Wer das moritz.magazin 137 bereits gelesen hat, dem wird dieser Artikel bekannt vorkommen, denn es handelt sich hierbei um eine Kurzgeschichte von Josefine Schultz-Zehden. In diesem beschreibt die Studentin Probleme auf ihrer Suche, nach einer Definition des Begriffs Gesundheit.
Da sitze ich nun, meinen Cappuccino rührend, leicht verschlafen und mit dem Vorhaben, meine Hausarbeit endlich anzufangen, in meinem Lieblingscafe. Die Sonne strahlt wärmend auf meinen Rücken und ich verliere mich kurz in den Gesprächen des Nachbartischs, bis meine Augen sich langsam wieder auf den Stapel Bücher richten und mich daran erinnern, weshalb ich hier eigentlich sitze. Ganz oben liegend, lächelt mich ein Lexikon mit dem Titel „Klinisches Wörterbuch“, Auflage 267, an. Ob man hier von Lächeln sprechen kann, weiß ich auch nicht, aber zumindest will es, dass ich es endlich aufschlage, das weiß ich ganz genau. Es soll in meiner Haus- arbeit um die Definition von Gesundheit gehen, speziell um die im „Klinischen Wörterbuch“. Wir sollen uns mit dieser auseinandersetzen, hieß es. Blätternd und nach der Definition von Gesund- heit suchend, sitze ich nun da und frage mich, wie um alles in der Welt ich nur diese ganzen Seiten füllen soll, wenn es doch nur um eine Definition geht. Nach etwa zehn Minuten des verzweifelten Blätterns, muss ich mich nun ehrlich fragen, ob ich mich nicht doch in der Auflage geirrt habe. Es gibt nämlich viele. Einen panischen Kontroll- check später, steht in meiner Mitschrift aus dem Seminar doch aber ganz deutlich: Auflage 267. Noch einmal gehe ich zum Buchstaben G, setze mir meine Lesebrille zur Verstärkung auf und su- che akribisch nach der Definition von Gesund- heit. Doch ich finde, entgegen meiner Erwartungen, erneut: Nichts. Immer noch ungläubig, blättere ich noch mindestens eine halbe Stunde weiter, bis ich es schließlich aufgebe. Das Wort Gesundheit ist noch nicht einmal aufgeführt, geschweige denn eine Definition. Ein medizinisches Lexikon mit dem Namen „Klinisches Wörterbuch“ ohne die Definition von Gesundheit? Wenn es nicht traurig wäre, müsste ich hier sitzen und lachen. Traurig, weil ich immer noch denke, ich hätte es überlesen. Lachen, weil ich über etwas eine Hausarbeit schreiben soll, was es nicht gibt. Während meiner beginnenden Schaffenskrise, frage ich mich nun, wie einem medizinischen Lexikon so ein Malheur passieren kann. Da strebt die Medizin die Gesundheit der Menschheit an und dann vergisst das „Kli- nische Wörterbuch“ mal eben ausversehen, die Definition von Gesundheit abzudrucken. Es ist ja nicht so, dass mir im Laufe eines Tages nicht auch hunderte Malheure passieren, also würde ich mich wirklich der Kategorie „Verständnisvoll“ einordnen, aber so etwas zu bringen, das wäre selbst mir peinlich. Ich meine tausende Exemplare, mit jeweils hunderten von Seiten, einfach für die Katz, weil jemand sich keine Mühe gemacht hat, gegen zu checken, ob die Definitionen in dem Lexikon vollständig sind? Na danke, jetzt sitze ich hier und darf es ausbaden. Extra Buch ausgeliehen, entdeckt dass die Definition Gesundheit vergessen wurde und meine Hausarbeit deshalb in noch weitere Ferne rückt. Anstatt mich allerdings um eine neue, vollständige Version zu kümmern, entscheide ich, mich weiter in das Ärgernis hineinzusteigern. Es kann ja nicht nur dieses eine Lexikon geben, worin die Definition von Gesundheit fehlt? Wieso ist es bis jetzt keinem aufgefallen? Vielleicht, weil Andere nicht so auf die Definition von Gesundheit angewiesen waren, wie ich in diesem Augenblick? Einfach übersehen wahrscheinlich. Langsam fange ich an, mich persönlich angegriffen zu fühlen. Will sich jemand ein Scherz mit mir erlauben und meine Motivation auf den Prüfstand stellen? Neben dem persönlichen Angriff, empfinde ich diesen Fehler als tiefst respektlos der Gesundheit gegenüber. Sie ist so wichtig. Und das Lexikon zollt ihr nicht diesen Respekt und entscheidet sich einfach, sie zu vergessen. Kann man ja mal machen oder? Nein, kann man nicht. Wird ein Kind geboren, hört man Eltern oft sagen: Hach, wir sind so froh ein gesundes Kind zu haben, das ist doch das Wichtigste. Ganz unbewusst fügt man auch bei dem Schreiben einer Geburtstagskarte stets hinzu: Für das nächste Lebensjahr wünsche ich Dir neben Glück und Freude, Gesundheit. Oder an Silvester zum Beispiel, wenn man auf das alte Jahr zurückblickt und für das neue Jahr noch ein paar Wünsche offen hat. Einer davon ist bestimmt immer, Gesundheit. Für sich und für die Menschen, die einem nahestehen. Und wünscht man sich Gesundheit doch aber vor allem dann, wenn einem diese verloren gegangen ist. Denn genau dann weiß man es zu schätzen, was es doch bedeutet, gesund zu sein. Und dann wünscht man sich nichts sehnlicher. Und genau dann merkt man doch auch, dass Gesundheit nicht nur ein leeres Wort auf einer Geburtstagskarte ist, sondern das Wichtigste im Leben. Genau weil es das Wichtigste im Leben ist, darf ein solches Lexikon das doch nicht einfach vergessen! Das muss den anderen in meinem Kurs doch auch so gehen, denke ich mir logisch. Meine Unterlagen zusammenlegend, wähle ich mit einer Hand die Nummer von Ellie. Mal sehen was sie dazu sagt. Ich finde es jedenfalls ziemlich daneben. Sie nimmt ab. Ich: „Hey ! Sag mal ich sitze hier gerade im Cafe und wollte mit meiner Hausarbeit anfangen. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Definition von Gesundheit im „Klinischen Wörterbuch“ gar nicht aufgelistet ist? Darum geht’s doch aber in der Hausarbeit. Verstehe das nicht, wie soll ich denn jetzt bitte darüberschreiben? Hast du auch so eine fehlerhafte Ausgabe erwischt? Wie kann man denn sowas bitte einfach vergessen!“ Ellie: „Es wurde nicht ausversehen vergessen, Louise, es ist in keinem der kompletten Exemplare vorhanden. Eine Definition gibt es hier nicht.“ Ich: „Aber, warum sollen wir denn dann eine Hausarbeit darüberschreiben, wenn es die Definition von Gesundheit in diesem Lexikon gar nicht gibt?“ Ellie: „Genau deshalb!