Für mehr als die Vermessung des Universums: 2009 ist Internationales Jahr der Astronomie

moritz-print-mm76-29-greifswelt-rubrikstarter-in-fremden-spharen-klaus-burgle-retrofuturismus-dekAuszug aus „Das Neue Universum“, No. 82 (1965) „Das größte Abenteuer in der Geschichte der Menschheit steht noch bevor: Die Begegnung mit vernunftbegabtem Leben auf anderen Planeten. Eine phantastische Landschaft breitet sich vor den Augen der kühnen Raumfahrer aus, die es gewagt haben, in ferne Sternsysteme vorzustoßen, und als erste ihren Fuß auf einen der Milliarden bewohnter Weltkörper zu setzen. Glutig hängt der Ball einer mächtigen Sonne am tiefschwarzen Firmament und übergießt eine zerklüftete, schroffe Bergwelt mit leuchtendem Rot, auf der giftiggelb die Gase einer niedrigen Atmosphäre lasten. Wie eine Dunstschicht entzieht sie den Lebensbereich geheimnisvoller Wesen der Klarsicht der Kundschafter. Soviel ist gewiß, der Lebensfunke der Schöpfung hat sich nicht nur auf unserer Erde entwickelt. Der Erdball ist nicht mehr als nur ein Wohnraum im gewaltigen Weltgebäude.“

2009 ist das Internationale Jahr der Astronomie. 400 Jahre nachdem Galileo Galilei zum ersten Mal sein Teleskop auf den Mond richtete und vierzig Jahre nach Armstrongs Landung auf dem Erdtrabanten, wird es Zeit für einen kurzen Ausblick auf ein Wissenschaftsgebiet, das mit der Jahrtausende alten Wissenschaft von den Gestirnen seinen Ursprung fand und viele inspirierte. Unser Rubrikcover ziert eine Illustration von Klaus Bürgle. Seine, einen ehemaligen zukunftsoptimistischen Zeitgeist wiederspiegelnden, Werke sind heute erstmals wieder als Reprints erhältlich. Der damalige Zukunftsoptimismus ist es nicht.

„Wie kann sich die menschliche Rasse in einer Welt, die sich in politischen, sozialen und ökologischen Fragen im Chaos befindet, weitere hundert Jahre halten?“ Einen Teil der Antwort auf die öffentliche Frage des Astrophysikers Stephen Hawking könnten die astronomischen Wissenschaften liefern.

moritz-print-mm76-29-jahr-der-astronomie-02-naic-edukDie Astronomie begann sich vor 2500 Jahren von ihren religiösen Ursprüngen zu lösen und wurde durch Renaissance und Aufklärung zu einer von theologischen Einflüssen befreiten Wissenschaft. Astronomische Themen beschäftigten aber auch Philosophen jüngerer Zeit: 1775 schrieb Kant „Von den Bewohnern der Gestirne“. Noch bis vor ein paar Jahren beflügelte die nun erreichbare Unendlichkeit des Weltraums die Hoffnungen der Menschen an eine bessere Zukunft. Diese Zeit ist leider schon vorbei.

Aber nur mit dem Fernrohr ins All starren? Mitnichten die Regel, denn Astronomie ist heute ein Oberbegriff für vielfältige Fachgebiete wie Astrophysik, Astrometrie, Planetologie, Stellarastronomie und Kosmologie. Es gibt weitere außergewöhnlich anmutende Forschungsgebiete: Dazu zählen die Astro- und die Exobiologie, die Archäoastronomie und auch geisteswissenschaftliche Bereiche wie die Exo- oder Xenosoziologie. Der Soziologe Dr. Michael Schetsche fragt: „Welches wären die sozialen Folgen, wenn die Menschheit mit der Existenz einer außerirdischen Zivilisation konfrontiert würde?“

Ein neues und sehr aktives Forschungsgebiet ist die Erforschung extrasolarer Planeten, die Exoplanetologie. Bisher sind 335 Planeten in 285 Sonnensystemen außerhalb unseres Sonnensystems bekannt. Ist es nicht seltsam, dass ein Drittel aller Europäer immer noch glaubt, dass sich die Sonne um die Erde dreht?1

Ein Höhlengleichnis

Was haben Charles Darwin, Goethe und Humboldt gemeinsam? Ohne ihre Reisen wären sie vermutlich unbekannte Namen.

Im Gegensatz zu diesen Geistesgrößen haben Vertreter der astronomischen Zunft seit jeher ein gravierendes Problem: Das Forschungsfeld ist das Universum, ihr Arbeitsplatz die Erde. Einen Teil der Lösung für dieses Problem lieferte der holländische Brillenmacher Lipperhey um 1608 mit dem Bau eines Fernrohres, das von Galileo Galilei weiterentwickelt wurde und zur Entdeckung von vier Jupitermonden führte. Der Theologe und Optiker Johannes Kepler entwarf 1611 das erste astronomische Fernrohr. Bekanntere Ausführungen der heutigen, multispektralen Fernrohre sind das Hubble-Weltraumteleskop und das Arecibo-Radioteleskop mit seinem 304,8 Meter großen und in einem Felsen eingelassenen Reflektor. Und das aus dem Film „Contact“ bekannte Very Large Array (VLA) besteht aus 27 zusammengeschalteten einzelnen Radioteleskopen, die gemeinsam eine Auflösung eines 36 Kilometer durchmessenden Interferometers ergeben. Neueste Errungenschaft der EU sind die herausragenden Teleskope ‚Herschel‘ und ‚Planck‘. Ihr Start ist Ende April 2009 geplant.

Trotzdem mangelt es in jüngerer Zeit an bahnbrechenden Erfolgen. Im heutigen Alltag populärste Effekte sind die Dauerbrenner „UFO-Sichtungen“, sowie eine Unzahl von Science-Fiction-Serien und –filmen sowie entsprechende Computerspiele. Quo vadis, ástronomía?

Mehr Basisarbeit

Ein internationales Forscherteam hat zum Jahr der Astronomie ein „Volksteleskop“ entwickelt, das nur 15 Dollar (plus $14.20 Versand nach Deutschland, zahlbar via Paypal) kostet und die Qualität von vergleichbar günstigen Geräten bei weitem übertreffen soll: 50-fache Vergrößerung, brauchbare Optik und solide Bauweise. Das unter galileoscope.org angebotene Teleskop ist optisch viel besser als Galileos Rohr und in fünf Minuten montierbar.

Aber auch der Blick zurück auf die Erde offenbart Erkenntnisse. Der Spaceshuttle-Astronaut Salman al-Saud kommentierte die Eindrücke seiner kosmonautischen Kollegen mit den Worten: „Am ersten Tag deutete jeder auf sein Land. Am dritten und vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag achteteten wir auch nicht mehr auf die Kontinente. Wir sahen nur noch die Erde als den ganzen Planeten.“

moritz-print-mm76-29-jahr-der-astronomie-nasa-govkUnd der SPIEGEL titelte im Heft 7/2009 „Tod der Nacht“, weil das während des sich durchsetzenden 24-Stunden-Tages leuchtende Kunstlicht Tiere und Ökosysteme bedroht und einen Blick auf den Nachthimmel versperrt. Das Fazit des Beitrages: „Erst wenn der Lichtsmog beseitigt ist, kann auch der Blick auf den Himmel wieder das klare und beeindruckende Bild liefern, welches unsere Vorfahren vorfanden.“ Und wer heute noch in die Lage kommt, einen unverstellten Blick auf den Nachthimmel zu werfen, kann vielleicht endlich erkennen, wo wir wirklich stehen.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass tausende Zivilisationen in unserer Galaxie leben, allerdings in Abständen von 100 bis 1000 Lichtjahren. Eine Begegnung ist daher noch unwahrscheinlicher als die wesentlich schnellere, radioastronomische Verständigung. Letztere würde mindestens 200 Jahre Geduld erfordern. Das SETI-Institut widmet sich trotzdem dieser Aufgabe. Ob erfolgreich, hängt auch von unserer Anwort auf Hawkings Frage ab.

Link: Im Internet astronomy2009.de, seti.org, setiathome.com

Vom Umgang mit dem äußerst Fremden Buch „Von Menschen und Außerirdischen – Transterrestrische Begegnungen im Spiegel der Kulturwissenschaft“ von Michael Schetsche

moritz-print-mm76-32-greifswelt-jahr-der-astronomie-transcript-verlagk„Welches wären die sozialen Folgen, wenn die Menschheit mit der Existenz einer außerirdischen Zivilisation konfrontiert würde?“ Die Grundfrage des Buches führt zu einer umfassenden soziologischen Analyse des Verhältnisses Mensch-Außerirdischer-Mensch. Nicht nur in einer tiefgründigen und über das eigentlich exotische Thema hinausgehenden Untersuchung wird das menschliche Verhältnis zur (extraterrestrischen) Fremdheit von dieser ausführlichen Monographie behandelt. Auch ausführliche mediale Analysen und die Bildung klarer Terminologien bilden die wissenschaftliche Grundlage für ein ernstzunehmendes und vorausschauendes Werk, dass sich frei von populärwissenschaftlichen Begriffen der Antwort auf eine Frage anzunähern versucht, die von modernen Medienprodukten häufig schon beantwortet sein will. Der promovierte Soziologe Schetsche beweist in Zusammenarbeit mit anderen Autoren, dass die ernsthafte Frage nach dem Umgang mit möglichen extraterrestrischen Spezien ein Thema ist, das eine rationale Diskussion im Alltag verdient, sich diese aber trotzdem noch erkämpfen muss.

Verlag Transcript, 286 Seiten, kart. Preis 27,80 Euro

Autor: Arik Platzek