moritz 90 – April 2011 – Strahlende Nachbarschaft

moritz 90 – April 2011 – Strahlende Nachbarschaft

Hinterlasst Spuren

Was, da gehst du freiwillig hin?“ Mein Gegenüber blickt mich verständnislos an. Jetzt bloß schnell und geistreich antworten. „Ja, wieso?“. Prüfende Blicke, man glaubt mir nicht, vermutlich werde ich dafür bezahlt, die nächsten drei Jahre in Greifswald zu studieren. Witzigerweise löst schon ,,Mecklenburg-Vorpommern“ in weiten Teilen meiner mittelfränkischen Heimatstadt pawlowsche Reflexe aus: Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, neue Bundesländer – Rechtsradikalismus sowie Arbeitslosigkeit, um nur einige der Assoziationen aufzuführen. Neu hinzu gekommen sind die Castor-Transporte und dort, wo sich für gewöhnlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, mahnten und wachten im Dezember und Februar Atomkraftgegner, rundum geschützt von treusorgenden Beamten. Was die Bewohner der umliegenden Dörfer von dem ungewohnten Rabatz mitbekommen haben, versucht unsere Reportage auf Seite 26 zu ergründen.

Das Schöne an Vorurteilen oben genannter Art ist ja, sie unter „Mauer in den Köpfen“ zu archivieren und die geschmähte Stadt unbefangen und neugierig zu entdecken. Das Schöne an Greifswald wiederum ist, dass Erkundungen dieser Art meist kurz und intensiv sind und man sich danach sogleich an die Steigerung studentischer Lebensqualität wagen kann. Möglichkeiten hierzu bieten verschiedene Vereine, von denen wir euch einige auf Seite 36 vorstellen.

Wer in diesen Tagen sein Studium in Greifswald aufnimmt, kommt mit ein bisschen Glück in den Genuss erster wärmerer Tage nach einem weiteren deutschen Jahrhundertwinter. Wehret jedoch den Anfängen der Frühjahrsmüdigkeit, denn dank medial in Erscheinung getretenem „Rechtsprofessor“ und dem für Furore sorgenden Namensstreit um Ernst-Moritz brodelte es in der Vergangenheit immer wieder. Und das ist gut so. Stillstand sollte auch weiterhin anderen überlassen werden und der Horizont der Studierenden nicht an der Fassade der Bibliothek enden. Ein wichtiger Baustein ist hier die studentische Selbstverwaltung. Mit der Frage, wie das Uni leben wohl ohne sie aussähe, beschäftigt sich unser Artikel auf Seite 8.

Ein inzwischen schon ziemlich ausgelutschter Kalauer besagt, dass man in Greifswald immer zweimal, nämlich zu Beginn und Ende des Studiums, weint. Wer zwischen diesen tränenreichen Ereignissen Frohsinn, Heiterkeit und Raum zum Ausprobieren sucht, der schaue doch mal dienstags um 20 Uhr in der Rubenowstraße 2 bei der Redaktionskonferenz vorbei. Wir freuen uns auf euch und eure Ideen!

Ole Schwabe

Das komplette Heft könnt ihr in kürze hier als pdf herunterladen, ausgewählte Artikel könnt ihr wie immer direkt online lesen und kommentieren.

In eigener Sache: Triff die moritz-Medien in der Ersti-Woche!

Wie arbeiten die moritz-Medien, kann ich da eigentlich mitmachen und wer steckt hinter der TV-, Magazin- und Webredaktion? Diese und weitere Fragen beantworten die Mitglieder der studentischen Medien gerne. Dazu gibt es einige Gelegenheiten während der Ersti-Woche: Beim Markt der Möglichkeiten und beim Mediencafé zum Beispiel. Am Donnerstag stellen sich auf dem Markt  die drei Redaktionen von 16 bis 18 Uhr im Mensafoyer vor und beantworten gestellte Fragen.

Der Flyer zum Mediencafé verspricht Kuchen, so lange der Vorrat reicht.

Am Sonnabend, dem 2. April, laden die moritz-Medien dann zum Mediencafé in ihren neuen Räumlichkeiten in der Alten Augenklinik, Rubenowstraße 2, ein. Interessierte müssen zwar einige Stufen erklimmen, dafür gibt es aber Kaffee und Kuchen ab 10 Uhr. Außerdem sind wieder Redaktionsmitglieder von TV, dem Magazin und vom webMoritz vor Ort, um euch Fragen zu beantworten und zu zeigen, wie sie arbeiten. Dabei sind nicht nur Erstsemester herzlich willkommen, jeder kann bei uns vorbeigucken und mitmachen!

Wer vielleicht zur Erstsemesterwoche noch nicht wieder in Greifswald ist, aber sich dennoch bei den moritz-Medien einbringen möchte: Kein Problem! Wir nehmen immer gerne neue Mitglieder auf. Kommt einfach zu unseren Redaktionssitzungen, die ab der Vorlesungszeit wieder wöchentlich abgehalten werden. Die webMoritz-Redaktion trifft sich jeden Montag, das moritz Magazin hält seine Redaktionssitzung am Dienstag und moritz TV am Mittwoch. Jeweils um 20 Uhr beginnen diese in der Rubenowstraße 2.

Flyer: moritz-Medien

moritz 89 – Januar 2011 – Mietmonster sucht Greifswald heim

Gruß aus dem Sommer

Das Silvester mit seinen guten Vorhaben und Wünschen liegt schon ein Monat hinter uns. Kaum einer erinnert sich noch an seine guten Versprechen. Besonders jetzt nicht, wo die Stunde der Wahrheit schlägt.

Der Klausuren-Marathon hat bereits angefangen und vielleicht sollte man sich seine guten Ziele noch ein Mal vor Augen führen, um sich im Alltag des Paukens nicht zu verlieren. Das Leben in Büffeltanien ist schwer: man beneidet oft die, welchen das Wissen förmlich zufliegt und verdammt sich selbst dafür, dass man wieder so spät mit dem Lernen angefangen hat. Doch ist es wirklich für alle Büffler immer nur das Gleiche? Wie schafft diese Hürde, jemand der, zum Beispiel an Autismus leidet und mit zusätzlichen Aufgaben kämpfen muss?

In diesen Zeiten von durchzechten Nächten, Kartei-Karten-Alpträumen und eiserner Selbstdisziplin hat das moritz-Team neben dem Studium weiter Ideen gesammelt, recherchiert, geschrieben und korrigiert. Das Ergebnis dieser Arbeit liegt gerade vor Euch. Der Hochschulpolitische Teil trägt mit der Bilanz der Wahlen vom Januar in dieser Ausgabe eine ganz besondere Bedeutung. Vielleicht kennt Ihr jemanden von den letzten Studierendenparlament- und Senatswahlen, das ist in Greifswald ja sehr gut möglich. Unfassbar, aber schon im Januar herrscht Tauwetter, dieses Mal nicht nur im StuPa, sondern auch draußen.

Wenn der graue Schnee seinen Zauber verliert und als hässliches Naturwrack abtaut, entdecken viele von uns ihre leidenschaftliche Liebe zur asphaltierten Straße neu. „Auf Wiedersehen“ dicke Ski-Jacken und „Hallo“ Fahrradfahren! Dieses frühe Tauwetter ist wie ein Gruß aus dem bevorstehenden Sommersemester. Es sagt uns: „Hey, hier ist es doch ganz nett im Frühling.“ Bald füllt sich die Stadt mit neuem Leben, sie wird plötzlich grün statt grau, wird wahnsinnig lecker nach Grill riechen und wieder kurze Röcke tragen. Doch allein über der WVG sammeln sich dunkle Wolken an, obwohl es in dem Fall Rekordeinnahmen regnet, wurde bereits die nächste Mieterhöhung angekündigt. Die Kritiker stehen Schlange.

Aber erst einmal kommen die Ferien und in ein, zwei Wochen werden wir uns in Richtung Süden verabschieden und verschwinden aus Greifswald. Dann wird die Hansestadt lange Zeit leer und ruhig sein, bis sie sich mit Frühlingsgefühlen und lachenden Studenten-Scharen füllt. Sehr bald schon werden uns die Sonnenstrahlen im Unterricht stören und blenden. Das ist doch das schöne am Winter, dass nach ihm der Frühling kommt und dann werden alle Wünsche und gute Vorhaben hoffentlich in Erfüllung gehen.
Bis zum Sommersemester!

Anastasia Statsenko

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Bye bye Wollweber – Ein Porträt

Von Christine Fratzke und Marco Wagner

Es wird sich einiges ändern für die moritz-Medien. Nun verlassen wir unser altes Domizil in der Wollweberstraße 4 und ziehen in die Rubenowstraße 2. Wir verabschieden uns von unserem langjährigen zu Hause und blicken zurück.

Ein graues Gebäude, am Rand der Innenstadt. Der Putz an der Fassade bröckelt hier und da. Maulwürfe, die auf Raketen sitzen und lächeln. Am Eingang ein altes Schild: Schwangerschaftsberatungsstelle. Die massive Holztür quietscht, die Farbe wurde schon drei oder vier mal überstrichen und blättert ab.

Es folgt eine zweite, graue Flügeltür. Rechterhand erstrecken sich die Räume des GrIStuF-Vereines. Die verfügbaren Räume sind eigentlich viel zu klein für all die Möbel, technischen Geräte und was man sonst noch zu einem Festival braucht. Doch besser wenig Raum in einem charmanten Gebäude, als gar kein Raum. Beim Durchschreiten des Erdgeschosses lassen wir die Kellertür und die einer Abstellkammer hinter uns und gehen in den Garten. Zumindest war es mal einer. Die Tür wird von wild wuchernden Büschen umrankt. Links und Rechts der Wiese erstrecken sich die vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Hinterhofgebäudes.

Polizei zu Gast in der Wollweberstraße

Verlassen stehen sie da und fallen so vor sich hin, liegen in einem ewigen Dornröschenschlaf. Dennoch, das Haus war, so lange es von GrIStuF und den Moritz-Medien benutzt wurde, keine graue Maus am Straßenrand. Es war alt, verfallen, lebendig und dadurch bunt und jung. Unzählige Partys fanden statt, die Polizei recht oft zu Gast in diesem Haus: „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass es bereits nach 22 Uhr ist und Sie bitten, leiser zu sein.“ Manchmal kam es auch vor, dass sich die Polizei fast schon entschuldigte, diese Worte sagen zu müssen. Scheinbar schlug sich der morbide Charme des Gebäudes mit dem geselligen Leben auch auf die Beamten nieder, erinnerte sie vielleicht auch an ihre eigene Studienzeit – wer weiß.

Doch zurück zum Flur des Hauses, schließlich wurden ja noch gar nicht das Obergeschoss in Betracht gezogen. Die hölzerne Treppe schlängelt sich laut knarzend, manchmal recht uneben nach oben. Sie hat auch schon einmal bessere Tage gesehen, ist mittlerweile leicht abschüssig.

Betritt man die Räumlichkeiten, fallen zuerst die alten flying moritz-Ausgaben auf, mit denen der kleine Flur tapeziert wurde. Es scheint eine alte Wohnung zu sein mit drei Räumen: einem Flur, einem Bad und einer Abstellkammer. Links befindet sich das Büro von moritzTV. Eine rote Couch auf der einen Seite, auf der schon viele Redakteure schliefen, wenn sie bis Nachts arbeiteten und am nächsten Morgen eine Vorlesung hatten. Auf der anderen Seite im Raum eine lange Tischplatte, auf denen Monitore stehen und Computertastaturen mit bunten Tasten. Die Kenner wissen: Die sind zum Schneiden der Beiträge wichtig.

Rechterhand befindet sich ein großer Raum, mit einer alten Couch, die ein wenig staubig, aber nach wie vor bequem ist, ein paar Stühle, manche von ihnen fallen bereits auseinander, die um mehrere zusammengestellte Tische herumstehen. Hier finden drei Mal die Woche Redaktionssitzungen statt: Themen werden besprochen, Beiträge ausgewertet, Aufgaben verteilt. Es wurde diskutiert, manchmal auch gestritten – meist konstruktiv. Im Winter ist dieser Raum aber auch häufig Treffpunkt für gemütliche Abende bei Lebkuchen, Keksen und Glühwein gewesen. Wie es in dem Redaktionsraum aussieht und wie dort gearbeitet wird, zeigt auch die neue Studentensitcom poritzTV.

Vögel verirrten sich im Haus

Daran schließt sich das nächste Büro an, in der die Redaktionen vom moritz Magazin und webMoritz arbeiten. Auch die Geschäftsführung der moritz Medien hat hier ihren Arbeitsplatz und kümmert sich um den finanziellen und wirtschaftlichen Betrieb. Insgesamt sind die Räume alle ziemlich staubig, das Parkett zertreten, die Wände rissig.

Ab und an verirrt sich ein Spatz oder eine Amsel in die Räume, wenn mal wieder ein Fenster weit offen stand. Panisch und ängstlich flattern die Vögelchen dann durch die Räume, jedes Fenster wird geöffnet, in der Hoffnung, er findet das Licht zur Freiheit wieder. Meistens haben sie dann wieder heraus gefunden. Und es schien uns zumindest für einen kurzen Moment, dass Sie uns dankbar waren, dass wir Sie wieder in ihre Freiheit verließen. Das war Sie, die Wollweberstraße vier. Ein Haus mit einer langen, wechselvollen Geschichte. Zuletzt alt, brüchig und von Studentinnen und Studenten am leben gehalten und gestaltet, dem Gebäude den Charme eines Hausbesetzer-Hauses der 60iger Jahre verliehen.

Ende Januar geht die Ära Wollweberstraße 4 zuende. Für den GrIStuF e.V. und die Moritz-Medien. Ganz freiwillig ist dieser Abschied nicht, hängen doch viele schöne Erinnerungen an diesem alten Gemäuer. Ab nächster Woche wird dann, zumindest was die moritz-Medien betrifft, in der Alten Augenklinik in der Rubenowstraße 2 weiter gearbeitet werden.

Fotos: Marco Wagner

moritz 88 – Dezember 2010 – Unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern

Perspektivwechsel

Festgefahrene Bilder hinterfragen, den Blick hinter die Kulissen, auf die tatsächliche Beschaffenheit der Dinge wagen. Was bei Wikileaks ein in höchstem Maße gespaltenes Echo hervorrief, dürfte in Mecklenburg-Vorpommern eher auf breites Desinteresse stoßen. Doch nicht an der politischen Fassade wollen wir rütteln, sondern das Bild des Bundeslandes aufhellen, dem Klischee zum Trotz. Wir haben uns nicht mit der Annahme zufrieden gegeben, dass MV außerhalb der großen Städte nur braunen Sumpf, Fisch und gähnend weite Landschaften zu bieten hat.

Was steckt hinter den Bahnhöfen, an denen nie jemand ein-, geschweige denn aussteigt? Was steckt hinter den Gebäuden, die wie große, einsame Zeugen menschlichen Scheiterns den natürlich Horizont durchbrechen? Was kann man wirklich im vermeintlichen Niemandsland Mecklenburg-Vorpommern finden? Unsere Redakteurinnen haben sich auf die Suche nach dem Klischee des nordöstlichen Bundeslandes gemacht. Fernab der üblichen Haltestellen zogen sie durch weitläufige Landschaften und fanden neben aufgegebenen Bahnhöfen und beinahe isolierten Wohngebieten auch historische Touristenattraktionen oder eine Sternenwarte auf dem Land (Seite 26).

Wer das Aussteigen an den kaum beachteten Orten wagt, wird mehr finden, als die Scheuklappen-Schablone hergibt. Aber nicht nur unumstritten Positives gilt es im nordöstlichen Bundesland zu entdecken: Neben den von den Zugfahrten bekannten, riesigen Feldern tendiert auch der tierzüchtende Agrarbetrieb Mecklenburg-Vorpommerns zur rationalisierten und überdimensionierten „Intensivtierhaltung“. In Alt Tellin im Landkreis Demmin wird nun eine so genannte „Ferkelaufzuchtanlage“ gebaut, die in ihren Ausmaßen jede Vorstellungskraft sprengt (Seite 29).

Um die Geheimnisse des Nachbarlandes Polen zu ergründen, muss man als Greifswalder nicht einmal in den Zug steigen. Der Greifswalder PolenmARkT zeigt Jahr für Jahr, dass man in Polen nicht nur billige Zigaretten kaufen und sein Auto wieder finden kann. Das Kulturfestival bietet ein umfangreiches Programm. moritz hat mit ausgewählten Künstlern über ihre Arbeit und ihre Heimat gesprochen, das Ergebnis könnt ihr auf Seite 36 lesen.

Es gibt noch viel zu entdecken in Mecklenburg-Vorpommern und Umgebung, man muss nur den Schritt an der richtigen Stelle aus dem Zug wagen.

Patrice Wangen

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