Die Nightline ist eine von Studenten geführte Telefonhotline, die in den nächsten Monaten den Greifswalder Studenten bereitgestellt wird. Neben dem Zuhörtelefon gibt es weitere Anlaufstellen, die psychologische Beratung anbieten.

Laut dem Studentenwerk wurden zu Beginn des Jahres 2010 über 60 der Studenten in Greifswald psychologisch und sozial beraten. Ende 2011 waren es bereits über 300, die die Beratung aufsuchten. Immer mehr Studenten nehmen psychologische Hilfe in Anspruch und holen sich bei Bewältigung von Leistungsdruck, Prüfungsstress und Motivationsproblemen Unterstützung von außen. Ein Grund könnte unter anderem die Umstellung der Diplom- und Magister-Studiengänge auf das Bachelor- und Master-System sein. Der daraus resultierende Druck auf die Studenten, aber auch private Anliegen machen die psychologische Beratung unabdingbar. Zwei Greifswalder Studentinnen kamen daraufhin auf die Idee, eine „Nightline“ in Greifswald aufzubauen.

Die Idee der „Nightline“ stammt aus dem Vereinigten Königreich und kam 1994 nach Deutschland. Dabei handelt es sich um ein Zuhörtelefon von Studenten für Studenten und soll vor allem nachts die Möglichkeit bieten, seine Sorgen mit jemandem zu besprechen. Die Universität Heidelberg war die erste Universität in Deutschland, die eine „Nightline“ aufbaute und in Betrieb nahm. Nun brachte die Medizinstudentin Julia, Vorstandsvorsitzende der neugegründeten „Nightline“ Greifswald, diese Idee zu uns. Seit Oktober 2011 ist sie zusammen mit Anne, ebenfalls Vorstandsmitglied, mit dem Aufbau beschäftigt. Den Wunsch dazu bekam Julia, weil sie selbst während ihres Studiums eine Phase hatte, in der es ihr nicht gut ging.

In Gesprächen mit Freunden stellte sie fest, dass es ihr sehr geholfen hatte, wenn andere einfach nur zugehört haben und ihr sagten, dass sie nicht mit ihren Gedanken allein sei. Wichtig war ihr auch, sich in der heutigen Ich-bezogenen Gesellschaft sozial zu engagieren: „Ich dachte mir, dass dies der erste Weg ist, auf einer anonymen Ebene zu helfen.“ Mitmachen sowie anrufen dürfen bei der „Nightline“ Studenten jeder Fachrichtung. Lediglich das Studentensein ist Voraussetzung um Gespräche zu führen, die auf gleicher Augenhöhe stattfinden sollen. Neben Hilfe durch Zuhören in emotionalen Angelegenheiten sollen auch Ratschläge das Studium betreffend erfolgen. Die beiden jungen Frauen betonen dabei, dass die Beratungsgespräche nicht auf professioneller Basis beruhen, dafür ist das Angebot niederschwelliger. Alles bleibt anonym, sowohl die Daten des Anrufers und seine Probleme als auch die Identität der „Nightliner“.

Der Vorstand der „Nightline“ steht auch in engem Kontakt zur seit 1994 bestehenden Ökumenischen Telefonseelsorge Vorpommern, die ihren Sitz in Greifswald hat. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche. Ihr Ziel ist es, Menschen in Krisensituationen zu unterstützen, bei Lösungsfindungen zu helfen und dies „unabhängig von Alter, Religionszugehörigkeit und Thema des akuten Problems“ zu tun. Telefondienst leisten kostenfrei und 24 Stunden lang ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter an den vier Standorten Greifswald, Rostock, Neubrandenburg und Schwerin. Im Jahr 2011 sind bei der Telefonseelsorge circa 8 000 Anrufe eingegangen. Wie bei der „Nightline“ ist auch hier die Anonymität gegeben. In Kooperation mit der Telefonseelsorge sollen für Mitwirkende der „Nightline“ Schulungen organisiert werden. Des Weiteren sollen Supervisionen mit dem Studentenwerk stattfinden, um die „Nightliner“ zusätzlich zu unterstützen.

Auch Matthias Tuve, der seit 2009 als Studentenpfarrer in Greifswald tätig ist, versucht durch Zuhören zu helfen. Sein Angebot nehmen vor allem ausländische Studenten wahr, die sich Sorgen um die Finanzierung ihres Studiums machen. „Besonders in Prüfungszeiten ist es schwierig, weil man nicht gleichzeitig für den Lebensunterhalt arbeiten und sich gut auf eine Prüfung vorbereiten kann. Da kann ich manchmal aus einem Notfonds helfen“, berichtet Tuve. Außerdem finden jeden Montagabend im Lutherhof Treffen der Evangelischen Studentengemeinde Greifswald statt, bei denen sich die Studenten über ihre Erfahrungen während des Studiums austauschen können.

Das grundsätzliche Ziel des Angebots ist das Zuhören auf empathischer Ebene: „Die Leute, die ernsthafte Probleme haben oder die über unsere rein empathischen Gespräche weitere Hilfe benötigen, sollen von uns zum Beispiel auch an das Studentenwerk weitergeleitet werden.“ Dort gibt es seit 2010 die psychologische Beratung sowie die Sozialberatung, die Studenten Lösungswege bei psychischen oder sozialen Problemen aufzeigen sollen. Diese Hilfe wird über die Semesterbeiträge finanziert. Zweimal in der Woche findet eine offene Sprechzeit beim Studentenwerk statt, es können aber auch telefonisch Termine vereinbart werden.

Je früher man die Beratung aufsucht, desto „mehr Einflussmöglichkeiten hat man. Die Studenten sollen nicht so lange warten“, findet die Geschäftsführerin des Studentenwerks Dr. Cornelia Wolf-Körnert. Vorher fand die Beratung extern statt, doch seit April 2010 empfängt der Psychologe Josef Linus Löbke Studenten während seiner offenen Sprechzeit dienstags zwischen 14 und 16 Uhr oder nach Vermittlung durch das Studentenwerk von Montag bis Freitag nach Vereinbarung. Löbke erzählt, dass seine offene Sprechzeit in der Vorlesungszeit „stark frequentiert“ wird, aber während der vorlesungsfreien Zeit eine größere Chance auf ein längeres Beratungsgespräch bestünde. Im Schnitt beanspruchen 14 bis 15 Studenten im Monat die kostenlose psychologische Beratung bei ihm und nehmen circa sechs Gespräche wahr. „Die psychologische Beratung im Einzelkontakt ist im wesentlichen eine lösungsorientierte Kurzzeitberatung und hat von daher nicht den Anspruch, eine umfassende ambulante Psychotherapie zu ersetzen“, erzählt Löbke. Zu den häufigsten Problemen unter den Studenten zählt er Schreibblockaden oder Prüfungsangst. Zum Teil kommen die Studenten auch wegen Depressionen, Angsterkrankungen oder familiären und partnerschaftlichen Problemen zu ihm in die Beratung. Auch bei Suchtproblemen ist er als Ansprechpartner.

Das Angebot der „Nightline“ empfindet Löbke als eine sinnvolle Ergänzung zur „klassischen Angebotspalette“. Als Vorteile sieht er, dass die Probleme an Gleichaltrige getragen werden können, die Hemmschwelle durch die Anonymität sinkt, und dass der Zugang zur Hilfe zeitnaher, direkter und unmittelbarer auch in der Nacht möglich ist. Die Hotline soll von montags bis freitags in der Zeit von 22 bis 2 Uhr nachts in Betrieb sein. Die beiden Vorstandsmitglieder raten, dass man wegen der in die Ausbildung investierten Zeit, Geld und Aufwand mindestens ein Jahr dabei sein sollte. Wahrscheinlich wird das Zuhörtelefon ab dem Sommersemester, spätestens zum nächsten Wintersemester starten.

Julia und Anne denken, dass die Hotline großen Anklang finden könnte, weil der Gesamtstress für Studenten in den letzten Jahren gestiegen ist. Obwohl Greifswald mit Abstand die kleinste Universitätsstadt ist, in der eine „Nightline“ aufgebaut werden soll, finden Anne und Julia, dass ein Anrufer pro Dienst besser wäre als gar keinen Service zu haben.

Ein Bericht von Irene Dimitropoulos und Marlina Schell mit einer Grafik von Daniel Focke