Aus dem moritz-Magazin November 2009 (80)

moritz_banner

“Wir verhandeln nicht”

Einer nach dem anderen strömen sie in den Saal, ein unruhiges Murmeln liegt in der Luft. In getrennten Blöcken nehmen sie Platz. In einem Teil des Raumes sitzen überwiegend Männer mit Anzügen und grau melierten Haaren, man kann ihnen den Wissenschaftler ansehen. Ihnen gegenüber sitzen gut gekleidete junge Menschen, überwiegend Frauen, sie unterhalten sich angespannt. In der ersten Reihe: Professorin Hannelore Weber, die geschäftsführende Direktorin des Instituts für Psychologie. Unter den Blicken der alten Preußenkönige auf den Gemälden an den Wänden entwickelt sich ein Bild, das die Vorgänge um das Psychologische Institut in den letzten Wochen und Monaten gar nicht besser beschreiben könnte.

Es ist der 27. Oktober, Konferenzsaal des Universitätshauptgebäudes, Fakultätsratssitzung der Philosophischen Fakultät. An diesem Tag berät das Gremium über die Zukunft des eigenen Hauses. Es berät darüber, wie es zu der Absicht der Psychologie steht, die Fakultät in Richtung des Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Nachbarn zu verlassen. Sie werden ein Papier verabschieden, welches den Wechsel strikt ablehnt, natürlich ohne die Stimmen der Psychologen. Es ist eine Abrechnung mit dem Institut für Psychologie. Es zeigt, in welcher verzweifelten Lage sich die Fakultät seit Jahren befindet und wie abhängig ihr Fortbestand von dem wechselwilligen Fach ist. Eins wurde schon während der Sitzung klar – egal wie der Streit ausgeht, danach wird nichts mehr so sein, wie es vorher war.

Caroline Wendt, 21 Jahre, Psychologiestudentin, befürwortet den Wechsel und begreift ihr Studium als ein empirisch-naturwissenschaftliches, der Umzug in die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät ist für sie daher nur die logische Konsequenz. Doch geht es in der Diskussion um mehr als nur die Entwicklung eines Faches. Es geht um den langfristigen Fortbestand der Philosophischen Fakultät, wie wir sie heute kennen. Es geht um die zentrale Frage: Darf ein Institut völlig selbstständig über seine Zukunft entscheiden? Oder muss das große Ganze der Universität als wichtiger erachtet werden?

“Eins macht Prof. Weber unmissverständlich klar: es gab nie Raum für Verhandlungen.”

Um die Vorgänge in ihrer Komplexität verstehen zu können, muss man vier Jahre zurück zu gehen. Herbst 2005, an einem kalten Novembertag, versammelt sich eine Gruppe von Studenten mit vollgepackten Rucksäcken vor der Mensa. Um 15:30 Uhr setzen sie sich in Richtung Rektorat in Bewegung. Operation „Gewürzgurke“ beginnt. Zeitgleich tagt im Alfried Krupp Kolleg der Senat der Universität. Die neue Zielvereinbarung zwischen Land und Hochschule steht auf der Tagesordnung.

Durch eine Änderung des Landeshochschulgesetzes kann das Bildungsministerium entscheiden, welche Studiengänge erhalten bleiben. Die einzige Möglichkeit für die Universität mitzureden, ist der Abschluss einer Zielvereinbarung. Zumeist kommt dabei ein fauler Kompromiss heraus. Die Eckdaten des damaligen Papiers: 190 gestrichene Stellen bis 2017, überwiegend bei den Geisteswissenschaften. Die Anglistik, Romanistik, Altertumswissenschaften, die Sportwissenschaft, sowie große Teile der Erziehungswissenschaften sollen geschlossen werden. Die Pläne für einen Master of Education werden auf Eis gelegt. Der Ausverkauf der philosophischen Fakultät hat begonnen.

Angesichts solcher Szenarien war die Stimmung im Saal gereizt, als plötzlich die Nachricht die Runde macht, dass zwanzig Studenten das Rektorat in Beschlag genommen haben. Die Prorektoren verlassen sofort den Saal.Rektoratsbesetzung_2005_mm80

19:30 Uhr, draußen ist es bereits stockfinster, als Rektor Westermann das besetzte Rektorat betritt. Es beginnen zähe Verhandlungen mit den Besetzern. Ihre Forderung ist eine Denkpause in der Diskussion um die Umsetzung der Kürzungsforderungen aus Schwerin. Doch helfen tut es alles nichts. Am 1. Februar 2006 beschließt der engere Senat die zwischen Land und Universität ausgehandelte Zielvereinbarung. In ihrem Beschluss stellen die Senatoren jedoch fest, dass „die der Universität durch Bildungs- und Finanzministerium auferlegten Mittelkürzungen eine gedeihliche Entwicklung ihrer fünf Fakultäten nicht mehr zulassen und zu erheblichen Einschnitten führen, die insbesondere die Philosophische Fakultät schädigen und ihre Existenz in Frage stellen“.

Rektor Westermann_mm80

Rektor Prof. Rainer Westermann

Beim Zustandekommen der Unterschrift kam Rektor Westermann eine höchst undurchsichtige Rolle zu. Wie der moritz in seiner 52. Ausgabe berichtete, war der Fortbestand der Anglistik und der Altertumswissenschaften eng mit dem Schicksal des Master of Education verknüpft. Dieser sei allerdings von der Agentur Acquin als nicht akkreditierfähig eingestuft worden. Weiter heißt es in dem Artikel, dass Theologieprofessor Roland Rosenstock das Rektorat beschuldigte, der Agentur die falschen Unterlagen zugesandt und damit bewusst in den Akkreditierungsprozess eingegriffen zu haben. Besonders pikant wird es, wenn man den Bericht der Agentur selber liest. Dort heißt es, dass man sich des Verdachts nicht verwehren könne, dass das Akkreditierungsverfahren benutzt werden sollte, um die Streichung von Studiengängen zu instrumentalisieren.

Drei Jahre vergehen, wir schreiben den 11. August 2009. Der Rektor lädt zur Dienstberatung in sein Büro. In diesem Gremium treffen sich das Rektorat, die Dekane, sowie Vertreter der Studierendenschaft, um über grundsätzliche Angelegenheiten der Universität zu beraten. An diesem Tag will Rektor Rainer Westermann den Antrag besprechen, der für das nächste halbe Jahr eine Welle der Diskussion auslösen wird. Es geht um den Wechsel der Psychologie in die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät.

In dem Brief, unterschrieben von Professorin Hannelore Weber im Namen des gesamten Instituts, werden drei zentrale Argumente als Wechselmotivation angeführt. Zum einen die fachliche Nähe zu den Naturwissenschaften, zum anderen die geplante Einführung des Bachelor of Science, die in der Philosophischen Fakultät nicht möglich sei. Zum Dritten die gewachsene Wichtigkeit von Zeitschriften-Publikationen im Fach der Psychologie, eine Entwicklung, die in den Geisteswissenschaften nicht stattgefunden habe.

Die Diskussion verläuft erstaunlich ruhig, viel Gegenwind gibt es nicht. Nach fünf Minuten ist das Thema abgehakt. Der Dekan der Philosophischen Fakultät, Professor für Kirchenmusik und Orgel Matthias Schneider, beendet das Gespräch mit den Worten: „Reisende soll man nicht aufhalten.“ Erst viele Wochen später beschreibt er die vorgetragenen Argumente der Psychologie als „ausgesprochen schwach“.

Seine Fakultätsangehörigen informiert er allerdings nicht, doch auf den Fluren beginnt es bereits zu rumoren. Von dem Wechselwillen erfahren die meisten offiziell aber erst in der Senatssitzung am 16. September. Während des Berichts des Rektorats können die meisten Anwesenden ihren Ohren kaum trauen.

Sie erfahren nicht nur vom Antrag der Psychologie die Fakultät wechseln zu wollen, Rektor und Psychologieprofessor Westermann legt sogar gleich einen fertigen Beschluss vor.

„Das Rektorat ordnet (…) zum 1. Januar 2010 das Institut für Psychologie mit seinen Professoren, Mitarbeitern und sachlichen Ressourcen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zu“, heißt es in dem Papier. Wieder einmal ist seine Rolle dabei zweifelhaft, denn um die Notwendigkeit, gleich Nägeln mit Köpfen zu machen, gibt es unterschiedliche Meinungen.

„Es ging rechtlich nicht anders. Das Rektorat musste eine vorläufige Entscheidung treffen und mit dieser Entscheidung zu Senat und Fakultät gehen, um sie nach ihrer Meinung dazu zu fragen“, rechtfertigt sich Rektor Westermann, „wir können nicht palavern, sondern müssen den Anzuhörenden sagen, was wir zu entscheiden gedenken“. Er betont, dass er in der Dienstberatung die Dekane auf den Sachverhalt hingewiesen habe, es aber auch seitens Professor Schneider keine Einwände gegeben habe.

Professor Jürgen Kohler, der selbest einmal Rektor der Universität Greifswald gewesen ist, sieht das anders. „Es ist ein entscheidender Unterschied, ob das Rektorat etwas zu bedenken gibt oder einen anordnenden Beschluss festlegt, der lediglich unter dem Vorbehalt des Widerrufs steht. Ich sehe nicht ein, warum das nötig ist. Es hätte völlig ausgereicht eine Tendenzmeldung auszurichten, wie das Rektorat im Augenblick zu entscheiden gedenkt“, stellt er seine Position klar.

Außerdem könne ein Rektorat nicht über die Grundausrichtung eines Instituts entscheiden, wie es das mit seiner Aufforderung in seinem Beschluss, sich stärker naturwissenschaftlich zu orientieren, getan hat. „Es macht mich traurig, wie wenig Leuten auffällt, was da passiert. Dabei ist die Zielstellung klar: bei der nächsten Kürzungsrunde den ganzen Laden dicht zu machen“, konstatiert Kohler seine düsteren Prognosen für die Philosophische Fakultät.

„Dabei ist die Zielstellung klar: bei der nächsten Kürzungsrunde den ganzen Laden dicht zu machen“

Das Rektorat plante, bereits in der Oktobersitzung des Senats die entscheidende Anhörung durchzuführen. Das hätte die Philosophische Fakultät unter enormen Zeitdruck gestellt, eine Stellungnahme auszuarbeiten. Daher erbat sich der Senat mehr Zeit, die Anhörung soll nun im Dezember stattfinden. Doch kann er bei dieser Anhörung keine Änderung erzwingen, sondern lediglich ein Meinungsbild beschließen. „Das letzte Wort hat das Rektorat, das ist vom Gesetz so festgelegt“, stellt Rektor Westermann fest.

Die Philosophische Fakultät reagiert. Es wird eine außerordentliche Sitzung einberufen. Nach dreistündiger Debatte wird ein Meinungsbild beschlossen. Eine klare Mehrheit von vierzehn Stimmen sprechen sich gegen einen Wechsel aus. Aus dieser Diskussion entsteht im Großen und Ganzen das Papier, welches in der Fakultätsratssitzung unter den Augen der Psychologiestudenten, angeführt von der Geschäftsführenden Direktorin, dann auch endgültig beschlossen wird.

Darin widerspricht die Fakultät den Argumenten der Psychologen und betont, wie sehr die Psychologie von Zugeständnissen der Fakultät in der Vergangenheit profitiert habe. So habe sie bei der großen Kürzungsrunde 2005/2006 nur eine einzige Mitarbeiterstelle verloren, während an anderer Stelle ganze Institute geschlossen wurden. „Hätten wir früher von dem Wechselwillen gewusst, hätten wir einige Strukturentscheidungen anders getroffen“, betont Dekan Schneider.

Hannelore Weber sitzt in ihrem Büro und nippt an einer Tasse Kaffee. Die grauen Haare sind zu einer strengen Frisur geschnitten. Ihr markantes Kinn gibt ihr eine gewisse Strenge, die so gar nicht zu der hellen und freundlichen Stimme passen will. „Das Fachverständnis der Psychologie hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Wir sind mittlerweile noch viel stärker auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen hin orientiert, als es von Anbeginn der Fall war. Uns fehlt die fachliche Nähe zu den anderen Instituten der philosophischen Fakultät“, erklärt sie die Wechselabsichten ihres Hauses. Das sei ein bundesweiter Trend, dem man folgen müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Der Raum ist vollgestellt mit Büchern, vor den Fenstern beginnt es bereits dunkel zu werden. Die Psychologin zeigt sich erstaunt über die harsche Reaktion der Fakultät, Strukturen würden sich nun einmal ändern, das seien ganz normale Vorgänge. „Zwar verstehe ich, dass es bei der Entscheidung einen Interessenkonflikt gibt. Doch mich stört, dass die Reaktion der Fakultät den Charakter einer Abrechnung mit der Psychologie bekommen hat“, erklärt sie, ihre Stimme wird schneller beim Sprechen. „Auch bei der letzten Kürzungsrunde haben wir nicht gepokert, sondern auf unserer Größe bestanden, weil es uns an dieser Universität sonst nicht mehr gegeben hätte. Wir leben am Existenzminimum.“

Eins macht sie unmissverständlich klar: Es gab nie Raum für Verhandlungen. Die Entscheidung stand fest, die Psychologie will die Philosophische Fakultät verlassen. Wohin, da schien man sich nicht ganz einig gewesen sein. Auch Hannelore Weber dementiert eine lockere Anfrage an die Medizinische Fakultät nicht. Alles läuft nun auf die Anhörung im Senat im Dezember hinaus. Sie wird der Showdown.

Doch was steckt wirklich dahinter? Warum so ein großer Aufruhr um den Wechsel eines Instituts? Was sind die wahren Hintergründe?

Alles deutet darauf hin, dass das Ziehen und Drängeln um die neue Zielvereinbarung begonnen hat. Denn die alte läuft Ende 2010 aus, es geht nun darum wie die Universität nach 2017 aussehen soll.

Doch die wahren Strippenzieher findet man nicht in Greifswald, auch nicht im Rektorat. Die Entscheidungsträger mit Macht sitzen in Schwerin, Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Abteilung 3, Referat 310. Seit einiger Zeit wird dort an einem geheimen Papier gearbeitet, welches die Hochschullandschaft im nordöstlichsten Bundesland der Republik umkrempeln soll. Ziel ist es, die beiden großen Universitäten Rostock und Greifswald stärker auszudifferenzieren. Zwei Volluniversitäten seien bei der demographischen Entwicklung ein großer Kostenfaktor für das Land. Zentraler Eckpunkt, der immer wieder durchsickert, ist die komplette Verlagerung der Lehrerbildung von Greifswald nach Rostock.

Solche Absichten bringen bei den Verantwortlichen der Geisteswissenschaften in Greifswald die Alarmglocken zum Läuten. Nachdem beim Aderlass 2006 viele Institute verloren gingen und immer wieder hinter vorgehaltener Hand über einen Wechsel der Politikwissenschaft in die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät geflüstert wird, würden mit der Psychologie und der Lehrerbildung zwei weitere zentrale Standbeine die Fakultät verlassen. Die Psychologie generiert immerhin die Hälfte aller eingeworbenen Drittmittel der Fakultät, über eine halbe Million Euro.

Ein Weggang würde sich auf die finanzielle Lage äußerst negativ auswirken, denn nach einem neuen Verteilungsschlüssel der Universität sollen sich die eingenommenen Drittmittel zu einem großen Teil auf die interne Mittelverteilung der Universität auswirken. Zwar betont der Rektor, gegen die Abschaffung der Lehrerbildung zu intervenieren. Doch umso unverständlicher ist die Entscheidung, der Psychologie, welche maßgeblich an der Lehrerbildung beteiligt ist, grünes Licht für einen Wechsel zu geben. Wird damit nicht den Plänen des Bildungsministeriums in die Karten gespielt?

„Die Lehrerbildung darf nicht tangiert werden, daher haben wir die Lehrverpflichtungen in unserem Beschluss auch bewusst festgeschrieben“, entgegnet Westermann den Vorwürfen.

Eine Schwächung der Fakultät durch den Wegfall der Psychologie sieht er nicht, dieser hätte keine negativen Auswirkungen auf die Lehrerbildung in Greifswald. Dass man in dieser Frage durchaus anderer Meinung sein kann, zeigt das Verhalten der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in den vergangenen Jahren. So wurde vor einigen Jahren noch eine Lehrerbildung in Biologie, Chemie, Geographie, Informatik, Mathematik und Physik angeboten. Übrig geblieben ist lediglich die Geographie. Rektor Westermann betont jedoch, dass sein Beschluss kein Verfallsdatum habe und daher auch nach 2017 bindend sei. „Ich erwarte jedoch mehr konkrete Planungen der Philosophischen für den Erhalt der Lehrerbildung, das wäre schon die halbe Miete“, fordert er.

Die Entscheidung über die Psychologie könnte zur Schicksalsfrage werden. Nicht nur über den Fortbestand der philosophischen Fakultät und damit der Rolle der Uni Greifswald als Volluniversität, sondern darüber, wo bei einer Hochschule die Maßstäbe für Erfolg angelegt werden. Muss eine Uni profitabel sein? Kann der Wert von Bildung in Zahlen beziffert werden? Und wer sollte überhaupt über die Zukunft einer Hochschule entscheiden? Beamte in fernen Ministerien oder das Fachpersonal der Hochschulen selber? Bisher sehen die Aussichten düster aus, der Ausverkauf der Philosophischen Fakultät geht weiter. Wenn es dabei bleibt, gibt es für den letzten, der übrig bleibt, nur noch die Aufgabe, das letzte Licht zu löschen.

Ein Artikel von Alexander Müller und Daniel Focke.

Bilder: Archiv