Seit einem halben Jahr lädt ein öffentliches Tauschregal in der Innenstadt zum unkomplizierten Bücherhandel ein. moritz ist auf der Suche nach den Wurzeln des ersten Greifswalder Bücherbaums und den Früchten, die er trägt.

Winter in Greifswald – ein leidiges Thema. Die Straßen der Stadt sind vereist, der Himmel grau und die Bäume kahl. Bis auf einer.

Am Platz der Freiheit – den meisten besser als Europakreuzung bekannt – wurzelt seit Juli vergangenen Jahres ein besonders prächtiges Exemplar. Aus seinem Stamm wachsen Bücher der verschiedensten Genres und Farben. Ein bunt gefüllter Bücherbaum ist das.

Die Idee zu dem Projekt ist von der Spree zu uns herübergeschwappt. Wie so vieles in Greifswald, könnte man meinen. Mode, Mate und Musik, … jetzt eben auch Bücherbäume. Vielleicht kennen einige von euch sogar die Rotbuche in Berlin Köpenick/Grünau oder die fünf Baumstämme an der Ecke Kollwitzstraße/Sredzkistraße in Prenzlauer Berg, nach deren Vorbild das Greifswalder Projekt entstanden ist. Vertreter des Kulturamts, der Jugendkunstschule, der Stadtwerke Greifswald und des Vereins Bücherfreunde e.V. setzten sich vergangenen Jahres in einer Arbeitsgruppe zusammen und diskutierten lange über eine mögliche Umsetzung. Das Ergebnis: Im Sommer wurde die Skulptur des Stralsunder Bildhauers Raik Vicent an der Bushaltestelle in der Anklamer Straße aufgebaut. Die Finanzierung haben die Stadtwerke übernommen und auch die Sparkasse Vorpommern ist mit einem Metallschild am Baum als Sponsor vermerkt. Mitglieder der Bücherfreunde betreuen das öffentliche Tauschregal. Fast täglich füllen sie die Fächer mit Büchern aus ihrem Bestand auf und kontrollieren, was von den Passanten hineingestellt wurde. Dabei kann es allerdings auch vorkommen, dass „fremde“ Bücher mal eben entfernt werden, wenn sie dem Sinn der Bücherfreunde nicht entsprechen.

Buchdeckel mit dem Aufruf, sich beim moritz zu melden.

Diesem Eifer fiel wohl auch moritz zum Opfer. Anfang Dezember hatten unsere Redakteure einige Bücher mit einem kleinen Text  und der Bitte, sich bei „Fund“ zu melden, präpariert und in den Bücherbaum gestellt.  Auf eine Antwort warteten wir vergeblich. Dabei war durchaus ansprechende Literatur darunter: zwei Krimis, ein Kinderbuch, ein paar Romane. Aber wie Paul Kroll vom Verein deren Interessen und Bestand beschrieb: „Der Grundstock sind eben die guten DDR-Verlage.“

Von eben diesen finden sich hunderte, ja tausende wahre Klassiker und Raritäten in den Vereinsräumen in der Spiegelsdorfer Wende. Ein echtes Erlebnis, sich dort durch das Labyrinth aus Lesestoff zu forsten – wie in einem richtigen Bücherwald eben!

Weitere Bücherbäume geplant

Doch zurück zu dem einzelnen Baum an der Europakreuzung. Auch hier trifft man nicht selten Neugierige, die einen Blick in die Regalfächer werfen. Natalia Okuń ist eine von ihnen. „Immer wenn ich auf den Bus warte, schaue ich, ob etwas Interessantes für mich dabei ist“, verrät sie. Der Bücherbaum ist ein absolutes Novum für die polnische Austauschstudentin. „Am Anfang wusste ich nicht, wie das funktioniert, aber jetzt nutze ich das Angebot oft, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern.“ Im Gegenzug hat Natalia einige polnische Bücher in den Baum gesteckt für die Studenten, die hier in Greifswald ihre Sprache lernen.

Der Bücherbaum an der Europakreuzung.

Es scheint, als wäre dieser neue Trend ein voller Erfolg. Und die Akzeptanz der Bürger zahlt sich aus: Schon jetzt plant die Arbeitsgruppe um den Bücherbaum, weitere Exemplare in der Hansestadt zu etablieren. Nur wenige Meter entfernt vor den Kunstwerkstätten wäre so ein Standort. Und auch Schönwalde soll mit einem Bücherbaum aufgeforstet werden. Nur das liebe Geld verzögert wie gewöhnlich jegliches Vorhaben. Zumindest der Baum an der Europakreuzung bleibt vorerst bestehen. Die Bücherfreunde geben ihr Bestes, sein Inneres trocken zu halten, doch das raue Klima macht auch vor Bücherbäumen nicht Halt. Im Laufe der Monate hat sich das Holz mal zusammengezogen, mal ausgedehnt, schließlich hier und da gespalten. Ihn als mobile Tauschbörse zeitweilig in anderen Teilen der Stadt aufzustellen, wie ursprünglich angedacht, ist daher nicht mehr möglich. Allerdings gibt es zumindest in der Innenstadt auch noch andere Orte, die zum „Bookcrossing“ einladen. So befindet sich neben dem Jugendhaus Pariser seit Längerem ein in die Wand eingelassenes Tauschregal, ebenso in der Gützkower Straße am Waschsalon. Eine ältere Passantin begrüßt die Idee: „Es ist doch so: Man sammelt und sammelt, und irgendwann landet es im Keller. Hier haben die Bücher wenigstens noch Verwendung.“

Natalia ist von dem Prinzip sogar so begeistert, dass sie die Bücherbäume nun auch in ihrer Heimat vorschlagen will, zuerst an der Universität und später vielleicht im Stadtzentrum. Schon bald könnte es in Polen dann heißen: „Das haben wir uns aus Greifswald abgeguckt.“ Wer braucht schon noch Berlin als Trendsetter?

Ein Feature von Laura Hassinger; Bilder von Laura Hassinger