Schließung der Redeliste – Abgelehnt!

Schließung der Redeliste – Abgelehnt!

Universitäre Veranstaltungen zusammen mit Studierendenverbindungen war das Thema der Vollversammlung und zweier StuPa-Sitzungen. Auch Fragen nach sexualisierter Gewalt in Studentenverbindungen und allgemein im Kontext der Uni werden immer drängender gestellt. Es ist viel passiert, es wurde viel besprochen und Unsicherheiten kamen ans Licht. In diesem Artikel erfahrt ihr alles, was in letzter Zeit passiert ist.

Der alleinige Auslöser für die Debatten, die aktuell in der Hochschulpolitik geführt werden, war die Pharma-Party am 04.04. vermutlich nicht. Doch die Veranstaltung des FSR Pharmazie in dem Haus des Corps Pomerania wirbelte den Staub auf, der schon lange lose im Raum lag. Dass ein FSR in den Räumlichkeiten einer schlagenden Studentenverbindung eine Ersti-Party ausrichtete, veranlasste Studierende von den Jusos und der Linksjugend Solid im Studierendenparlament (StuPa) den Antrag „Orte studentischer Veranstaltungen“ zu stellen. Dieser wurde mehrheitlich angenommen. Inhalt und Hintergründe rund um den Beschluss könnt ihr in diesem Artikel des webmoritz. nachlesen.

Die Vollversammlung

In der studentischen Vollversammlung (VV) am 13.06. wurde die Debatte um den Beschluss aus dem StuPa auf eine neue Ebene gehoben. Mit dem Antrag „Gegen Ausgrenzung von Studierenden!“ versuchten die Antragstellerinnen den StuPa-Beschluss aufzuheben. Die Antragstellerinnen sind teilweise selbst in der Akademische Damenverbindung Gratia Aurora aktiv. Sie argumentieren im Begründungstext damit, dass Mitglieder von Studentenverbindungen durch den Beschluss ausgegrenzt werden würden. Außerdem sei das StuPa den Fachschaftsräten gegenüber nicht weisungsbefugt.

In der Generalaussprache äußerten sich mehrere Studierende gegen den VV-Antrag. Ein wichtiges Argument dabei war, dass es in Studentenverbindungen häufiger zu sexualisierter Gewalt komme. Sexualisierte Gewalt umfasst jegliche Form von Gewalt, ob körperlich oder psychisch, die sich in sexuellen Übergriffen ausdrückt. Der Begriff schließt beispielsweise sexuelle Belästigung, unangebrachte anzügliche Kommentare oder Vergewaltigung mit ein. Gerüchte über diese Form von Gewalt in Verbindungshäusern werden in Debatten häufig als Argument angeführt. Die Antragstellerinnen argumentierten dagegen, dass auch in Verbindungen Konzepte erarbeitet werden, um Vorfälle dieser Art zu verhindern. Letztlich wurde der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Die Pharmaparty

Diese Debatte bringt uns zurück zur Pharma-Party am 04.04. Diese fand im Haus einer Studentenverbindung statt, ohne dass dies klar kommuniziert wurde. Eine Studentin erzählte in der Generalaussprache der VV von Streitigkeiten, die auf der Party stattgefunden haben sollen. Die Party sei für sie kein „safe space“ gewesen. Der AStA bestätigt auf Nachfrage einen Fall von sexualisierter Gewalt, der ihnen im Rahmen der FSR-Veranstaltung gemeldet wurde. Der FSR Pharmazie sprach in einem Interview vor der VV davon, „dass es [keine] Beschwerden über problematische Situationen oder vergleichbares gab“. Weiterhin: „Auch am Abend sind keine nennenswerten negativen Ereignisse berichtet worden bzw. passiert.“

Flyer der Pharma-Party am 04.04. Ein eindeutiger Hinweis, dass es sich bei dem Veranstaltungsort um ein Verbindungshaus handelt, fehlt.

In einer späteren Stellungname nach der VV sagt der FSR: „Wir haben direkt 2 Auseinandersetzungen mitbekommen. Diese wurden jeweils von sehr betrunkenen Partygästen verursacht und durch dessen problemlose, direkte Verweisung von der Party aus der Welt geschafft. Das sehen wir als normale Auseinandersetzung, die es auf jeder Party, egal wo, gibt. Deswegen haben wir auch im ersten Statement von “keinen nennenswerten” Vorkommen gesprochen.“ Von Fällen sexualisierter Gewalt haben die FSR-Vertreter*innen auch erst zur VV erfahren. Es habe danach eine Aufarbeitung der Vorfälle im Rahmen einer FSR-Sitzung gegeben: „Das Thema wurde zur ausdrücklichen Zufriedenheit aller anwesenden (inkl. betroffener) aufgearbeitet.“

Der neue Antrag

Auch im StuPa waren die Vorgänge in der VV noch einmal Thema, im Rahmen eines neuen Antrags. „Nachdem es vielfach Diskussion in der Öffentlichkeit und in verschiedenen Gremien zu oben genanntem Beschluss [„Orte studentischer Veranstaltungen“] gab, soll durch die vorliegende Beschlussvorlage klargestellt werden, worin der Beschluss besteht.“, heißt es in dessen Begründungstext. Der neue Antrag trägt den simplen Titel „Antrag Verbindungen“. Welche Empfehlungen jetzt für Veranstaltungen der Studierendenschaft gelten, wird darin definiert: „Das Studierendenparlament spricht sich dafür aus, dass Veranstaltungen der Studierendenschaft nicht zusammen mit Studentenverbindungen durchgeführt werden und auch nicht in Räumen von Studentenverbindungen stattfinden. Ferner spricht sich das Studierendenparlament dafür aus, dass Studentenverbindungen nicht zu Veranstaltungen der Studierendenschaft eingeladen werden. Davon unbenommen dürfen alle Mitglieder der Studierendenschaft selbstverständlich an Veranstaltungen der Studierendenschaft teilnehmen.“. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen und ersetzt damit gleichzeitig den vorherigen Beschluss. Es gilt also genau dasselbe wie nach dem ursprünglichen Beschluss, nur genauer formuliert und mit weniger Interpretationsspielraum.

Die anderen Gremien

Ist jetzt – platt gesagt – alles wieder gut? Ist das Thema sexualisierte Gewalt im Rahmen studentischer Veranstaltungen durch? Nein.
Hanna Schifter ist AStA Referentin für Soziales und Gleichstellung. Mit dem Thema beschäftigt sie sich im Rahmen ihres Referats mit großer Dringlichkeit: „Wir im AStA arbeiten momentan an einem Awareness-Konzept, welches einen Verhaltensleitfaden und Weiterleitungsmöglichkeiten sowie Akut-Ansprechpartner enthält. […] Wir erhoffen uns dabei, bei studentischen Veranstaltungen einen sichereren Raum zu schaffen.“ Auch bietet sie im Rahmen ihrer Funktion als Gleichstellungsbeauftragte der Studierendenschaft Beratung für Opfer sexualisierter Gewalt an. 

Auch in der Fachschaftskonferenz am 17.05 stand das Thema auf der Tagesordnung. Die Aussagen verschiedener FSR, die im Protokoll festgehalten sind, zeigen, dass Vorfälle sexualisierter Gewalt in nahezu allen universitären Bereichen vorkommen.

Beitragsbild: Lisa Klauke-Kerstan

Die geführten Interviews

In diesen beiden Klappentexten könnt ihr unsere Interviews mit dem AStA und dem FSR Pharmazie nachlesen. 

Die Antworten des AStA

1. Wurde dem AStA mindestens ein Fall sexualisierter Gewalt im Rahmen der Party des FSR- Pharmazie am 04.04 gemeldet?

1. Uns ist ein Fall bekannt. Um die Person zu schützen wollen und können wir keine detaillierteren Angaben dazu rausgeben.

1.1 Wenn ja: an welchem Datum wurde dies bei euch gemeldet?

///

2. Was plant ihr als AStA, um auf Veranstaltungen der Studierendenschaft mehr Sicherheit vor sexualisierter Gewalt schaffen?

2. Wir im AStA arbeiten momentan an einem Awareness-Konzept, welches einen Verhaltensleitfaden und Weiterleitungsmöglichkeiten sowie Akut-Ansprechpartner enthält. 

Zudem wird der AStA einen Awareness-Workshop für die FSR und studentische Clubs organisieren. Wir erhoffen uns dabei, bei studentischen Veranstaltungen einen sichereren Raum zu schaffen.

Zusätzlich findet vom AStA und Gleichstellungsbüro der Universität am 06.07. eine Infoveranstaltung zum Thema “Sexuelle Diskriminierung im universitären Kontext” statt. Da geht es um Fragen wie: Was ist sexuelle Diskriminierung, wo fängt sie an? An wen kann ich mich wenden? Was gibt es für Konsequenzen? Zu dieser Veranstaltung sind alle Studierenden eingeladen. 

Außerdem ist geplant, eine Übersicht mit Kontaktinformationen auf dem Studierendenportal bereit zu stellen. (wie das die Uni auf ihrer Website bereits implementiert hat).

2.1 Falls bereits Maßnahmen implementiert wurden, wie wurden diese angenommen?

2.1. Bei den letzten Veranstaltungen vom AStA (z.B. Markt der Möglichkeiten, Beerolympics), wurde von uns bereits ein Awareness-Team bereit gestellt. Man konnte sich an dieses Team bei jeglichen Problemen wenden, von Angstgefühlen, Panikattacken, gesundheitlichen Problemen, generellem Unwohlsein bis hin zu Belästigungserlebnissen oder Diskriminierungen. Es wurden auch Fälle von Belästigungen gemeldet, wo die entsprechende Person vom Gelände verwiesen werden musste.

Außerdem bietet die Gleichstellungsbeauftragte der Studierendenschaft Beratung hinsichtlich dieses Themas an.

3. Wenn man Opfer sexualisierter Gewalt im einem universitären Rahmen (FSR-Partys, Seminare, Veranstaltungen im Rahmen der Ersti-Woche etc.) geworden ist: Wie sollte man eurer Meinung nach am besten vorgehen?

3. Grundsätzlich kann man sich an alle der unter 3.1. aufgelisteten Ansprechpartner*innen wenden!

Bei sexueller Gewalt im universitären Kontext kann man sich immer an die Gleichstellungsbeauftragte der Universität, Ruth Terodde, wenden. Hier kann man sich zunächst unverbindlich beraten lassen, es werden keine weiteren Schritte ohne Einverständnis eingeleitet.

Ist eher ein Gespräch mit einem Studierenden gewünscht, kann zunächst die Gleichstellungsbeauftragte der Studierendenschaft, Hanna Schifter, weiterhelfen. Hier wird ein offenes Ohr geboten sowie Beratung hinsichtlich weiterer Schritte und Weiterleitungsmöglichkeiten.

3.1 Welche Hilfsangebote bietet die Studierendenschaft bzw. der AStA an?

3.1.

Hilfe aus der Studierendenschaft:

Viele FSRs haben studentische Gleichstellungsbeauftragte, an die man sich für Informationen und ein offenes Ohr wenden kann. Ansonsten ist zentrale Ansprechperson für Studis die Gleichstellungsbeauftragte der Studierendenschaft (momentan ich, Hanna). Hier kann erstmal zugehört, gemeinsam nächste Schritte geplant sowie informiert werden über weitere Handlungsmöglichkeiten.

Hilfe der Uni:

Es gibt Gleichstellungsbeauftragte in jeder Fakultät, an die man sich wenden kann sowie eine zentrale Gleichstellungsbeauftragte (Ruth Terodde) der Universität. Das Gleichstellungsbüro hatte vor einigen Jahren auch die große NO-GO! Campagne gegen sexualisierte Diskriminierung ins Leben gerufen. (https://www.uni-greifswald.de/universitaet/organisation/gleichstellung/sexualisierte-diskriminierung)

Hilfe der Stadt:

Es gibt eine Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt in Greifswald von der Caritas Vorpommern. Hier kann Beratung, Begleitung, Fortbildung, Vermittlung von Anwälten, Anzeigeberatung und so weiter in Anspruch genommen werden. (https://www.caritas-vorpommern.de/caritasvorort/greifswald/beratungsstellefueropfersexuellergewalt/fachberatungsstelle-gegen-sexualisierte-gewalt)

 

Die Antworten des FSR Pharmazie

Wisst ihr von den Vorfällen, die auf der VV angesprochen wurden?


Wenn ja: Wann habt ihr von den Vorfällen erfahren (bitte möglichst mit Datum antworten)?


Wurden bzw. ist geplant diese Vorfälle intern auszuwerten?


Welche Maßnahmen wurden im Kontext der Party am 04.04. ergriffen, um sexualisierte Gewalt und sonstige Übergriffe zu verhindern? Gab es ein Awareness-Konzept?

Weil sich das Thema so lange hin zieht, beantworten wir die Fragen in einem abschließenden Statement.

Die Rede war von Streitigkeiten auf beiden Seiten. Wir haben direkt 2 Auseinandersetzungen mitbekommen. Diese wurden jeweils von sehr betrunkenen Partygästen verursacht und durch dessen problemlose, direkte Verweisung von der Party aus der Welt geschafft. Das sehen wir als normale Auseinandersetzung, die es auf jeder Party, egal wo, gibt. Deswegen haben wir auch im ersten Statement von “keinen nennenswerten” Vorkommen gesprochen. Die Vorfälle sexualisierter Gewalt haben wir leider erst nach der Vollversammlung mitbekommen, wir waren also selbst davon überrascht. Wir haben die nächste FSR Sitzung direkt für die Aufarbeitung genutzt und sind, danke beidseitiger Offenheit, sehr gut durch das Thema gekommen, wobei wir alle Missverständnisse um die Thematik klären konnten. Das Thema wurde zur ausdrücklichen Zufriedenheit aller anwesenden (inkl. betroffener) aufgearbeitet.

Zum zweiten Punkt sei nur zu sagen, dass der FSR sich immer als Ansprechpartner anbietet. Sollten Fälle an uns heran getragen werden, zögern wir keine Sekunde Täter der Party zu verweisen und weitere Sanktionen in der Fachschaft zu verhängen. Auch das beenden der jeweiligen Veranstaltungen behalten wir uns vor, um unseren Studierenden eine sichere Anlaufstelle zu bieten. All das funktioniert aber nur, wenn man die Möglichkeit, also uns als Notfallansprechpartner, nutzt. Die erste Auseinandersetzung wurde beispielsweise durch direkte Ansprache eines Mitglieds des FSR bekannt, worauf der Unruhestifter unmittelbar von der Veranstaltung entfernt wurde.

Wir hoffen, das Thema damit endgültig zu den Akten legen zu können. Ich hoffe das reicht dir als Antwort aus.

Der ganze FSR wünscht dir eine schöne Woche! Falls du noch Fragen hast, kannst du dich immer melden.

Ab jetzt nur noch unverbindliche Partys

Ab jetzt nur noch unverbindliche Partys

Zur konstituierenden Sitzung des neuen Studierendenparlaments war es voll auf den Rängen. Doch die Anwesenden waren nicht nur Stupist*innen, sondern auch zahlreiche Vertreter*innen von Studierendenverbindungen. Sie waren wegen des Antrags „Orte studentischer Veranstaltungen“ gekommen, über den in der Sitzung abgestimmt wurde. Was es mit dem Antrag auf sich hat, erfahrt ihr im Beitrag.

Bevor es losgeht, eine kurze Begriffserklärung: Studierendenverbindungen sind Zusammenschlüsse von Studierenden, die durch das Lebensbundprinzip gekennzeichnet sind. Dieses Prinzip bedeutet, dass man nach dem Eintritt in die Verbindung, dieser lebenslang verpflichtet ist. Es gibt verschiedene Arten von Verbindungen. Einen Überblick bietet ein Reader, der vom AStA der Universität Münster herausgegeben wurde.

Was steht in dem Antrag?

Der Wortlaut des Antrags lautet: „Die Studierendenschaft spricht sich dafür aus, dass künftig seitens der Verfassten Studierendenschaft keine Studentenverbindungen mehr zu Veranstaltungen der Studierendenschaft eingeladen beziehungsweise zugelassen werden.“ Laut den Antragsteller*innen soll damit sichergestellt werden, dass Studierendenverbindungen Veranstaltungen wie Ersti-Partys oder den Markt der Möglichkeiten nicht als Bühne nutzen. Privatpersonen, die in Verbindungen engagiert sind, sollen weiterhin an Events teilnehmen dürfen. Der Antrag wurde nach Abstimmung im StuPa mehrheitlich angenommen.

Warum sollen Veranstaltungen mit Studierendenverbindungen verhindert werden?

In der Begründung des Antrags heißt es, Studentenverbindungen würden den demokratischen Grundsätzen und dem Anspruch der Weltoffenheit der Universität widersprechen. Den Antragsteller*innen ist es wichtig, dass besonders Erstsemester und internationale Studierende geschützt werden. Diesen solle ausreichend Zeit gewährt werden, sich mit dem Verbindungswesen auseinander zu setzen, bevor sie sich entscheiden an diesem teilzunehmen. Finden allerdings Ersti-Partys in Häusern von Studierendenverbindungen statt, sei diese Zeit nicht gegeben. Auch ist für die Studierendenschaft nicht sicher, inwiefern in den Häusern die Grundsätze der Gleichstellung und Inklusion gelebt werden. An Veranstaltungen der Studierendenschaft sollte aber jede*r sicher teilnehmen können. Sollte es jedoch zu Diskriminierungen in Verbindungshäusern kommen, hätte die Studierendenschaft keine Möglichkeit dies zu sanktionieren.

Warum sind Studierendenverbindungen problematisch?

Laut den Antragsteller*innen sei die Weltoffenheit der Greifswalder Verbindungen nur ein Lippenbekenntnis. Die Dachverbände, in denen die Verbindungen organisiert sind, würden sich durch rechts-konservative bis rechtsextreme Leitsprüche definieren. Zwei Greifswalder Verbindungen sind beispielsweise Teil des sogenannten Coburger Convents, der sich selbst den Leitspruch „Ehre, Freiheit, Freundschaft, Vaterland“ gegeben hat. Auch die Mensur wird kritisch gesehen. Dabei wird ein Fechtkampf mit scharfen Waffen ohne angemessene Schutzausrüstung durchgeführt. Im Kopfbereich sind lediglich Augen und Hals geschützt. Die Mensur dient dazu, die Opferbereitschaft für die Gemeinschaft zu demonstrieren. Bis auf eine Damenverbindung nehmen alle Greifswalder Verbindungen nur Männer in ihre Reihen auf. Frauen seien laut Antragsteller*innen nur „dekoratives Anhängsel“ bei Partys.

Warum kommt der Antrag jetzt?

Im Begründungstext ist von „aktuellen Geschehnissen“ die Rede, die den Antrag notwendig machen würden. Diese seien einerseits Berichte über Diskriminierung bei einer Verbindungsveranstaltung, die dem AStA vorliegen. Weitere Details können aufgrund von Vertraulichkeit nicht genannt werden. Andererseits wird eine Party in der vergangen Ersti-Woche als Grund genannt. Bei dieser handelt es sich vermutlich um eine Party des FSR Pharmazie Anfang April im Verbindungshaus des Corps Pomerania Greifswald. Dies ist eine schlagende Männerverbindung. Das bedeutet, dass sie nur Männer aufnehmen und die Mensur verpflichtend für die Mitglieder durchführen. Sie sind im Dachverband Kösener SC-Verband organisiert, der sich als unpolitisch versteht.

Eine Pharma Party im Verbindungshaus?

Der FSR Pharmazie begründet die Wahl der Location damit, dass ein Kommilitone von ihnen Teil der Verbindung sei. Die Party sei relativ kurzfristig geplant gewesen und geeignete Räumlichkeiten mussten spontan gefunden werden. Laut des FSRs Pharmazie sei aber klar gewesen: „Das Corps Pomerania sollte bis auf die Räume nichts mit dieser Veranstaltung zu tun haben bzw. keinen Einfluss nehmen dürfen.“ Finanziell wäre das Corps an den Einnahmen des Eintritts beteiligt gewesen. An der Party teilzunehmen, ohne die Verbindung finanziell zu unterstützen, wäre also nicht möglich gewesen.

Wie waren die Reaktionen auf die Party?

Am 06.04 entschuldigte sich der AStA über seinen Instagram-Kanal dafür, dass sie die Veranstaltung zuvor beworben hatten. Für den FSR Pharmazie kam das unerwartet: „Sich von einer Veranstaltung zu distanzieren, die zu bewerben kein Problem war, welche problemlos verlaufen ist, schien uns vorurteilsbehaftet und unfair.“ Bereits vor der Party hätte es Nachfragen gegeben, aber der Wunsch nach einem anderen Veranstaltungsort wurde dem FSR nicht zugetragen. Nach der Party seien die Rückmeldungen der Gäste durchweg positiv gewesen.

Hätte es alternative Räumlichkeiten gegeben?

Greifswald verfügt über fünf Studiclubs im gesamten Stadtgebiet. Diese bieten eine Infrastruktur für FSR-Partys. Der räumlich größte Club – der Mensa-Club – musste allerdings Ende des Jahres 2022 schließen. Die Hintergründe dazu findet ihr in diesem Artikel. Der FSR Pharmazie begründet die Entscheidung gegen einen der Studiclubs als Veranstaltungsraum mit der Kurzfristigkeit der Party. Laut den Antragsteller*innen sind die Clubs als Veranstaltungsräume immer Verbindungshäusern vorzuziehen: „Mit unseren Studierendenclubs haben wir ein großartiges Angebot an Räumlichkeiten für Ersti-Partys und Co., die allen Studierenden offen stehen und als Safe Space gelten.“

Wie empfinden die Verbindungen den Beschluss des StuPa?

Die lebhafte Debatte während der StuPa-Sitzung zeigte, dass die Mitglieder der Greifswalder Verbindungen wenig Verständnis für den Antrag aufbringen. Auf besagter Sitzung sprach sich ein Mitglied einer Verbindung für eine engere Zusammenarbeit zwischen der Studierendenschaft und Verbindungen aus. Mitglieder des Corps Pomerania wollten sich trotz mehrfacher schriftlicher Nachfrage nicht zum Beschluss oder der Veranstaltung äußern.

Beitragsbild: Lilly Biedermann

Präsentation über Verbindungen: Viele Fakten und wenig Kritik

“Was weißt du eigentlich über Studierendenverbindungen?”, fragten die Kommilitoninnen Tina, Janette, Katja und Marie nicht nur die Zuhörer ihrer gleichnamigen Präsentation, sondern zuvor auch sich selbst. Die Fragestellung war Kern ihres Seminars “Performative Recherche” im Studiengang Kommunikationswissenschaft. In dem mit vier Teilnehmerinnen paradiesisch kleinen Seminar widmeten sich die Studentinnen der selbst gestellten Frage durch intensive Recherche in alle möglichen Richtungen. Am Donnerstagabend stellten sie ihre Ergebnisse vor – im bis auf den letzten Platz gefüllten Hörsaal in der Alten Augenklinik.

Viele Fakten, aber methodisch kreativ

Die vier Studentinnen versuchten, zwischen den Greifswalder Verbindungen anhand von Schlagwörtern zu differenzieren.

Die vier Studentinnen versuchten, zwischen den Greifswalder Verbindungen anhand von Schlagwörtern zu differenzieren.

Ihre Dozentin Hedwig Golpon erklärt die angewandte Technik: “Performative Recherche bedeutet, mit künstlerischen Mitteln auf Untersuchung zu gehen.” So kann bei der Recherche zur Fragestellung mit sehr viel freier gewählten Methoden gearbeitet werden als in der klassischen wissenschaftlichen Forschung und auch bei der Darstellung der Ergebnisse werden künstlerische und dramaturgische Möglichkeiten berücksichtigt. Die Forscherinnen wurden im Wortsinne zu Darstellerinnen: Durch einen Teil des Vortrags wurden die Zuschauer etwa von der als Student des 19. Jahrhunderts verkleideten Tina Winterstein geführt, immer wieder wurde die Präsentation dialogisch zwischen den vier Kommilitoninnen gehalten. (mehr …)

Studentenverbindungen fordern aktive Toleranz

Ordentlich zur Sache ging es, als etwa 80 Teilnehmer, überwiegend Verbindungssmitglieder, über die Frage diskutierten, ob der AStA aktiv Toleranz gegenüber studentischen Verbindungen und Burschenschaften fördern soll oder nicht. Der Debattierclub Greifswald hatte am Mittwochabend ins Audimax zu einer öffentlichen Debatte mit festen Regeln geladen. Es gab eine “Regierung” aus Verbindungen und eine “Opposition” aus Grüner Hochschulgruppe und AStA, die zu Beginn abwechselnd ihre Standpunkte darlegten. Die Regierung war für aktive Toleranz, die Opposition dagegen.

Gernot Drewes: “AStA schürt Stimmung gegen Verbindungen”

Verbindungsmitglied Gernot Drewes fordert vom AStA "ein neutrales Verhalten gegenüber Verbindungsstudenten".

Gernot Drewes von der Turnerschaft Cimbria erinnerte an den 5. November 2010, wo ein Verbindungsstudent in Bahnhofsnähe zusammengeschlagen wurde und sich später im Krankenhaus wiederfand. Außerdem erwähnte er einen Anschlag auf das Verbindungshaus Markomannia im April 2010. Dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) warf er vor, „eine Stimmung gegen Verbindungen zu schüren“.  So warne der AStA in einem Flyer vor Burschenschaften. Hinzu komme, dass Verbindungsstudenten nicht Tutor sein dürften und Wohnungsangeboten von Verbindungen auf der AStA-Homepage nicht berücksichtigt würden. Die Verbindungen trügen durch Austausch zwischen Generationen und Studienrichtungen Sport und Religion zum vielfältigen Studentenleben bei. Abschließend forderte Gernot vom AStA „ein neutrales Verhalten gegenüber Verbindungsstudenten und Distanzierung von Anschlägen auf Verbindungshäuser“.

„Gewalt ist gegenüber niemanden akzeptabel“, machte Peter Madjarov von der Grünen Hochschuljugend deutlich. Der Oppositionsredner kritisierte die verschiedenen Prinzipien der Verbindungen. So fragte der Jurastudent, ob das Eintreten der Verbindungen „für Volk und Vaterland noch zeitgemäß“ sei. Die Mensur, ein Fechtkampf zwischen Verbindungsstudenten, sei ein Mittel zur Erziehung. Ferner kritisierte Peter das Verhältnis von Verbindungen zu ausländischen Mitbürgern. „Wie demokratisch ist der Ausschluss von Leuten?“, fragte der Oppositionsredner und warf Verbindungen „autoritäre Strukturen“ vor: Sie nähmen beispielsweise keine Kriegsdienstverweigerer auf. Es gebe keine geschlechtsgemischten Verbindungen. Einigen Verbindungen warf der Diskutant auch Korpsgeist vor. „Daher ist aktive Toleranz abzulehnen“, beendete Peter seine Argumentation.

Peter Madjarov: “Burschenschaften haben autoritäre Strukturen”

Etwa 80 Teilnehmer waren zur öffentlichen Debatte gekommen.

Das zweite Statement nutzte die Regierung, um Peters Vorwürfe zurückzuweisen. „Wir pauschalieren nicht deutsche Soldaten als Kriegshelden“, sieht Daniel Leiß (Akademische Turnverbindung) keinen Korpsgeist und keine Heldenverehrung in Verbindungen. „Die Mensur ist kein Mittel zur Erziehung. Es geht um Sport, den Umgang mit Stress und wie man mit der Gefährdung der eigenen Existenz umgeht.“  Es würden auch Kriegsdienstverweigerer in Verbindungen aufgenommen, wies Daniel einen weiteren Vorwurfs Peter zurück. Man grenze sich von Links- und Rechtsextremen ab und nehme keine politische Positionierung ein. Natürlich gebe es gemischte Geschlechterverbindungen: „Frauen sind kein schmückendes Beiwerk. Damen sind gern gesehen. Sie werden nicht deklassiert.“

“Frauen werden in Verbindungen nicht zugelassen“, sah Kilian Dorner vom AStA die Sache ganz anders. Der Grundtenor des AStA-Flyers sei nicht eine Haltung gegen Verbindungen. “Wir rufen nur zur Vorsicht und Aufmerksamkeit auf“, verwies der Referent für politische Bildung auf Vorkommnisse in der Vergangenheit. Eine Hörsaalbesetzung sei von betrunkenen Verbindungsstudenten gestört worden, nannte er als Beispiel. Zwei ehemalige Verbindungsstudenten fänden sich heute als NPD-Funktionäre wieder, sieht der Politikwissenschaftsstudent personelle Überschreitungen von ehemaligen Verbindungsstudenten und Rechtsextremen. Den Burschenschaften warf Kilian auch vor „sich autoritär in unangemessenen Maß zu verhalten“. Zwar sei der AStA keine moralische Instanz, „wir wollen aber etablierte Grundrechte wie Gleichberechtigung verteidigen. Verbindungen verhalten sind nicht immer tolerant. Wir propagieren nicht das Gegenteil von Toleranz gegenüber Burschenschaften.“

Lebhafte Debatte unter den Teilnehmern

Kilian Dorner: "Wir rufen nur zur Vorsicht und Aufmerksamkeit vor Studentenverbindungen auf."

Den Statements von Regierung und Opposition folgte eine lebhafte Debatte der zahlreichen Teilnehmern, in der vor allem Verbindungsmitglieder Stellung bezogen. Jörg König vom Korps Borussia Greifswald erinnerte daran, dass während des Dritten Reiches ein Verbindungsstudent einen jüdischen Verbindungsstudenten gerettet habe. „Burschenschaften sind gegenüber allen tolerant“, sagte ein anderer Verbindungsstudent, der sich als Mitglied der Linkspartei zu erkennen gab. Burschenschaftsstudent Tom forderte zu aktiver Toleranz auf: “Akzeptiert uns, lasst uns unsere gemeinsamen Feiern und unseren Lebensstil.” Ein anderer Teilnehmer äußerte deutliche Kritik: “Bei einer schlagenden Verbindung wurde etwas gegen die Minderheit Juden und Zigeuner gesagt. Ich frage mich, warum man so etwas fördern kann.” Dies wurde von einer Verbindungsstudentin energisch zurückgewiesen. Lisa kritisierte: “Die Geschlechterrollen werden in Studentenverbindungen explizit geschärft, zum Beispiel dadurch, dass Frauen von Veranstaltungen das Recht zur Teilnahme verwehrt wird.” Der katholische Verbindungsstudent Carsten Schönebeck vermisst, dass sich der AStA nicht genauer über Verbindungen informiert und sich aus diesem Grund mit ihnen trifft.

Nach der Debatte fassten zwei Redner des Debattierclubs die Positionen zusammen von Regierung und Opposition zusammen. Rafael Hienisch wiederholte die Positionen für eine Neutralität des AStAs gegenüber Verbindungen und ergänzte, dass der AStA-Flyer “einen schnellen Schluss zulässt, der unterstellt, Verbindungen seien gefährlich. Das ist unfair.” Die Position der Opposition rekapitulierte Matthias Müller in einem leidenschaftlichen Plädoyer: “Mit Vorwürfen kann man intolerant sein. Tolerant ist, wenn man akzeptiert, was andere machen. Toleranz geht verloren, wenn Intoleranten die Mehrheit stellen”, warf Matthias den Verbindungen Intoleranz vor. Er hielt ihnen außerdem rechtsextremes Gedankengut vor, wovon sich diese bei Verdacht nicht distanzierten. Der AStA sehe bei Verbindungen den Drang zu Militarismus, Sexismus und Deutschtümlichkeit.

Kommentar

Die vom Debattierclub organisierte Diskussion war insgesamt außerordentlich aufschlussreich, vor allem was das Corpsstudentenwesen anbelangt. Der Zuhörer konnte zum Teil tiefe Einblicke in das Grundverständnis von Verbindungen gewinnen und dabei das eine oder andere Vorurteil relativieren oder gar revidieren. Am Ende der Debatte sind die Verbindungsstudenten als Sieger hervor gegangen, was vor allem daran lag, dass sie in überwältigender Mehrzahl waren, sodass der Gegenseite gerade deshalb recht schnell die Luft ausging. Verbindungskritiker konnten dadurch regelrecht an die Wand argumentiert werden, wobei man das den Verbindungsstudierenden nicht zum Vorwurf machen kann. Schließlich war die Veranstaltung für jeden zugänglich und jeder Verbindungsskeptiker hätte kommen und entsprechend parieren können.

Insgesamt gelang es den Corporierten bis zu einem bestimmten Moment der Publikumsdiskussion ganz gut, tolerant und respektvoll mit seinem Meinungskontrahenten umzugehen, sodass es zunächst auch sehr überzeugend wirkte, dass ausschließlich die Kritiker Verursacher und Schuldige an der derzeitigen öffentlichen Wahrnehmung von Studentenverbindungen seien. Allerdings schossen sich die selbsternannten Träger von Ehre, Anstand und Respekt dann doch ein Eigentor. Als eine Studentin ihre Meinung zu bestimmten Gepflogenheiten im Verbindungswesen kundtat und begründete, warum diese aus ihrer Sicht chauvinistisch, sexistisch und frauenfeindlich seien, ließ es sich ein Corporierter nicht nehmen, eine pöbelhafte Phrase in überheblicher, respektloser und herablassender Art vom Stapel zu lassen. Es wäre anzunehmen gewesen, dass dies im Widerspruch zu einer in Verbindungskreisen durchaus als bedeutsam erachteten gepflegten Diskussionskultur stehe. Doch dem war offensichtlich nicht so. Der Verbindungsstudent erntete keine bösen Blicke, vielmehr schlug die überwiegende Mehrheit des Publikums in die selbe Kerbe und sah sich gezwungen, die Kritikerin auszulachen, ihre Meinung dadurch öffentlich zu diskreditieren.

Respektvoller Umgang miteinander sieht anders aus. Dabei muss ausdrücklich betont werden, dass es auch vereinzelt Studierende gab, die diese Situation nicht zum Brüllen komisch fanden und schwiegen. Die Studentin wurde durch das unmanierliche Verhalten eines Großteils der Verbindungsstudierenden ihr gegenüber jedenfalls nicht vom Gegenteil überzeugt. Vielmehr wurde sie dadurch noch in ihrer These bestärkt, dass Chauvinismus im Verbindungswesen deutlich weiter verbeitet ist, als es die Corporierten eingestehen wollen. Insgesamt wurde somit eines besonders deutlich: Nicht nur die Kritiker des Verbindungswesens sollten ihrem Meinungskontrahenten mehr Toleranz entgegen bringen, auch die Verbindungsstudenten selbst sind in der Pflicht, andere Meinungen nicht mit dummen Sprüchen und schallendem Gelächter zu erwiedern. So verworren man eine Ansicht zu gegebenen Zeitpunkt auch halten mag, so sollte man dennoch höflich bleiben, was Verbindungsstudenten für gewöhnlich auch wissen, in dem Moment jedoch selbst nicht beachtet haben. Zu einem Streit gehören immer mindestens zwei Parteien. Keiner der beiden Seiten trägt dabei die alleinige Schuld der derzeitigen Situation. Das wurde an jenem Abend deutlich, wenngleich sich das nur für einen kurzen Moment lang herauskristallisierte.

Marco Wagner

Fotos: Marco Wagner