Feature von Alexander Müller

Es war eine bunt gemischte Masse aus jungen Menschen, die sich von der Unibibliothek aus durch Greifswald bewegte. Ihren Unmut hatten sie auf Transparente geschrieben, in den Augen war die Wut und Enttäuschung deutlich zu sehen. „Arbeit nervt“, schallte es aus den bunt verzierten Boxen; die Parole einer Generation, der oft Desinteresse und Identitätslosigkeit vorgeworfen wurde. Die Ironie versteht, wer sie verstehen will. Denn wenn junge Menschen eins wollen, dann ist es eine Zukunft mit der Aussicht auf Arbeit.

„Bildung für alle“, das ist die Forderung mit der das bundesweite Aktionssbündnis „Bildungsstreik 2009“ Schüler und Studenten aus der ganzen Republik dazu aufforderte, am 17. Juni ihre Klassenräume und Vorlesungssäle zu verlassen, um gegen die Bildungspolitik von Bund und Ländern zu demonstrieren. Über hunderttausend junge Leute gingen bundesweit auf die Straße. Der Moment dafür, konnte gar nicht besser gewählt worden sein. Die Zeitungen waren voll in den letzten Wochen mit Leitartikeln, in denen sich darüber gewundert wurde, wie ruhig und gelassen die Deutschen in der Krise doch blieben. Was für ein Glück sei es doch, dass soziale Unruhen bislang ausgeblieben sind, weil nur so vernünftig Politik gemacht werden könne. Das mag nicht ganz falsch sein. Doch ist es ein nicht hoch genug einzuschätzendes Zeichen, dass sich nun genau die erheben, deren Zukunft momentan aufs Spiel gesetzt wird. Jene Generation, die bislang hilflos mit ansehen musste, wie das Geld ihrer Zukunft in die Rettung von Banken fließt, während die eigenen Schulen und Hochschulen zerfallen und beim Lehrpersonal weiter gespart und gekürzt wird. Dass aber die Zukunftsaussichten möglicherweise noch viel schlechter wären, wenn der Staat nicht massiv in die Wirtschaft eingreifen würde, ging in Parolen wie „Die Commerzbank hat deine Studiengebühren“, welche als Ankündigung des Streiks in einem Youtube-Video verkündet wurden, etwas unter.

Es ist viel im Vorfeld darüber diskutiert worden, ob sich der Allgemeine Studierenden Ausschuss (AStA) der Universität Greifswald an der bundesweiten Aktion offiziel beteiligen und eine eigene Demo organisieren soll. Das Studentenparlament erteilte dem AStA schließlich nur einen Informationsauftrag. Fabian Freiberger, AStA Referent für Hochschulpolitik, hatte befürchtet, dass Leute aus der linksextremen Szene sich die Aktion zu Nutze machen könnten. Nach der Absage von offizieller Seite an der Aktion, nahmen der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband (SDS), die Jusos und die Grünen die Organisation einer Veranstaltung selbst in die Hand. Gemeinsam mit vielen Partnern organisierten sie eine Demonstration vom Berthold-Beitz-Platz über die Anklamer Straße durch die Innenstadt bis zum Rubenowplatz.

400 Teilnehmer schlossen sich dem Zug an. Mit lauter Musik und deutlichen Forderungen machten sie auf gravierende Fehlentwicklungen in der Bildungspolitik und Missstände an der Universität Greifswald, wie baufällige Hörsäle und Seminarräume an einigen Instituten, aufmerksam. Wie sich zeigte, waren die Befürchtungen von StuPa und AStA ob linker Steineschmeißer unbegründet, im Laufe der Veranstaltung blieb es in Greifswald völlig friedlich. Von Friede, Freude, Eierkuchen konnte dennoch keine Rede sein. Viele sind gekommen, weil sie mir ihrem Bachlorstudium unzufrieden sind. Eine Reform der neuen Studiengänge, das ist eine der Hauptforderungen des Bildungsstreiks. Viel zu verschult sei das System, auf der Jagd nach Credit Points ginge die Freiheit im Studium völlig verloren. In diesem Zusammenhang sorgte auch die inszenierte Zwangsexmatrikulierung einiger Studenten eine Woche zuvor für Aufsehen. Studenten wurden von dunkel gekleideten Gestalten aus ihren Hörsälen gezerrt; sie hatten nicht alle Prüfungsleistungen erbracht. Der Unterschied zwischen Realität und Schauspiel war nicht für jeden gleich so einfach zu unterscheiden.

„Ich will, dass Bildung kein Privileg für Wenige ist“ erklärte Annika, 22 Jahre und BA-Studentin für Geschichte und Deutsch. Eine erstaunliche Aussage, macht sie doch deutlich, dass diese Generation nicht nur ein Volk aus Egoisten ist, wie oft gemutmaßt. Es geht den Demonstranten in erster Linie gar nicht um sich selbst. In Ihrer Studienzeit werden keine großen Veränderungen mehr herbeigeführt werden können. Doch das viele Geld, welches momentan in die Rettung von Banken und Unternehmen fließt, sehen sie in ihrer Bildung und derer, die nach ihnen kommen, besser angelegt. „Natürlich lässt sich der Verkauf eines Autos kurzfristig als Erfolg werten, doch langfristig brauchen wir gut ausgebildete junge Menschen mit frischen Ideen“, erklärte Anne Klatt von der Grünen Hochschulgruppe.

Annika jedenfalls war enttäuscht darüber, dass sich am Ende doch nur ein paar hundert ihrer Kommilitonen dazu aufraffen konnten, mitzudemonstrieren: „Die meisten scheint es nicht zu interessieren, was um sie herum passiert. Die denken sich: Was wollt ihr denn? Durch mein Studium komme ich schon irgendwie durch“. Luisa, 19 Jahre alt und Jurastudentin brachte es auf den Punkt: „Für viele geht das Engagement nicht über das Beitreten der Bildungsstreik Gruppe im StudiVZ hinaus“.

David Noack, Mitglied im Studentenparlament, SDS-Mitglied und Mitorganisator der Veranstaltung, sah die Demo dagegen als großen Erfolg, er hatte mit weniger Leuten gerechnet. Den Grund dafür sah er paradoxerweise in der schlechten Publicity der Gegner des Bildungsstreiks. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) hatte auf Flyern und in einer Pressemitteilung Studenten dazu aufgefordert, sich nicht an dem Streik zu beteiligen. Bildungspolitik dürfe nicht krawallorientierten Leuten überlassen werden, die Studenten vom Lernen abhalten. Wie allerdings vom Schreibtisch aus auf die ohne Zweifel vorhandenen Probleme aufmerksam gemacht werden soll, blieb offen.

Die Frage, was eine solche Veranstaltung effektiv bringt, ist allerdings berechtigt. Bundesbildungsministerin Annette Schavan bezeichnete die demonstrierenden Schüler und Studenten im Deutschlandfunk als „gestrig“. Einer Konferenz, an der sich Politik und Studenten an einen runden Tisch zusammensetzen sollen, hat sie aber zugestimmt. Sie soll im Juli stattfinden. Annika sieht der Zukunft entspannt entgegen. „In ganz Deutschland sind wir so viele. Die können uns gar nicht ignorieren“. Sie strahlt dabei eine Zuversicht aus, dass man ihr fast glauben möchte.