mm104_14_Universum_SeminarVolle Seminarräume, unzählige Menschen in den Gängen und kein Platz mehr im Hörsaal – diese Situation kennen viele Studenten an unserer Universität. Es geht aber auch anders. Bei einzelnen Exoten unter den Studiengängen steht der Dozent vor fast leeren Vorlesungssälen.

Von den 11 736 derzeitigen Studenten an der Universität Greifswald studieren 755 in Masterprogrammen, das sind 6,6 Prozent aller Studierenden. Gerade die Philosophische Fakultät hat einige Studiengänge, die von weniger als zehn Studenten besucht werden. So zum Beispiel der Master of Arts (M.A.) Baltistik, den zurzeit nur eine Studentin anstrebt. Scheinen diese Zahlen doch eher negativ, sprechen sich die betroffenen Professoren positiv über ihre Studiengänge und deren Nachfrage aus. Professor Amei Koll-Stobbe, vom Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft und Ansprechpartnerin des M.A. Intercultural Linguistics, meint, dass es ein Massenstudium in Greifswald noch nicht gäbe und sie dieses mit der deutschlandweiten Personalmindestausstattung auch nicht anbieten könnten. „Wir setzen auf eine gute, individualisierbare Studienförderung und eine persönliche Betreuung“, so Koll-Stobbe. Auch einige ihrer Kollegen sprechen von der besonderen Ausbildung, die den Masterstudenten zuteil wird.  Bei kleineren Gruppen können Lernende und Lehrende besser aufeinander eingehen. Professor Stephan Kessler, Lehrstuhl für Baltistik, sieht eine Stärke darin, dass „man in einem größeren Studiengang nur einzelne Studenten besser kennt, während wir in unserem Masterstudiengang eigentlich alle gut kennen.“

Seminare werden fachübergreifend besucht

Der Besuch einiger Seminare ist nicht nur für fachinterne Studenten offen, sondern auch für Studenten anderer Fächer, die diese Seminare als General Studies oder zum Beispiel für die „Kulturkompetenz Osteuropa“ nutzen, die von den Fächern Deutsch als Fremdsprache, Geografie und Betriebswirtschaftslehre angeboten werden. Deshalb betrifft einige Professoren das Problem der leeren Hörsäle nicht. Ihnen fällt es einfacher, den wenigen Studenten eine umfassende und interessante Ausbildung zu ermöglichen. „Wir besprechen mit ihnen mögliche komplementäre Studienaufenthalte im Ausland, binden sie ein in Forschungsprojekte, betreuen sie bei der Suche nach berufsrelevanten Praktika und Masterarbeiten. Es entstehen keine Probleme, sondern Vorteile der Intensivierung des Studiengangs. Unsere Absolventen erhalten attraktive Positionen in Kultur, Wirtschaft und im Bildungssektor“, fasst Koll-Stobbe zusammen. Für sie würden höhere Studierendenzahlen im Master eine Verschlechterung der Bildungsqualität bedeuten. Die Professoren beschweren sich auch dahingehend nicht über die Studierendenzahlen, da sie nicht nur den lehrenden Teil ihres Berufs ausüben können, sondern auch genügend Zeit für ihre Forschungsprojekte haben. Professor Geo Siegwart, Lehrstuhl für Philosophie, erkennt einen klaren Vorteil bei den wenigen Studierendenzahlen: „Die Korrekturarbeiten sind weniger.“

Dekan will Masterstudiengänge fördern

Doch die niedrigen Studentenzahlen in den Masterprogrammen Greifswalds sehen nicht alle Professoren positiv. Der Dekan der Philosophischen Fakultät Professor Alexander Wöll spricht sogar davon, dass alle fremdsprachlichen Philologien der Philosophischen Fakultät ein Problem haben würden. Dieses Problem beziehe sich auf das Angebot von Masterstudiengängen in Greifswald, das auf Studenten nicht attraktiv wirke. Deshalb wird zurzeit an „einigen integrierten literatur- wie auch sprachwissenschaftlichen M.A.-Studiengängen wie auch an einem M.A.-Ostsee-Studiengang gearbeitet“, berichtet Wöll. Der erste Vorläufer dieser Entwicklung ist der gerade entstehende M.A. Kultur-Interkulturalität-Literatur (moritz berichtete im Heft 103). Beispiele für die Beliebtheit solcher Programme gibt es in München im M.A. Elitestudiengang Osteuropa und Regensburg im M.A. Ost-West-Studien. Nicht nur die mangelnde Attraktivität des Angebots lässt die Studenten nach abgeschlossenem Bachelor in die Großstädte Deutschlands schwärmen. „Greifswald hat generell das Problem, dass Studierende nach sechs Semestern Bachelorstudium in einer familiären und gut betreuten Atmosphäre ihren M.A. in einer Großstadt mit breitem Kulturangebot und vielfältigen Studentenjobs weiterstudieren wollen“, erklärt Wöll. Wobei Greifswald durch die Nähe zu den baltischen und skandinavischen Staaten einen Vorteil gegenüber Berlin oder München hat. Diesen muss man noch besser ausbauen. Ansätze zeigen sich in der Kooperation mit dem Alfried-Krupp-Kolleg, mit dem die Universität eine ukrainistische und polonistische Sommerschule anbietet. Wöll betont, dass gerade die fremdsprachlichen Institute national sowie international einen guten Ruf genießen.

Die meisten Studenten verspüren den Drang, während ihres Studium für eine gewisse Zeit ins Ausland zu gehen. Doch da ein Master in der Regel zwei Jahre dauert, ist das Zeitfenster sehr klein und viele Studenten aus dem gleichen Semester gehen gleichzeitig weg. „Wenn man in einem Jahrgang sechs oder sieben Studierende hat und davon gehen dann womöglich drei oder vier zeitgleich ins Baltikum, dann wird es in den Lehrveranstaltungen schon knapp“, beschreibt Kessler dieses Problem in Bezug auf die Verteilung von Gruppenprojekten oder Referaten. Die Arbeit verteilt sich in so einem Falle immer „auf dieselben wenigen Schultern“.

Ein Problem stellen auch die hohen hochschulpolitischen Erwartungen dar. Statistisch gesehen studieren nur 0,3 Prozent aller Masterstudenten Deutschlands in Greifswald. Die Professoren müssen sich damit auseinandersetzen. „Dekanate kommen leicht in die Versuchung, aus wenig besuchten Studiengängen eine akademische Ratatouille zu mischen“, meint Siegwart. Kritisch äußert sich der Dekan über die generelle Unbeliebtheit der Philosophischen Fakultät. „Allen wird eingeredet, dass sie eine konkrete Ausbildung und keine umfassende Lebensbildung benötigen“, beklagt Wöll. Der Umgang mit anderen Kulturen ist in unserer heutigen Zeit besonders wichtig. Wöll sieht gerade in den baltischen Staaten großes Potenzial, dass die Masterstudiengänge in den nächsten Jahren immer weiter ausbauen werden. Als besonderes Beispiel nennt er dabei Polen. Mecklenburg-Vorpommern könne eine solche Entwicklung nicht vorweisen. Um die Verbesserung der Masterstudiengänge in Greifswald zu erreichen, hat Wöll dieses als Schwerpunkt seiner zweiten Amtszeit als Dekan der Philosophischen Fakultät gesetzt. Er sieht den Schlüssel dafür „in einer breiten interdisziplinären Vernetzung“.

Aber nicht nur philosophische Masterstudiengänge haben eine geringere Studierendenzahl, auch einige Bachelor-Studiengänge weisen wenig Studenten auf. Hierbei handelt es sich aber um besondere Ausnahmen. Im Bachelor Biomedical Science studieren dieses Semester rund 21 Studenten. „Ich finde, dass das völlig in Ordnung ist, handelt es sich doch um einen Studiengang, der zusätzlich zum zeitintensiven Medizinstudium belegt wird“, erzählt Professor Barbara Bröker von der Abteilung für Immunologie. Dabei soll der Studierende nach seinen Neigungen und den Erfordernissen seiner Arbeit sein Studium planen. Die Veranstaltungen finden dann übergreifend mit den Veranstaltungen der Biologie, Biochemie oder Biomathematik statt. „Das ist eine wunderbare Bereicherung, denn jeder Studiengang legt natürlich andere Schwerpunkte, sodass die Studierenden in meinen Veranstaltungen insgesamt aus einem sehr breiten Wissensgebiet schöpfen können“, so Bröker. Die Debatten sollen dadurch noch lebhafter und konstruktiver werden. „Zusätzlich zum Medizinstudium Biomedical Science zu studieren, bedeutet ein ganz ungewöhnliches Engagement.“

Die Hürde der Eignungsprüfung

Auch an der Philosophischen Fakultät gibt es Bachelorstudiengänge, die unterbesetzt sind. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um den Bachelor in Musik. Die Bewerber für diesen Studiengang müssen sich einer Eignungsprüfung unterziehen. „Die Eignungsprüfung muss feststellen, ob die Bewerber die Voraussetzungen haben, ein erfolgreiches Studium absolvieren zu können“, erklärt Professor Jochen Modeß, Direktor des Instituts für Kirchenmusik. Durch diese Prüfung soll einem Scheitern der Studierenden entgegengewirkt werden. Aber nicht nur das Scheitern wird zu verhindern versucht, auch die Seminargrößen werden klein gehalten. „Das fest angestellte Lehrpersonal ist bei uns ausgelastet, bei geringeren Studierendenzahlen brauchen wir weniger Lehrbeauftragungen“, meint Modeß. Aber ein Rückgang der Studierendenzahlen ist, genau wie im restlichen Deutschland auch, an diesem Institut zu merken. Gerade deshalb scheint die Eignungsprüfung eine Barriere zu sein, die aber durch Intensivkurse vor der Prüfung entschärft werden soll.

Wie es mit den genannten Studiengängen und ihren geringen Studierendenzahlen in den nächsten Semestern weitergeht, dass konnte niemand so recht vorhersagen. „Einen Propheten zu haben, wäre gut“, so Kessler.

Ein Bericht von Anne Sammler & Corinna Schlun