Nelken
3 EL Zucker
Kardamon

Für euren eigenen Glühwein mit dem typischen Weihnachtsgeschmack braucht es weder viele Zutaten noch viel Zeit. Ihr beginnt, indem ihr den Rotwein in einem Topf erhitzt. Während sich dieser erwärmt, bereitet ihr schnell noch die Zitrone zu, die ihr in etwa 1cm dicke Scheiben schneidet. Die Scheiben fügt ihr dann einfach dem Wein bei, genauso wie Zucker und Gewürze. Diese Mischung muss sich jetzt noch 5 Minuten weiter erwärmen, bevor ihr sie vom Herd nehmen und beiseite stellen könnt. Etwa eine Stunde sollte der Glühwein noch zugedeckt weiter ziehen, bevor ihr ihn serviert.

Am besten schmeckt er natürlich, wenn ihr ihn vor dem Verzehr noch einmal erhitzt. Für das beste Glühwein-Feeling eignen sich außerdem Steinkrüge zum Trinken – oder die geklauten Tassen vom Weihnachtsmarkt.

Teepunsch

1 l starker schwarzer Tee
100 ml Rum
75 g Zucker (am besten Kandis)
2 unbehandelte Zitronen
Würfelzucker und Rum zum Flambieren (für die Mutigen)

Wenn ihr vom Glühwein noch ein paar Zitronen übrig habt, könnt ihr diese sofort für das nächste Weihnachtsgetränk benutzen. Dafür müsst ihr zuerst einmal den Tee zusammen mit Zucker und Rum erhitzen. Zu dem vor sich hin ziehenden Getränk fügt ihr anschließend den Schalenabrieb von einer Zitrone bei, bevor ihr diese in zwei Hälften teilt, auspresst und den Saft ebenfalls dazu gebt.

Die zweite Zitrone ist zum Servieren gedacht. Einfach in Scheiben schneiden und ein Stück in jedes Glas geben, wenn ihr den Teepunsch einfüllt. Solltet ihr die Flambiermethode wählen, ist unbedingt darauf zu achten, dass eure Gläser feuerfest sind! Hierfür nehmt ihr euch einfach einen Teelöffel, den ihr über euer Glas legt. Darauf platziert ihr jeweils ein Stück Würfelzucker, das ihr nun nur noch mit etwas Rum übergießen und dann anzünden müsst. Für den größtmöglichen WOAH-Effekt noch brennend servieren.

Für eine alkoholfreie Variante könnt ihr den schwarzen Tee auch einfach mit Apfelsaft (500 ml) und etwas Honig (50g) mischen. Als alternative Geschmacksnoten eignen sich auch Nelken, Zimt und Orangen. Der Flambierffekt funktioniert allerdings leider nur mit Alkohol.

Bowle

1 Flasche Sekt (oder alternativ Weißwein)
100 ml Wodka
1 l Zitronenlimonade
1 unbehandelte Orange
3 unbehandelte Zitronen
50g Granatapfelkerne

Noch ein Rezept, um euren gekauften Beutel Zitronen aufzubrauchen. Bowle geht immer, sowohl zu Silvester als auch bereits in der Weihnachtszeit. Die Zubereitung ist außerdem denkbar einfach – ihr solltet aber rechtzeitig beginnen, da das Ganze noch eine Weile ziehen muss.

Besorgt euch einfach ein großes Bowlegefäß und fügt die klein geschnittenen Früchte hinein (von den Zitronen erst mal nur 2 verwenden). Zu den Früchten gießt ihr dann Wodka und Sekt hinzu, bevor ihr die dritte Zitrone zur Hand nehmt, auspresst und ihren Saft ebenfalls hinzufügt. Das Getränk sollte jetzt für mindestens 2 Stunden kühl gestellt werden. In dieser Zeit werden sich aber eure Früchte ordentlich mit dem Alkohol vollsaugen, mildert das Ganze deshalb vorher besser mit der Zitronenlimo ab – umso mehr ihr davon hinzu gebt, desto weniger werdet ihr den Effekt des Alkohols am Ende schmecken.

Natürlich könnt ihr die Bowle auch völlig ohne Alkohol zubereiten. Als Beigabe lassen sich außerdem auch alle anderen Obstsorten verwenden, die ihr mögt, zum Beispiel Äpfel, Orangen oder verschiedene Beeren. Besonders lecker: Schlammbowle. Hierfür einfach direkt vor dem Servieren je nach Bedarf 1-2 l Vanilleeis hinzugeben.

Prost!

Beitragsbild: Till Junker
bearbeitet von: Anne Frieda Müller

advents.kalender 2019: 10. Türchen – A Christmas Cola, Kapitel 2

advents.kalender 2019: 10. Türchen – A Christmas Cola, Kapitel 2

Es weihnachtet sehr, auch in Greifswald – und besonders bei den moritz.medien. Mit dem advents.kalender geben wir Euch weihnachtliche Tipps, Tricks, Erfahrungsberichte, Rezepte uvm. für die Adventszeit. Öffnet jeden Tag ein Beitrags-“Türchen”! Im heutigen Türchen streift Charles Dickens weiter kopflos durch London.

Die zukünftige Weihnacht

Allmählich gewöhnte Charles sich an den Gedanken, dass es nur ein Traum war. Als Schriftsteller hatte er sich bereits die seltsamsten Geschichten ausgedacht, und nicht selten hatte er sich so sehr in ein paar Gläsern zu viel verloren, dass die Welt um ihn herum plötzlich nicht mehr schien, wie sie eigentlich war. Zwar hatte niemals zuvor eins seiner Hirngespinste so we­nig der Realität entsprochen wie das hier, aber wenn überhaupt sollte er sich über diesen Umstand eher freuen. Edward und William hatten eine Geschichte gewollt. Wenn ihn das hier nicht inspirieren konnte, was sollte es dann können?

Die beiden Männer, auf die er in der Seitenstraße gestoßen war, folgten ihm dicht auf, auch wenn sie anfangs nicht begeis­tert davon schienen. David, der junge Mann aus der indischen Kolonie, hatte ihn erst zurückhalten wollen, aber er scheiterte schnell an Charles‘ Starrsinn. Sein Freund, ein schlaksiger flachsblonder Brite mit dem merkwürdigen Namen Pip, hatte noch versucht, David davon zu überzeugen, dass es besser wäre einfach zu gehen, aber David war hartnäckig geblieben. »Der Typ ist total verwirrt«, hatte er nur gesagt. »Nachher macht er noch irgendwas Dummes.«

Charles merkte schnell, dass es gar nicht so schwer war, in einer Welt, die sich völlig wider jeder Vernunft verhielt, etwas Dummes zu tun. Genauer gesagt merkte er es bereits, als er das eingezäunte Gebiet in der Mitte des Leicester Squares betreten wollte, und sich die Frau am Eingang in ihrer blendend grünen Weste ihm in den Weg stellte. »Ich muss Sie einmal abtasten.« Dann legte sie ihm auch schon die Hände auf den Körper. Charles schrie auf, erst vor Schreck, dann vor Scham und schließlich vor Wut. »Wer glauben Sie, das Sie sind? Das ist unerhört, nicht einmal meine Frau hat je …«

Sie hörte ihm gar nicht mehr zu. Er war noch nicht fertig, mit seiner Schimpftirade, wollte noch mehr zornige Worte hin­terher setzen, doch er wurde bereits weitergetrieben. Immer mehr Menschen strömten in den Park, so viele, wie er nie zu­vor auf einem einzigen Platz versammelt gesehen hatte, nicht einmal – oder vielleicht gerade erst recht nicht – zur Weih­nachtszeit in einer Kirche.

Den Park zu betreten fühlte sich an, wie im Sommer in den Männerbadeteich in Hampstead abzutauchen. Ein bisschen angsteinjagend im ersten Moment, ein bisschen kalt und atem­raubend, und dann nur noch überwältigend.

Die Stände, die am Rand und in der Mitte des Parks aufge­baut waren, schienen einmal im Kreis zu verlaufen. Überall duftete es nach gebackenem Teig und süßem Zimt, nach gebra­tenem Fleisch und gerösteten Nüssen. An den Ständen, aus denen nicht der Dampf der Öfen und kochenden Töpfe drang, wurden die verschiedensten Waren angeboten. Gläserne Halter in bunten Farben für Kerzen, aus Holz geschnitzte Bögen, Fi­guren, die aus Honig geformt worden waren. Musik lag in der Luft, die nicht von einem Chor oder einem Orchester auszuge­hen schien sondern vielmehr von den Bäumen um ihn herum. Und überall leuchtete es. Alle Dächer der Stände waren mit einer leuchtenden Kette behangen, die einzelnen Waren strahl­ten in glitzerndem Licht, es blinkte rot und grün und silbern, stach ihm in die Augen und schien seine Sinne mehr zu bene­beln, als das Ale, das er sonst so zu sich nahm.

Taumelnd blieb er neben einem Stand stehen und streckte die Hand nach der Kette aus, die sich vom Dach aus an der Wand hinunter schlängelte. Er wollte eine dieser Kerzen berüh­ren, musste wissen, wie sie es anstellten, mit dem Feuer einge­schlossen in dem winzigen Glas.

Es war heiß. So heiß, dass er sich augenblicklich die Finger daran verbrannte. Charles schreckte zurück.

»Hey, willst du ein Foto machen? Du kannst es ganz einfach hier auf so einen Würfel drucken lassen oder vielleicht auf ein kleines Teelicht? Wir haben auch Teddybären, wenn du zum Beispiel kleine Kinder Zuhause hast, die sich freuen würden.«

Charles wirbelte herum. Ein Mann stand vor ihm, der zu dem Stand zu gehören schien, an dem er sich gerade umsah. Er hielt einen Würfel in der einen Hand, einen gläsernen Becher in der anderen. Auf beide waren kleine Porträts gezeichnet, so winzig und trotzdem detailgetreu, dass Charles sich einen Mo­ment darin verlor, weil er sich sicher war, dass ihm seine Au­gen einen Streich spielten.

»Dauert auch nicht lange, du musst dich nur einmal vor die­se Box da stellen und in die Linse gucken. Den Rest regel ich.« Der Mann sah ihn noch einen kurzen Augenblick an, dann zuckte er die Schultern, stellte die beiden Gegenstände beiseite und nahm Charles vorsichtig bei der Schulter. »So was ist im­mer ein schönes Geschenk für die Familie. Ich kann dir nach­her auch eine Weihnachtsmütze auf den Kopf zaubern oder den Hintergrund gegen einen Weihnachtsmannschlitten austauschen oder so.«

Charles ließ sich vor einem mannshohen Kasten abstellen, während seine geweiteten Augen auf den Verkäufer geheftet blieben. »Zaubern?«

»Naja, du weißt schon.« Der Kerl nahm auf der anderen Seite des Kastens Platz und legte seine Hand auf einen kleinen Regler an der Seite. »Rennst du eigentlich immer so rum oder spielst du bei ’nem Theaterstück oder so mit?«

Charles‘ Miene wurde finster. »Ich darf doch wohl bitten!«

Vor ihm blitzte es hell auf. Er zuckte zusammen und riss die Arme nach oben, vor seinen geschlossenen Augen tanzten wirre Lichter.

»Sorry, das war vielleicht ein bisschen spontan. Jetzt guckst du ganz grimmig da drauf. Wir machen einfach noch eins, du musst am Ende auch nur das schönste davon bezahlen.«

»Bez– Bezahlen?«

»Ja, aber keine Sorge, ist nicht viel, zwei Pfund für das Bild und dann noch mal wenn ich es dir irgendwo drauf drucken soll. Das Teelicht zum Beispiel, das geht immer, das wären dann noch mal sechs Pfund dazu.«

»Sechs …!« Das war mehr als sein gesamtes letztes Jahres­gehalt! Er spürte wieder die Wut in sich aufkommen. »Wollen Sie mich ruinieren?«

Eine Hand legte sich auf seinen Arm und hielt ihn davon ab, auf den Verkäufer loszugehen. »Hey hey hey, komm man, lass uns ein Stück gehen.« Es war Pip, der schlaksige Brite. Charles ließ sich von ihm und seinem Freund mitziehen. Wenigstens konnte er so der Schlägerei entkommen, ohne Schwäche zu zeigen. Sechs Pfund hätte er nie im Leben bezahlen können, und in Prügeleien war er meistens unterlegen. In der Regel, weil er zu betrunken war, um auch nur einen einzigen guten Schlag zu landen.

Trinken. Vielleicht würde ihn das etwas ablenken, ein gutes lauwarmes Ale. All die Sinneseindrücke waren zu viel für ihn. Er wusste, dass er bereits die gesamte Nacht getrunken hatte, aber die Wirkung schien schon völlig von ihm abgefallen zu sein, und er hatte das Gefühl, dass der Moment, als er den Pub verlassen hatte und von dem Ding erschlagen worden war, bereits Tage zurück lag.

»Alkohol«, murmelte er.

»Hm?«

»Ich brauche Alkohol.«

Pip warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu, dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube, du hattest schon mehr als genug.«

David runzelte die Stirn. »Na, vielleicht ist er ja auf Entzug. Da verhalten sich Leute manchmal komisch.«

»Und? Was hast du vor?«

Er kramte in der Tasche seiner roten Jacke herum. »Ein Glas kann nicht schaden. Ich hatte sowieso Lust auf Glühwein.«

Charles nickte begeistert. »Wein klingt nach einer wunder­baren Idee!«

Sie gingen zu einem nahen Stand hinüber, in dem verschie­dene große Metallkessel dampften. Der Geruch von unzähli­gen fremdartigen Gewürzen ging von den Kesseln aus, sodass sich Charles bereits von dem Duft betrunken fühlte.

»Drei kleine Becher.«

Der Wein war kochend heiß, als sie ihn in die Hand ge­drückt bekamen. Die Tassen, in denen er serviert wurde, schie­nen aus Papier gemacht zu sein, nur dass es dicker und fester war, und der Wein wie auf magische Weise nicht hindurch sickern konnte.

Charles schlang ihn dennoch sofort hinunter. Es schmerzte auf seiner Zunge, und der schlaksige Pip verzog entgeistert das Gesicht, als er es sah, aber wenn das hier ohnehin nur ein Traum war, was kümmerte ihn dann eine verbrannte Zunge? Er glaubte, sein Kopf würde bald explodieren von all dem Lärm und dem Licht, den Menschen und den Gerüchen, er konnte nicht mehr warten.

Der Effekt setzte sofort ein. Als ein leichtes Kribbeln in den Händen und in den Beinen bei den ersten Schlucken, dann als eine watteartige Leere im Kopf, als er den Becher ausgetrunken hatte. Charles ließ die leere Tasse sinken. Die Lichter um ihn herum schienen nur noch greller geworden zu sein, dafür sta­chen sie ihn nicht mehr so sehr in die Augen.

Die Weinverkäuferin räusperte sich. Offenbar hatte David ihn so verdutzt beobachtet, dass er ganz vergessen hatte, zu zahlen. Er öffnete seine Brieftasche, zog einen blauen und ei­nen orangeroten Schein daraus hervor.

Fünfzehn Pfund.

Charles‘ entglitt der Becher aus den Händen.

Pip seufzte. »Du musst das auch in den Mülleimer werfen. Wir brauchen wirklich nicht noch mehr Plastikscheiß in der Natur.«

Charles hörte ihn gar nicht. Er trat einfach nur nach vorn, legte David eine Hand auf den Arm und starrte ihn mit funkeln­dem Blick an. »Lasst uns Dinge kaufen!«

Nur eine Stunde später hatten David und Pip die Arme voll mit kleinen und großen Kisten, so viel, dass die Stapel jeden Mo­ment drohten, herunterzustürzen. Sie hatten gläserne Kugeln mit Wasser und Schnee darin gekauft, bunte Lichter, Kerzen und Holzbögen, die leuchteten. Charles hatte auch mit Zucker übergossene Nüsse kaufen wollen und eine dieser klebenden Wolken am Spieß. David hatte außerdem eine bunte schwebende Kugel gekauft, die er mithilfe einer Leine in seiner Hand davon abhielt, davon zu fliegen. »Für die Kleine«, hatte er gesagt.

Sie waren durch die Straßen Londons gegangen, aber das London, das Charles kannte, schien nicht mehr zu existieren. Wäre er nicht so betrunken gewesen, hätte er sich sicherlich über Vieles gewundert, oder hätte vor Schreck geschrien, beim Anblick all dieser pferdelosen schnellen Droschken. Aber er war nun einmal betrunken, denn der heiße gewürzte Wein hatte ihn mehr überwältigt, als es ihm lieb war zuzugeben. Und so lachte er nur über das Droschkenchaos und sah mit großen Au­gen wie ein kleines Kind begeistert zu allen neuen Häusern auf, die er noch nicht kannte, zu den leuchtenden Fenstern und zu den gewaltigen gläsernen Fassaden, die sich über den Dächern erstreckten.

Und er erzählte Geschichten, denn das konnte er am besten. Und zum ersten Mal fühlte er sich wieder inspiriert, von dem schlaksigen Pip und von David, dem Zauberer mit der Schwe­bekugel, und von all den Dingen, die um sie herum geschahen und die er nicht verstand.

»Spar dir die Geschichten für unsere Kleine auf.« David blieb stehen. Sie waren in einer Nebengasse angekommen, die Charles nicht vertraut schien, aber bei den ganzen Veränderun­gen in der Stadt schien ihm ohnehin nicht mehr viel vertraut. Irgendwann hatten sie die Themse überquert und sich auf die Südseite gewagt, wo die Lichter immer weniger und die Häuser immer schäbiger wurden. So viel hatte sich zumindest nicht ge­ändert.

»Die Kleine?«

Pip stellte die vielen Kisten auf dem Boden ab und holte einen Bund mit Schlüsseln aus seiner Tasche. »David hat Recht. Komm mit zu uns rein und ruh dich ein bisschen aus. Und wenn du magst, kannst du morgen auch Sinterklaas mit uns feiern.«

David nickte lächelnd. »Pips Eltern kommen aus den Nie­derlanden. Ist ein bisschen ungewöhnlich, aber wir halten an der Tradition fest. Vor allem wegen Lucy.«

Pip öffnete die unauffällige braune Tür, vor der sie zum Ste­hen gekommen waren und gab den Blick auf einen schmalen Treppenaufgang frei. »Lucy liebt Geschenke. Und sie liebt es zu singen und zu basteln. Und sie liebt Geschichten.« Er lächelte warmherzig und auf seinen Wangen erschienen tiefe Grübchen. »Sie wird dich sehr schnell ins Herz schließen.«

TO BE CONTINUED

Beitragsbild: Till Junker
bearbeitet von: Anne Frieda Müller

advents.kalender 2019: 3. Türchen – A Christmas Cola, Kapitel 1

advents.kalender 2019: 3. Türchen – A Christmas Cola, Kapitel 1

Es weihnachtet sehr, auch in Greifswald – und besonders bei den moritz.medien. Mit dem advents.kalender geben wir Euch weihnachtliche Tipps, Tricks, Erfahrungsberichte, Rezepte uvm. für die Adventszeit. Öffnet jeden Tag ein Beitrags-“Türchen”! Im heutigen Türchen: Eine Weihnachtsgeschichte.

nach einer Idee von Franziska Schlichtkrull

Die gegenwärtige Weihnacht

Der Gestank von Schweiß und Zigarren, scharfem Alkohol, tiefster Enttäuschung und geplatzten Träumen erfüllte die sticki­ge Luft des kleinen Raums. Er schien sich schon längst in jede Ritze in dem brüchigen Holz verkrochen zu haben, haftete an den verdreckten Scheiben und an dem klebrigen Tresen, tropfte von den Öllampen, und fraß sich durch die Kleidung der Leute im Pub, sodass er aus jeder Pore ihrer Körper triefte. Sie nah­men ihre Erbärmlichkeit mit dem Ale auf, das sie tranken, und gaben noch mehr davon zurück, als sie die leeren Gläser wie­der über den Tresen schoben.

Die angenehmere Gesellschaft war schon vor einer ganzen Weile gegangen, diejenigen, die nur kamen, um einen anstren­genden Arbeitstag bei einem gemütlichen Bier ausklingen zu lassen, die sich in trauter Runde miteinander unterhielten und lachten, bevor sie sich ihre Mäntel wieder über die Schultern warfen und nach Hause zu ihren Familien gingen.

Er vermisste ihre Gespräche nicht. Glückliches Gerede über die eigenen Kinder oder die neueste Wochenzeitung konnte er nicht gebrauchen. Es passte nicht zu der Stimmung, die sich in seinem benebelten Kopf ausgebreitet hatte. Bei dem lallenden Gesang des alten Shapney über seine miserable Zeit bei der Ar­mee fühlte er sich willkommener. Shapney sang nicht wirklich, er erzählte nur, aber der Alkohol auf seiner Zunge zerrte die Worte so sehr in die Länge, trat den Ton mal nach oben und mal nach unten, dass er einen melodiösen Klang annahm. Wie eine geisterhafte Melodie direkt aus der Totenwelt. »Haben die Kanonenkugeln genommen und eingeschmolzen, sag ich euch. Und dann den guten Arthur draus gemacht, Wellesley, den Duke, ihr wisst schon.«

»Erzähl nicht!« MacPinny schlug lautstark sein Glas auf den Tisch und das Bier spritzte hoch bis auf seinen roten Bart. »Der auf dem Square? Der ist doch nicht aus Kugeln gegossen, der ist aus Stein, ist der!«

Die Männer gerieten in Streit. Ihre beiden Stimmen und die ihrer ebenso betrunkenen Freunde mischten sich allesamt mit­einander zu einem Teppich aus kreischenden Tönen, der sich über ihn legte und ihn langsam in den Schlaf wog. Fort von all­dem. Fort von ihrem miserablen Geschrei, fort von dem dröh­nenden Schmerz in seinem Kopf, fort von den Sorgen.

»Das war’s, Charles. Das war die letzte Chance, die ich dir geben kann. Deine letzten Manuskripte waren alle, und es fällt mir so schwer, dir das sagen zu müssen, aber sie waren alle der größte Mist, den ich je gelesen hab. Und du weißt, ich mag dich, du weißt, wie wichtig du mir bist, aber ich muss auch an mich denken, Charles. An meine Familie. Mary ist gerade wie­der schwanger, fünf Kinder, das sind viele Mägen, viele Klei­der, du kennst das ja, du hast ja auch schon das Vierte mittler­weile. Gott weiß, ich bin der größte Philanthrop der Welt, aber irgendwann … Irgendwann muss ich auch mal an mich den­ken.«

»Ich hab’s doch selbst gesehen!« Shapneys Stimme war so laut geworden, dass die gläserne Umfassung der Lampen vi­brierte. Draußen wütete schon den ganzen Tag ein heftiger Sturm, der ununterbrochen Regentropfen an die Scheiben schlug, sodass Charles glaubte, das Glas hätte schon vor Ewigkeiten darunter zerbrechen müssen. Eccleston, der zu seiner Linken saß, hob müde die Hand, um noch einen Pint zu bestellen. Seinen Kopf konnte er schon längst nicht mehr heben.

»Wir bekommen kein Geld mehr.«

Der Gesichtsausdruck, mit dem Catherine ihn daraufhin strafte, hätte ihn gut auf der Stelle in Fetzen reißen können. »Hat William dir das gesagt?«

»Nein, Edward. Aber er war wirklich sehr entschlossen.«

»Du solltest noch mal mit William darüber sprechen.«

Er spürte die Wut heiß in seinen Wangen glühen. »Damit ich dem auch noch in den Arsch kriechen darf?«

Catherines Augen wurden finster. »Charles, solche Worte! Denk an die Kinder!«

»Die Kinder! Alle denken nur an die Kinder! Ich hab jetzt das fünfte, Charles, wie soll ich dich da auch noch durchfüt­tern? Ich bin halt nicht Christus, der hat sich am Weihnachts­tag der Welt geschenkt, aber ich, bin ich denn Gott, Charles? Soll ich mich denn auch für andere aufopfern? Verrecken soll Edward an seinem Weihnachtstag!«

Shapney hatte eine Münze aus seiner Tasche geholt und hielt sie dem aufgebrachten MacPinny dicht vors Gesicht. »Die Königin! Die Königin selbst hat gesagt …«

MacPinny streckte die Hand so hastig aus, dass er sein Glas dabei umstieß. Er riss Shapney die Münze aus der Hand. »Die Königin! Ich piss auf die Königin!« Seine Hände machten sich an seinem Hosenbund zu schaffen.

Charles Dickens beschloss, dass der perfekte Moment ge­kommen war, um den Pub und dieses Trauerspiel hinter sich zu lassen. Er legte ein paar Münzen auf den Tresen, wahrschein­lich zu viel für die drei, vier Gläser, die er getrunken hatte, aber das kümmerte ihn im Moment wenig. Er wollte nur so schnell wie möglich gehen, bevor MacPinny ihm noch einen Anblick lieferte, den er so schnell nicht mehr vergessen konnte.

Er rutschte schwerfällig von seinem Stuhl, zog mühevoll ein Bein nach vorne, dann wieder das andere, so schnell er nur konnte. Zu seiner Rechten gaffte der alte Shapney MacPinny auf der anderen Seite des Tisches an, als stünde da nicht der schottische Fabrikarbeiter sondern Bonaparte selbst vor ihm. Drei Männer waren aufgesprungen und versuchten verzweifelt, MacPinnys Arme zu fassen zu bekommen, während sie laut­stark auf ihn einschrien.

Charles wusste, dass es schon zu spät war. Eine andere bei­ßende Note hatte sich unter den Gestank in der Luft gemischt.

Er stieß die Tür des Pubs auf und genoss für einen Moment die klare, kalte Luft und den harten Regen auf seinem Gesicht. Hier draußen in den Gassen Londons war es überraschend still. Die Nacht war bereits so weit vorangeschritten, dass nur ent­fernt, in hinter Häuserreihen verborgenen Straßen das Klappern vereinzelter Droschken zu hören war. Nur durch die Tür und die Fenster des Pubs drangen noch immer die Schreie der Män­ner zu ihm nach draußen, und irgendwo hinter der nächsten Häuserecke übergab sich jemand. Die Würgelaute waren so elegant in derbe Flüche eingebunden, dass es Charles wie ein gut komponiertes Lied vorkam. Das Lied hatte eine seltsam ansteckende Wirkung auf ihn. Beinahe fühlte er sich, als müss­te er jeden Moment mit einstimmen, aber er zwang sich, seinen Mageninhalt von vier Pints in sich zu lassen.

Er torkelte nach vorn, dann zur Seite, fing sich an der Wand des Pubs ab, wagte noch einen Schritt. Über ihm mischte sich unter das laute Klappern des Regens auf die Dachziegel auch ein schnelles Kratzen, vielleicht von Katzen oder Marderhun­den. Er tat noch einen Schritt, schob sich langsam an der Wand voran, um nicht zu stürzen. Wenn William oder Edward ihn so finden würden! Er wollte ihnen nicht die Genugtuung geben und zu dem Taugenichts werden, den sie in ihm sahen. Vielleicht war er das bereits, aber das brauchten sie nicht zu wissen.

Noch ein weiterer Schritt. Die Pelztiere über ihm kreischten laut auf, als würden sie sich zu streiten beginnen. Etwas kratzte über die Ziegel, kein Tier, kein Regen. Es klang metallen oder gläsern vielleicht.

Charles Dickens hob den Blick. Das letzte, was er sehen konnte, war ein etwa zwölf Zoll großer Gegenstand, der sich in rasender Geschwindigkeit auf seinen Kopf zubewegte. Für einen winzigen Moment blitzte das Ding im Licht der Straßen­laterne silberweiß auf. Der Schriftzug COKE brannte sich in sein Gedächtnis ein.

Dann spürte er einen dumpfen Schmerz auf der Stirn und das Bild verschwamm vor seinen Augen. Er fiel. Den Aufprall spürte er nicht mehr.

Regentropfen auf seiner Haut, aber schwächer als zuvor. Es war kälter geworden, oder so schien es zumindest. Nur lang­sam kehrten seine Sinne zurück. Ein Geruch lag in der Luft, so süßlich als hätte man ihn in eine Zuckerfabrik entführt. Stim­men. Unzählige, aber dumpf, weit entfernt von ihm. Männer und Frauen unterhielten sich angeregt, Kinder lachten vor Freude. Trotz der Benommenheit schnaufte er verächtlich in den kalten Stein unter seiner Wange. Er konnte unmöglich noch immer in London sein.

»Sir? Geht es Ihnen nicht gut? Soll ich …« Eine Hand legte sich auf seine Stirn, schwebte dann so nah über seinem Mund, dass er die kalten Finger auf seinen Lippen spüren konnte. »Soll ich einen Krankenwagen rufen?«

»Können Sie aufstehen?« Zwei weitere Hände griffen ihn vorsichtig an den Oberarmen und zogen an ihm. Der kalte Stein unter seinem Gesicht verschwand. Er fühlte, wie sich die Welt um ihn herum drehte, auch wenn er es nicht sehen konnte. »Ja, kaum machen die Weihnachtsmärkte auf, muss man sich schon vollaufen lassen, hm?«

Er runzelte die Stirn. Sein Schädel brummte, als hätte je­mand eine Druckerpresse darin angeworfen. »Weihnachts­markt?«

»Wissen Sie nicht mehr, wo Sie sind? Vielleicht sollten wir doch einen Krankenwagen rufen.«

Charles öffnete die Augen. Zuerst konnte er nichts als Dun­kelheit ausmachen, doch nach und nach kehrten die Lichter zu­rück. Straßenlaternen nicht weit von ihm, aber sie waren hell, so viel heller als sonst. Dahinter eine Londoner Häuserfassade, aber dort, wo der braune und rote blanke Stein hätte sein müs­sen, waren Girlanden aus Tannenzweigen und bunten Lichtern gezogen worden. Sein Blick folgte ihnen die Straße hinunter, zum Leicester Square, das wusste er. Aber dort, wo sonst die Häuser den Blick auf den kleinen Park freigegeben hätten, konnte er jetzt nur eine gewaltige Ansammlung von Menschen entdecken, die sich allesamt auf ein umzäuntes Gebiet in der Mitte des Parks zuzuschieben schienen. Noch mehr grelle Lichter schienen ihm aus den Fenstern der Häuser entgegen und von den Kronen der Bäume. »Wer hat denn diesen Schwachsinn da in die Bäume gehängt?«

Von dem umzäunten Bereich drang ein Chor zu ihm hinü­ber, auch wenn der Klang seltsam war, von Instrumenten ge­spielt, die er nicht einordnen konnte.

There must have been some magic in

That old silk hat they found

»Kommen Sie, Sir, hoch mit Ihnen. Sie können hier nicht so rumliegen bleiben.« Der Mann hinter ihm, der noch immer seine Oberarme umklammert hielt, zerrte behutsam an ihm, um ihn auf die Beine zu ziehen. Widerwillig ließ er sich aufrichten. Der Mann vor ihm, aus der indischen Kolonie wie es schien, zog etwas aus seiner Tasche hervor. Charles legte den Kopf schief. Der Mann war seltsam gekleidet. Sein Mantel, aus einem glänzenden Material, leuchtete in sattem Rot als würde er das Kleid einer Frau tragen. Seine Hose war blau, mit weißen Streifen, als hätte ein Vogel sich darauf erleichtert, und der Mann besaß sogar die Frechheit, keinen Hut zu tragen!

»Ich ruf jetzt einen Krankenwagen, in Ordnung, Sir?« Das Ding in seiner Hand blinkte gleißend hell auf, stach in seine Augen.

Charles‘ Kehle entrann ein spitzer Aufschrei. Er riss sich aus den Händen des Mannes hinter ihm los, rappelte sich auf, stol­perte nach vorn, aber fing sich, bevor er erneut fallen konnte. Er rannte los, auf den Leicester Square zu. So viele Leute um ihn herum, so viele Stimmen und andere, fremde Geräusche, eine Kakophonie des Lärms. Aber vielleicht, vielleicht konnte er ja jemanden finden, nur eine einzige Person, die ihm helfen konnte, die ihm erklärte, was geschehen war.

Nur noch vier Schritte, drei, dann hatte er den Platz erreicht. Er taumelte aus der Irving Street heraus. Und schrak zusam­men. Blendendes blaues Licht zu seiner Rechten, das ihn auf­schreien ließ. Er trat ein paar Schritte zurück, lief in jemanden hinein, der hohe Schrei einer Frau. Er wirbelte herum, blickte der jungen Lady in die Augen, dann an ihr hinauf und hinab, schüttelte den Kopf, fassungslos, über alles. »Eine Hose«, mur­melte er nur.

Ihr Blick wurde finster. Sie erinnerte Charles an Catherine. »Wie hast du mich genannt?«

Bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, erklangen wie­der die Stimmen der beiden Männer hinter ihm. »Sir, warten Sie mal!«

Er wollte davon laufen, aber wusste nicht, wohin. Überall leuchtete es aus den Fenstern heraus, von den Wänden, von den Bäumen, Menschen in der seltsamsten bunten Kleidung, als wären sie Papageien, die aus einem Zoo geflohen waren, und sie unterhielten sich auf den verschiedensten Sprachen, kamen aus den verschiedensten Ländern. Und wo waren ihre Hüte?

»Sir!« Der Mann, der noch immer den leuchtenden Gegen­stand mit sich herum trug, hatte ihn mittlerweile eingeholt. Er legte ihm seine freie Hand auf den Unterarm, nicht fest, aber bestimmt. »Sie sind etwas verwirrt. Wir gehen da hinten hin, zum Weihnachtsmarkt, ja? Da sind ein paar Leute, die Ihnen bestimmt helfen können. Kommen Sie.«

Er ließ sich von dem Mann mitziehen. Seine Gedanken wa­ren mittlerweile so verworren, dass es schien, als hätte er über­haupt keine Gedanken mehr. Sie gingen ein paar Schritte, während die Musik, die vom Leicester Square auszugehen schien, weiter anschwoll. Er konnte jetzt die kleinen Hütten ausmachen, die in dem Park kreisförmig errichtet worden wa­ren, wie Stände bei einem Wochenmarkt. Aus einigen von ih­nen stieg Dampf auf, als wäre eine ganze Küche in ihnen er­richtet worden, andere waren bis zur Decke gefüllt mit winzi­gen bunt verzierten Kisten, doch er konnte nicht erkennen, was in ihnen angeboten wurde. Er streckte sich, wollte über den Zaun spähen, mehr erkennen.

»Entschuldigung.« Der Mann mit dem Leuchtkästchen, aber er sprach nicht zu ihm, sondern zu einer Frau, die am Eingang des Parks zu warten schien.

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Der Typ hier … Wir haben ihn da hinten gefunden, er lag am Boden, stinkt ziemlich nach Alkohol. Er ist ganz schön durcheinander, er …«

Charles wirbelte herum. Auf seinem Gesicht lag eine bei­nahe kindliche Freude. »Diesen Markt hier …«

Der Leuchtkastenmann runzelte die Stirn. »Der Weihnachts­markt?«

Charles nickte. Das hier konnte nur ein Traum sein, ein sehr seltsamer Traum zwar, aber sicherlich nur ein Gespenst seiner wirren schriftstellerischen Fantasie, nichts Ungewöhnliches eigentlich. Er wollte noch nicht erwachen. Er verstand nicht, was um ihn herum geschah, aber genau das erregte ihn am meisten. Er wollte diese merkwürdige Welt bis ins kleinste Detail erkunden, er wollte sich inspirieren lassen.

»Du schreibst nichts Originelles mehr«, hatte Edward gesagt. »Was ist nur mit dir los, Charles? Du warst doch früher so inspiriert, und jetzt das hier?«

Edward hatte eine Geschichte gewollt. Das hier war eine.

Charles Dickens trat einen Schritt nach vorn und packte den Leuchtenkastenmann beim glänzenden, knisternden Mantel. »Ich möchte ihn sehen, diesen Weihnachtsmarkt. Ich möchte alles sehen!«

TO BE CONTINUED

Beitragsbild: Till Junker
bearbeitet von: Anne Frieda Müller

Neue Welt. Neue Stadt?

Neue Welt. Neue Stadt?

Sommer 2019. Ein paar hunderte Studierende haben sich im großen Hörsaal am Ernst Lohmeyer Platz versammelt, um über Anträge abzustimmen. Die Versammlung ist schon ein ganzes Stück vorangeschritten, als plötzlich ein Dutzend Studierende aufsteht, nach vorne geht und sich dort auf den Boden wirft. Während Hannes und Sandra vom StuPa den Antrag vorbringen, bleibt der Rest auf dem Boden wie tot liegen.

In einer Woche findet die nächste Vollversammlung der Studierendenschaft statt. Etwa ein halbes Jahr ist es her, dass wir uns zur letzten VV getroffen haben. Damals wurde dort der Klimanotstand ausgerufen und eine Woche später noch einmal vom StuPa bestätigt. „Veränderung beginnt in dem Raum, in dem wir uns bewegen, und das ist für uns die Uni Greifswald“, sagten die Antragsteller*innen damals. Aber was hat sich seitdem wirklich verändert? Und was können wir als Studierendenschaft und Bürger*innen der Stadt Greifswald dazu beitragen, um weitere Veränderung zu schaffen?

Diesen Fragen widmet sich in dieser Woche die Vortragsreihe „Neue Welt – Neue Stadt“, organisiert von der AG Ökologie in Zusammenarbeit mit dem BUND Greifswald. In fünf Abendveranstaltungen sollen dabei die verschiedensten Fragen geklärt werden, die sich ergeben, wenn wir über eine klimaneutrale Zukunft nachdenken. Welche Energiequellen sind für unsere Klimaziele überhaupt geeignet und wie müssen wir mit ihnen umgehen? Was bedeutet die nötige Biodiversität und Schonung nicht-erneuerbarer Ressourcen im ländlichen Raum für die dortige Bevölkerung und welche Probleme sozialer Gerechtigkeit kommen dadurch auf? Welchen Einfluss haben Konsum und die daraus resultierende (Massen-)Produktion auf unsere Umwelt und wo können wir mit eigener Kreativität à la Do-It-Youself etwas zur umweltfreundlichen Zukunft beitragen?

Die Vortragenden bringen ein breites Band an Arbeitsfeldern mit. So sind Mitglieder des BUNDs und der Grünen vertreten, wie auch Wissenschaftler*innen aus Geologie bis Soziologie. Den Anfang macht schon heute Abend Philipp P. Thapa (Co-Organisator der Vortragswoche), der an unserer Universität das Projekt GETIDOS koordiniert. GETIDOS (Getting Things Done Sustainably) versucht bereits seit 2009 Lösungen für soziale Probleme zu schaffen und die Gesellschaft vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit zu prägen. Ein ähnlicher Ansatz ist auch dem heutigen Vortrag „Wie wollen wir leben? Denken in sozial-ökologischen Utopien“ gesetzt. Wie muss sich unsere Stadtpolitik ändern, um den Klimazielen gerecht zu werden, und gleichzeitig die Grundsätze der Demokratie nicht verletzen zu müssen?

Die Vorträge finden an jedem Tag dieser Woche, jeweils um 18:30 Uhr im Audimax (Rubenowstraße 1) statt. Bis auf den Vortrag am Dienstag (im Hörsaal 1) wird für alle Veranstaltungen der Hörsaal 5 genutzt. Am Mittwoch soll anstelle eines Vortrages eine Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen der Greifswalder Bürgerschaft zum Thema „Die Zukunft unserer Städte“ abgehalten werden. Das genaue Programm kann auf der Website vom BUND eingesehen werden.

Beitragsbild: Kerstin Riemer auf Pixabay