Freitag: Literat Jonas T. Bengtsson liest in Greifswald

Ein Gastbeitrag von Mattthias Jügler

Jonas T. Bengtsson kommt nach Greifswald. Der Shooting-Star der dänischen Literaturszene wird am Freitag, dem 14. Mai, ab 20 Uhr im Koeppenhaus aus seinen Büchern »Aminas Briefe« und »Submarino« lesen – in seiner Muttersprache. Anschließend werden Studenten die deutsche Version vortragen. Die Veranstaltung ist Teil des “Nordischen Klangs“.

Cover

Keiner bekommt gerne ein Stück rohes Fleisch vorgesetzt. Vor allem mit »Submarino« macht Bengtsson aber genau dies. Er schreibt nicht schön, lieblich und steht so gar nicht für das, was wir Deutsche erwarten, wenn wir an Skandinavien, im Speziellen an Dänemark denken: Schönes Land, schöne Strände und wenn‘s regnet, dann ab ins Legoland. Das gibt es nicht bei Bengtsson. Und das ist gut, dass der da gar keine Lust drauf hat.

Die Geschichte zweier Brüder, die ganz fragmentarisiert, sagen wir: scheibchenweise geschrieben ist, ist gespickt mit Gewalt, Angst, Drogen, Sehnsucht und ein bisschen Liebe. Alles in Kopenhagen. Die Stadt mit der Meerjungfrau auf dem Stein, dem Fußballklub, den schönen Promenaden, der schicken Oper auf der Insel Holmen, dem neuen Schauspielhaus, den netten Bars und Restaurants, etc. Das ist aber nicht Bengtssons Kopenhagen. Im städtischen Kosmos des 34 Jahre alten Dänens gibt es beispielsweise Nick, der in Muckibuden trainiert, aus denen er nicht lebend rauskommt, weil vorm Eingang zwanzig Leute warten, die ihre Fäuste in seinen Magen wuchten wollen. Diese Welt beschreibt Bengtsson, in der seine Antihelden mehr vegetierend denn lebend im Wohnheim am Fenster sitzen, das fünfte Bier trinken und auf die Straße starren.

Logo Nordischer Klang

Submarino bezeichnet eine Foltermethode. Gerade noch so am Leben – das sind die zwei Brüder, die beiden Protagonisten, von der ersten bis zur letzten Seite. Bengtsson schreibt derb, hart, einige mögen meinen: zu hart. Was soll das denn, dass sich da ein Vater auf dem Klo Heroin spritzt, während der Sohn im Wohnzimmer Fernsehen schaut? Das geht doch nicht. Bei Bengtsson geht das, und zwar so gut, dass Submarino, dieses rohe Stück Fleisch, sich im poetischen Sinne und mit alldem, was es in einem auslöst, als mehr als nur bekömmlich herausstellt. Das ist verdammt gute Literatur und nicht zuletzt deshalb wird sich einer wie der Erfolgs-Regisseur Thomas Vinterberg dazu berufen gefühlt haben, Submarino zu verfilmen und auf der Berlinale 2010 zu zeigen.

»Aminas Briefe«, Bengtssons Debüt, wird ebenfalls in Auszügen präsentiert. Es erzählt, wie »Submarino«, die Geschichte von Randständigen. Der schizophrene Janus kommt aus einer psychiatrischen Anstalt und sucht Amina. Sie war mit ihren Briefen jahrelang der einzige Kontakt zur Außenwelt. Seine Suche nach ihr wird grenzwertig in vielerlei Hinsicht: Konflikt und Gewalt bestimmt auch hier die Bengtsson‘sche Klangfarbe.

Die Lesung im Koeppenhaus darf sich ein Literaturfreund nicht entgehen lassen. Wir haben mit ihm gesprochen:

Jonas T. Bengtsson

Interview mit Jonas T. Bengtsson

webMoritz: Was hast du als Autor mit den Protagonisten in Submarino zu tun? Es geht um Gewalt, Drogen, Problemviertel. Fließt viel von dir selbst mit rein?

Bengtsson: Nick war ein Charakter, eine bestimmte Art eines jungen Mannes, den ich kennenlernte, als ich Anfang zwanzig war. Wir gingen ins gleiche Fitnessstudio. Wir lebten in einem Viertel, in der gleichen Nachbarschaft. Das ist in Kopenhagen, das sogenannte Nordvestkvarteret, seit 14 Jahren leben wir da schon. Ich bin nicht drogenabhängig, auch kein gewalttätiger Mensch, aber ich glaube, ich kenne das Gefühl, wie es ist, wenn man kein richtiger Bestandteil der Gesellschaft ist. Man könnte sagen, ich habe einige ziemlich extreme Charaktere ausgewählt, um einige Gefühle, die ich selbst ansatzweise kenne, noch zu vergrößern.

webMoritz: In Submarino ist Gewalt allgegenwärtig. Was bedeutet Gewalt für dich? Wie und wo erlebst du Gewalt, über die du dann schreibst?

Bengtsson: Gewalt ist eine Form der Kommunikation, wie so viele andere. Es ist eine Sprache spezifischen Charakters, die Nick, einer der Protagonisten in Submarino, spricht. Und diese Sprache der Gewalt spricht man fließend – jedenfalls in dem Viertel in Kopenhagen, in dem ich lebe.

webMoritz: Merkst du Unterschiede in der Rezeption deiner Bücher in Deutschland und Dänemark? Immerhin ist die realistische Schilderung von Gewalt, Sex und Drogen nicht jedermanns Sache.

Bengtsson: Vielleicht ja. Deutsche und Dänen sind gleich offen für dieses Thema. Was mir aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass man in Dänemark die Plots der Bücher gleich in eine gesellschaftliche Debatte zwängen will. Wenn ich also über Drogenabhängige schreibe, meinen die Leute, ich wolle die Gesellschaft verändern oder aufzeigen, was falsch läuft. In Deutschland werden meine Bücher eher auf ihre rein literarische Qualität hin beurteilt. Darüber bin ich sehr froh.

webMoritz: Die Protagonisten in Submarino sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Du zeigst keine Wege, wie sie aus dem Schlamassel herauskommen können, wie man die Drogen, den Suff und die Gewalt in den Griff bekommt. Einige Rezensenten störten sich daran. Muss Literatur Auswege zeigen, gar Charaktere vorweisen, die sich innerhalb der Story zum Guten hin verändern?

Bengtsson: Ich verstehe die Vorbehalte in gewisser Weise. Aber eine Grundvoraussetzung für das Buch war, dass ich es in Form einer griechischen Tragödie schrieb. Übertragen in die Welt des modernen Kopenhagen. Ganz unten am gesellschaftlichen Rand Kopenhagens. Ich will nicht sagen: So ist das Leben. Ich will nicht zeigen, wie die Menschen sind. Submarino ist ein Kunstwerk, ein Stück meiner ganz eigenen, subjektiven Realität.

webMoritz: Haben wir vielleicht ein zu stereotypes Bild vom Norden, von Skandinavien? Von einer kleinen Welt für sich, die nur wunderschön ist, wo für Typen wie in deinen Büchern kein Platz ist?

Bengtsson: Aber ja, natürlich hast du Recht. Wir sind im glücklichen Teil der Welt… Vielleicht ist es deshalb interessant zu sehen, was passiert, wenn die Menschen dort, wo alles so schön sein soll, auf die schiefe Bahn geraten.

webMoritz: An welchem Projekt arbeitest du gerade?

Bengtsson: Mein nächstes Buch wird in Dänemark Ende Oktober dieses Jahres veröffentlicht. Es heißt »Ein Abenteuer«. Ich schreibe gerade noch daran. Es ist ein großartiges Buch. Ich könnte mir vorstellen, dass es in Deutschland ist im Jahr 2011 veröffentlicht.

Das Gespräch führte Matthias Jügler

Trailer zum Kinofilm Submarino

Bilder: Veranstalter

“Es gibt kein polnisches Wort für Wende” – Interview mit Andrzej Kopacki

Am Samstag, dem 21.11.09, einen Tag nach der feierlichen Eröffnung des „polenmARkT“, wurden Literaturfreunde Deutschlands und Polens sogleich mit einem Kabinettstück verwöhnt. Zwei Lyriker und Kenner beider Nationen, Hans Thill, und der gebürtige Pole, Andrzej Kopacki, stritten und bestritten zusammen mit Moderator Dr. Matthias Kneip Wege des Literaturbetriebs und lasen aus ihren Werken. webMoritz-Autor Marius Külzer sprach nach der Lesung mit dem polnischen Gast über die Wende in Polen und Deutschland, den Stellenwert der Übersetzung und die Zukunft der Literatur.

webMoritz: Herr Kopacki, Sie kommen gerade aus der Diskussion des Dichtertreffens hier im Koeppenhaus anlässlich des Polenmarktes in diesem Jahr. Vorab die Frage: Sind Sie das erste Mal in Greifswald?
Kopacki:
Ja, das ist mein erster Besuch in Greifswald.

webMoritz: Konnten Sie denn schon einen kleinen Eindruck vom Polenmarkt gewinnen?
Kopacki:
Nein, überhaupt nicht, ich bin heute Abend direkt zur Veranstaltung gekommen und morgen muss ich wieder weg. Also ich bin wirklich ein Flucht-Gast, das ist ein sehr kurzer Aufenthalt.

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Das Logo des diesjährigen PolenmARkTs

webMoritz: Offiziell soll der Polenmarkt einen kulturellen Austausch zwischen Deutschen und Polen darstellen.
Kopacki:
Ich kann nur sagen, wie es von meinem Standpunkt aus, dem eines Grenzgängers, aussieht. Ich befasse mich mit Deutschland, mit der deutschen Literatur und der deutschen Kultur, aber ich bin in Polen zuhause. Schreiben tue ich auf Polnisch. Und ich finde es wichtig, dass man auf beiden Seiten dafür arbeitet, was man als Transfer oder Austausch oder einfach eine Berührung von zwei Landschaften in Kultur und Politik und anderen Bereichen des sozialen Lebens versteht. So wie das hier gestaltet wird, scheint mir sehr sinnvoll: Dass die Insider von hier zu Veranstaltungen kommen, wo Leute aus Polen etwas zu sagen haben oder einfach auftreten – weil es eben ein wirklicher Gedanken- und Erfahrungsaustausch ist.

Wir haben in Polen kein Wort für „die Wende“

webMoritz: Das ist ja ein klares Bekenntnis zu sagen: da und da bin ich zuhause. Wir haben ja, um in ihre Poesie einzusteigen, ein Gedicht gehört, „Die Wende“, ein, wie sie selbst sagen, politisches Gedicht zur politischen Wende in Deutschland.
Kopacki:
Ich habe das anders gemeint. Das Gedicht heißt „Neue Zeiten“. 1989 und 1990 ist natürlich eine Wende gewesen für uns alle. In Deutschland bezeichnet man dieses historische Phänomen mit der Bezeichnung „Wende“. Es gibt eigentlich kein polnisches Wort dafür, was bei uns 1989 passiert ist. Man könnte sagen, das war eine Revolution ohne Gewalt, die für unsere Begriffe im Grunde genommen ein letzter Punkt war, von dem, was 1980 seinen Anfang nahm. Wir haben alle in Mittel- und Mittel-Ost-Europa dieses Gefühl gehabt, dass dies eine historische Veränderung ist. Und in diesem Sinne ist es eine große Wende gewesen. Das Gedicht bezieht sich mit dem Titel „Neue Zeiten“ auf diese Erfahrung, dass plötzlich etwas Neues anfängt für uns Mitteleuropäer. Damals aber wussten wir noch nicht, was das sein wird.

webMoritz: Wissen Sie das inzwischen?
Kopacki: Nun ja, es ist bereits 20 Jahre her. Wir haben natürlich diesen Weg hinter uns: der Aufbau, die Gründerzeit, egal wie wir das bezeichnen. Das ist eine Erfahrung der Freiheit im Rahmen einer demokratischen Ordnung, und mit der Eigentümlichkeit unserer Entwicklungen in Polen und in Ostdeutschland. Die beiden Wege sind natürlich etwas different.

webMoritz: Es soll uns ja um Literatur in Polen gehen und wenn wir das jetzt aus literarischer Sicht betrachten, was ist das Eigentümliche an dieser Entwicklung, wie Sie sagen?
Kopacki:
Das ist nicht die Frage der Literatur, das ist die Frage der gesellschaftspolitischen, der historischen Erfahrung. Die Literatur ist ein Spiegel davon.

webMoritz: Literatur ist ein Spiegel davon?
Kopacki:
Ja. In der polnischen wie in der deutschen Literatur gab es auch früher sehr viele Phänomene, die man aus Erfahrung kannte, die von Differenzen und Ähnlichkeiten zeugten und in literarischen Texten zum Ausdruck gebracht wurden. Und jetzt die Tatsache, dass wir eine andere Demokratie sind, ein etwas anderer Kapitalismus als Frankreich, England, Westeuropa, ist doch klar. Die Polen und die Ostdeutschen sehen ja ein, dass das europäische Zusammenwachsen nicht so ganz diese Unterschiede weggewischt hat. Die Eigentümlichkeiten sind natürlich da und es ist auch gut so. Und in der Literatur gibt es Widerspiegelungen davon, wie auch davon, dass wir doch eine große europäische Familie sind…

webMoritz: Das interessiert mich: Können sie diese prägnanten Momente nennen in der Literatur, die etwas Verbindendes, aber auch etwas Unterscheidendes haben?
Kopacki:
Es ist etwas verwunderlich, dass wir in Polen im Grunde genommen bis heute keine Werke besitzen, die nach 1989 entstanden wären und die diese wirklich große historische Erfahrung der Wende thematisieren würden – in dem Sinne, dass sie ein großes Zeugnis davon ablegten, was eigentlich passiert ist. Die anderen historischen Erfahrungen haben Zeugnisse in der Literatur. Wir finden in der Literaturgeschichte Zeugnisse davon, was der Hitlerismus oder Stalinismus war. Aber was diese neueste Freiheitserfahrung war, diese Erfahrung haben wir eigentlich nicht in der Literatur widergespiegelt bekommen. In diesem Sinne ist das schon ein Unterschied, weil die deutsche Prosa sich damit etwas auffälliger als die polnische auseinandergesetzt hat. Zum Beispiel in deutschen Romanen über den Mauerfall, abgesehen von ihrer literarischen Qualität, über die ich jetzt nicht sprechen will.

webMoritz: Aber über Ursachen?
Kopacki:
Wir ahnen die Ursachen, aber wie die Literatur darüber reflektieren könnte, das wird uns eigentlich nicht angeboten in der Prosa.

webMoritz: Ist das für Sie eine Aufgabe, darüber zu reflektieren?
Kopacki:
Für mich nicht, ich bin kein Romancier. Ich meine nur, es gibt in Deutschland seit Jahren ein Gejammer, dass die deutsche Prosa keinen zweiten Roman hervorgebracht hat „wie „Die Blechtrommel“ von Günter Grass. Das ist ein Roman, der eine wirklich große historische Erfahrung auf sehr interessante künstlerische Art und Weise verarbeitet hat. Wäre etwas Vergleichbares zum Thema Wende erschienen, hätten wir es sofort bemerkt und begrüßt.

Die Übersetzung ist eine literarische Gattung, vergleichbar mit dem Theater

webMoritz: An dem Beispiel Günter Grass, deutsche Literatur: Das Übersetzungsproblem wurde in der Diskussion angesprochen. Sie sind ja beruflich Übersetzer. Und ist Kulturaustausch aber in diesem Sinne auch ein Übersetzungsaustausch? Kann man das so sagen?
Kopacki: Auf jeden Fall. Es ist dabei festzuhalten, dass es in Bezug auf Übersetzung an Missverständnissen nicht fehlt, angefangen mit ihrem Status innerhalb des Literaturbetriebs. Man muss verstehen, dass die Übersetzung – das ist eine These, die ich aufstelle – eine literarische Gattung ist, vergleichbar mit Theater. Im Theater gibt es ein performatives Handeln, das ohne die literarische Grundlage nicht möglich ist, aber doch etwas, was sich als künstlerische Handlung verselbstständigt. Und die Handlung von Theaterautoren, von Schauspielern, von Regisseuren wird dann auch Widerhall finden in der Rezeption, weil sie beurteilt wird und rezensiert wird und so weiter. Übersetzer dagegen werden so oft einfach mit Schweigen übergangen.

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Andrzej Kopacki - Foto: Pressematerial PolenmARkT

webMoritz: Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen: Sie sagten, es werde auf jeden Fall zu viel geschrieben und zu wenig gelesen in Deutschland. Da frage ich mich: Wie kann man zuviel Schreiben?
Kopacki:
Das war natürlich als Witz gemeint. Es gibt immer mehr Probleme mit dem Lesen, das heißt, junge Leute gehen lieber mit visuellen beziehungsweise interaktiven Kulturträgern als mit Weltliteratur um. Auf der anderen Seite werden die Verlage mit Manuskripten überschüttet, weil Literatur immer noch eine große Attraktion ist.

webMoritz: Also ist es dann eher das Problem, dass zu viele Leute versuchen, erfolgreich mit Literatur zu sein.
Kopacki:
Dieser Ehrgeiz ist nicht verwerflich. Wenn man mit Schreiben beginnt und den Anspruch hegt, Schriftsteller zu werden, dann sollte man zumindest als Leser etwas mit der Literatur zu tun gehabt haben, das meinte ich.

Das Verschwinden der Printmedien bedeutet nicht das Verschwinden literarischer Texte

webMoritz: In den Medien wird ja immer wieder thematisiert, dass Literatur heutzutage über andere Medien als in der Vergangenheit rezipiert wird.
Kopacki:
Das ist richtig und ich bin auch nicht dagegen. Unsere Welt verändert sich. Die Menschen leben anders als vor 40 Jahren, weil wir das ganze elektronische Zeug wie Handys, Computer und so weiter zur Verfügung haben. Das langsame Verschwinden von Printmedien bedeutet übrigens noch lange nicht, dass der literarische Text verschwindet. Auch die neuen Medien kommen nicht ohne den Text aus. Wir brauchen Sprache als Vehikel für unsere Botschaft, die entweder mündlich oder schriftlich vermittelt wird. Auch wenn es dann nicht mehr als Buch mit gedruckten Seiten sondern als eine elektrische CD oder etwas dergleichen auftritt, wird es immer noch diese Botschaft geben.

webMoritz: Bei der großen Vielfalt, die es gibt, zu publizieren, im Internet oder neuen Zeitschriften, geht da nicht auch Individualität unter, wird Lyrik nicht viel zu öffentlich behandelt?
Kopacki: Glaube ich nicht, nein. Das ist eine sehr intime Sache, ein Gedicht zu schreiben. Da steht man immer hinter diesem Text als Person, abgesehen davon, dass das Gedicht sich verselbständigt und manchmal viel mehr und anderes sagt als der Autor beabsichtigt hat. Es ist immer falsch, das Gedicht von dieser vermeintlichen Absicht her zu interpretieren. Das ist ein falscher Deutungsweg.

webMoritz: Aber wird das nicht faktisch getan?
Kopacki:
Das wird vielleicht auf der Ebene einer Schullektüre getan, aber professionell wird man das nie machen. Das verändert nichts an der Tatsache, dass das Gedicht doch eine individuelle Sache ist, dass man Gedichte als eine intime Angelegenheit ansehen muss. In diesem Sinn ist es auch verständlich, dass sehr viele Leute Gedichte schreiben. Das Bedürfnis, sich in dieser besonderen Form auszusprechen, wird nicht untergehen. Eine andere Frage ist, was von dieser enormen Produktion als ästhetisch wertvolle Lyrik zurückbleibt.

webMoritz: Was haben Sie von der heutigen Diskussion mitgenommen, auch, um sich wieder neu zu orientieren?
Kopacki:
Ich suche keine neue Orientierung. Die Diskussion hat mich eigentlich in mehreren Überzeugungen nur bestätigt. Wir waren eigentlich der gleichen Meinung in Bezug auf die Übersetzung und die Beschaffenheit der Lyrik, zum Beispiel, dass die Lyrik nicht unbedingt verständlich sein beziehungsweise sich machen muss. Das liegt in der Natur des Mediums, es ist manchmal verständlich und manchmal nicht. Und es ist auch keine Frage, dass man das Gedicht nicht danach einschätzt, ob es verständlich ist oder nicht. Wir waren auch einig, dass man die Übersetzung als eine Aktivität im Literatur-Betrieb sehen sollte, die wirklich eine Besonderheit ist, wichtig nicht nur für den Autor, den Übersetzer oder das Werk selbst, sondern im größeren Ausmaß – für den Kulturtransfer zwischen Ländern, Nationen, Völker und so weiter.

webMoritz: Meistens sind es ja auch diese Bestätigungen, die verschiedene Völker zusammenbringen.
Kopacki: Wichtig ist, dass man nicht nur Unterschiede feststellt, sondern dass man auch entdeckt, was gemeinsam ist. Unter diesen Gemeinsamkeiten können wir sehr viel zusammen schaffen in der Literatur, im öffentlichen Diskurs, in der Reflexion auf unsere Vergangenheit und in der Vorwegnahme der Zukunft.

webMoritz: Herr Kopacki, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Autorentagung „Junge Literatur in Europa“ im IBZ

Vom 23 bis 25 Oktober 2009 findet im Internationalen Begenungszentrum der Universität Greifswald die Autorentagung „Junge Literatur in Europa“ statt. Hierbei werden Texte von Autorinnen und Autoren aus deutschsprachigen Ländern, deutsch schreibende Schriftsteller ausländischer Herkunft sowie Autorinnen und Autoren aus den Anrainerstaaten der Ostsee zu Wort und Schrift kommen.

buch_autor-220x350-Louisa_Manz_jugendfotos_deModeriert wird die Verananstaltung von Literaturwissenschaftlern der verschiedenen Institute, Lektoren und Autoren. Der Eintritt ist frei. Das Programm der Tagung findet ihr hier als PDF.

Veranstalter ist die Hans-Werner Richter-Stiftung und der Lehrstuhl für Fennistik. Neben der thematischen Ausrichtung auf Europa soll der diskursive Charakter der Tagung in der Tradition der berühmten „ Gruppe 47“ stehen. Damit ist zum einen sicherlich die Möglichkeit gemeint, noch unbekannten Jungautoren eine Plattform zu geben. Ob es darüber hinaus auch zu einer fruchtbaren, bloße Literaturkritik überschreitende Diskussion kommen wird bleibt abzuwarten.

Besondere Aufmerksamkeit dürften in diesem Jahr sowohl Verena Roßbacher mit der Lesung aus ihrem fulminanten Debüt „Verlangen nach Drachen“ als auch der in Greifswald geborene Volker H. Altwasser mit seinem historischen Roman „Letzte Haut“ auf sich ziehen.

Bild:

Louisa Manz via jugendfotos.de

Freies Wissen für alle

Ein Gastbeitrag von Janett Krause, Kommilitonin und Mitarbeiterin von GEOZON

Vom 19. bis 23. Oktober informiert die Internationale Open Access Week 2009 weltweit über den freien Zugang zu Wissen aus öffentlich geförderter Forschung – auch in Greifswald.

Vorlesungsinhalte, Literaturempfehlungen, Seminarvorträge und Belegarbeiten. Das neue Semester hat begonnen und die Pflichtlektüre für das Seminar ist in der Universitätsbibliothek bereits vergriffen – im Buchhandel aber kostet ein Exemplar soviel wie ein ganzer Wocheneinkauf. Wer kennt sie nicht, die Schwierigkeit, als Student an wissenschaftliche Fachzeitschriften oder Bücher heranzukommen?

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Logo der Open Access Week - Informationen zur Veranstaltung weiter unten

Immer mehr Bibliotheken müssen heute wissenschaftliche „Journals“ abbestellen, weil sie sich diese nicht mehr leisten können. Schuld sind die seit den 1990er Jahren stark ansteigenden Preise für Magazine, bei gleichzeitig stagnierenden Etats der Bibliotheken. Mit der Forderung nach freiem Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen haben namhafte Wissenschaftler, Forschungsorganisationen und Universitäten die „Open-Access-Bewegung“ ins Leben gerufen.

Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, in Zeiten der Digitalisierung und des Internets wissenschaftliche Publikationen online verfügbar zu machen – und das ohne technische, finanzielle oder urheberrechtliche Barrieren: “Open Access meint, dass diese Literatur kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte, so dass Interessierte die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen suchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen können“, formulierte die Budapester Open-Access-Initiative im Jahr 2001. So sind im Internet über Open Access veröffentlichte Informationen für alle Wissenschaftler und Studierende sofort erreichbar und leicht auffindbar, können weltweit von jedem beliebigen Arbeitsplatz mit Internetanschluss genutzt werden.

Die im Jahr 2003 verabschiedete „Berliner Erklärung“ formuliert die „Vision von einer umfassenden und frei zugänglichen Repräsentation des Wissens“ . Große deutsche Forschungsvereinigungen, wie die Fraunhofer-, und Max-Planck-Gesellschaften, die Helmholtz-Gemeinschaft sowie zahlreiche ausländische Vereinigungen und Universitäten haben sich dieser verpflichtet.

Zahl der Open-Access-Inhalte auch in Greifswald gestiegen

Die Zahl der Open-Access-Journale und -Datenbanken ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Auch an der Universität Greifswald wurden elektronische Depots erstellt, in die Wissenschaftler ihre Artikel einspeisen können. So bietet die Universitätsbibliothek die Möglichkeit, über den Dissertationsserver “OPUS” Dissertationen auch in elektronischer Form einzureichen, wodurch die darin gewonnenen Erkenntnisse weltweit nutzbar werden. Mit „FloraGREIF“ gibt es einen Informationspool für biogeographische Daten zur Flora in der Mongolei. „GeoGREIF“ bietet eine digitale Sammlung von Karten und Kartenwerken, die am Institut für Geographie und Geologie der Universität im Original verfügbar sind.

Das universitäre Ausgründungsprojekt “Geozon Science Media” startet 2010 und ist ein neuartiger Publikationsservice für die Geo- und Umweltwissenschaften auf der Basis des Open-Access-Prinzips. Als Teilnehmer der diesjährigen Open Access Week informiert “Geozon” zusammen mit dem Zentrum für Forschungsförderung und dem Forschungsverbund MV in Greifswald über den Open-Access-Gedanken.

Wie lässt sich Open Access im Alltag realisieren? Wie stehen die europäischen Wissenschaftsorganisationen dem Thema gegenüber? Welche Trends des wissenschaftlichen Publizierens sind zukünftig zu erwarten?

Über „Open Access – Relevanz, Diskussion und Perspektive“ spricht am Mittwoch, dem 21. Oktober, um 14 Uhr Heinz Pampel (Helmholtz Gemeinschaft) im Konzilsaal (Hauptgebäude) der Universität Greifswald. Alle Wissenschaftler, Studenten und die interessierte Öffentlichkeit sind herzlich zu dem Vortrag mit anschließende r Diskussion eingeladen. Der Eintritt ist frei.

Informationen zu Open Access :

Projekte an der Universität Greifswald:

Abbildung: Logo der Open Access Week

Grass-Lesung: Akustik mies, Musik gut

Mit der Lesung des Literaturnobelpreisträgers am gestrigen Samstagabend strebte die diesjährige Bachwoche ihrem Höhepunkt entgegen. Viele Greifswalder folgten der Einladung in den Dom, der sich auch bis zum letzten Sitzplatz füllte und harrten dem berühmten Gast. (mehr …)