Es ist ein lauer Junimorgen und in Wolgast wird Forschung betrieben – zu Corona. Das Hotel „Postel“ liegt etwas versteckt neben einer Kreuzung. Alles wirkt zunächst unscheinbar, doch hier werden fleißig Daten zu Corona-Antikörpern gesammelt. Eine multimediale Reportage und ein Selbsttest.

Die durchgeführte Studie heißt „MuSPAD – Bundesweite Antikörperstudie zur Verbreitung von SARS-CoV-2 Infektionen“. MuSPAD steht für Multilokale und Serielle Prävalenzstudie zu Antikörpern gegen SARS-2-Coronavirus in Deutschland. Finanziert wird sie von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, der größten Forschungsorganisation Deutschlands. Zwei Drittel der Finanzierung sind öffentliche Gelder. In der Aufklärungsbroschüre zur Studie steht explizit, dass kein Geld für die Studie aus dem kommerziellen oder gewinnorientierten Bereich kommt.

Im Juli 2020 startete das Pilotprojekt in Reutlingen und Freiburg — Regionen mit sehr hohen Inzidenzen des Coronavirus’ in der ersten Welle. Mittlerweile sind bundesweit acht Studienzentren für jeweils etwa einen Monat aufgebaut worden, einige schon zum zweiten Mal. Ein Studienzentrum befand sich im Mai und Anfang Juni in Wolgast, im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Auf die Frage, warum gerade in Wolgast und nicht in Greifswald, wo ein Universitätsklinikum steht, antwortet Manuela Harries vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, kurz HZI: „Leider waren keine Räumlichkeiten des Universitätsklinikums zu dem gewünschten Zeitpunkt verfügbar. Aus diesem Grund haben wir nach anderen Alternativen Ausschau gehalten und konnten das Postel in Wolgast für unsere Studienzwecke gewinnen.“ Vor Ort im Postel in Wolgast lässt sich auf den ersten Blick nur schwer erahnen, was in dem Hotel vor sich geht. Höchstens zwei Banner im Innenhof lassen auf die Studie zu SARS-CoV-2-Antikörpern schließen.

Meistens Hoteleingang, jetzt Studienzentrum

Blut und Antworten

In der Hotellobby begrüßt ein junger Mann die Studienteilnehmer*innen und kontrolliert die Namen auf seiner Liste und die Termine, die die Teilnehmer*innen selbst im Vorhinein auswählen konnten. In jedem Zeitfester sind vier Teilnehmer*innen vorgesehen. Der Warteraum des Hotels erinnert noch stark an das ehemalige Postamt, das das Gebäude mal war, überall sind gelbe Schilder und Fotos aus alten Postzeiten angebracht. Die Teilnehmer*innen sitzen mit Masken auf den Stühlen im Warteraum, einige schreiben schon in die ihnen ausgeteilten Fragebögen. Der junge Mann an der Rezeption weist sie darauf hin, dass sie diese erst später mit den Helfer*innen zusammen ausfüllen müssen. Einzeln werden die Proband*innen abgeholt und ein Stockwerk höher geführt. Dort stellt ihnen das durchführende Personal Fragen, u. a. zu den Coronamaßnahmen der letzten zwölf Monate:

Nach den Kurzfragebögen kommt es zur Blutabnahme, denn darum geht es hier in der Studie: das Blut der Proband*innen. Die Blutproben werden nach Antikörpern des Coronavirus SARS-CoV-2 untersucht. So soll in möglichst diversen Landkreisen die Verbreitung des Coronavirus untersucht werden. Die Wissenschaftler*innen wollen in erster Linie die tatsächliche Infektionsaktivität über unterschiedliche Regionen und Zeitintervalle hinweg feststellen. Diese Art von Studie heißt Seroprävalenzstudie. Ein sehr klassisches Instrument der Infektionsepidemiologie, erklärt Dr. Berit Lange vom HZI. Nach dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung ist die Seroprävalenz die Häufigkeit spezifischer Antikörper im Blutserum, die auf eine bestimmte bestehende oder durchgemachte Infektionskrankheit hinweist.

Die Ergebnisse der Blutproben werden u. a. mit der Meldestatistik von Coronafällen verglichen. Dr. Berit Lange erklärt, was sich daraus z. B. für die erste Welle an den ersten Studienorten ablesen lässt:

Aus der Studie lernen

Für Dr. Berit Lange sind v. a. zwei bisherige Erkenntnisse aus der Studie wichtig: Einmal muss die Testkapazität ausreichen, um möglichst viele Infektionen zu finden. Die Tests wurden insbesondere im Laufe der zweiten Infektionswelle in Deutschland knapp. Doch um eine Epidemie einzudämmen, ist eine möglichst niedrige Dunkelziffer wichtig. Je mehr infizierte Menschen gefunden werden können, desto schneller können diese isoliert werden, und die Ausbreitung der Krankheit wird vermindert. Zweitens geht aus der Studie jetzt schon hervor, dass bei jüngeren Studienteilnehmer*innen die Dunkelziffer der Coronainfektionen höher ist. Mit diesen Informationen könnte die Teststrategie gezielt verbessert und vermehrt z. B. bei jüngeren Menschen getestet werden.

Aus der Studie lassen sich noch viel mehr Dinge lernen und auch eine Sammlung von Daten solcher bevölkerungsbasierten Seroprevalänzstudien entsteht, um der Infektionsforschung in ganz Deutschland zu dienen.

Motivation zur Teilnahme

Doch warum nehmen die Menschen an der Studie teil? Ausgewählt wurden sie schließlich per Zufall, zur Abbildung der Gesellschaft, anhand der Daten des Einwohnermeldeamtes. Verpflichtet wurde niemand zur Teilnahme.

Ein älterer Herr, der vor dem Hoteleingang sitzt, sagt, dass er einfach neugierig war und deswegen an der Studie teilnahm. Auf der Straße vor dem Studienzentrum beantworten zwei Frauen die Frage nach ihrer Motivation zur Teilnahme ähnlich:

Nach etwa zwei Wochen kam schließlich der Brief mit dem Ergebnis vom Antikörpertest. Mein Ergebnis war negativ, keine Corona-Antikörper in meinem Blut. Und so bin ich wahrscheinlich nicht Teil der Dunkelziffer bei den Jüngeren gewesen. Ganz klar ist das aber nicht: Vielleicht hat mein Körper die Antikörper auch schon abgebaut. Denn auch das gilt es noch zu erforschen, wie schnell die Antikörper gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 wieder abgebaut werden.

Beitragsbilder: Anne Frieda Müller