CaMeTa-Staffellauf: Rezension: When They See Us

CaMeTa-Staffellauf: Rezension: When They See Us

Von vermeintlich ungesehenen Mitgliedern einer Gesellschaft und von einem Justizsystem, das die Augen verschließt, erzählt die Netflix-Miniserie »When They See Us« aus dem Jahr 2019. Um welches erschreckendes Fehlverhalten des US-amerikanischen Rechtswesens sich die Serie dreht und wie bewegend die Geschichte der »Central Park Five« wirklich ist, erfahrt ihr hier.

Zum CaMeTa-Staffellauf:

Dieser Artikel ist Teil des kollaborativen CaMeTa-Staffellaufs. Hintergrund sind die namensgebenden Campusmedientage, ein jährliches Treffen studentischer Medien aus ganz Deutschland. Aus dem Treffen heraus entstand dann auch der »Staffellauf«, eine Artikelreihe unter einem gemeinsamen Oberthema (dieses Mal: (Un-)Sichtbar). Die Reihe ist das Ergebnis der Zusammenarbeit aller teilnehmenden Redaktionen und der Weitergabe des »Staffelstabs«, die alle zwei Tage erfolgt. Bleibt auf dem neusten Stand und verfolgt das Projekt auf Instagram!

Wenn man die auf wahren Begebenheiten beruhende Serie zu schauen beginnt, wird man förmlich hineingeworfen in das New York dieser Zeit: belebt, ausgefallen, offen. Der Retro-Vibe der späten Achtzigerjahre ist ein schöner Moment der Ästhetik – der aber schnell verfliegt. Nachdem man die fünf jugendlichen Protagonist*innen der Geschichte kurz vorgestellt bekommt, hat man eine ungefähre Ahnung davon, wen man in den nächsten vier Folgen so begleiten wird. Antron liebt die Yankees, Kevin spielt Trompete, Korey glänzt in der Schule durch Abwesenheit und Raymond und Yusef sind mit ihren Freund*innen unterwegs. Fünf ganz normale Kids und fünf Leben, die sich nun zum ersten Mal kreuzen werden. Eine verhängnisvolle Nacht im April 1989 ist die Startszene der Handlung.

Zum Zeitpunkt des Beginns der Geschichte ist Spring Break, die New Yorker Schüler*innen haben also Ferien und das merkt man an der ausgelassenen Stimmung. Was die fünf Hauptfiguren gemeinsam haben, ist, dass sie an jenem Abend des 19. Aprils gemeinsam mit vielen anderen Jugendlichen im Central Park unterwegs sind. Wildin, wie sie es nennen. Also einfach raus, mal schauen, was so geht, und einfach eine gute Zeit zusammen haben. Ein paar der Kids pöbeln dann zum Teil auch Passant*innen an oder geraten in Raufereien, es wird jedoch schnell klar, dass die fünf, die man kennengelernt hat, sich in dieser Situation eher unwohl fühlen und sich ihr lieber entziehen. Sie alle waren an diesem Abend zufällig im Park. Trotzdem wird ihnen ihr Involvement ungerechterweise zum Verhängnis werden.

Am 19. April 1989 wird die damals 28-jährige Patricia Meili beim Joggen überfallen. Sie wird brutal angegriffen, sexuell missbraucht und so stark verprügelt, dass es einem Wunder gleicht, dass sie diese Nacht überlebt. Patricia war im Dunkeln unterwegs, in einer abgelegenen Ecke des Central Parks. Genau wie die fünf Jungs.

Nachdem die Schwerverletzte von der Polizei gefunden wurde, beginnen prompt die Ermittlungen. An dieser Stelle tritt eine weitere Figur in den Fokus der Serie: Staatsanwältin Linda Fairstein. Fairstein, sichtlich ambitioniert und erbarmungslos, fasst das Ziel, die oder den Verantwortliche*n für die schreckliche Tat so schnell wie möglich zu finden und so einen wichtigen Schritt gegen die wachsende New Yorker Kriminalität zu gehen. Da sich neben dem Verbrechen an der Joggerin zur gleichen Zeit auch die anderen Überfälle und Raufereien der Jugendlichen im Central Park ereigneten, gerieten diese (vor-)schnell ins Visier der Staatsanwältin. So landen die fünf Hauptfiguren in engen Verhörräumen und werden ohne die Anwesenheit eines*r Anwält*in und teils auch ohne ihre Eltern von skrupellosen Ermittler*innen in Gespräche verwickelt. Und nicht nur das, in der Folge dieser Verhöre entstehen auch falsche Geständnisse und Zeug*innenaussagen, weshalb gegen die fünf Jungs schließlich Anklage erhoben wird. Anschließend werden auch der Prozess und das Leben der »Central Park Five«, also der Angeklagten, nach dem Verfahren beleuchtet.

»The mother left, voluntarily?« – » Is it snowing? […] It suddenly feels like christmas.«

Detectives, über die Aussicht, die Minderjährigen ohne Aufsicht zu verhören (Folge 1)

Mein Eindruck

Wer mal wieder so richtig sauer sein möchte, schaut am besten diese Serie. Nicht, weil sie schlecht gemacht ist, sondern weil die unfassbare Ungerechtigkeit in diesem Fall zum Haareraufen ist. Dass die Minderjährigen in den Verdacht der Ermittlungen geraten, ist schwer nachvollziehbar, aber wie dann auch noch mit ihnen umgegangen wird, kann man wirklich nicht akzeptieren. Es entfalten sich Machtgefälle der übelsten Art und die Geschichte ist geprägt von Rassismus, unfairen Verhältnissen und unfähigen Detectives und Ankläger*innen.

Aus heutiger Perspektive ist die Serie, aufgrund dieser Missstände, fast körperlich schmerzhaft anzusehen, dieses Unrecht kaum vorstellbar. Aber das war das echte Leben von Antron McCray, Kevin Richardson, Korey Wise, Raymond Santana und Yusef Salaam. Für die fünf POC wurde dieses Fehlverhalten der Justiz folgenschwer und so verbrachten sie zwischen sechs und 14 Jahren in (Jugend-)Gefängnissen. Ohne Beweislast, nur ermöglicht durch die rassistische Willkür der Staatsanwaltschaft, wurde fünf jungen Menschen das Leben entzogen. Erst 2002 wurden sie aus der Haft entlassen und der Fall neu aufgerollt.

»You’ve been spoon-fed a story and you’re eating it up!«

Aktivist*in in Harlem (Folge 2)

In der Serie wird noch viel mehr betrachtet als dieser kurze Abriss der Geschichte und sie ist definitiv sehenswert. Die Besetzung der Figuren ist meiner Meinung nach sehr gut gelungen und die Umsetzung der Story geht unter die Haut. Auch wenn es zeitweise wirklich schwer ist, das Unrecht mitanzublicken, und die über eine Stunde langen Folgen keine leichten Happen sind, bin ich der Ansicht, dass jede*r diese Serie gesehen haben sollte. Ich denke, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung rund um den Fall leisten kann. Auf Netflix gibt es auch die ergänzende Dokumentation »When They See Us Now« zu sehen, die einen Talk Show-Auftritt mit Oprah Winfrey abbildet. In dieser Sendung sind sowohl die echten »Central Park Five« vor Ort als auch die Schauspieler*innen, die sie in der Miniserie verkörperten, sowie andere Funktionär*innen der Produktion. Auch diese Sendung ist ein berührender Beitrag zu den Ereignissen und reflektiert über die Leben der Justizopfer.

»When They See Us« ist genau das Richtige für alle, die sich für wahre Verbrechen interessieren und auf hohem Level unterhalten werden wollen. Wer sowohl über die historischen Verhältnisse des Falls lernen möchte als auch erfahren will, wie die fünf zu Unrecht Verurteilten mit dieser Ungerechtigkeit umgehen, sollte die beiden Produktionen sehen. Die Geschichte der »Central Park Five« ist eine Geschichte über Wahrheit, Macht, das Kämpfen und die Bedeutung von Familie und Freund*innen in Zeiten, in denen man nicht aufgeben darf.

Beitragsbild: Tingey Injury Law Firm auf Unsplash