“Wir müssen mit dem Virus mithalten”

Professor Thomas Mettenleiter vom Friedrich-Loeffler-Institut – Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit über das modernste Virenforschungszentrum der Welt auf der Insel Riems, die Diskussion um die Schweinegrippe und was er von Virenkatastrophenfilmen hält.

moritz Herr Professor Mettenleiter, in Riems entsteht momentan das angeblich größte Virenforschungszentrum der Welt. Was genau macht es denn dazu?
Thomas Mettenleiter Zunächst einmal weiß ich nicht, ob es das größte ist. Es ist aber mit Sicherheit das modernste, wodurch wir natürlich viel bessere Möglichkeiten der Forschung bekommen, als wir sie momentan haben. Wir werden auch mit Viren der höchsten Risikoklasse an Nutztieren arbeiten können. Das können bisher nur zwei weitere Institute in Kanada und Australien.

moritz Nun haben Sie mit dem alten Friedrich-Loeffler-Institut bereits ein Labor. Wozu brauchen Sie ein neues?
Mettenleiter Die bisherige Infrastruktur reicht einfach nicht mehr aus. Wir arbeiten zwar schon seit geraumer Zeit mit Erregern wie beispielsweise Maul- und Klauenseuche, jedoch alles unter sehr eingeschränkten Bedingungen. Wir haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, mit so genannten Zoonoseerregern zu arbeiten, also Erregern, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können und umgekehrt. Wir gehen davon aus, dass 75 Prozent aller neuen Erreger aus dem Tierreich stammen. Dafür brauchen wir den neuen Forschungskomplex.

moritz Zum Friedrich-Loeffler-Institut gehören viele Standorte in Deutschland. Ist das neue Forschungszentrum mit Kürzungen an anderen Stellen verbunden?
Mettenleiter Ziel ist es, dass wir uns von den sieben bestehenden Standorten auf drei konzentrieren. Auf der Insel Riems mit den Schwerpunkten Virologie und Epidemiologie. In Jena wird die bakteriologische Forschungseinheit verbleiben und am Standort Mariensee in Niedersachsen werden die Fachinstitute für Tierernährung, Tierschutz und Tierhaltung und Nutztiergenetik zusammengeführt.

moritz Nach derzeitigem Stand gibt es Zweifel, ob der neue Forschungskomplex überhaupt rechtzeitig fertig wird, um die Mitarbeiter von den anderen Standorten übernehmen zu können.
Mettenleiter Das neue Forschungszentrum wird rechtzeitig fertig, um alle zu übernehmen. Wir werden den Neubau kontinuierlich bis Mitte 2011 in Betrieb nehmen. Unser Zieldatum für die weitgehende Fertigstellung ist der 10.10.2010, der 100. Jahrestag der Gründung des Instituts durch Friedrich Loeffler.

moritz Was genau spricht denn für die Insel Riems als Forschungsstandort?
Mettenleiter Die geographische Isolierung einer Insel ist wie zu Loefflers Zeiten ein gutes Argument. Eine Insel bietet über die heutigen sicherheitstechnischen Möglichkeiten hinaus damit ein zusätzliches Maß an Sicherheit. Gemeinsam mit der Geschichte des Instituts spielt das eine zentrale Rolle. Dass das natürlich auch eine strukturpolitische Komponente für die Region beinhaltet, ist klar. Wir sind momentan 350 Beschäftige hier vor Ort, haben also auch einiges Gewicht auf dem Arbeitsmarkt.

moritz Wird denn auch die Universität Greifswald von dem neuen Komplex profitieren?
Mettenleiter Grundsätzlich sind wir als Bundeseinrichtung natürlich getrennt von den Hochschulen. Wir sind dennoch vernetzt mit der Universität, ich selber habe eine außerplanmäßige Professur in Greifswald und lehre dort, wie einige andere Kollegen es auch tun. Sicher ist die Zusammenarbeit noch intensivierbar, uns liegen da einige Anfragen vor. Momentan müssen wir diese allerdings weitestgehend abweisen, da uns schlichtweg die Kapazitäten dafür fehlen.

moritz Welche Relevanz hat denn Ihre Arbeit für die Gesundheit des Menschen?
Mettenleiter Eine direkte und eine indirekte Relevanz. Zum einen beschäftigen wir uns mit landwirtschaftlichen Nutztieren, also Lebensmittel liefernden Tieren, mit deren Produkten jeder in Kontakt kommt, der im Supermarkt einkauft. Darüber hinaus beschäftigen wir uns aber auch mit Krankheiten, die direkt vom Tier auf den Menschen übertragen werden können.

moritz Was sind die größten Erkenntnisse, die Sie sich zu gewinnen erhoffen?
Mettenleiter Wir arbeiten viel im molekularen Bereich, wir untersuchen die Wechselwirkungen zwischen dem Erreger und dem Organismus. Was sind die Reaktionsmuster, die ich ausnutzen kann, um einen Impfstoff zu entwickeln? Grundsätzlich geht es darum Tierseuchen, auch die bereits erwähnten Zoonosen, in den Griff zu bekommen. Vogelgrippe, BSE, Maul- und Klauenseuche, alles das ist in unserem Bereich angesiedelt. Beispielsweise ist Deutschland mittlerweile frei von Fuchstollwut. Das war ein langes Verfahren, hat aber letztendlich zum Erfolg geführt. Das wird in der Öffentlichkeit fast gar nicht wahrgenommen.

moritz Stellen Sie die Impfstoffe auch selber her?
Mettenleiter Nein, wir arbeiten aber in Forschungskooperationen mit Firmen aus der Pharmaindustrie, weil wir selbst keine Impfstoffe produzieren. Das sieht dann so aus, dass wir auch die Entwicklung schon gemeinsam bestreiten. Man kann allerdings nie sagen, ob am Ende einer Forschungsarbeit ein vermarktungsfähiger Impfstoff steht.

moritz Momentan widmen die Medien der Schweinegrippe eine sehr große Aufmerksamkeit. Ist sie wirklich die aktuell größte Virus-Bedrohung, die es gibt?
Mettenleiter Was die Pandemie angeht, ist das sicher etwas, was wir sehr ernst nehmen müssen. Noch sind die Krankheitsverläufe allerdings sehr mild. Ob das so bleibt, weiß keiner, weil diese Viren sich sehr plötzlich verändern können, ohne dass wir eine Erklärung dafür haben. Wir dürfen allerdings auch die anderen Erreger wie SARS nicht vergessen, auch diese können jederzeit mutieren und zu einer neuen Bedrohung werden.

moritz Wie bewerten Sie die mediale Darstellung der Virusbedrohungen? Wird dort einfach nur Panik gemacht oder ist die Gefahr, die von Viren ausgeht wirklich so stark gewachsen, dass wir uns fürchten müssen?
Mettenleiter Das Risiko einer Pandemie ist durch die Globalisierung gewachsen, das ist ganz klar. Die Schweinegrippe hat uns das deutlich gemacht. Wenige Wochen nach den ersten gemeldeten Fällen in Mexiko war das Virus weltweit verbreitet. Deswegen sage ich immer, dass wir nicht mehr von ‚exotischen’ Seuchen sprechen sollten, denn es kann sein, dass wir die bald vor unserer eigenen Tür haben. Alles was auf der Welt auftaucht, stellt eine potenzielle Bedrohung dar. Die Berichterstattung in den Medien beobachte ich mit einem Schmunzeln, aber auch manchmal mit Unbehagen. Denn es ist eine Gratwanderung, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen und auch zu halten, aber gleichzeitig eine Panikmache zu vermeiden.

moritz Momentan gibt es eine große öffentliche Diskussion um den Schweinegrippeimpfstoff. Viele haben Zweifel an seiner Erforderlichkeit und wollen sich nicht impfen lassen.
Mettenleiter Wir Fachleute können bei solchen Diskussionen nur mit dem Kopf schütteln. Wenn es einen Impfstoff gibt und der auch sicher und wirksam ist, wovon wir ausgehen können, warum sollte ich den dann nicht anwenden? Im Moment sehe ich keine andere Handlungsoption, als hier die Vorsorge zu machen und zu sagen: ja es ist ein pandemisches Virus. Wir können nicht einfach abwarten und mal sehen, was das Virus macht.

moritz Haben sie an dem Impfstoff mitgewirkt?
Mettenleiter Nein, wir beschäftigen uns hier vornehmlich mit Tierseuchen. Die Schweinegrippe hat allerdings mit dem namensgebenden Tier fast nichts zu tun, der Name ist daher irreführend. Das Virus geht derzeit genau in die andere Richtung, es kommt vom Menschen in die Schweinebestände hinein.

moritz Wie sicher ist der neue Forschungskomplex? Die Labore werden die Sicherheitsstufe BSL 4 haben. Was genau heißt das?
Mettenleiter Das ist die höchste Sicherheitsstufe, die es gibt. Das heißt, dort kann mit Erregern gearbeitet werden, die nicht nur für Tiere hochgefährlich sind, sondern auch für den Menschen. Das sind die Erreger, bei denen man, salopp gesagt, in den Raumanzügen arbeitet wird.

moritz Welche genauen Vorkehrungen müssen durchlaufen werden, um letztendlich am Arbeitsplatz zu sein?
Mettenleiter Das ist ein sehr aufwändiger Prozess. Man geht zunächst durch eine Schleuse, in der man seine Kleidung komplett ablegt und eine Art Raumanzug anzieht. Dann kommt noch eine Schleuse und erst dann kommt man ins Labor. Beim Hinausgehen wird man von Kopf bis Fuß mit Desinfektionsmittel abgesprüht. Die ganze Prozedur dauert ihre Zeit.

moritz Bleibt ein Restrisiko?
Mettenleiter Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es in keiner Lebenssituation. Wir tun, was international vorgeschrieben ist und darüber hinaus, was überhaupt machbar ist. Man muss sich als Anwohner also keine Sorgen machen. Wir haben hier einen Vorteil, wir sind nicht wie andere Institute mitten in einer Großstadt. Das heißt, wir haben die zusätzliche Sicherheit der Insellage.

moritz Haben Sie eigentlich Angst, sich selbst zu infizieren?
Mettenleiter Wir sind zwar relativ nah dran an den Viren, aber wir wissen schon, womit wir es zu tun haben. Bei uns kommt zum Beispiel niemand ins Tollwutlabor, ohne dagegen geimpft worden zu sein. Auch ich bin gegen Tollwut geimpft.

moritz Sie haben bei Ihrer Arbeit mit tödlichen Viren kein leichtes Beklemmungsgefühl?
Mettenleiter Überhaupt nicht.

moritz Wie bewerten Sie die ethische Vertretbarkeit, an Tieren zu forschen, indem man ihnen tödliche Viren injiziert?
Mettenleiter Die Situation hat zwei Aspekte. Zum einen sind wir dazu da, den Tierbestand in Deutschland gesund zu halten. Das kann man natürlich nur machen, wenn entsprechende Experimente möglich sind. Das ist die Forschung am Tier für das Tier. Wir haben einen zweiten Bereich, das ist die Forschung am Tier für den Menschen, was in der medizinischen Forschung eine wichtige Rolle spielt. Beide Aspekte sind meiner Ansicht nach ethisch vertretbar.

moritz Was denken Sie eigentlich, wenn Sie im Fernsehen Virenkatastrophenfilme sehen?
Mettenleiter Es kommt darauf an wie sie gemacht sind. Es gibt Filme bei denen ich sage, so oder so ähnlich könnte es ablaufen. Es gibt andere Filme, die sind einfach nur Blödsinn.

moritz Kann es den Helden geben, der in letzter Sekunde das Gegenmittel gegen ein die Menschheit bedrohendes Virus findet?
Mettenleiter Nein, den wird es nicht geben. Aber man hat bei den jüngsten Fällen der Schweinegrippe gesehen, dass sich durch die neuen technischen Möglichkeiten sehr schnell weltweite Netzwerke aktivieren lassen. Das hat in letzter Zeit wunderbar funktioniert, ohne großen bürokratischen Aufwand. Das muss man natürlich machen, wenn man sieht, wie schnell sich Viren weltweit verbreiten. Wir müssen als Forscher mit dem Virus mithalten.

moritz Herr Prof. Mettenleiter, wir danken für das Gespräch.

Das Gespräch führten Daniel Focke und Alexander Mülller.