Ein großer Mann mit roter Robe und schwarzem Zylinder steht hinter seinem Rednerpult und liest aus einem düsteren Werk vor. „Ich will den Hass gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für immer“, schallt es um ein vielfaches verstärkt aus den schwarzen Boxen. „Dieser Hass glühe als die Religion des deutschen Volkes, als ein heiliger Wahn in allen Herzen und erhalte uns immer in unsrer Treue, Redlichkeit und Tapferkeit.“ Um den Redner sammelt sich ein Pulk von Menschen, der ungläubig zuhört. Es sind Zitate aus den Werken Ernst Moritz Arndts, die dort vorgetragen werden. Doch er ist es nicht selbst, der spricht, denn wir befinden uns in der Gegenwart. Wir schreiben den 15. Juni 2009 und die Szene spielt auf dem Vorplatz der Mensa in Greifswald. Es ist der Student Sebastian Jabbusch, der, als Arndt verkleidet, auf die problematischen Texte des Namenspatrons unserer Universität hinweisen möchte. Der Spuk nimmt erst ein Ende, als einige Bürger wegen Volksverhetzung die Polizei rufen. Sie konnten nicht glauben, dass jemand in unserer Demokratie noch solche Reden öffentlich ausruft. Und dennoch trägt die Universität Greifswald bis zum heutigen Tag den Namen des Autors dieser Texte. Doch die Diskussion um den Namenspatron ist bei weitem nicht neu, seit elf Jahren spaltet sie Greifswald in Arndtgegner und Befürworter.

Auslöser der Debatte war ein Artikel aus dem Jahr 1998 in der Wochenzeitung DIE ZEIT mit dem Titel „Fataler Patron“. Dort wird er als rassistischer Publizist beschrieben, für den Klima und Sprachen die Völker naturgesetzlich voneinander trennen. Eine Vermischung der Völker müsse nach Arndt unbedingt verhindert werden, insbesondere mit französischem und jüdischem Blut, um den eigenen deutschen Nationalcharakter zu bewahren. Der Artikel führt weiter aus, wie Arndts Werke von den Nazis und später vom DDR-Regime für die eigenen Zwecke benutzt wurden. Jedes System bediente sich bei den Teilen Arndts, die es für seine Ideologie gebrauchen konnte. Nun stellte sich die Frage, wie die Werte der Bundesrepublik mit denen Arndts vereinbar sind?

Nachdem der erste große Aufschrei abgeklungen war, initiierten die Greifswalder Professoren Werner Buchholz und Hartmut Lutz 2001 ein Kolloquium zum Thema Arndt, um die hitzige Debatte auf wissenschaftliche Füße zu stellen. Der Erfolg dieser Veranstaltung wurde im Nachhinein unterschiedlich bewertet. Fakt ist aber, ein klares Bekenntnis für oder gegen den Namen seitens der Uni brachte sie nicht hervor. Eine entsprechende Diskussion im Senat hat es nie gegeben. Fünf Jahre später führte der moritz die umstrittene Rubrik „Arndt des Monats ein“. In jeder Ausgabe wird dort ein Zitat aus Arndts Schaffen vorgestellt, welches einen „kurzen, aber erschreckenden Einblick“ in sein Werk geben soll.
Nun ist sie also wieder da, die ewige Debatte; und das mit nie gekannter Medienpräsenz. Aufgezogen von der klug agierenden Studenteninitiative Uni-ohne-Arndt um den Senator Sebastian Jabbusch.

Nach der Aktion vor der Mensa ging alles ganz schnell. Auf die studentische Vollversammlung zwei Tage später kamen über tausend Studenten und sprachen sich mehrheitlich gegen den Namenspatron aus. Sie forderten die Universität auf, den Namen abzulegen. Auch sollte endlich auf deren Homepage über die Problematik des Namensgebers informiert werden. Nach einer Aufforderung der Fachschaftsrätekonferenz 2007 wurde dies vom Rektor zugesagt, zwei Jahre lang war jedoch nichts passiert. Mittlerweile sind die Infos auf der Homepage, allerdings in wenig kritischer Form. „Ernst Moritz Arndt gehört einer Generation an, die Schlüsselbegriffe des politischen Denkens und der Kultur der Moderne einem tiefgreifenden Bedeutungswandel unterzogen hat, der bis heute nachwirkt“, heißt es dort gleich im ersten Satz. Arndts rassistische Äußerungen werden als zeitgenössisch abgemildert. Sebastian Jabbusch von Uni-ohne-Arndt bezeichnet den Text, dessen Urheber nicht kenntlich gemacht wird, als „manipulativ und eine Beleidigung. Sie belege die Unfähigkeit der Universität, sich kritisch mit dem eigenen Namen auseinanderzusetzen“.

Um ihren Zielen noch mehr Nachdruck zu verleihen, begann die Initiative nach der Vollversammlung damit, Unterschriften der Studenten für eine Urabstimmung über den Namen zu sammeln. Um eine solche Abstimmung stattfinden zu lassen, muss sie von zehn Prozent der Studierenden gefordert werden. Die erforderlichen Stimmen haben die Arndtgegner nach eigenen Aussagen inzwischen beisammen, bisher seien gut 1100 Stimmen gesammelt worden. Das Zustandekommen einer Urabstimmung wäre ein Novum in der Geschichte der Universität, bislang gab es so etwas noch nicht. Die ganze Sache hat allerdings gleich zwei entscheidende Haken: Erstens müssten sich mehr als 50 Prozent der Studierenden gegen den Namen aussprechen, also über 6000, um ein gültiges Votum zu erreichen. Jedoch erscheint allein eine derart hohe Wahlbeteiligung als unerreichbar. Und selbst wenn es so käme, würde diese Entscheidung nur die studentischen Organe binden, aber nicht den Senat. Ein wichtiges Detail, welches die Initiative öffentlich bislang nur ungenügend kommuniziert hat. Da das Studierendenparlament (StuPa) die Beschlüsse der Vollversammlung sowieso schon angenommen hat, bestünde an dieser Stelle also eine Dopplung – die Urabstimmung ist im Grunde überflüssig.

Für die Initiative sei die Abstimmung sowieso nur ein politisches Signal, betont Jabbusch. Ziel seien 20 Prozent Wahlbeteiligung, von denen 60 Prozent gegen einen Namen stimmen sollen. Schon allein dieses Ziel ist höchst ehrgeizig, bei den letzten StuPa-Wahlen lag die Wahlbeteiligung bei lediglich 12,7 Prozent und auch bei der Vollversammlung waren trotz Rekordbeteiligung „nur“ knapp über zehn Prozent anwesend.

Nachdem das StuPa den Forderungen der Vollversammlung nachkam und den Namen fortan nicht mehr in seinen Dokumenten verwendet, trugen einige studentische Senatoren die Debatte schließlich in die Juli-Sitzung des Senats. Sie forderten den Senat auf, eine Kommission zu gründen, welche eine Ablegung des Namens überprüfen solle. Die mit Spannung erwartete Diskussion um diesen Antrag verlief erstaunlich sachlich; fast so, als ob es nie eine emotionale Debatte gegeben hätte. Unter Wortführung der Psychologieprofessorin Hannelore Weber, legte man sich früh darauf fest, von der historischen Bewertung Arndts Abstand nehmen zu wollen. Nach einem verhältnismäßig kurzen Meinungsaustausch beschloss man mit nur einer Gegenstimme und neun Enthaltungen, eine entsprechende Namenskommission einzurichten. Diese solle laut Beschlussalle „Pro- und Contra-Argumente und sonstigen entscheidungserheblichen Aspekte“ abwägen und auf dieser Grundlage dem Senat einen Entscheidungsvorschlag vorlegen. Der studentische Senator Thomas Schattschneider, Mitglied der Kommission und deren Leiter in der ersten Sitzung, betonte, dass es „nicht darum geht die Debatte neu aufzurollen und sich gegenseitig zu zerfleischen“. Vielmehr wolle man die Aspekte und Funktionen eines Namenspatrons untersuchen und das Augenmerk vor allem auf wirtschaftliche Kriterien und Gesichtspunkte des Marketings legen.

Ziel sei es laut Schattschneider nicht, dem Senat eine Meinung vorzukauen, sondern eine umfassende Einschätzung zu geben, die den Senat in die Lage versetzt, eine Entscheidung zu treffen.

Ob aber die Zusammensetzung der Kommission eine solche Neutralität auch wirklich gewährleisten kann, wird von Uni-ohne-Arndt bezweifelt. Auf ihrer Homepage beklagen sie eine unausgewogene Besetzung. Drei Mitglieder hätten sich öffentlich bereits zu Arndt als Namensgeber bekannt, lediglich ein Mitglied sei gegen den Namen. Thomas Schattschneider begründet die Zusammensetzung dagegen mit dem interdisziplinären Anspruch der Kommission, das Fachwissen aller Bereiche solle genutzt werden. Mit einem Ergebnis der Kommission rechnet er für die Zeit nach der Urabstimmung, welche im Januar zusammen mit den StuPa-Wahlen stattfinden soll. Das Ergebnis der Urabstimmung werde aber keinen Einfluss auf die Arbeit der Kommission haben, versicherte er. Die Initiative um Sebastian Jabbusch dagegen hofft, mit einem möglichst klaren Votum gegen den Namen bei der Urabstimmung, Druck auf den Senat ausüben zu können.

Thomas Schattschneider befindet sich in der schwierigen Lage, als Student und damit auch als Vertreter der Studierendenschaft in der Kommission zu sitzen, auf der Vollversammlung aber gegen eine Namensablegung gestimmt zu haben. „Die Vollversammlung war sehr einseitig, die wenigen Gegensprecher wurden gnadenlos ausgebuht. So sieht keine Diskussion nach demokratischen Maßstäben aus. Daher auch mein Votum. Dennoch sehe ich den Namen kritisch“, begründet er seine Entscheidung von damals. Er selbst sieht sich daher, gemeinsam mit dem zweiten studentischen Vertreter in der Kommission, Korbinian Geiger, als Moderator zwischen den Fronten.

Viel emotionaler wird die Debatte von den nichtzugezogenen Greifswalder Bürgern aufgenommen. Mit dem Namen aufgewachsen und viele persönliche Erinnerungen mit ihm verbindend, beklagen sie beispielsweise in Leserbriefen an die Ostseezeitung, dass diejenigen die am kürzesten in Greifswald bleiben, das größte Mitspracherecht für sich in Anspruch nehmen würden. Karla Thurm, Stupistin und Mitglied bei Uni-ohne-Arndt bezeichnet eine solche Argumentation allerdings als „Alltagsrassismus“. Ein Mitspracherecht könne nicht von der Wohndauer abhängig gemacht werden. Über ihre persönlichen Beweggründe, sich so stark für eine Namensablegung zu engagieren, erklärt sie: „Mich stört es, den Namen eines Antisemiten auf meinem Studierendenausweis zu tragen. Ich möchte nicht, dass mich Leute mit einem solchen Menschen in Verbindung bringen“.

moritz-print-mm79-12-namenspatron-danielfockeIn letzter Zeit ist es etwas still geworden, vor der Mensa geht alles wieder seinen gewohnt ruhigen Gang, der letzte große Zeitungsartikel liegt schon eine ganze Weile zurück. Bis zur Urabstimmung und einem Ergebnis der Kommission wird es aber noch einige Monate dauern. Um die Aufmerksamkeit bis in das nächste Jahr hinein aufrecht zu erhalten, planen die Arndtgegner ein Seminar zum Thema Arndt in der Erstiwoche, eine Podiumsdiskussion mit „renommierten“ Politikern im Wintersemester, sowie eine „actionreiche“ Veranstaltung während der 24-Stunden-Vorlesung am 23. Oktober um 18 Uhr mit dem Titel „Antisemit und Rassist? Lesung und Diskussion über den Uni-Namenspatron“.

Warum aber sollte es dieses mal anders laufen, als in den periodisch wiederkehrenden Debatten in den Jahren zuvor? Es ist die Herangehensweise, die den Prozess auf ein höheres Level gehoben hat. Versuchte man 2001 noch, den Namen von oben herab, ausgehend von einigen Professoren zu ändern, so ist es dieses mal die von Jabbusch so bezeichnete „Graswurzelbewegung“, die den Unterschied ausmacht. Ausgehend von einer breiten Basis auf der Vollversammlung, kämpft und windet man sich durch die Gremien und Institutionen vorwärts.

Doch ist es wichtig, dass die Diskussionen nach all den Jahren endlich ein Ende finden, mit welchem Ausgang auch immer. Eins steht fest, der Name produziert schlechte Schlagzeilen für die Universität. Außerdem vernebelt die emotional geführte Debatte den Blick auf andere Themen, die mindestens genauso wichtig sind. Denn Stellenkürzungen und Bolognareform bekommen wir Studenten tagtäglich zu spüren.

Ein Artikel von Alexander Müller und Daniel Focke