von Ulrich Kötter | 12.07.2011
moritz-Urgestein Ulrich Kötter (28) denkt zu viel und schreibt zu wenig, zumindest in letzter Zeit. Er studierte in Greifswald Kommunikations- wissenschaft und Politikwissenschaft. 2005 war er Chefredakteur des moritz-Magazins, später betreute er den flying moritz.
Eine gute Freundin von mir hat vor drei Monaten eine Tochter zur Welt gebracht. Es ist schon das zweite Kind, ihr Sohn ist mittlerweile zweieinhalb Jahre alt. Ab und zu schaue ich vorbei und wenn ich daran denke, bringe ich ein kleines Geschenk für den Nachwuchs mit. Die Rolle des Besuchsonkels ist schon nett, doch die beiden Wirbelwinde halten einen ganz schön auf Trab. „Onkel Uli“ liest wahlweise etwas vor, singt ein Lied oder baut mit Legosteinen, hilft beim Abendessen oder spontan beim Gang aufs Töpfchen. Auch ein bisschen Babyspucke ist schon auf der Hose gelandet. Das stört mich alles überhaupt nicht und ich freue mich auf jeden Besuch, aber ich weiß nicht, ob ich den Alltag mehrere Tage (und Nächte) durchhalten würde.
Wenn mir in Greifswald neuerdings etwas auffällt, dann sind es die vielen jungen Familien mit kleinen Kindern. Viele Kommilitonen und Bekannte sind Eltern geworden, auch einige, bei denen ich es nie erwartet hätte. Wie viele Studierende mit Kind es in Greifswald gibt, weiß man nicht so genau (siehe auch moritz-Magazin 92, S.20/21), aber gefühlt sind es einige. Der AStA und das Studentenwerk bemühen sich, studierende Eltern zu unterstützen. In einem Jahr soll sogar ein eigener Kindergarten eröffnet werden.
Es gibt wohl keine anspruchsvollere Aufgabe auf dieser Welt als Kinder. Wenn jetzt Betriebswirtschaftler und Juristen die Nase rümpfen und auf verantwortungsvolle Vorstandsposten verweisen, so sei ihnen gesagt, dass viele der hohen Schlipsträger entweder keine Kinder haben oder den Nachwuchs ins Internat abschieben. Bekanntlich wollen wir in der Erziehung alles das besser machen, was uns in der eigenen Kindheit gefehlt hat. Doch sieht man sich dann doch wieder mit sich selbst konfrontiert und es gehört schon eine gute Portion Selbstreflexion dazu, um nicht in die alten Muster zurückzufallen. Ich bewundere junge Eltern für ihren Mut. (mehr …)
von Ulrich Kötter | 18.01.2010
„Ich will hier weg!“, ist der einzige Gedanke von Momo (Max Riemelt), der sich mit seinem Kumpel Dirk (Robert Gwisdek) aus der brandenburgischen Provinz zum Studium aufmacht. Die Dorfkneipe der Eltern liegt hinter ihm, das ungewisse Studentenleben vor ihm. Und Momo, der eigentlich lieber „Moritz“ heißt, probiert das Leben, zwischen WG und Massenvorlesung, zwischen alten Kumpels und neuen Freunden, zwischen Frauenschwärmen und Mathe-Nerds, zwischen der ersten Beziehung und der letzten Klausur.
Der geniale Inder Aswin, der skeptische Momo und der fleißige Dirk müssen ihren Platz im Studium noch finden. (v.l.; Amit Shah, Max Riemelt, Robert Gwisdek)
Mit Vollgas im dritten Gang rauschen Momo und Dirk nach Darmstadt und beginnen gemeinsam Wirtschaftsmathematik zu studieren, ein Fach für Liebhaber von abstrakten Formeln und kryptischen Buchstaben. Während Dirk durchstartet, quält sich Momo, geht eigene Wege und beginnt lieber das Leben zu entdecken.
Da wäre sein neuer WG-Mitbewohner Bernd (Alexander Fehling). Was als Zwangsgemeinschaft startet, entpuppt sich als wertvolle Freundschaft. Der taxifahrende Frauenschwarm mit Hang zu fernöstlicher Selbstfindung studiert Architektur im x-ten Semester. Bernd ist das sympathische Klischee des lebensweisen Studenten, weder um Beziehungsratschläge noch um BH-Größen verlegen. (mehr …)
von Ulrich Kötter | 04.07.2009
Die NPD legt in den Kommunalwahlen in M-V zu – und die Wissenschaft ist überfordert, der Journalismus manchmal auch.
Wenn man die Broschüre des Statistik-Amts zur jüngsten Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern von hinten aufschlägt, schaut man auf ein Land, dessen braune Flächen sich gegenüber der letzten Kommunalwahl 2004 umgekehrt haben: War die NPD 2004 lediglich in drei Kreisen und einer Stadt mit Kandidaten angetreten, so schaffte sie es dieses Mal bis auf drei Kreise und zwei Städte in allen anderen anzutreten. Mecklenburg-Vorpommern nach der Kommunalwahl 2009 ist braun. In Greifswald stellte die NPD keine Kandidaten auf, dafür aber im umliegenden Landkreis Ostvorpommern gleich neun. Insgesamt 75 Kandidaten der rechtsextremen Partei traten dieses Jahr landesweit zu den Kommunalwahlen an.
Das Kommunalwahlrecht kennt keine Fünf-Prozent-Hürde und begünstigt damit die kleineren Parteien, die auch mit wenig Stimmen einen Abgeordnetensitz erringen können. Ist zusätzlich die Wahlbeteiligung gering, steigen die Chancen nochmals. Und es dürfen auch schon 16-Jährige wählen. Gerade Jugendliche sind eine bevorzugte Zielgruppe der NPD.
Mit einem Gesamtstimmenanteil von 3,2 Prozent landesweit kann die NPD ab sofort 26 Parlamentarier in 13 Kreistage und Stadtparlamente entsenden, dazu kommen weitere Abgeordnete in Gemeindevertretungen. Gegenüber der Kommunalwahl von 2004 legte sie um 2,4 Prozentpunkte zu. In Ostvorpommern und Ludwigslust sitzen seit 2004 NPD-Abgeordnete im Kreistag, in beiden Kreisen konnte die Partei Prozentpunkte zulegen. Im Kreis Müritz und in Stralsund, wo sie ebenfalls seit 2004 in Parlamenten vertreten ist, verlor sie leicht.
So zieht beispielsweise Marianne Pastörs, Frau des NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs, gemeinsam mit dessen Wahlkreismitarbeiter Andreas Theißen in den Gemeinderat Lübtheen ein. In elf weiteren Gemeinden hat die NPD wohl Mandate erzielt; sie selbst präsentiert auf ihrer Homepage stolz 35 Abgeordnete in Gemeindevertretungen.
Zwischen Schock und Beschwichtigung
Nun sind angesichts dieser Zahlen alle möglichen Reaktionen denkbar, die von Erschrecken über Beschwichtigung bis zu Freude auf Seiten der NPD reichen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung äußert sich gegenüber endstation-rechts.de „schockiert“ über die Wahlergebnisse. Die Leiterin des M-V-Landesbüros, Anne-Rose Wergin, analysiert, „dass sich gerade in den Hochburgen der rechtsextremen Szene die Zahl der NPD-Wähler gesteigert hat.“ Die grenznahe Region Uecker-Randow habe beispielsweise mit Abstand die erschreckendsten Wahlergebnisse, so Wergin, die Strategie der „national befreiten Zonen“ sei hier aufgegangen. Dem widerspricht Landeswahlleiter Klaus Hüttebräuker auf endstation-rechts.de. „Sowohl prozentual als auch absolut ist der Rückhalt der NPD in der Bevölkerung gegenüber den Landtagswahlen 2006 deutlich gesunken“, so Hüttebräuker. Das sei vor allem vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl deutlich unter der der Landtagswahl 2006 gelegen habe – was von Wahlforschern eigentlich als Vorteil für die NPD gewertet worden sei. Es bleibt aber fraglich, inwieweit man Kommunal- und Landtagswahlen vergleichen und daraus solche Schlüsse ziehen kann, sowohl die Themen als auch die Kandidaten sind unterschiedlich. (mehr …)
von Ulrich Kötter | 27.06.2009
Wer oder was ist „Flandziu“? „Ein Wesen“, so erläuterte seinerzeit vieldeutig der Schriftsteller Wolfgang Koeppen. Ein Produkt seiner expressionistischen Schreibphase, eingebunden in eine skizzenartige Szenenfolge.
Aktuelle Ausgabe 1/2009 der Zeitschrift Flandziu mit dem Schwerpunkt "Alexandria und die Literatur der Moderne".
Bis heute ist die Herkunft unklar, es bleibt Koeppens Kunstwort, eine mythische Metapher. Und auch ein Verweis auf Koeppens klangliche und musikalische Schreibweise. Ist ein solches Mirakel ein passender Titel für eine Zeitschrift, die sich offiziell „Halbjahresblätter für Literatur der Moderne“ nennt?
„Auf jeden Fall!“, meint der Greifswalder Professor für englische Literatur und Literaturstudien, Jürgen Klein, seit neuestem Verleger von Flandziu und nebenbei im Editionskommitee der Zeitschrift. „Flandziu ist prinzipiell offen für alle geisteswissenschaftlich Interessierten“, so Klein, „und die Autoren schreiben in ganz verschiedenen Stilformen.“ Diese freie Kreativität bringe sicher auch das eine oder andere Rätselhafte hervor, schmunzelt Klein, aber natürlich nur auf den ersten Blick. (mehr …)
von Ulrich Kötter | 27.06.2009
webMoritz sprach mit dem Literaturwissenschaftler Jürgen Klein über Wolfgang Koeppen, die Bedeutung der Geisteswissenschaften und die Literaturzeitschrift Flandziu. Professor Jürgen Klein lehrt am Fachbereich Anglistik des Instituts für fremdsprachliche Philologien und ist Verlerger der Literaturzeitschrift „Flandziu“ und des Koeppen-Jahrbuchs. Das Interview erscheint in gekürzter Form auch im moritz-Magazin 78.
Literaturwissenschaftler Jürgen Klein: "Wir wollen den Menschen in Flandziu Denk- und Erlebnismöglichkeiten offen halten."
webMoritz: Ein Thema im aktuellen Heft von Flandziu ist der Begriff der „Freiheit“. Wie wird er entfaltet?
Prof. Jürgen Klein: Im neuen Heft von Flandziu tritt Freiheit in verschiedener Variation auf, einmal bei Wolfgang Koeppen, dann kann man die Thematik auch auf Ralf Dahrendorf beziehen oder aber auf die Nobelpreisrede von Jean-Marie Gustave Le Clézio. Diese drei Bezüge reflektieren auch die Intention von Flandziu. Sie zeigen, wie Flandziu sich als aktuelle moderne Zeitschrift in der heutigen Welt verstehen möchte. Koeppen hat immer auf das humanum abgehoben, aber nicht in einem simplifizierenden, ästhetisierenden Sinn. Er hat vielmehr sinngemäß in der berühmten Büchner-Preisrede gesagt: ‚Ein Schriftsteller darf sich nicht vor einen politischen Karren spannen lassen! Ein Schriftsteller muss immer frei sein und er muss ganz kritisch seine Meinung zu einer Gesellschaft sagen können. Damit es weiter geht, damit man weiter denken kann, damit man das Bessere für den Menschen erreichen kann.‘ (mehr …)