Am 4. November hielt der Philosoph Richard David Precht im Alfred-Krupp-Kolleg einen Vortrag. Danach sprach er mit moritz über Moral, Parteienverdrossenheit und Thilo Sarrazin.

Richard David Precht, 46 im Krupp-Kolleg zum Gespräch

moritz Herr Precht, Sie haben soeben im Greifswalder Krupp Kolleg einen Vortrag zum Thema „Moral und Verantwortung in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft“ gehalten. Damit befassen Sie sich auch in Ihrem Buch „Die Kunst, kein Egoist zu sein“. Was hat Sie veranlasst, dieses Buch zu verfassen?
Richard David Precht Nun, es gab verschiedene Gründe für mich, mich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Die Finanzkrise war sicherlich einer der ausschlaggebenden Punkte, aber nicht der einzige. Ich habe in der Vergangenheit bemerkt, dass derzeit eine nie da gewesene Diskrepanz zwischen der Wirtschaftlichkeit Deutschlands und der Zufriedenheit der Bevölkerung herrscht. Trotz des Aufschwungs, den Deutschland gerade erlebt, ist die Bevölkerung nicht glücklicher oder zufriedener. Die Zufriedenheit der Bevölkerung ist seit den Sechzigern konstant. Das waren unter anderem Faktoren, die ich als interessant empfand und mit denen ich mich unter philosophischem Gesichtspunkt auseinandersetzen wollte. Vielleicht auch, um zu zeigen, dass sich derzeit eine Veränderung in der Gesellschaft, aber auch im politischen Denken der Menschen vollzieht.

moritz Diese Veränderung haben Sie in Ihrem Vortrag sinngemäß als „Transformation der politischen Gesellschaft“ bezeichnet. Wo genau sehen Sie einen Bedarf zur Transformation?
Precht Ich sehe ganz deutlich, dass, entgegen vieler Behauptungen, die Menschen in Deutschland nicht der „Politikverdrossenheit“ erlegen sind, vielmehr ist es eine Parteienverdrossenheit, die sich eingestellt hat. Um dies zu ändern muss der Mittelstand wieder gestärkt werden, denn er ist die politisch meinungsbildende Schicht. Die Menschen müssen bei politischen Entscheidungen sozusagen früher abgeholt und dann auch mitgenommen werden. Entscheidungen über die Köpfe der Bevölkerung hinweg zu fällen kann nicht der Sinn und Zweck der Politik sein. Zudem ist es meiner Meinung nach notwendig, die Kommunen und auch die Bundesländer von einigen Aufgaben zu befreien. Wie ich in meinem Vortrag erwähnte, es sehnen sich alle beispielsweise nach einer einheitlichen Bildungsreform. Diese scheitert jedoch an der Tatsache, dass Bildung immer noch Ländersache ist. Als Fazit könnte man sagen, dass wir derzeit ein nahezu historisches Umdenken unserer politischen Gesellschaft erleben, welches wir als Chance sehen und dementsprechend nutzen sollten.

» Die Kunst, kein Egoist zu sein « Richard David Precht; Goldmann Verlag; 544 Seiten

moritz In Ihrem Buch beschreiben Sie moralische Missstände in unserer derzeitigen Gesellschaft. Thilo Sarrazin hat in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ebenso gesellschaftliche Mängel aufgezeigt. Worin sehen Sie Unterschiede zwischen Ihrem Buch und dem Buch von Herrn Sarrazin?
Precht Das lässt sich leicht beantworten. Das Buch von Thilo Sarrazin ist vor allem eines und zwar rückschrittig. Zum einen weil er eine Gruppe für Fehler einer gesamten Bevölkerung verantwortlich macht und zum anderen, weil er keinerlei Aussichten oder Lösungsvorschläge in seinem Buch präsentiert.

moritz Sie haben sich in Ihren ersten beiden Büchern mit der Geschichte der Philosophie und dem Thema Liebe befasst. Im jüngst erschienenen thematisieren Sie Egoismus und moralische Fragen. Was wäre ein mögliches Thema für das nächste Buch?
Precht Da gibt es einige Themen, die in Frage kommen. Allerdings möchte ich diese noch nicht verraten.

moritz Herr Precht, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Florian Leiffheidt, das Foto wurde von Elisa Würth aufgenommen, die Abbildung des Buchcovers wurde uns vom Goldmann Verlag zur Verfügung gestellt und steht nicht unter CC-Lizenz