In den Köpfen vieler Menschen ist der Gedanke, ein Studium sei nur durch Abitur oder Fachabitur zu erreichen, tief verwurzelt. Auch Melanie Amberg, 25 Jahre, aus Würselen an der deutsch-niederländischen Grenze war hiervon fest überzeugt. Für sie war klar, dass sie erst ihr Abitur macht, um dann studieren gehen zu können. Doch eine schwere Krankheit verhinderte dies und Melanie musste das Gymnasium verlassen. Sie begann nun eine Ausbildung zur Ergotherapeutin, hatte den Traum vom Studium schon fast aufgegeben. Durch einen Freund erfuhr sie dann, dass es auch möglich ist, ohne das klassische Abitur zu studieren.

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Die Bedingungen für den Zugang zu einem Studium an einer Universität findet man in den Hochschulrahmengesetzen. So gibt es in Abhängigkeit des jeweiligen Bundeslandes drei Möglichkeiten, um an eine Universität oder Fachhochschule zu gelangen. Der wohl bekannteste und am häufigsten eingeschlagene Weg ist der Erwerb der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulreife oder aber der Fachhochschulreife. Dann gibt es da aber noch das sogenannte Meisterstudium. Hierbei handelt es sich um die Zugangsberechtigung für eine Hochschule, wenn eine fachspezifische Fortbildungsprüfung erfolgreich absolviert wurde. Das Studienfach allerdings muss sich am gelernten Beruf orientieren. So können zum Beispiel Meister, Fachkaufmänner, Fachwirte oder Bilanzbuchhalter ein BWL-Studium beginnen. Die dritte Möglichkeit bietet all denen eine Chance, die eine abgeschlossene Berufsausbildung und dazu eine mindestens dreijährige Berufserfahrung oder aber eine fünfjährige Berufstätigkeit vorweisen können. Wer sich für diesen Weg entscheidet, muss zuerst eine Eingangsprüfung an der jeweiligen Hochschule absolvieren. An einigen Universitäten folgen darauf noch Probesemester, in denen sich der Studierende zusätzlich beweisen muss.

Weniger als ein Prozent aller Studierenden in Deutschland besitzen kein Abitur. Die Quote von Studienabbrechern unterscheidet sich aber nicht sehr von Studenten mit Abitur. Auch in der Politik spielt dieses Thema eine Rolle. So sprach der SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz im Berliner Tagesspiegel von der Notwendigkeit der Öffnung der Universitäten für Nicht-Abiturienten. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich ebenfalls für die Verbesserung der Zugangsbedingungen für angehende Studierende ohne Abitur ein. Sie fordern Brückenkurse und Fördersemester, um den Quereinstieg von der Praxis an die Universität zu erleichtern. Die CDU führte 2008 wiederum sogenannte Aufstiegsstipendien für Menschen mit beruflicher Qualifikation ein (weitere Infos zu den Zielsetzungen der Parteien zu diesem Thema auf www.hrk.de). Im März 2009 schufen die Kultusminister der Länder eine einheitliche Richtlinie für alle Bundesländer, in der die Vorraussetzungen geklärt werden, die jemand mitbringen muss, um zu studieren. Dennoch unterscheiden sich die Zugangsvoraussetzungen im Detail von Bundesland zu Bundesland. Beispielsweise ist die Dauer der jeweils geforderten Berufserfahrung nicht einheitlich.
Auch an unserer Greifswalder Universität ist es möglich, ohne das klassische Abitur zu studieren. Hierzu muss eine Zugangsprüfung abgelegt werden. Diese besteht aus einer mündlichen Prüfung von 30 Minuten und einer schriftlichen Arbeit, die das fachliche Grundlagenwissen innerhalb von drei Stunden abprüft. Näheres dazu findet man in der Zugangsprüfungsordnung der Uni Greifswald. Die Bedingung, um für die Prüfung zugelassen zu werden, sind fünf Jahre Berufstätigkeit oder eine Ausbildung mit dreijähriger Berufserfahrung. Außerdem muss der gewählte Studiengang einen Zusammenhang zum erlernten Beruf aufweisen. Trotz dieser Möglichkeit nutzen momentan nur 16 junge Leute diese Möglichkeit. Zwei von ihnen befinden sich zurzeit auch im Masterstudium.

Dass sich das Studieren ohne Abitur, außer von den Zugangsvoraussetzungen, gar nicht so sehr vom Studieren mit Abitur unterscheidet, zeigt uns Melanie, die dank solchen Regelungen ihren Traum verwirklichen und an einer Universität studieren kann. Dies tut sie allerdings nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden an der Uni Heerlen, da diese Ergotherapie auch als Studiengang anbietet. Melanie, die Gefallen an dem Beruf gefunden hat, entschied sich dafür, ihr bereits erworbenes Wissen durch ein solches Studium zu vertiefen. Auf diese Weise, so erklärt sie, verbessere sie ihre Berufschancen enorm. Das rührt auch hauptsächlich daher, dass in Deutschland die Ausbildung für Ergotherapeuten abgeschafft, und dafür ebenfalls ein Studiengang eingeführt werden soll, um sich an den weltweiten Standart in diesem Beruf anzupassen. Als sie davon erfuhr, war für Melanie klar, dass sie nicht als „Therapeut zweiter Klasse“ gelten wollte. Glücklicherweise brauchte sie durch ihre Berufsausbildung und den zweijährigen Besuch eines Gymnasiums kein Zulassungsgespräch ablegen, welches in Holland bei Studenten ohne Abitur durchgeführt wird. So erhält man einen Eindruck des potenziellen Studenten, und kann abschätzen, inwiefern man ihm das Studium zutraut. Dennoch erzählt sie, dass das Studentendasein sehr anstrengend ist im Vergleich zu ihrer Ausbildung zuvor. Auch die Selbststrukturierung vor der jeder Student steht, fiel ihr am Anfang besonders schwer und der Gedanke alles hinzuwerfen, kam ihr Anfang diesen Jahres, als wirklich nichts klappen wollte. Doch gute Zuredung einer Kommilitonin und die Tatsache, dass sie es bisher so weit geschafft hatte, ließ sie nicht aufgeben. Das Finanzielle regeln ihre Eltern, bei denen sie während ihres Studiums auch wieder wohnt. Trotzdem verdient sie sich etwas dazu, indem sie Seniorenfitnesskurse gibt, ebenfalls ein Gebiet der Ergotherapie.

In den Niederlanden ist jeder zehnte Student ein Nicht-Abiturient, damit liegen die Niederlanden zusammen mit Irland weit oben im Schnitt. Dies ist das Ergebnis des „Europäischen Studienreports“. Deutschland wurde durch diese Studie ein erschreckendes Defizit aufgezeigt. Liegt es doch zusammen mit Frankreich und Italien auf den letzten Plätzen. Schweden führt diese Studie an. Hier sind immerhin 36 Prozent der Studenten ohne Abitur.

Die unterirdische Platzierung liegt unter anderem daran, dass einige Bundesländer lange Zeit den Zugang für Nicht-Abiturienten an ihren Hochschulen verweigerten, aus Angst das Niveau der Universitäten könnte sinken. Doch der derzeitige Fachkräftemangel ließ sie diese Ansicht noch einmal überdenken. Bis 2010 sollen nun Regelungen getroffen werden, die bundesweit einen breiteren Hochschulzugang ermöglichen sollen.

Ein Artikel von Anke Krüger