Das ewige Gezerre um die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern.

Seit Jahren klopft das Reformgespenst in Gestalt der Verwaltungsreform (sie beinhaltet Kreisgebiets- und Funktionalreform) an die Tore der Städte und Kreise. Kein anderes Thema bewegt unser Land auf kommunaler Ebene in den letzten Jahren so sehr wie dieses. Zur Erinnerung: derzeit gliedert sich Mecklenburg-Vorpommern in sechs kreisfreie Städte und zwölf Landkreise. Im Land tobt eine erbitterte Debatte um die geplante Kreisgebietsreform.

Aber was sind eigentlich „Landkreise“ und „kreisfreie Städte“ genau? Der Landkreis ist Gemeindeverband und kommunale Gebietskörperschaft, die die Garantie der Selbstverwaltung genießt. Zugleich sind sie untere staatliche Verwaltungsbehörde. Als Selbstverwaltungskörperschaft nimmt der Landkreis Aufgaben von überörtlicher Bedeutung wahr. Kreisfreie Städte sind Gemeinden, die keinem Landkreis angehören und insofern die Aufgaben, die sonst der Landkreis wahrnimmt, in eigener Zuständigkeit erledigen.

Wenn man die Geschichte der Kreisneuordnungen in Mecklenburg-Vorpommern mal etwas genauer betrachtet, so stellt sich heraus, dass es schon 1994 eine Kreisgebietsreform in unserem Bundesland gab. Auch die Vorgängerregierung unter der Führung von SPD und Die Linke hatten in den Jahren 2003 bis 2006 den Versuch unternommen, eine Neuordnung der Kreise durchzusetzen. 2004 beschloss die rot-rote Landesregierung den Entwurf für ein Verwaltungsmodernisierungsgesetz. Das Fünf-Kreis-Modell wurde festgeschrieben. Weitere damalige Reformbemühungen waren, die Landesverwaltung von damals 42 000 Landesbediensteten auf etwa 28 000 abzubauen. Darüber hinaus sollte die so genannte Doppelzuständigkeit von Behörden unterschiedlicher Verwaltungsebenen abgebaut werden.

Im Laufe des damaligen Gesetzgebungsverfahrens stellte sich relativ schnell heraus, dass von Seiten der Ministerien keine all zu große Neigung bestand, tatsächlich Aufgaben und Befugnisse auf die untere staatliche Ebenen zu übertragen. In den meisten Fällen war man allenfalls bereit, gewisse Aufgaben zu übertragen, wenn die Entscheidungsbefugnisse letztendlich in Schwerin verblieben. Für unsere Region sollte ein neuer Kreis unter Einbindung der Hansestadt Greifswald aus den Landkreisen Ostvorpommern und Uecker-Randow gebildet werden; er sollte den Namen „Südvorpommern“ tragen. Insgesamt sollten im Zuge der Reform fünf Großkreise entstehen. Kreisfreie Städte sollte es nicht mehr geben. Im September 2006 reichten elf der zwölf Landkreise und vier der sechs kreisfreien Städte, sowie die CDU-Landtagsfraktion Klage vor dem Landesverfassungsgericht ein.

Bekanntermaßen hat das Landesverfassungsgericht daraufhin 2007 das damalige Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Einer der Hauptkritikpunkte war der Umstand, dass durch die Neuordnung der Kreise ein Kreisgebilde entstehen würde, welches Dank seiner enormen Ausdehnung schwerlich mit den Anforderungen einer bürgernahen Repräsentanz in Einklang zu bringen wäre. Weitere Punkte waren unter anderem die fehlende Entwicklung eines Leitbildes und entsprechende Abwägung von Alternativen, die entsprechende Rücksichtnahme auf die Kommunalenselbstverwaltung und auf das öffentliche Gemeinwohl. Aber das Urteil war in der Fachwelt auch nicht ganz unumstritten.
Im Zuge der Landtagswahlen 2006 kam es dann zu einem Regierungswechsel. Die PDS (jetzt Die Linke) schied als Regierungspartner aus. An ihre Stelle trat die CDU als „Juniorpartner“. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen wurde beschlossen, das Projekt „Kreisgebietsreform“ weiter fortzuführen.

Doch warum braucht es überhaupt eine Kreisgebietsreform? Vorweg, eine Kreisgebietsreform ist eher eine politische Diskussion. Denn die Entscheidungsebene für einzelne Themen verschiebt sich, wie beispielsweise für Teile der Jugend-, Sozialhilfe und Schulträgerschaften. Jedem einzelnen sollte es aber auch nicht egal, sein wer etwa über die Berufsschulen und Gymnasien entscheidet. Demzufolge trifft es den Bürger anfangs nicht unmittelbar. Am spürbarsten ist es vielleicht beim künftigen Kfz-Kennzeichen. Vielmehr ist es eben auch eine Identitätsfrage für jeden einzelnen. Die Landesregierung begründet eine Kreisneuordnung mit dem Rückgang der Einwohnerzahlen im Mecklenburg-Vorpommern. Somit entgehen dem Land jährlich Zuschüsse vom Bund und der Europäischen Union in Millionen. „Weiterhin laufen die Solidarpakt II Mittel 2019 aus, dieser regelt die finanziellen Hilfen für die neuen Bundesländer. Dieses und das zukünftige Verschuldungsverbot des Landeshaushaltes bewirken, dass MV sich die bisherigen Kreisstrukturen nicht mehr weiter leisten kann“, führt hierzu Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns Lorenz Caffier (CDU) aus.

Um nun den Anforderungen des Landesverfassungsgerichtes gerecht zu werden, wurde ein so genanntes Leitbild entworfen, nach dem die Neuordnung der Kreise erfolgen sollte. Die Verfassungsrichter kritisierten seinerzeit, dass „schonende Alternativen“ nicht genügend geprüft worden seien. Man habe lediglich über ein Modell mit vier oder fünf Großkreisen entschieden. Diesmal prüfte das Innenministerium 13 Modelle. Ziemlich schnell kristallisierte sich heraus, dass nunmehr ein Modell mit zwei kreisfreien Städten (Schwerin und Rostock) sowie sechs oder sieben Landkreisen favorisiert werden sollte. Der im Juli 2009 eingebrachte Gesetzesentwurf der Landesregierung beinhaltet nun das so genannte 6+2 Modell.

Wichtig war dem Innenministerium hierbei, dass möglichst „keine Beschneidung von Kreisen“ erfolgt. Außer beim Landkreis Demmin ist ihnen das auch gelungen. Viel Wert legt das Ministerium ebenso auf die Einhaltung künftiger Einwohnerzahlen. Die Vorgabe aus dem Leitbild war hierzu 175 000 Einwohner pro Landkreis. Nur das zukünftige Nordwestmecklenburg liegt mit 163 689 Einwohner (Stand: 31.12.2007) darunter, der Rest liegt deutlich über 200 000 Einwohner. In Punkto Flächen weicht der Gesetzesentwurf ebenso deutlich vom Leitbild ab. „Um die Überschaubarkeit und die Kenntnis der regionalen Belange zu gewährleisten, sollte die Zielgröße der Fläche der Landkreise 4 000 km2 in der Regel nicht überschreiten“, heißt es hierzu im Punkt Flächenausdehnung des Leitbildes. Die Landkreise Südvorpommern und Südwestmecklenburg liegen deutlich über der Vorgabe von 4 000 km², Mecklenburgische Seenplatte sogar über 5 000 km². Dies ist laut Innenministerium „vernachlässigbar“.

Dem widerspricht Arp Fittschen, Referent beim Städte- und Gemeindetag MV (StGT), vehement: „Der Gesetzesentwurf macht die Ausnahme in vielen Punkten zur Regel.“ Aus Sicht des Städte- und Gemeindetages sprechen solch große Flächen nicht mehr für das Engagement im Ehrenamt. „Es geht an der Lebenswirklichkeit vorbei, was dort konstruiert wurde“, äußert Fittschen seine Bedenken. Schaut man sich die entsprechenden Gutachten genauer an, wird aber auch deutlich, dass gleichzeitig auf der anderen Seite Veränderungen vorgenommen werden müssen. Dies bedeutet zum Beispiel, dass eine „Professionalisierung in Gestalt hauptamtlicher Fraktionsmitarbeiter und der gegebenenfalls aufzuwertenden Teil- beziehungsweise Nebenamtlichkeit von Kreistagspräsidenten und Fraktionsvorsitzenden kaum vermeidlich erscheint.“

Parallel zur Kreisgebietsreform sank die Bereitschaft zu einer umfassenden Funktionalreform auf Seiten der Landesregierung stetig. Politisch entschied man sich dafür, die Kreisgebietsreform von der Frage der Funktionalreform im Wesentlichen zu trennen. Laut Innenministerium umfasst die Funktionalreform nunmehr „insgesamt eine Zahl von rund 200 Stellen.“ Aus dem ursprünglich angedachten Reformansatz ist nicht mehr als ein „Reförmchen“ übrig geblieben. Dies bemängelt auch Jörg Hochheim (CDU), Leiter des Amtes für Wirtschaft und Finanzen der Stadt Greifswald: „Der Gesetzentwurf der Landesregierung widerspricht dem vom Landtag aufgestellten Leitbild für eine Gebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern.

Der hierdurch vorgegebene Gesamtrahmen, der neben der in Rede stehenden Kreisgebietsreform vor allem eine wirkliche Funktionalreform, die Stärkung der Zentren, die Weiterentwicklung der Gemeindestrukturen und nicht zuletzt auch eine an diesen Vorgaben ausgerichtete Reform des Finanzausgleichs beinhalten sollte, wird nicht eingehalten.“ Auch StGT-Referent Fittschen mahnt an: „In punkto Abbau von Doppelzuständigkeiten ist zwischenzeitlich schon einiges auf der Strecke geblieben.“

Das Innenministerium spricht allein in den Kreisverwaltungen von insgesamt 700 bis 800 Stelleneinsparungen. Das bezweifelt sowohl Stadtkämmerer Hochheim, wie auch StGT-Referent Fittschen. Da aus ihrer Sicht die Zahlen nicht belastbar sind, werden im Ergebnis die Einspareffekte auch gegen Null laufen.

Weiterer Knackpunkt war die plötzlich entbrannte Frage um den Sitz der Kreisverwaltung („Kreisstadt“). Auch hier sah Greifswald wie der Verlierer aus. Die Landesregierung machte klar, dass sie Anklam als Kreissitz favorisierten. Die Begründung war die zentrale Lage der Stadt. Aber auch andere noch kreisfreie Städte waren nicht per se als Kreissitz auserkoren. Dies löste eine Welle der Empörung unter den Kommunalpolitikern der Städte aus. Kurz vor Ende der Diskussion zum Gesetzesentwurf versuchte sich das Innenministerium nochmals in Kompromissfindung und beteiligt nun die Bürger direkt und unmittelbar an der Kreisgebietsreform.

Im September 2011 wird dann nicht nur der neue Landrat und Kreistag gewählt, sondern auch der Name und der Sitz des Kreises. Das Verfahren soll sich so gestalten, dass die Kreistage und Stadtvertretungen der vier Städte, die eingekreist werden, je einen Vorschlag zu Namen und Kreissitz machen. Kreissitz kann dabei jede Stadt werden, die es heute schon ist oder die kreisfreien Städte, die in den Landkreis eingegliedert werden.

Abschließend erläutert Hochheim die Sicht der Stadt auf das Reformvorhaben so: „Im Ergebnis hat der Gesetzentwurf im Wesentlichen die Schaffung dauerhaft leistungsfähiger Landkreise zum Ziel. Ich bin hingegen der festen Überzeugung, dass von der Leuchtturmfunktion starker Zentren das gesamte Land profitiert. Die Einkreisung Greifswalds in den Landkreis Südvorpommern mag aus der Sicht des Landes zur finanziellen Stärkung des strukturschwachen östlichen Landkreises erforderlich sein. Eines steht aber bereits heute fest: Allein durch die von der Stadt Greifswald eingeforderte Solidarität mit dem sie umgebenden Landkreis, werden die dort bestehenden strukturellen Probleme nicht behoben werden können.“ Das Innenministerium sieht hingegen keinen zwingenden empirisch belegten Zusammenhang zwischen oberzentraler Funktion und Kreisfreiheit der Städte. Große Veränderungen oder gar eine Ablehnung des Entwurfes sind im Gesetzgebungsverfahren des Landtages nicht mehr zu erwarten.

Aber wenigstens sind sich alle Beteiligten in einem Punkt einig, eine Reform muss sein. Nur das „Wie“ ist eben der Kern des Problems. Hochheim stellt dazu fest: „Es macht durchaus Sinn, über die Zusammenlegung von zwei Landkreisen nachzudenken, wenn sich die Aufgabenerledigung im gemeinsamen Landkreis anschließend wirtschaftlicher erledigen lässt. Die Einkreisung der vormals kreisfreien Städte ist aber nicht per se wirtschaftlich, wie man auch dem Gesetzentwurf entnehmen kann. Das Land sollte nicht bei der Beschreibung des Status quo stehen bleiben, sondern versuchen, gegenläufige Strategien zu entwickeln.“ Ob es diesbezüglich ausreichend ist, allein auf der kommunalen Ebene durch den Abbau von Verwaltungseinheiten zu vermeintlichen Einsparungen zu gelangen, bezweifelt er aber.

Abzuwarten gilt, wer letztendlich gegen das Gesetz klagt und wie das neubesetzte Landesverfassungsgericht dann urteilt. Der Städte- und Gemeindetag bereitet schon mal die Klagen für Wismar und Greifswald vor. Hochheim stellt aber klar: „Die Entscheidung darüber, ob die Stadt gegen das Kreisstrukturgesetz klagen wird, trifft die Bürgerschaft. Den vorliegenden Entwurf des Kreisstrukturgesetzes, der auf dem 6+2 Modell beruht, hatte die Bürgerschaft bereits am 28. September 2009 nahezu einstimmig abgelehnt.“ Vielleicht wird die Reform dann wirklich eine unendliche Geschichte.

Chronologie

– Oktober 2002
Kurz nach der Landtagswahl kündigt der damalige Innenminister an, die zwölf Landkreise und sechs kreisfreien Städte zu vier Verwaltungseinheiten zusammen zu fassen.

– November 2004
Die rot-rote Landesregierung beschließt den Entwurf für ein Verwaltungsmodernisierungsgesetz. Das Fünf-Kreis-Modell wird festgeschrieben.

April 2006
Der Gesetzentwurf wird im Landtag mit 37 gegen 33 Stimmen beschlossen.

-Juli 2007
Das Landesverfassungsgericht stellt fest: die Kreisgebietsreform ist verfassungswidrig.

Juli 2009
Beschluss der Landesregierung MV und Übersendung in den Landtag MV:
• Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung zukunftsfähiger Strukturen der Landkreise und kreisfreien Städte des Landes Mecklenburg-Vorpommern
• Entwurf eines Gesetzes zur Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes
• Entwurf eines Gesetzes über die Zuordnung von Aufgaben im Rahmen der Landkreisneuordnung

-Juli bis Oktober 2009
Schriftliche Anhörung des Innenausschuss des Landtages MV. 144 Verbände, 12 Kreise, 6 kreisfreie Städte, 35 amtsfreie Städte und Gemeinden, 78 Ämter und 777 amtsangehörige Städte und Gemeinden sowie Prof. Dr. Helmut Klüter wurden angeschrieben. Auf diese insgesamt 1052 Schreiben gingen 160 Stellungnahmen ein und weitere 4 Stellungnahmen wurden unaufgefordert eingereicht.

-März 2010
Beratung des Innenausschusses zu den Gesetzesentwürfen

Ein Bericht von Torsten Heil